Protokoll der Sitzung vom 07.12.2005

Des Weiteren sollen nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen 10 % des Liegenschaftsbestandes des Landes zu einem Preis von 400 Millionen Euro veräußert und danach wieder zurückgemietet werden. Auch wenn ein solches Verfahren aktuell in Hessen Anwendung gefunden hat: Um hier nicht unwirtschaftlich vorzugehen, sollten wir uns Zeit für eine sorgfältige Prüfung dieses Modells nehmen. Für 2006 ist das jedenfalls keineswegs etatreif.

Meine Damen und Herren, Politik ist die Kunst des Machbaren. Wir müssen ehrlich analysieren, was geht und was nicht geht, und den Menschen die

Lage ehrlich darstellen. CDU und FDP meistern diese Aufgabe jetzt das dritte Jahr. Wir nehmen diese schwierige Aufgabe an und gestalten das Machbare im Rahmen des Möglichen. Diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU und FDP sind sich sicher: Unser Weg ist zwar steinig und beschwerlich, aber es ist der richtige Weg.

(Vizepräsidentin Ulrike Kuhlo über- nimmt den Vorsitz)

Die große Mehrheit der Bürger im Land ist bereit, diesen Weg mitzugehen; denn sie spüren, es ist der richtige Weg, weil es gerecht zugeht und uns am Ende eine bessere Zukunft erwartet. - Herzlichen Dank.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, zu Wort gemeldet hat sich jetzt der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Stefan Wenzel. Herr Wenzel, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr McAllister, da Sie deutlich gemacht haben, dass Sie die Qualität von Vorschlägen der Opposition an der Dicke der Vorlage messen, will ich etwas zu Ihren Rechenkünsten sagen. Sie haben auf unseren Zwischenruf leider nicht reagiert und nicht sagen können, was Herr Busemann vor einigen Wochen versprochen hat, wo denn die Unterrichtsversorgung künftig liegen soll. Ich kann mich an 99 % oder 99,6 % erinnern. War das richtig, 99,6 %, Herr Busemann?

(Minister Bernhard Busemann [CDU]: 99,5 %! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Gefühlte 100 %!)

- Das war die richtige Zahl. - In der NordwestZeitung - offenbar ist das ein Thema im ganzen Land; denn es bezieht sich auf Südniedersachsen - heißt es, Herr Busemann: „In Duderstadt fällt jede fünfte Schulstunde aus.“

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Sie müssen nicht alles glauben, was in der Zeitung steht!)

Wenn ich richtig rechne, dann heißt das: 80 % Unterrichtsversorgung. Das zu den Rechenkünsten, die Sie hier an den Tag legen. Zwischen 99 % und 80 % gibt es einen kleinen Unterschied, den Sie noch überbrücken müssen.

Meine Damen und Herren, als wir das letzte und das vorletzte Mal im Dezember hier zur Haushaltsberatung zusammengekommen sind, konnte die Union, die auf der rechten Seite dieses Hauses sitzt, vor Kraft kaum gehen.

(Norbert Böhlke [CDU]: Heute genau- so!)

Diese selbsternannte bürgerliche Mehrheit - das haben wir ja auch heute wieder gehört - berauschte sich zum einen an ihren eigenen Beschlüssen und zum anderen an den Umfrageergebnissen. Sie waren ungekrönter Umfragekönig, Herr McAllister

(David McAllister [CDU]: Gerne!)

nicht nur hier im Haus, sondern in der ganzen Republik. Jetzt haben Sie auch in Niedersachsen Ihr Waterloo erlebt. Anders kann man das, glaube ich, kaum bezeichnen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Bernd Althusmann [CDU]: Herr Oberbürger- meister!)

Wer hätte denn vor einem Jahr gedacht, dass eine großmäulige Union bei den Bundestagswahlen auf 35 % und hier in Niedersachsen sogar auf 33,6 % absackt?

(Bernd Althusmann [CDU]: Dann ha- ben Sie ja in Göttingen alle Chancen!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident Wulff, schon vor einem Jahr konnten Sie auch in Ihren eigenen Reihen kritische Stimmen wahrnehmen, denen die knallharte Linie beim Blindengeld Unbehagen verursachte. Aber da haben Sie die Kritiker mundtot gemacht. Die Kritik, die auch aus den eigenen Reihen kam, wurde hier im Parlament gnadenlos weggelächelt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Umfragewerte der Vergangenheit waren nur eine Fata Morgana. Sie haben bei einer Reihe von Landtagswahlen zwar von Stimmen profitiert, die mit der Politik der alten Bundesregierung unzufrieden waren; aber Sie haben keinen Weg gefunden,

um diese Wählerinnen und Wähler von Ihrer Politik zu überzeugen. Ihre Wahlversprechen waren von sozialer Härte und technokratischem Kauderwelsch geprägt.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wie war das denn im Mai in Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege?)

Meine Damen und Herren, Sie versprechen uns jetzt im Duett mit der SPD das „neue Deutschland“. Aber das neue Deutschland soll nur mit kleinen Schritten daherkommen - so sagt es Ihre Kanzlerin. War denn Ihre Analyse im Wahlkampf so falsch? Hat Deutschland plötzlich so viel Zeit, um Reformen einzuleiten? - Das steuerpolitische Hü und Hott, Herr Möllring, das wir im Wahlkampf erlebt haben, feiert jetzt plötzlich fröhliche Urständ.

(Joachim Albrecht [CDU]: Wie denn das?)

Meine Damen und Herren, 2006 soll das Land konsumieren und noch einmal richtig ordentlich einkaufen gehen. 2006 geht es nach dem Motto „Du bist Kaufhof!“ oder „Du bist Karstadt!“. Dafür gibt es dann sogar ein paar Steuernachlässe.

Und was ist 2007? - 2007 geht’s wieder raus aus den Kartoffeln. 2007 gilt dann wieder „Geiz ist geil“: Mehrwertsteuer rauf, Schluss im Kaufrausch, alle müssen wieder kürzer treten. Wer soll das verstehen? - Mal ganz im Ernst: Ich glaube nicht, Herr Althusmann, dass Sie ganz persönlich von diesem Konzept überzeugt sind. Ich kann es mir nicht vorstellen; dafür kenne ich Sie mittlerweile zu gut.

(Bernd Althusmann [CDU]: Auch du bist Deutschland!)

Wenn Ihre Analyse zur Situation der Staatsfinanzen und zu den sozialen Sicherungssystemen, die Sie hier und im Wahlkampf mehrfach vorgetragen haben, richtig war, dann muss man doch jetzt handeln. Dann kann man doch nicht erst 2007 oder 2008 die Staatsfinanzen sanieren. Meine Damen und Herren, das ist mir völlig unverständlich.

(Beifall bei den GRÜNEN - Joachim Albrecht [CDU]: Wenn der Koalitions- partner nicht mitmacht!)

Wenn Sie dann immer wieder die Ehrlichkeit in der Debatte anmahnen und sich auch im Nachhinein noch in Rage reden und meinen, Sie wären immer ehrlich gewesen, dann will ich auch ein paar Worte zu Ihrer Ehrlichkeit und zu Ihren Rechenkünsten

sagen. Gucken wir uns einmal das Ergebnis an, das in Berlin herausgekommen ist. Ich will einmal die erste Aufgabe rechnen: 2 + 0 = 3! 2 % Merkelsteuer und 0 % Müntesteuer sind 3 % Mehrwertsteuer oder Große-Koalition-Steuer - ich weiß nicht, wie Sie das nennen. Das ist eine interessante Rechnung.

(David McAllister [CDU]: Das ist ja fast eins!)

- Sie müssen wissen, wie das hinkommt. - Oder eine andere Rechnung: 1 + 1 = 5! Eine große Volkspartei und noch eine große Volkspartei ergeben fünf Posten mehr für Staatssekretäre und Minister. Es ist mir auch völlig unverständlich, wie man zu solchen Ergebnissen kommen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN - Norbert Böhlke [CDU]: Sind wir im Bundestag, oder reden wir vom Landeshaushalt?)

Nehmen wir noch eine andere Rechenaufgabe. Was ist 4 x 11? - Vier Verhandlungsführer, elf Wochen Verhandlungen - was kommt da raus? - Null. Null kommt heraus beim Thema Schuldenabbau. Der Schuldenabbau wurde vertagt. Die große Steuerreform wurde vertagt. Die Unternehmenssteuerreform wurde vertagt. Die Reform im Gesundheitswesen wurde vertagt. Null, null, null!

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Ist das dei- ne Telefonnummer? - Joachim Alb- recht [CDU]: Herr Wenzel, wir sind hier nicht im Bundestag!)

Das sind Ihre Rechnungen. So viel Schwäche war nie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und zu allem Überfluss soll auch nur ein kleiner Teil der zusätzlichen Mehrwertsteuer in die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge fließen. Dafür retten Sie aber gemeinsam mit den Sozialdemokraten die Kohlesubventionen und andere Subventionsfossile.

(Joachim Albrecht [CDU]: Die Sie im- mer unterschätzt haben!)

Aber, meine Damen und Herren, das Hauptthema im Bundestagswahlkampf und das Hauptthema hier im Landtag und im Land, das die Menschen beschäftigt und betrifft, war noch ein anderes. Das war die Lage am Arbeitsmarkt. Und wie geht es da weiter? Was müssen wir da zur Kenntnis nehmen?

- Placebos und Prinzip Hoffnung. Warum wundern wir uns eigentlich über mehr als 10 % Arbeitslosigkeit, wenn in Niedersachsen 10 bis 15 % aller Jugendlichen ohne Schulabschluss in die Welt geschickt werden? Das ist Sprengstoff. Da brauchen wir nicht nur nach Frankreich zu gucken. Wir wissen auch in Deutschland: So kann das nicht weitergehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Man kann nicht hoffen, dass das am Ende an unserem Land vorübergeht. Das kann sich keine Gesellschaft leisten. Dazu kommen bei uns noch all die Hauptschüler, die keine Lehrstelle finden.

Nach Ihren Vorstellungen soll sich der Bund jetzt aus der Bildungspolitik völlig ausklinken. Sie wollen die Verantwortung für den Bildungssektor ganz allein übernehmen.

(Joachim Albrecht [CDU]: Weil sie hier besser aufgehoben ist!)

Jedenfalls gilt das, wenn man Ihre Entwürfe zur Föderalismusreform ernst nimmt und Sie am Ende im Bundestag und im Bundesrat dafür eine Zweidrittelmehrheit finden. Dann müssen Sie aber auch die Frage beantworten, wie Sie diese Probleme hier in Niedersachsen lösen wollen. Sie haben bislang aber keine Antwort auf die Frage gefunden, wie wir in Niedersachsen die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss senken können. Sie haben bislang keine Antwort auf die Frage gefunden, wie in Niedersachsen die Zahl der jungen Erwachsenen mit Hochschulabschluss deutlich erhöht werden kann. Das Gegenteil passiert: Die Zahlen gehen zurück. Über die Zukunft dieses Landes und über die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes entscheidet nicht die Länge der Autobahnen, meine Damen und Herren. Das ist meine feste Überzeugung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Norbert Böhlke [CDU]: Das stimmt!)