Protokoll der Sitzung vom 16.05.2003

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Vorgängerregierung hat Ganztagsschulanträge nur dann genehmigt,

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

wenn an mindestens zwei Nachmittagen Pflichtunterricht für alle Schülerinnen und Schüler erteilt wird. Demgegenüber fordern viele Eltern insbesondere im ländlichen Raum immer wieder ein, dass Nachmittagsangebote auf freiwilliger Basis vorgehalten werden sollen, um individuelle und maßgeschneiderte Lösungen für Eltern und Schüler zu ermöglichen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wird sie künftig wieder Ganztagsschulangebote auf freiwilliger Basis genehmigen und damit dem Wunsch vieler Eltern entsprechen?

2. Inwieweit haben die einzelnen Gebietskörperschaften im Rahmen der von der Landesregierung eingeräumten Optionen auf Ganztagsschulangebote diese Optionen durch entsprechende Anträge bereits ausgeschöpft?

3. In welchem Umfang und an welchen Schulstandorten sind entsprechende Anträge genehmigt worden, die nicht über ein entsprechendes pädagogisches Konzept verfügen und die ohne die notwendige verbindliche Einbindung der betroffenen Schulen gestellt worden sind?

Danke schön. - Herr Minister Busemann, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der geltende, von der früheren Landesregierung verantwortete Erlass zur Arbeit in der öffentlichen Ganztagsschule vom 8. März 2003 sieht vor, dass eine Ganztagsschule ihren Schülerinnen und Schülern an mindestens vier Nachmittagen einer vollen Unterrichtswoche ganztagsspezifische unterrichtliche und außerunterrichtliche Angebote macht. Im Anschluss an die Mittagspause mit dem

Mittagessen werden im Umfang von zwei Unterrichtsstunden Nachmittagsangebote eingerichtet. Der Erlass legt fest, dass alle Schülerinnen und Schüler der Ganztagsschule oder eines Ganztagsschulzuges an mindestens zwei Nachmittagen der Woche am ganztagsspezifischen Unterricht, d. h. z. B. Förderunterricht, Arbeits- und Übungsstunden, Verfügungsstunden, Arbeitsgemeinschaften, Projekte, teilnehmen und sich darüber hinaus für Angebote an weiteren Nachmittagen, z. B. Hobbyund freiwillige Arbeitsgruppen, anmelden können.

Entsprechend dem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und FDP wird diese Festlegung in einem veränderten Ganztagserlass entfallen: Es soll keine Vorwegverpflichtung zur Teilnahme an den nachmittäglichen Angeboten der Ganztagsschule mehr geben. Die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler an zusätzlichen Bildungs-, Förder- und Freizeitangeboten wird grundsätzlich freiwillig sein,

(Beifall bei der CDU)

um den Eltern und Erziehungsberechtigten die Entscheidungsfreiheit zu erhalten und der jeweiligen Bedarfssituation vor Ort entsprechen zu können. Es wird gegenwärtig geprüft, unter welchen Bedingungen auch künftig im Ganztagskonzept von Schulen eine Teilnahmeverpflichtung der Schülerinnen und Schüler für einzelne Nachmittage vorgesehen werden kann, wenn dies dem örtlichen Bedarf und dem Willen der Beteiligten entspricht.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1 ein schlichtes Ja.

Zu Frage 2: Von den 140 für das Gebiet der Landkreise und kreisfreien Städte von der früheren Landesregierung vergebenen Optionen zur Einrichtung von Standorten für Ganztagszentren sind zum 1. August 2002 und zum 1. August 2003 insgesamt 52 Optionen in Anspruch genommen und 110 neue Ganztagsschulen eingerichtet worden. Dadurch haben 15 Gebietskörperschaften ihre Optionen ausgeschöpft, weitere 13 haben einzelne Optionen genutzt, und für 19 Landkreise bzw. kreisfreie Städte sind noch keine zusätzlichen Ganztagsschulen eingerichtet worden. In den Jahren 2004, 2005 und 2006 können auf der Grundlage der bisherigen Planung mithin noch insgesamt 88 Ganztagszentren aus kooperierenden Einzelschulen oder verbundenen Schulen eingerichtet

werden. Ich habe der schriftlichen Beantwortung, die ja jedermann gleich erhält, die Liste der Standorte beigefügt. Man sieht mir wohl nach, wenn ich das nicht alles verlese.

Zu Frage 3: Der Ganztagserlass legt fest, dass die Ganztagsschule auf der Grundlage eines pädagogischen Konzepts arbeitet und die Gesamtkonferenz über das Modell, insbesondere mit grundsätzlichen Aussagen zur Zahl der verbindlichen Nachmittage, entscheidet. Damit ist eine Einbindung der Schule sichergestellt. Dies gilt nach meinem Erkenntnisstand bei den bisher genehmigten Ganztagsschulen auch für die Fälle, in denen die Initiative und Antragstellung nicht von der Schule selbst, sondern vom Schulträger ausgegangen ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Herr Minister. - Eine Zusatzfrage stellt Herr Abgeordneter Wulf.

Herr Minister, können Sie mir darstellen, welche Ganztagsschulen in den verschiedenen Schulformen jetzt realisiert werden? Gibt es also auch Ganztagsschulen für Grundschulen? Wie ist es an Realschulen, Hauptschulen, Gymnasien und Gesamtschulen? Da wäre eine Übersicht sehr hilfreich.

Herr Minister Busemann!

Herr Wulf, eine grundsätzliche Anmerkung, weil wir auf dem Felde der Ganztagsschulen miteinander möglicherweise zu neuen Ufern unterwegs sind. Ich habe gelegentlich dargestellt: Die Eingebung, die bei der Bundesregierung dazu geführt hat, UMTS-Gelder an die Länder für Ganztagsschulzwecke weiterzugeben, ist einen etwas seltsamen Weg gegangen. Aber wenn der Bund das - fast 400 Millionen Euro bedeutet das für Niedersachsen - ausgeben will und wir das für Niedersachsen bekommen, dann nehmen wir es erst einmal gerne so hin.

Es gibt aber gewisse Probleme. Das ist das Risiko einer Anschubfinanzierung. Darüber haben wir

schon debattiert. Es wird im wohl verstandenen Sinne meinethalben Gutes angeschoben und vor Ort umgesetzt. Aber 2007 läuft das aus. Alle Betroffenen sitzen dann mit den Folgekosten da. Deswegen hatte ich auch in den Medien so ein bisschen gewarnt, an diese Dinge vorsichtig heranzugehen. Nachher verheben wir uns. Vor allem betrifft es dann auch die Schulträger. Dann haben wir Gutes gewollt und Ruinen hingestellt. Das wollen wir nicht haben.

Ich habe mich, wie auch die Regierungsfraktionen, grundsätzlich rund um den Komplex der Gesamtschulen, aber auch um den Komplex der Ganztagsschulen dafür ausgesprochen: keine staatliche verordnete Beglückung von oben. Vielmehr gilt das Freiwilligkeitsprinzip.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Wunsch nach Ganztagsschulen mit Aktivität vor Ort soll unten entwickelt, unten entfaltet werden, um dann zu sehen, ob das in den Erlass passt. Den müssen wir ja auch aufgrund der Gelder, die aus Berlin kommen, anpassen. Das ist dann insgesamt stimmig zu machen, wie weit wir alle miteinander zusammenkommen können. Deswegen sage ich das.

Wir beschränken die Möglichkeit zur Einrichtung von Ganztagsschulen nicht mehr auf bestimmte Schulformen, die wir politisch favorisieren oder - in Ihrem Fall - nicht favorisieren.

(Beifall bei der CDU)

Im Grunde genommen gilt - so möchte ich fast sagen - das freie Spiel der Kräfte, ganz egal, welche Schulform, ganz egal, wie die Dinge gestrickt ist. Grundsätzlich kann das jeder tun. Nachher müssen wir sehen, wie das vor Ort aussieht und um welche Schülerzahlen es geht. Es geht um eine vernünftige Eingrenzung der Verhältnisse. Aber es beschränkt sich nicht auf bestimmte Schulformen. Das war Ihre Frage, die ich gerne dahin gehend beantworte.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Minister Busemann. - Die nächste Frage stellt Frau Korter. Bitte!

Herr Minister Busemann, ich frage Sie: Wird das Land den im Bundesprogramm vorgesehenen Eigenanteil an den Investitionskosten übernehmen, oder wird es diese Kosten den Kommunen überlassen? - Es kann sein, dass ein Teil meiner Frage schon beantwortet wurde. Der Geräuschpegel ist hier leider so hoch, dass ich häufig nicht alles verstehe, was der Minister sagt.

Meine Damen und Herren, Sie haben gehört, dass es Schwierigkeiten mit der Akustik gibt. Ich bitte Sie doch um etwas mehr Ruhe. - Herr Minister Busemann, bitte!

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Nicht sa- gen, dass es eine intellektuelle Frage ist!)

Frau Kollegin Korter, Sie sprechen damit einen sehr sensiblen Punkt an. Es geht in gewisser Weise bei einem doch erheblichen Gesamtvolumen am Ende nur um 10 %. Wir müssen genau gucken, wen es angeht, wer es tragen muss und wer selbst das dann überhaupt noch tragen kann.

Noch einmal grundsätzlich zu der Verwaltungsvereinbarung, wenn Sie das interessiert. Ich will Ihnen dazu zwei Textpassagen vortragen, damit auch jedermann weiß, wofür es denn ausgegeben werden soll.

Insbesondere die B-Länder haben in den Verhandlungen dafür gesorgt, dass sozusagen die Verwendung der Gelder vor Ort ausgesprochen flexibel im Interesse von vorhandenen wie neuen Ganztagsschulen erfolgen kann und die Festlegungen und Bestimmungen aus Berlin nicht überhand nehmen. Grundsätzlich sagt die Präambel dieser Vereinbarung: Mit dem Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ soll die Schaffung einer moderneren Infrastruktur im Ganztagsschulbereich unterstützt und der Anstoß für ein bedarfsorientiertes Angebot in allen Regionen gegeben werden. Die Qualitätsverbesserung unseres Bildungssystems hat eine nachhaltige gesamtwirtschaftliche Dimension. Durch eine frühzeitige und individuelle Förderung aller Potenziale in der Schule wird ein entscheidender Beitrag für eine gute Qualifizierung für die zukünftige Erwerbsarbeit geleistet. Dadurch kann der steigende Bedarf an qualifizier

ten Erwerbspersonen besser gedeckt, zugleich kann das vorhandene Potenzial an gut ausgebildeten Arbeitskräften besser ausgeschöpft werden, und es können neue, zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen. Ziel des Programms ist es, zusätzliche Ganztagsschulen zu schaffen und bestehende Ganztagsschulen qualitativ weiterzuentwickeln.

Sie merken, dass ein bisschen das wirtschaftspolitische Argument hervorgehoben worden ist, dass aber vor allem nicht mehr ein Zahlenfetischismus betrieben wird, dass man sich nicht mehr festlegt, wie viele tausend Ganztagsschulen bundesweit oder wie viele hundert für Niedersachsen, sondern in der Grundlinie sagt man: Zusätzliche Ganztagsschulen, aber auch bestehende Ganztagsschulen können qualitativ weiterentwickelt werden.

Zum Zweck der Finanzhilfe ist dann noch einmal ausführlich aufgeführt, wer das Geld bekommen soll. Ich verkürze das etwas: Gefördert werden Ganztagsschulen im Sinne der jeweiligen Landesregelung, die über ein pädagogisches Konzept verfügen. Wir müssen das Konzeptionelle und das Pädagogische festlegen. Das werden wir demnächst über einen Erlass tun. Ferner werden Schulen einschließlich angegliederter Horte sowie Kooperationsmodelle zwischen Schule und Trägern der Jugendhilfe auf der Grundlage eines gemeinsamen pädagogischen Konzepts gefördert, wenn die Weiterentwicklung zu einem in der Schule fachlich integrierten Ganztagsangebot angestrebt wird. Wichtig ist in Artikel 1 Abs. 2 der Vereinbarung: Zu den Investitionen im Sinne von Absatz 1 gehören insbesondere erforderliche Neubau-, Ausbau-, Umbau- und Renovierungsmaßnahmen, Ausstattungsinvestitionen sowie die mit den Investitionen verbundenen Dienstleistungen. - Es ist eine gute Sache, dass auch Bau- und Ausstattungskosten mit einbezogen werden können. Aber wer baut denn in der Regel das Gebäude für Ganztagsbeschulung? - Das ist der Schulträger. Er trägt die Baukosten. Wenn er 90 % erhält, dann versteht jeder - das steht an anderer Stelle der Vereinbarung -, dass die Bundesmittel zwar als Zusatzfinanzierung gedacht sind, aber dass es auch eine Eigenaufwendung gibt. Der Schulträger wertet seinen eigenen Standort manchmal allein schon gebäudlich auf. In den Ländern sind jeweils 10 % mitzutragen. Man wird der Landesregierung nachsehen, dass sie sagt, dass die Kommunen diese 10 % selber tragen müssen.

(Zustimmung von Karl-Heinz Klare [CDU])

Frau Seeler stellt eine Frage.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Busemann, Sie wissen, dass die vorherige Landesregierung einen Ganztagsschulerlass gemacht hat, in dem sowohl die zusätzlichen Lehrerstunden als auch ein Budget festgelegt worden sind, um musische, kulturelle, sportliche und sonstige Aktivitäten am Nachmittag zu finanzieren.

(Ursula Körtner [CDU]: Eine Frage stellen! „Vor dem Hintergrund - - -“!)

Bitte stellen Sie eine Frage!

Das kommt gleich. - Sie selbst haben in der Neuen Presse vom 14. Mai Folgendes gesagt:

„Den Pflichtunterricht an Ganztagsschulen zahlt natürlich stets das Land. Für musisch-kulturelle Angebote, Sport oder Vereinsaktivitäten gibt der Bund kein Geld. Das muss der Schulträger, also die Kommunen, selbst bezahlen.“

Ich frage Sie also: Ist es richtig, dass Sie das Ganztagsangebot am Nachmittag im Grunde genommen von den Kommunen bezahlen lassen wollen und Sie selbst wie bisher nur den Vormittagsschulunterricht finanzieren wollen?

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wie kann man das denn daraus lesen? - Gegenruf von Silva Seeler [SPD]: Sie nicht, weil Sie nicht intelligent genug sind, das zu lesen!)