Wenn Sie allerdings auf die Orientierungsstufe und auf die Förderstufe eingehen, dann frage ich Sie: Können Sie dem geschätzten Haus nach Ihrer Korrektur hinsichtlich des Ausstiegs einmal den Unterschied zwischen der Förderstufe und dem jetzigen Modell von CDU und FDP, wonach die Schullaufbahnentscheidung nach Klasse 6 getroffen werden soll - also eine angebundene Klasse 5 und 6 an den weiterführenden Schulen existiert -, erklären?
Ich weiß nicht, auf welches Schreiben und auf welche Formulierung Sie anspielen. - Das ist nun auch egal. - Diese Umstrukturierung bedeutet natürlich für die kommunalen Schulträger einen Kraftakt, der aber für sie leistbar und bezahlbar ist.
Wenn wir nicht wüssten, dass es machbar und auch zumutbar ist, dann würden wir das nicht so beschließen. Ehrlich gesagt ist dies die schwierigste Frage des Vormittags: Förderstufe/Orientierungsstufe.
- Die kriegen Sie noch. – Was Sie mit der Förderstufe vorhatten, habe ich noch halbwegs kapiert. Aber die Förderverbundkonferenz, die jetzt nicht kommt, hat niemand begriffen.
Förderstufe hätte natürlich auch bedeutet - Sie haben es eher auf das Modell der kooperierenden Hauptschule und Realschule ausgelegt; die Standorte wollten Sie fusionieren -, dass es für ein paar hundert selbstständige Hauptschulstandorte und selbstständige Realschulstandorte keine Zukunft gegeben hätte; bestenfalls hätte es dann ein paar Ausnahmeregelungen gegeben. Das kann man auch nachvollziehen. Man muss das nicht teilen. Aber dieses Modell stand dahinter. Es ist ein dramatischer Unterschied zu unserem Modell, in dem wir sagen: Wir steigen zwar aus der Orientierungsstufe aus, aber im Bereich des gegliederten Schulwesens - deswegen heißt das Gesetz übrigens Gesetz zur Erhaltung von Schulstandorten; damit ist nicht inzident angelegt, dass wir Schulstandorte schließen - ist es unser Ziel, im Flächenland Niedersachsen eine möglichst wohnortnahe Schulstandortlandschaft zu erhalten.
Nach dem, was in den Jahrgängen 5 und 6 geschieht, meine ich, dass wir unter dem Strich richtig liegen, die Klassen 5 und 6 als pädagogische Einheit zu betrachten.
Wir können den Grundsatzstreit über integrative Schulsysteme, über gegliederte Schulsysteme bei Gelegenheit an anderer Stelle weiter austragen. Irgendwann muss ein Gesetzgeber auch einmal entscheiden. Ich bin der Meinung, dass es richtig ist, dass eine gestärkte Grundschule nach vier Jahren - wir trauen das den Grundschullehrerinnen und -lehrern auch zu - eine Empfehlung abgibt. Es ist richtig, dass am Ende der Klasse 4 durchaus der Elternwille, der einen hohen Rang in Niedersachsen hat - das hat man in diesen Tagen gemerkt gilt. Dann geht es darum, was in den Jahrgängen 5 und 6 mit den Kinder passieren soll. Wir sagen: begabungsgerecht. Ich weiß gar nicht, warum dieser Begriff immer diskreditiert wird. In den jeweiligen Phasen muss mit dem Kind das Notwendige geschehen. Die Entscheidung, einen sehr rigiden Einschnitt zu machen, wenn Eltern möglicherweise falsch entschieden haben - wann lässt man dieses Mittel der Querversetzung möglicherweise eingreifen? -, ist besser bei Klasse 6 platziert.
Das ist meine Erkenntnis auch aus den Diskussionen. Darin sind wir uns einig. Deswegen ist es nicht falsch. Das ist ein Mittel, das durchaus seine Risiken, Möglichkeiten oder Chancen hat, nämlich dass man zwischen den Jahrgängen 5 und 6 durchaus noch allgemeines Versetzungsrecht gelten lässt. Wer die Klasse 5 nicht schafft, weil er gerade Pubertätsprobleme hat, kann die 5. Klasse wiederholen, geht dann in die 6. Klasse und kann dann normal durchlaufen - Gymnasium usw.
In vielen Dingen muss man irgendwann einmal nachdenken, überlegen und Kompromisse machen. Finden Sie sich mit der Situation ab, dass wir in Niedersachsen ein gegliedertes Schulwesen haben! Die bürgerliche Koalition will das gegliederte Schulwesen wieder einführen, so heißt es oft. 3 500 Schulstandorte, 60 Gesamtschulstandorte haben Bestandschutz. Wir waren immer ein Land des gegliederten Schulwesens. Deswegen ist die politische Grundsatzentscheidung, das gegliederte Schulwesen - wenn Sie so wollen - so hinzunehmen und darauf aufbauend weiterzuentwickeln, doch nicht verwerflich. Ich verstehe die Parolen „Schule der 50er-Jahre“, „Schule der Steinzeit“ und Ähnliche nicht; die gehören gar nicht hierher. Finnland ist toll, Kanada ist schön, und Korea hat bei der UNESCO auch ganz vorne gestanden. Meine Einschätzung ist schlicht und ergreifend: Wenn ein Land pleite ist oder wenn ein Privatmann pleite ist, dann fängt er nicht an, sich ein neues Haus zu bauen, sondern dann schaut er bei seinem vorhandenen Haus, was er am Fundament, an den Wänden, an den Räumlichkeiten und an den Türen verbessern muss. Auf dem Wege, Herr Gabriel, verstehe ich mich.
Ich will unser Schulsystem, so marode, wie es ist - dies bestätigt auch PISA -, grundsätzlich verbessern, um es schrittweise wieder zu einem guten Ergebnis zu führen, damit Deutschland insgesamt, aber auch Niedersachsen bei PISA wieder besser abschneiden. Förderstufe, Förderverbundkonferenz und alle diese Dinge – da musste man gar nichts erklären. Das hat niemand verstanden. Die Leute haben sich für unser Modell entschieden. Sie sollten vielleicht auch einmal akzeptieren, dass wir dann berechtigt sind, das hier auch zügig umzusetzen. Wie gesagt, auch bei verbleibenden Kritikpunkten trägt uns durchaus die öffentliche Meinung. Darauf sind wir auch ein kleines bisschen stolz. - Vielen Dank.
Ich darf mich bei Ihnen, Herr Gabriel, im Übrigen bedanken. Ihre letzte Zusatzfrage hat mich in die Situation versetzt, bis 10.02 Uhr zu reden. Ich habe jetzt eine Tasse Kaffee von Frau Dr. von der Leyen verdient.
Danke schön, Herr Minister. - Ich habe noch zwei Wortmeldungen vorliegen, und zwar von Herrn Jüttner und Herrn Harden. Herr Jüttner, bitte!
Frau Präsidentin! Herr Busemann, stimmen Sie mir zu, dass Ihre Äußerungen, die Sie eben hier gemacht haben, die Umorganisation der Klassen 5 und 6 sei ein Kraftakt, aber von den Schulträgern durchaus bezahlbar, nicht deckungsgleich sind mit der Begründung zum Schulgesetzentwurf, in der ausgeführt ist, dass durch diese Umstellung keinerlei Kosten auf die kommunalen Schulträger zukommen?
Das war die erste Frage. - Die zweite Frage: Herr Busemann, ist Ihnen bekannt, dass in einigen großen Städten, zumindest im Land Niedersachsen - Braunschweig ist mir am besten in Erinnerung -, in den letzten Wochen eine öffentliche Debatte unter Einschluss auch von CDU-Ratsmitgliedern darüber geführt worden ist, dass der Schulgesetzentwurf, wenn er so umgesetzt wird, Konsequenzen hinsichtlich der Aufrechterhaltung von Hauptschulstandorten hat?
Ich fange mit der zweiten Frage an, Aufrechterhalten von Hauptschulstandorten. Gerade durch den Gesetzentwurf ist klargestellt, dass von Gesetzes wegen kein Standort schließen muss. Bei Ihnen war das im Gesetzentwurf angelegt, nämlich Förderstufe am besten vierzügig.
- Ja, das ist das zweite Problem. - Wie stark sind unsere Hauptschulen gefragt? - Wir müssen keine Hauptschule im Zuge der Schulstrukturreform schließen. Aber das ist in der Tat etwas anderes, was wir uns politisch anschauen müssen. Wir bewegen uns im gegliederten Schulwesen; wir verbreitern auch - das werden Sie möglicherweise nachvollziehen - die gymnasialen Angebote, insbesondere in Fläche; wir wissen, wie sehr Gymnasien momentan nachgefragt sind. Wir finden, dass wir tolle Realschulen in Niedersachsen haben.
Wir wissen auch um die Probleme der Hauptschule. Das hat Sie ja umgetrieben, zur Förderstufe und zu diesen Dingen zu kommen. Es soll niemand so tun, als wären dort keine Probleme vorhanden. Aber die Zahlen sind bekannt. Wir hatten und haben in Niedersachsen noch 10 % an Schulabgängern ohne Schulabschluss. Das ist ein riesiges Heer an jungen Leuten. Es geht vor allem um den Hauptschulbereich.
Deswegen war für uns eine Grundüberlegung: Wenn hier besonderer Handlungsbedarf ist, dann wird man dem Problem nicht dadurch gerecht, dass man einfach Schulformen fusioniert und sagt, wir haben dann keine Hauptschule mehr, also haben wir das Problem mit der Hauptschule auch nicht. Das ist zu kurz gedacht.
Wir sehen durchaus Handlungsbedarf bei der Hauptschule. Die Hauptschule muss attraktiver werden. Den Eltern, vor allem denen, die nach Klasse 4 zu entscheiden haben, muss klar gemacht werden, dass die Hauptschule, wie sie sich jetzt anbietet, wieder die Jahrgänge 5 und 6 hat und die Kinder dort begabungsgerecht beschult werden. Sie macht gute Angebote. Es wird mehr Praxisunterricht stattfinden. - Sie sollten das nicht unterschätzen. Wir haben formuliert: „Verzahnung mit der beruflichen Bildung“. In diesem Bereich wird in den nächsten Jahren einiges stattfinden, sodass die Hauptschule attraktiver wird. Wir machen den Eltern gerade auch deutlich, dass auch über die Hauptschule in Richtung beruflicher Bildung durchaus sehr interessante berufliche Ausbildungsmöglichkeiten bestehen. Wir sagen dem Hauptschüler: Hör zu, du wurdest vielleicht unterschätzt, du kriegst von uns den Rechtsanspruch, dass man dich dann auf die Realschule schicken muss, wenn du besser bist, als du vielleicht gedacht hast. Damit können wir die ganze Einschätzung rund um Hauptschule insgesamt entkrampfen.
Wissen Sie, da sind wir wieder bei den Finanzen. Ich würde es am liebsten morgen früh tun. Aber es geht nicht alles gleichzeitig, sondern man kann nur eines nach dem anderen tun. Wir sollten zusehen, dass wir an den Hauptschulen die Arbeitsbedingungen verbessern, und zwar auch für die Lehrerinnen und Lehrer, die einen schweren Stand haben. Ich weiß, dass aktive Hauptschullehrer im Plenum sitzen.
Es handelt sich also um ein Bündel von Maßnahmen, die wir umsetzen müssen, um die Hauptschulen zu stärken. Wenn dieses Bündel von Maßnahmen entsprechend greift, werden wir die Hauptschulen auf einem passablen Niveau aufbauen.
Dass wir an den Grundschulen in einigen regionalen Bereichen keinen Kindernachwuchs haben, ist vielleicht eine dritte Ebene, bei der man in den nächsten Jahren schauen muss, was sich da entwickelt. Aber da werden die Schulträger entsprechend reagieren. Das ist nicht das große Thema der Landespolitik.
Wir gehen immer noch davon aus, dass das Schulgesetz unter dem Blickwinkel der Konnexität für die Kommunen kostenneutral umgesetzt werden kann. In der nächsten Woche erhalten Sie die Aufstellung, sodass wir das miteinander durchgehen können.
Herr Minister, ich habe ein persönliches Anliegen, das ich in Frageform kleiden möchte. Meine Tochter geht jetzt in die 4. Klasse der Verlässlichen Grundschule. Es ist gut organisiert. Sie hat all die Jahre sieben Stunden Deutsch und 25, 26 Stunden Unterricht gehabt, ist also gut vorbereitet. Sie kommt jetzt in die Orientierungsstufe. Das sind die
Jahrgänge, bei denen man nicht weiß, was nach Klasse 5 passiert. Sie gehört auch nicht zu denen, bei denen man schon sagen kann, dass man sie problemlos auf das Gymnasium schicken kann. Die Hauptschule kommt vermutlich auch nicht infrage. Können Sie mir sagen, wie die weitere Schullaufbahn im nächsten Jahr aussehen wird? In diesem Jahr ist es klar. Was passiert nach Abschluss der Klasse 5? Findet da eine Sortierung statt, oder kann ich meiner Frau sagen: „Du kannst beruhigt sein. Sie besucht noch die Klasse 6 der Orientierungsstufe und kann sich dann entscheiden.“?
Ich kann Sie beruhigen, damit Sie heute Abend keinen Streit zu Hause bekommen. Sie können Ihrer Frau sagen, dass Sie das Kind im August ganz normal in den 5. Jahrgang schicken können. In der Regel ist das die Orientierungsstufe. Das richtet sich danach, wie es vor Ort aussieht. Die Lehrerinnen und Lehrer werden in diesem 5. Jahrgang genau das Richtige tun, um die Schülerinnen und Schüler für den 6. Jahrgang vorzubereiten. In der 6. Klasse kommt Ihr Kind dann in die geeignete Schulform am Ort.
Danke schön, Herr Minister Busemann. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Es ist 10.13 Uhr. Ich lasse keine weiteren Fragen mehr zu.
Die Fragen, die heute nicht mehr aufgerufen werden konnten, werden nach § 47 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben. Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt erledigt.