Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

In dem heute zur Beratung anstehenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht es vorrangig um einen Stromnetzlückenschluss zwischen Ganderkesee und Diepholz im Rahmen transeuropäischer Netze. Es geht hier - damit muss ich meinem Kollegen Oetjen etwas widersprechen - nicht um die Offshore-Technik. Es geht um eine 60 km lange Strecke, die - so sieht es der Antrag von E.ON vor - mit einer 380 kV-Freileitung bestückt werden soll. Städte und Gemeinden, Bürgerinitiativen sowie kommunale Spitzenverbände wenden sich gegen diese Freileitung und fordern eine Erdverkabelung dieser Strecke. Sie wenden sich gegen viele denkbare Beeinträchtigungen und Belastungen bis hin zum vermuteten Wertverlust von Immobilien.

Meine Damen und Herren, wir nehmen diese Sorgen ernst. Wir haben bisher schon in den vielen Gesprächen mit den Beteiligten die Bereitschaft zum Dialog deutlich gemacht und werden das auch weiterhin tun.

Der Niedersächsische Landtag hat auf unseren Antrag hin und unter Beteiligung von drei Ausschüssen im Mai letzten Jahres eine Anhörung zu dieser Problematik veranstaltet. Die Anhörung war fachlich gut. Sie hat überregional großen Anklang gefunden und deutlich gemacht, dass die Politik eine gewisse Bereitschaft hat, beim notwendigen Ausbau der Stromnetze neue Wege zu gehen. Die Ergebnisse, die von dem Expertenkreis umfassend vorgetragen wurden, haben uns Mut gemacht, im Rahmen unserer Zuständigkeiten und Möglichkeiten Alternativen modellhaft weiterzuentwickeln und anzuwenden. Die geringe Trassenlänge zwischen Ganderkesee und Diepholz bietet sich unseres Erachtens hervorragend als Modellstrecke an.

Sehr hilfreich für die Debatte der letzten Monate war das von der Landesregierung in Auftrag gegebene Fachgutachten vom Zentrum für Windenergieforschung ForWind der Hochschulen Oldenburg und Osnabrück im Rahmen des Raumordnungsverfahrens für die von der E.ON Netz GmbH geplante Höchstspannungsleitung von Ganderkesee nach Diepholz. Ein Schwerpunkt in den von den beteiligten Kommunen und Privatpersonen vorgebrachten Stellungnahmen war die Ablehnung der vom Antragsteller vorgesehenen Freileitung. Als Alternative zu Freileitungen wurden Erdverlegung mittels VPE-Kabel oder eine gasisolierte Leitung gefordert.

Um im Raumordnungsverfahren auf umfassende Informationen zurückgreifen zu können, wurde ein Vergleich der Übertragungssysteme aus technischer, betriebswirtschaftlicher und umweltfachlicher Sicht vorgenommen. Die Untersuchungen beziehen sich konkret auf die geplante 380-kVStrecke Ganderkesee – St. Hülfe. Professor Oswald, der diese Studie federführend begleitet, kommt zu folgendem Schluss:

Erstens. Alle drei Leitungsarten - Freileitung, Kabel und GIL - sind für die Übertragungsaufgabe prinzipiell geeignet.

Zweitens. Die Freileitung stellt aus technischer und energiewirtschaftlicher Sicht die eindeutig beste Lösung dar. - Das ist sein Schluss.

VPE-Kabel haben hinsichtlich der Lebensdauer Reparaturnachteile und sind geringer belastbar, haben aber den geringsten Flächenverbrauch.

Die GIL-Leitung hat deutlich geringere Verluste und ähnliche elektrische Eigenschaften wie die Freileitung.

Bei den Kosten der Systeme geht es darum, dass die VPE-Kabel mindestens um etwa den Faktor 2,2 teurer sind als die Freileitungssysteme und dass die GIL-Leitung um den Faktor 4,7 teurer ist. Die Diskussion um die Vollkosten und die Verfahrensdauer - Frau Geuter, es ist nicht ganz unberechtigt, wie Sie das dargestellt haben - muss sicherlich in eine Gesamtrechnung einfließen.

Wenn man diese Untersuchungen miteinander vergleicht und die besondere Struktur dieser Strecke betrachtet, so bietet sich unserer Meinung nach ein Modellverfahren an. Wir würden diesen Schritt gerne zusammen mit der Landesregierung - wir wollen die Landesregierung sehr gerne unterstützen -, mit der Wirtschaft, möglicherweise mit der EU, mit anderen Leuten und Institutionen, die bereit sind, sich einzubringen, gehen. Wir würden diesen Schritt aber vor allen Dingen gern zusammen mit der Wirtschaft machen, um deutlich zu machen, dass sie hier die große Chance hat, eine weltweit völlig neue Technologie zu entwickeln und in dieser Zukunftstechnologie führend zu sein.

(Vizepräsidentin Ulrike Kuhlo über- nimmt den Vorsitz)

Wir würden uns gerne einbringen wollen, weil wir der Meinung sind, dass sich diese Strecke für ein Pilotvorhaben in besonderer Weise eignet. Es gibt

noch andere Verfahren, die noch teurer sind und auch Nachteile haben. Wir gehen davon aus, dass sich langfristig auf Dauer Freileitungen im 380-kVBereich nicht mehr halten lassen und dass wir in einigen Jahrzehnten ohnehin zu anderen Systemen kommen. Wir würden gerne heute damit beginnen und die entsprechende Unterstützung signalisieren. - Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als Nächster hat Herr Minister Ehlen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine sichere und umweltverträgliche Energieversorgung ist das Ziel der Niedersächsischen Landesregierung. Das ist auch im geltenden LandesRaumordnungsprogramm niedergeschrieben. Hierin sehe ich keinen Widerspruch zu Ihrem Antrag; denn auch das künftige LandesRaumordnungsprogramm wird z. B. einen Vorrang zur Nutzung der jetzt schon vorhandenen Leitungstrassen vor dem Bau neuer Trassen festlegen. Das ist Bestandteil eines Gesamtkonzeptes. In Ihrer Forderung werden jedoch einige Differenzen offenkundig.

Meine Damen und Herren, wir als Landesregierung sind dazu aufgefordert, ein Raumordnungsverfahren für eine Freileitung durchzuführen. Das ist der Antrag der Betreibergesellschaft. Ich will das hier noch einmal ausführen, wie ich es schon bei der Beratung der Anträge im Mai letzten Jahres gesagt habe: Wenn man ein Raumordnungsverfahren für eine Freileitung beantragt, dann haben wir es seitens des Landes so durchzuführen. Wir können zwar eine andere Leitung präferieren. Aber der Betreiber müsste dann eine solche Leitung beantragen. So einfach ist das. Ich will das einmal ein bisschen locker sagen: Wenn man den Bau eines Einfamilienhauses beantragt, dann bekommt man die Baugenehmigung für das Haus und nicht für eine Tiefgarage. Ich bitte Sie, diesen Vergleich nicht auf die Goldwaage zu legen; ich wollte dies anhand dieses Beispieles nur erklären. Wenn jemand einen Antrag auf ein Raumordnungsverfahren stellt, dann muss das, was er beantragt, behandelt werden.

Meine Damen und Herren, deshalb werden wir im Rahmen des laufenden Raumordnungsverfahrens für die 380-kV-Hochspannungsleitung zwischen Ganderkesee und St. Hülfe kein Pilotprojekt zur Erprobung unterirdischer Verlegungen durchsetzen und durchsetzen können. Wir können den Vorhabenträger nicht zu etwas zwingen - ich hatte es schon gesagt -, was er gar nicht beantragt hat.

Der Antragsteller hat eine Freileitung beantragt. Deshalb werden wir die rechtlichen Anforderungen auf die Vereinbarkeit mit den Erfordernissen der Raumordnung und den anderen Planungen und öffentlichen Belangen prüfen. Dazu zählen u. a. die Prüfung der technischen Machbarkeit und die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Verkabelung, wie es im Landes-Raumordnungsprogramm steht.

Die von Ihnen zitierte Studie des Instituts ForWind hat im Ergebnis festgestellt, dass für die geplante 380-kV-Leitung die Ausführungsvarianten Freileitung, VPE-Leitung und gasisolierte Leitung technisch machbar sind. Der Kollege Biestmann hat dies eben schon zitiert. Die Ergebnisse werden auch nicht angezweifelt. Deshalb werden wir im Raumordnungsverfahren gemeinsam mit den betroffenen Kommunen eine verträgliche Trasse für die Freileitung finden, weil hier von der Wirtschaftlichkeit her die Vorteile liegen und dies ja auch beantragt wurde.

Dabei nehmen wir die Sorgen und Befürchtungen der Mitbürgerinnen und Mitbürger um den Lebensraum natürlich sehr ernst. Wir müssen aber trotzdem das geltende Recht anwenden.

Die Landesregierung - da sind wir wohl sehr nahe beieinander - wird dieses Vorhaben zum Anlass nehmen, vor dem Netzausbau zur weiteren Energieableitung beim Bund zu versuchen - immerhin ist unser ehemaliger Kollege aus dem Landtag und Ministerpräsident, Herr Gabriel, ja Umweltminister -, auf der Ebene von Forschung und Pilotprojekten zur Erdverkabelung auszuprobieren, ob Höchstspannungsleitungen unter der Erde verlegt werden können.

Die Festschreibung von Mindestabständen zwischen Wohnbebauung und Freileitungen ist entbehrlich. Grundsätzlich müssen die Hochspannungsleitungen die in der 26. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genannten Grenzwerte in Gebäuden oder auf Grundstücken, die nicht nur zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind,

auch bei höchster betrieblicher Auslastung einhalten. Für die Ermittlung dieser Werte hat der Anlagenbetreiber im Rahmen seines Antrages entsprechende Angaben über die Betriebsdaten und die Anlagenauslastung gemacht. Konkrete Abstandsvorgaben sind in der Verordnung nicht enthalten.

Zur Umsetzung der 26. Verordnung hat der Länderausschuss für Immissionsschutz 2004 neue Hinweise zur Durchführung der Verordnung über elektromagnetische Felder herausgegeben. Diese werden von den niedersächsischen Behörden bei der Beurteilung einer Anlage herangezogen. Danach erfolgt die Prüfung in Abhängigkeit von der Spannungsebene innerhalb eines Streifens von bis zu 20 m, gemessen vom äußersten Leiter. Für alle außerhalb dieses Streifens gelegenen Bereiche werden die Anforderungen der 26. BImSchV sicherlich eingehalten. Etwas anderes regelt auch der zum Teil angeführte nordrhein-westfälische Erlass nicht.

Für die Reduzierung der Grenzwerte in der 26. BImSchV gibt es im Moment keinen Anlass. Wenn darin etwas geändert werden sollte oder müsste - es ist ja ein Bundesgesetz -, müsste letztendlich unser bzw. Ihr Bundesumweltminister aktiv werden, falls es darum geht, zu neuen Bewertungen zu kommen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Es gibt doch einen Bundesrat! - Anneliese Zachow [CDU]: Rot-Grün hätte das doch ge- macht, wenn es so dringlich gewesen wäre!)

- Wir können die Dinge noch gerne im Ausschuss diskutieren.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir werden die Argumente, die an uns herangetragen worden sind, in einem Raumordnungsverfahren prüfen und die in diesem Verfahren zu treffenden Maßnahmen durchführen. Viele andere Dinge, die angesprochen worden sind, können in Pilotprojekten - darüber muss man reden, auch mit dem Bund, eventuell sogar mit der EU - betrachtet werden. Spezielle Dinge können letztendlich in der Planfeststellung geregelt werden. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt hat sich der Kollege Janßen noch einmal zu Wort gemeldet. Herr Kollege, Sie haben noch zwei Minuten Restredezeit. Ich erteile Ihnen das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einige Klarstellungen zu den Ausführungen des Kollegen Oetjen. Erstens - das ist schon zweimal angesprochen worden - dient diese Trasse nicht dem Offshore-Windstrom, bestenfalls der Ableitung von Onshore-Windstrom, aber auch dem internationalen Stromgeschäft.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Auch!)

Zweitens. Die Bundesnetzagentur müsste ein solches Vorhaben genehmigen; das ist richtig. Dazu müsste man einen entsprechenden Antrag stellen.

Ich will Ihnen aber auch sagen, wie hoch die Belastung pro Kilowattstunde ungefähr wäre. Sie betrüge einen tausendstel Cent. Ich meine, das kann man für ein Pilotvorhaben bezahlen. Das wird auch die deutsche Wirtschaft in ihrer Existenzfähigkeit nicht schädigen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ansonsten müssten Sie in der FDP-Fraktion einmal Ihr Verhältnis zum Offshore-Windstrom klären. Wenn Sie weiterhin fordern, dass die binnenländischen Netze zunächst ausgebaut sein müssen und ein komplettes Konzept vorliegen müsste, bevor man weitere Genehmigungen in der AWZ erteilt, dann heißt das auf gut Deutsch, dass Sie die Windkraft erst einmal stilllegen müssten. Sie müssen umgekehrt handeln und zusehen, dass Sie Ihr Landes-Raumordnungsprogramm schnellstens auf den Weg bekommen. Sie stellen hier nämlich die Regierung, und Sie sind in diesem Fall auch dafür verantwortlich. Das muss Ihnen klar sein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus muss man zu der Position von Herrn Ehlen eindeutig sagen: Auch bei einem Raumordnungsverfahren gibt es grundsätzlich die Möglichkeit der Ablehnung. Das ist so. Man muss nicht dem zustimmen, was beantragt wurde. Man kann natürlich nicht die Alternative einführen, aber man kann auch ablehnen.

Als Ablehnungsgrund steht Ihnen nicht nur die 26. BImSch-Verordnung zur Verfügung. Ich habe Ihnen vielmehr vorhin zwei weitere Punkte genannt, die in diesem Verfahren durchaus tragfähig sind, nämlich u. a. der Umstand, dass große Teile des Gebiets, das durchschnitten wird, Landschaftsschutzgebiet sind mit der ausdrücklichen Zielsetzung, die natürlichen Eigenschaften und die Schönheit der Landschaft zu erhalten. Diese ausgewiesene Zielsetzung kann einem solchen Vorhaben raumordnerisch durchaus entgegenstehen. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. Es ist nur die Frage, ob man es will oder nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Worte des Kollegen Biestmann habe ich sehr wohl vernommen. Ich sehe aber auch einen deutlichen Dissens zwischen dem Landesverband Oldenburg der CDU und der CDU-Landesregierung. Ich hoffe, dass sich der Landesverband Oldenburg mit unserer Unterstützung in diesem Punkt durchsetzt. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt sehe ich nicht.

Wir kommen damit zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll der Ausschuss für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz beraten. Mitberaten sollen der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie - auf Antrag von Frau Geuter von der SPDFraktion - auch der Umweltausschuss. Wer so verfahren möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Dann ist es einstimmig so beschlossen worden.

Nun rufe ich auf

Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung: Placebo-Gesetz der Bundesregierung verhindern - Verbraucher durch ein umfassendes Verbraucherinformationsgesetz schützen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/2532

Ich erteile dem Kollegen Klein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einbringung das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundesverbraucherminister Seehofer äußerte in einer Bundestagdebatte im Dezember 2005, es mache keinen Sinn, einen früher bereits abgelehnten Entwurf aufzuwärmen, ein Entwurf werde nicht dadurch besser, dass er mehrfach eingebracht werde. Minister Seehofer bezog sich dabei auf das Verbraucherinformationsgesetz.