Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

Vielen Dank. - Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte vorweg sagen, dass die Föderalismusreform ein ermutigendes Zeichen für die Handlungsfähigkeit in Deutschland ist;

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

denn nach Jahrzehnten ergebnisloser Versuche, das Grundgesetz zu novellieren, besteht nun erstmals die Chance, dass wir dies in diesem Jahr bewerkstelligen. Wir alle wären gerne viel weiter gegangen. Ich hätte es gerne ganz anders gehabt. Aber es ist besser als der Status quo.

Herr Briese, manchmal sollte man sich nicht zu schnell von der Vaterschaft verabschieden und sozusagen die Flucht in die Weite antreten. Die Grünen haben bis zum Schluss alles mitverhandelt, bis zu dem Kompromiss von Stoiber und Müntefering. Die Prämisse zu Anfang war, dass man nicht über Länderneugliederung und Finanzbeziehungen redet, weil man damit die erste Stufe der Föderalismusreform überfordern würde. Ich hätte Sie gerne früher gehört und nicht erst am Ende dieser Debatte, in der Sie jetzt die Flucht

antreten und mit der Vaterschaft nichts mehr zu tun haben wollen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese Reform führt zur Stärkung der Handlungsfähigkeit des Bundes, weil die Zahl der Bundesgesetze, an denen der Bundesrat mitwirkt und dementsprechend blockieren könnte, erheblich verringert wird. Diese Reform stärkt auch die Handlungsfähigkeit der Länderparlamente. Die Ministerpräsidenten verzichten auf Macht und Einfluss, aber die Länderparlamente bekommen mehr Macht und Einfluss. Es wundert mich ungemein, dass sich das Landesparlament nicht darüber freut, sondern dass Einzelne sagen: Es ist besser, wenn das weiter im Bund mit Zustimmung des Bundesrates geregelt wird, als wenn wir in Niedersachsen im Parlament beispielsweise den Strafvollzug in Zukunft so regeln, wie wir es für richtig halten. - Es müsste doch im Interesse eines Landesparlamentes liegen, dass dies jetzt erreicht wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Föderalismusreform steigert die Europatauglichkeit des Grundgesetzes. Es sind jetzt viele Dinge geklärt - nicht alle in meinem Sinne -, beispielsweise nach welchen Kriterien die Maastricht-Strafen zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden. Die Föderalismusreform stärkt zudem die Handlungsfähigkeit der einzelnen Ebenen.

Wir dürfen uns so etwas wie bei Hartz IV nicht mehr so häufig leisten, dass zwar alle mitgewirkt haben, aber dass es am Ende niemand von den verschiedenen Beteiligten gewesen sein wollte. Das war für das Vertrauen in die Demokratie ganz schlecht. Deswegen ist es gut, dass wir in Zukunft klarere Verhandlungsverantwortlichkeiten als bisher haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich möchte nun etwas zu den Finanzen sagen, die für Niedersachsen als finanzschwachem Land von überragender Bedeutung sind. Wir haben hier einen schwierigen Kompromiss. Ich hatte Bedenken gegen den nationalen Stabilitätspakt und auch gegen die Verstetigung der Hochschulbaumittel nach dem gefundenen Schlüssel.

Unser Haupthindernis ist die Tatsache, dass von Herrn Gabriel und Herrn Oppermann ein

Referenzzeitraum zugrunde gelegt wurde, nämlich die Jahre 2000 bis 2003. In diesem Zeitraum waren wir in den Hochschulausgaben unterdurchschnittlich, besonders schlecht. Hätten wir die letzten zehn Jahre zugrunde gelegt, dann hätten wir 8 % der Bundesmittel und nicht ca. 6 % bekommen. Aber leider sind uns hier wieder einmal die Jahre Gabriel und Oppermann vorgehalten worden. Für Niedersachsen sind das schlechte Jahre gewesen. Darunter leiden wir in Zukunft bis 2011.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Körtner [CDU]: Genau! - Wolf- gang Jüttner [SPD]: Das, was Sie sa- gen, ist definitiv falsch!)

Die Problematik ist, dass Herr Gabriel dieses Kriterium der Besitzstandswahrung unter den Ministerpräsidenten ausgehandelt hat, bevor ich überhaupt ins Amt gekommen bin. Damals hat man gesagt: Wir bekommen keinen anderen Schlüssel zustande als nach der Einwohner- oder der Studierendenzahl oder gar die Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel. - Dies wollte die Mehrheit der Ministerpräsidenten damals nicht. Deswegen ist der Gedanke der Besitzstandswahrung vereinbart worden, und wir hatten aufgrund von Referenzzeiträumen Verteilungsergebnisse hinzunehmen.

Bei der Gesamtbetrachtung von GA Hochschulbau, GA Wirtschaftsstruktur, GA Küstenschutz und anderen Finanzfragen ergibt sich im Saldo allerdings eine Begünstigung Niedersachsens, indem wir 108 % gegenüber dem Durchschnitt der westdeutschen Länder bekommen, also überproportional dastehen werden. Es gibt einige Länder, die noch besser dastehen, aber es gibt auch eine Reihe von Ländern, die schlechter dastehen. Insofern muss man eine Gesamtbetrachtung anstellen.

Herr Jüttner, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir nicht jedes Mal ungefragt und uninformiert in den Rücken gefallen wären.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich habe Ihre Erklärungen hier. 2004, als die Föderalismusreform gescheitert war, haben Sie als bildungspolitischer Sprecher geäußert, egoistische Länderinteressen hätten die Chance zu einer grundlegenden Neuordnung der Bund/Länder-Beziehungen vorerst verspielt. 2005, als ich Bedenken zur Verteilung bei den Hochschulbaumitteln geäußert habe, haben Sie erklärt, dass ich

bereits knapp eine Woche nach der Wahl von Angela Merkel mein wahres Gesicht zeige und dass ich in Zukunft als Blockierer und Querulant die große Koalition begleiten wolle. Das heißt, jedes Mal, wenn wir niedersächsische Interessen angemeldet haben, sind Sie gleich auf den Plan getreten und haben gesagt: Hier geht es nicht um Länderinteressen, sondern darum, dass sich jemand medial selbst inszenieren wolle.

(Bernd Althusmann [CDU]: Herr Jüttner, Sie haben keinen Kompass! Sie wissen nicht, wohin Sie wollen!)

Wir brauchen Ihre Unterstützung. An dem Verhandlungstisch der großen Koalition saßen Herr Schröder, Herr Steinmeier, Frau Zypries und Herr Gabriel - all die Sozialdemokraten aus Niedersachsen haben dies so vereinbart. Alle haben von mir den Vortrag gehört, wie wir bei den Hochschulbaumitteln benachteiligt werden. Trotzdem ist es ein Gesamtkompromiss, in dem die Sozialdemokraten aus Niedersachsen, die dort ja stark überproportional vertreten waren, eingebunden sind.

Herr Steinbrück und Herr Glos hatten vorgesehen, die GA-Mittel West, die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Wirtschaftsstruktur, auf null zu setzen. Dies würde uns viel härter treffen, als wenn wir bei den Hochschulbaumitteln 70 % umgelegt bekommen und die restlichen 30 % bei der Bundesforschungsministerin noch erkämpfen können. Wir haben bereits am Montag mit Frau Schavan und den wichtigsten Instituten aus Niedersachsen zusammengesessen, um den Nachteil Niedersachsens bei dieser Verstetigung der 70 % über die 30 % der Mittel zukünftig auszugleichen.

Wir brauchen die GA-West, um private Mittel zur Kofinanzierung bei Ziel-1-Gebieten zu ersetzen. Wir brauchen die Gemeinschaftsaufgabemittel, um Niedersachsen finanziell weiterentwickeln zu können. Dann wäre es hilfreich, wenn Sie das Gespräch suchen würden, da Sie in Berlin in der Mitverantwortung sind, und sich hier nicht in Totalopposition, in Totalisolation begeben und so tun, als hätten Sie mit all dem nichts zu tun. Das haben Ihre Sozialdemokraten in Berlin auf den Weg gebracht, und wir verantworten es mit. Das können wir auch ohne Sie. Aber wir würden es lieber mit Ihnen machen, weil Sie sonst der totalen Unglaubwürdigkeit verfallen.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, zu Tagesordnungspunkt 1 a) liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.

Wir kommen jetzt zu

b) Erbarmungslose Flüchtlingspolitik in Niedersachsen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/2641

Das Wort hat der Herr Kollege Wenzel. Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Fall Sarah Kameli ist uns allen noch in guter Erinnerung. Es war am Ende ein Pilot mit Zivilcourage, der vielleicht verhindert hat, dass diese Frau im Iran gesteinigt wurde. Wir haben uns anschließend in einer Runde der Fraktionsvorsitzenden mit Herrn Minister Schünemann zusammengesetzt. Wir waren uns damals einig: Das darf sich nicht wiederholen.

Aber, Herr Schünemann, Sie haben Ihr Wort gebrochen.

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Sie haben das Härtefallgremium, das wir damals eingerichtet haben, brüskiert. Sie haben in laufenden Beratungsverfahren abgeschoben, und Sie haben in diesen Fällen gnadenlos Fakten geschaffen. Meine Damen und Herren, Herr Schünemann, Herr Wulff, Sie reißen Familien auseinander, Sie schicken Mädchen kurz nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres ohne ihre Eltern ins Ausland. Sie schieben Kinder ab, die in Deutschland geboren sind oder viele Jahre hier leben und hier integriert sind. Sie ignorieren die Handlungsmöglichkeiten, die das neue Zuwanderungsrecht für humanitäre Lösungen im Einzelfall bietet, und Sie blockieren einen Kompromiss beim Bleiberecht. Herr Schünemann, Sie gefallen sich in der herzlosen Rolle desjenigen, der noch härter agiert als die Bayern in München.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Wolfgang Ontijd [CDU])

- Herr Ontijd, wo ist denn die Heimat eines Mädchens oder eines Jungen, das bzw. der 10 oder 15 Jahre hier bei uns in Deutschland gelebt hat? Herr Ontijd, wo ist die Heimat? Das müssen Sie als Partei mit christlichem Anspruch einmal erklären.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Ministerpräsident Wulff, was ist denn Ihr neues Grundsatzprogramm? Ist es das Papier wert, wenn an dieser Stelle Reden und Handeln so weit auseinander klaffen? Was sollen denn Ihre Sonntagsreden zur Integration, Herr Wulff, die Sie angeblich als wichtigstes Thema im Land ansehen?

(Beifall bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Na, na, na!)

Sie, Herr Wulff, missbrauchen das Wörtchen „christlich" für Ihre parteipolitischen Werbezwecke,

(David McAllister [CDU]: Das ist eine Unverschämtheit!)

und Sie missachten die Grundwerte, die Sie in Ihren Sonntagsreden so hoch halten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Fraktionsvorsitzender Rösler, was ist denn Ihr liberaler Habitus wert, wenn er sich im Alltag als Schimäre erweist? Wo ist denn das Engagement der Liberalen in diesen Fällen gewesen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie wissen doch ganz genau - da brauche ich Ihnen doch keine Nachhilfe zu geben -: Grundrechte erweisen sich immer im Umgang mit den Schwächsten in dieser Gesellschaft, nämlich mit denjenigen, die im Hemd dastehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Aber die Luft wird dünner, meine Damen und Herren. Herr Schünemann, Kirchengemeinden, Pfarrer, Amtsrichter, Ärzte, Nachbarschaftsinitiativen werden initiativ. Gleichzeitig spricht eine Reihe von Bischöfen der katholischen und evangelischen Kirche Klartext.

Herr Minister Schünemann, Sie haben Ihr Wort gebrochen. Sie haben sich über die Arbeit von Parlament und Härtefallgremium hinweggesetzt. Sie lassen in dieser Sache jede Form von Anstand vermissen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der CDU - Da- vid McAllister [CDU]: Wie verzweifelt muss deine Lage sein!)