Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der CDU - Da- vid McAllister [CDU]: Wie verzweifelt muss deine Lage sein!)

Meine Damen und Herren, Herr Fraktionsvorsitzender McAllister, ich will unsere Bischöfin Frau Käßmann kurz zitieren. Sie sagt: „Unverantwortlich ist es, gut integrierte Flüchtlingsfamilien auseinander zu reißen.“ Bischof Krug aus Oldenburg schrieb vor zwei Tagen in einem Schreiben zum Fall der Familie K., in dem jetzt glücklicherweise ein Umdenken eingesetzt hat, aber der Petitionsausschuss noch auf einem anderen Weg war:

„Da erscheint mir eine Abschiebung der Kinder und ihrer Mutter als eine zwar rechtlich mögliche, aber menschlich und christlich kaum oder gar nicht nachvollziehbare Härte.“

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Bischof Norbert Trelle fordert ein Bleiberecht für langjährig geduldete und integrierte Flüchtlinge und macht deutlich, dass er gute Erfahrungen mit einer Härtefallkommission gemacht hat.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Die Zivilgesellschaft in diesem Land steht. Aber bedarf es immer eines solchen öffentlichen Drucks, bedarf es immer solch eindringlicher öffentlicher Äußerungen der Bischöfe und der Kirchengemeinden in unserem Land? Oder finden wir einen Weg, um hier zu einem Verfahren zu kommen, das in solchen Fällen rechtsstaatlich und humanitär eine Lösung schafft? Das, was Sie hier praktizieren, kann kein Dauerzustand sein. Wir brauchen endlich verlässliche Instrumente. Deshalb brauchen wir in Niedersachsen auch eine echte Härtefallkommission Herzlichen Dank.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Kollegin Lorberg, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stellen wir uns vor, wir wohnen in einem schönen großen Haus. Das Haus steht auf einem Hügel nicht weit vom Meer entfernt. Eines Tages trifft eine große Flut auf die Küstenregion. Die Flut zerstört viele Häuser, andere werden beschädigt oder aus purer Angst verlassen. Die Menschen flüchten auf den Hügel in das große Haus. Sie werden dort aufgenommen und richten sich vorübergehend ein. Die Regeln des Hauses müssen eingehalten werden, um den Frieden des Hauses zu wahren. Das Haus wird für die Flüchtlinge zum Halt und zum Lebensmittelpunkt. Und doch kommt der Tag, an dem das Wasser zurückgeht und aus der Küstenregion weicht. Die Zeit der Rückkehr der Flüchtlinge ist gekommen. Sie waren Gäste in dem großen Haus auf dem Hügel.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, so könnte man die Situation zahlreicher Familien beschreiben, die hier bei uns Asyl suchen.

(Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN - Unruhe)

Ich kann aufgrund der knappen Redezeiten nicht auf das Asylverfahren eingehen, möchte aber eine Prüfung jedes Einzelfalls im Asylverfahren hier klarstellen. Ist ein Asylverfahren negativ beschieden, steht die Ausreise der Personen oder Familien an. Eine Vielzahl der Asylbewerberfamilien reist jedoch nicht freiwillig aus. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. In diesen Fällen wird häufig eine Petition gestellt, die den Betroffenen ein Bleiberecht verschaffen soll. Im Petitionsausschuss werden diese Sachverhalte geprüft und beraten. Jeder einzelne Fall ist mit einem menschlichen Schicksal verbunden. Einige dieser Schicksale bewegen uns sehr tief. Dies gilt besonders dann, wenn es um Kinder geht. Hier ist besondere Sensibilität gefordert.

(Zurufe von der SPD: Bravo! - Ja!)

Nicht selten sind diese Kinder in Deutschland geboren oder aufgewachsen. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wie weit geht unsere Verantwortung für diese Kinder? Sind wir als Staat, als Gesellschaft in erster Linie für die Kinder verantwortlich? Oder liegt die Verantwortung in erster Linie bei den Eltern? - Daraus folgt eine moralische und eine rechtliche Bewertung. Fest steht für mich,

dass wir unsere rechtsstaatlichen Grundsätze nicht verlassen dürfen, wenn wir uns über das Bleiberecht unterhalten.

(Beifall bei der CDU)

Der Vorstoß unseres Innenministers Uwe Schünemann im Rahmen der Innenministerkonferenz vom Dezember 2005, gerade für Jugendliche und junge Erwachsene einen Weg zu finden, in Deutschland zu bleiben, kann doch nur als ausgesprochen positiv gewertet werden.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei den GRÜNEN)

Hier hätte ich mir gerade von den Oppositionsfraktionen mehr Zustimmung gewünscht. Doch was geschieht mit den Kindern aus Asylbewerberfamilien, deren Eltern gegen diese Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben? - In den letzten Monaten haben wir eine größere Anzahl von Fällen bearbeitet, bei denen die Abschiebung der Familie aufgrund von Straffälligkeit, Identitätstäuschung oder ähnlichen Gründen erfolgen musste. Dazu möchte ich aus einer Pressemitteilung von Asyl e. V. aus Hildesheim zitieren:

„Die Kinder haften für ihre Eltern. Deren Eltern haben oft alles zerstört, überwiegend sogar mutwillig. Und dann ist in der Tat der letzte Tropfen getrunken, und die Eltern gehören verurteilt, nicht aber die Verantwortlichen in Behörden und Gerichten, weil sie in unserer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft für die Anwendung und Durchsetzung der rechtlichen Gegebenheiten Sorge tragen müssen. Diesen Hintergrund muss man fairerweise bei der Einschätzung berücksichtigen.“

Meine Damen und Herren, wir dürfen mit Blick auf die große Verantwortung, die wir im Petitionsausschuss tragen, keine Härtefälle konstruieren.

(Beifall bei der CDU - Elke Müller [SPD]: Das ist ja unerhört!)

Einen Wettstreit unter den Bundesländern, frei nach dem Motto „Wer hat die meisten Härtefälle?“, darf es nicht geben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Richtig!)

Dieses würde unsere Arbeit sehr schnell unglaubwürdig werden lassen.

Die Ausschussmitglieder meiner Fraktion haben in den vergangenen Tagen grobe und haltlose Vorwürfe von Frau Merk und Frau Helmhold über sich ergehen lassen müssen.

(Elke Müller [SPD]: Selbst produziert!)

Daher sei es mir an dieser Stelle erlaubt, meinen Kolleginnen und Kollegen für die unter so unerfreulichen Bedingungen geleistete Arbeit zu danken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich kann die Vorbehalte von Kirchen, Verbänden und Unterstützern verstehen, doch ich bitte inständig darum, dass sie anerkennen, dass wir neben unserer moralischen Verantwortung auch eine politische Verantwortung tragen. Diese Verantwortung muss sich an Recht und Gesetz orientieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, kommen Sie zu einer sachlichen und verantwortungsvollen Zusammenarbeit im Petitionsausschuss zurück!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dieser sensible Bereich ist wirklich nicht geeignet, um erbarmungslos parteipolitische Spiele zu spielen und um sich eiskalt zu profilieren. - Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Richtig! - Zuruf von der SPD: Oh nein!)

Das Wort hat Frau Kollegin Merk.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von unschätzbarem Wert ist es, in einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat zu leben, der von einem humanitären und christlichen Weltbild geprägt ist. Dazu gehört auch und gerade der Um

gang mit Menschen, die bei uns Schutz suchen und diesen aus humanitären oder persönlichen Gründen mehr als dringend benötigen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Genau das, meine Damen und Herren, hat das neue Zuwanderungsgesetz gewollt und auch so formuliert.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dieses Bild aber hat in Niedersachsen im Umgang mit Flüchtlingen einen erheblichen Riss bekommen. Die CDU/FDP-Koalition und diese Landesregierung haben durch eiskalte Entscheidungen - ich betone: eiskalte Entscheidungen - gegen Flüchtlingsschutz zu diesen Verwerfungen beigetragen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Gemeinsam sind alle Fraktionen im Landtag im Juni letzten Jahres mit dem Beschluss unter der Überschrift „Härtefällen gerecht werden“ angetreten. Das war ein Versprechen, meine Damen und Herren, das war ernst gemeint, das war wohl durchdacht. Aber die Mehrheit dieses Hauses hat das seit Juni ignoriert.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU)

Ja, meine Damen und Herren, es ist die bittere Wahrheit in diesem Hause: Wir haben eine erbarmungslose, ungerechte Flüchtlingspolitik in Niedersachsen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Wolfgang Ontijd [CDU]: Unverschämtheit!)

Meine Damen und Herren, die Härtefälle sind an Zahl nicht viele. Es sind individuelle Einzelschicksale, schmerzliche Lebensabläufe von Menschen, die seelisch zerstört sind. Es geht um traumatisierte, schwer Kranke, Kriegsverletzte, misshandelte und gequälte Frauen und Kinder. Da geht es um Kinder, allein erziehende Frauen, Familien, die hier 10 bis 20 Jahre und sogar darüber hinaus mitten unter uns und mit uns leben, die hier geboren sind, die integriert sind, die unsere Sprache perfekt sprechen, ja für die Niedersachsen ihre einzige Heimat ist.

Frau Kollegin, da liegt der große Unterschied zu Ihrem läppischen Beispiel mit dem Wasser und dem Haus. Das Wasser zieht sich zurück, aber die sind dann schon zehn Jahre hier, während das Wasser vielleicht zwei oder drei Monate da ist. Ihr Vergleich hinkt doch komplett!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)