Protokoll der Sitzung vom 24.02.2006

(Unruhe)

- Ich kann die Sitzung auch unterbrechen, damit Sie für zehn Minuten hinausgehen und sich unterhalten können.

Meine Damen und Herren, Sie haben allerdings die Möglichkeit eines längeren rhetorischen Anlaufs, nämlich von einer Minute. Die übrigen Veränderungen haben Sie sicherlich nachgelesen. Ich weise nur noch einmal darauf hin.

Wir beginnen also mit der Fragestunde. Es ist 9.16 Uhr.

Frage 5: Die flexible Eingangsstufe an der Grundschule - niedersächsische Erfahrungen

Frau Kollegin Bertholdes-Sandrock hat das Wort, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die niedersächsischen Grundschulen können nach § 6 Abs. 4 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) den ersten und zweiten Schuljahrgang als pädagogische Einheit führen. In dieser Eingangsstufe werden die Kinder in jahrgangsgemischten Lerngruppen unterrichtet. In Grundschu

len mit Eingangsstufe werden alle schulpflichtigen Kinder aufgenommen, es gibt also keine Zurückstellung vom Schulbesuch. Je nach Stand ihrer Lernentwicklung verbleiben die Kinder ein bis drei Jahre in der Eingangsstufe.

Die Einführung der Eingangsstufe soll dazu beitragen, das Einschulungsalter zu senken, da zum einen die Zurückstellung vom Schulbesuch entfällt und zum anderen die Einschulung von Kannkindern erleichtert wird. Der Unterricht in den jahrgangsgemischten Lerngruppen bietet gute Möglichkeiten für die Unterstützung der individuellen Lernwege der Kinder.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Grundschulen in Niedersachsen haben die Eingangsstufe eingeführt?

2. Welche Unterstützung haben sie dabei erfahren?

3. Welche Erfahrungen, insbesondere für die Arbeit der Grundschule in der flexiblen Eingangsphase, liegen der Landesregierung aus diesen Grundschulen vor?

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, bevor ich der Landesregierung Gelegenheit gebe, die Frage zu beantworten, möchte ich noch kundtun - dies ist mir gerade mitgeteilt worden -, dass Herr Minister Hirche heute Vormittag ab 11 Uhr an der Sitzung nicht teilnehmen kann und entschuldigt ist. Es geht wieder einmal um Volkswagen. Daran gibt es wohl keine Kritik.

Bitte schön, Herr Minister Busemann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um den Schulanfang und damit um die flexible Eingangsstufe wird in allen Bundesländern geführt. Es besteht Einigkeit darüber, dass Kinder in Deutschland in der Regel zu spät eingeschult werden und die Zurückstellung vom Schulbesuch für viele Kinder nicht den erwarteten Erfolg bringt.

Nicht zuletzt die Ergebnisse der internationalen Vergleichsuntersuchungen haben ergeben, dass die Kinder in den im oberen Drittel platzierten Ländern früher gefördert und früher eingeschult werden. Eine Zurückstellung vom Schulbesuch gibt es in diesen Ländern nicht.

Als Reaktion auf die Ergebnisse wird in allen Bundesländern die Einführung der veränderten Eingangsstufe diskutiert.

Sechsjährige Kinder weisen bekanntermaßen bei der Einschulung enorme Entwicklungsunterschiede auf. Es werden also sehr hohe Anforderungen an die Lehrkräfte gestellt, so zu unterrichten, dass jedes Kind bestmöglich gefördert und gefordert wird.

Durch den veränderten Schulanfang mit jahrgangsübergreifenden Lerngruppen ohne die Möglichkeit der Zurückstellung wird die Heterogenität natürlich noch erhöht. Das erfordert Unterrichtskonzepte, die die Unterschiedlichkeit der Kinder konsequent berücksichtigen.

Mit Beginn des Schuljahres 2006/2007 soll für jedes Kind ab Klasse 1 die individuelle Lernentwicklung dokumentiert werden. Es sind Aussagen zu treffen zur Lernausgangslage jeder Schülerin und jedes Schülers, zu den in einem bestimmten Planungszeitraum angestrebten Förderzielen, zu den Maßnahmen, mit deren Hilfe die Ziele erreicht werden sollen, und zur Beschreibung und Einschätzung des Fördererfolgs durch die Lehrkraft und durch die Schülerin oder den Schüler.

Individuelle Förderung und Differenzierung sind für die Arbeit in der Eingangsstufe unabdingbare Voraussetzungen. Die Berichte aus den Schulen, die die Eingangsstufe eingeführt haben, sind sehr erfreulich. Auch die - vor dem Hintergrund der neuen schulgesetzlichen Vorgaben vielerorts deutlich verbesserte Zusammenarbeit von Kindergarten und Grundschule und die intensive Sprachförderung vor der Einschulung tragen dazu bei, dass der Übergang vom Kindergarten mit altersheterogenen Lerngruppen in die jahrgangsübergreifenden Lerngruppen der Eingangsstufe gelingt.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Im laufenden Schuljahr 2005/2006 arbeiten 33 Grundschulen mit der veränderten Eingangsstufe. Hinzukommen 35 Grundschulen mit kombinierten Klassen im 1. und 2. Schuljahrgang. Zwölf weitere Grundschulen haben beschlossen, die Eingangsstufe zum 1. August 2006 einzuführen.

Vor dem Hintergrund, dass die Grundschulen in den letzten Jahren mit der Einführung des ver

pflichtenden Englischunterrichts, der Sprachförderung vor der Einschulung, den Vergleichsarbeiten im 3. Schuljahrgang und der Schullaufbahnempfehlung bereits viele notwendige Neuerungen umgesetzt hatten und haben, sind diese Zahlen sehr erfreulich.

Zu Frage 2: Grundschulen, die die flexible Eingangsstufe einführen wollen, werden zu zweitägigen Fortbildungskursen eingeladen. In den Jahren 2003 bis 2005 gab es darüber hinaus zwei Kurse für Grundschulen, die im ersten bzw. zweiten Jahr mit der Eingangsstufe arbeiteten, und Unterstützung durch das NiLS im Rahmen der schulinternen Lehrerfortbildung. Das NiLS hat zudem für die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer eine Kooperations- und Lernplattform „Eingangsstufe“ eingerichtet. Eine Internetseite und eine Überarbeitung der Broschüre zur Eingangsstufe sind in Vorbereitung. Das Oldenburger Fortbildungszentrum bietet am 7. März 2006 eine ganztägige Fortbildungstagung an, zu der sich bereits mehr als 400 Lehrkräfte angemeldet haben.

Zu Frage 3: Übereinstimmend berichten die Schulen über folgende guten Erfahrungen:

Mit dem Lernen in altersgemischten Gruppen wird an die Gruppenstruktur im Kindergarten angeknüpft.

Durch individuelles Lernen ohne Versagensängste und Konkurrenzdruck kommt es zu einer Beruhigung der Lernatmosphäre. Die Schülerinnen und Schüler machen in den altersheterogenen Gruppen wichtige Erfahrungen: So ändert sich z. B. ihre Position in der Lerngruppe jährlich - sie beginnen als die Kleinen, denen die Großen helfen, und wachsen langsam in die Rolle der Großen, die den Kleinen helfen, eine wichtige Erfahrung insbesondere für Einzelkinder.

Arbeitstechniken, Rituale usw. werden durch die vereinfachte Eingewöhnungsphase der Erstklässler schneller erlernt.

Schneller lernende Kinder werden nicht mehr gebremst, und langsamer lernende Kinder haben genügend Zeit.

Altersgemischte Gruppen fördern kooperatives Lernen und gegenseitige Hilfe und Verantwortung.

Schülerinnen und Schüler, die die Eingangsstufe drei Jahre besuchen, bleiben mit ihnen vertrauten Kindern zusammen; das gilt auch für Schülerinnen

und Schüler, die bereits nach einem Jahr in den 3. Schuljahrgang wechseln. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister - Frau Kollegin Bertholdes-Sandrock, bitte sehr!

Herr Minister Busemann hat darüber berichtet, dass über die flexible Eingangsstufe in allen Bundesländern diskutiert wird und dass die vorliegenden Erfahrungen in Niedersachsen auf deutliche Erfolge schließen lassen.

Ich frage deshalb die Landesregierung: Ist geplant, die Eingangsstufe in Niedersachsen flächendeckend einzuführen?

(Walter Meinhold [SPD]: Das ist eine großartige Frage!)

Vielen Dank. - Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Meinhold, da die Thematik „flexible Eingangsstufe" auch in Ihrem jüngsten Programm eine nicht unbedeutende Rolle spielt,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: So ist es!)

sind Sie an der Antwort sicherlich doch mehr interessiert, als Ihr Zwischenruf erahnen lässt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Karl-Heinz Klare [CDU]: Es ist nicht allen bei der SPD bekannt, was im SPD-Programm steht!)

Ich habe ausgeführt, dass etwa 60 bis 70 Schulstandorte mit der flexiblen Eingangsstufe arbeiten, dass weitere Schulstandorte bereit sind, sich dieser Fragestellung zuzuwenden. Ich habe auch auf die Veranstaltung in Oldenburg hingewiesen, für die sich 400 Lehrerinnen und Lehrer angemeldet haben. Daran merken wir, dass da etwas in Bewegung gekommen ist.

Bevor man nun sagt, wir führen das flächendeckend ein, muss man erst einmal gucken, wie das

mit der Einordnung in die vorhandenen Strukturen ist. Wir wollen keine Standorte zwingen, das zu machen, sondern das muss an jedem Standort mit den Lehrerinnen und Lehrern wachsen. Bei 1 850 Grundschulstandorten mit unterschiedlichen Strukturen, Teile davon in freier Trägerschaft, muss man sorgsam gucken. Wir fordern hier auch das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer ab, das zu begleiten. Dafür werden, wie gesagt, die Fortbildungsveranstaltungen angeboten.

Also, das muss wachsen. Bei einer flächendeckenden Einführung würde sich auch die Frage stellen, ob wir als Land zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellen müssen oder ob wir mit den vorhandenen Ressourcen auskommen müssen.

Diese Entwicklung muss abgeklopft werden. Am Ende wird man sehen, was möglich ist. Das Ganze wird wahrscheinlich nicht unerhebliche Stellenressourcen, also z. B. Grundschullehrerstellen, kosten. Aber Sie merken aus meinen auch Abgrenzungen, dass ich der Thematik gleichwohl sehr aufgeschlossen gegenüberstehe.

(Beifall bei der CDU)