Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, dass die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag nach der Drucksache 16/535 eine fast wortgleiche Anfrage gestellt hat. Herr Bode, ich darf Ihnen darlegen: Die Behauptungen stützen sich auf stichprobenartige Überprüfungen bei drei
nordrhein-westfälischen Finanzämtern. Es gibt keinen Anlass, an der Rechtmäßigkeit der durchgeführten Kontenabrufe zu zweifeln; so hat die Bundesregierung geantwortet.
Ich möchte gern von der Landesregierung wissen, in welchen Punkten sich die Antwort des Ministers von der Antwort der Bundesregierung unterscheidet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Möhrmann, wir haben nach der Verfassung eine eigenständige Verpflichtung, dem Landtag Auskunft zu geben. Deshalb haben wir die Antwort nicht mit der Bundesregierung abgestimmt.
Herr Präsident! Ich frage die Landesregierung: Wie viele Kontenabfragen wurden seit dem 1. April 2005 gemäß § 93 Abs. 7 und 8 der Abgabenordnung durchgeführt?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: In wie vielen Fällen der Abfragen, die Sie gerade genannt haben, wurden aufgrund dieser Abfragen weitere Ermittlungen eingeleitet?
Diese Frage wird entweder vom Kollegen Lennartz oder vom Kollegen Briese gestellt. Sie haben sich sicherlich verständigt. Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Laut Untersuchungen des Institutes für Rechtstatsachenforschung der Universität Bielefeld und der Stiftung Pro Justitia führt das anonyme Korruptionsbekämpfungsprojekt des Landeskriminalamtes Niedersachsen zu fragwürdigen Ergebnissen. Durch die Möglichkeit der anonymen Anzeige durch das webbasierte Hinweissystem, bei dem absolute Vertraulichkeit gewährleistet und die Möglichkeit der Identifizierung des Anzeigenstellers ausgeschlossen werden, komme - laut den empirischen Untersuchungen von Professor Backes und Mitarbeitern - ein hoher Teil Unschuldiger unter Tatverdacht. Die Beschuldigten müssten grundrechtsintensive Ermittlungen wie Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen über sich ergehen lassen und damit hohe persönliche
Nachteile in Kauf nehmen. Die grundgesetzlich zugesicherte Unschuldsvermutung würde durch das LKA-System extrem strapaziert. Die der Korruption verdächtigen Bürger hätten durch die zugesicherte Anonymität der Anzeigensteller keine Möglichkeit, sich rechtlich zur Wehr zu setzen, da eine Straftat nach § 164 StGB (falsche Verdächti- gung) nicht verfolgt werden kann. Gleichzeitig ist nach den vorliegenden Untersuchungen der Erfolg dieser Korruptionsbekämpfungsmethode gering. Danach kam es bei 185 eingeleiteten Verfahren nur in einem Fall zu einer Verurteilung. Jenseits der Frage, dass effektive Korruptionsbekämpfung absolut notwendig und wünschenswert ist, stellt sich die Frage der rechtlichen Verhältnismäßigkeit, wenn durch ein anonymes Anzeigensystem viele Unschuldige unter Strafverdacht geraten, es aber kaum zu anschließenden Verurteilungen kommt. Daneben ist zu klären, ob durch die staatliche Ermunterung zur anonymen Anzeige dem Denunziantentum Vorschub geleistet wird.
1. Wie bewertet sie die Ergebnisse der Studie von Backes und Mitarbeitern „Staatlich organisierte Anonymität als Ermittlungsmethode bei Korruptions- und Wirtschaftsdelikten“?
2. Welche rechtlichen Möglichkeiten haben unschuldig unter den Verdacht der Korruption geratene Bürger, die erhebliche Nachteile durch Ermittlungsverfahren in Kauf nehmen müssen, sich gegen den Verdacht zur Wehr zu setzen?
3. Ist nach Ansicht der Landesregierung die Verhältnismäßigkeit gegeben, wenn zwar viele Ermittlungsverfahren aufgenommen werden, aber kaum Verurteilungen ausgesprochen werden?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Elementarer Bestandteil jedes Rechtsstaates ist eine verlässliche, sich allein an sachlichen Erfordernissen orientierende Verwaltung, die dem Wohl der Allgemeinheit ebenso dient wie sie die Rechte des einzelnen Bürgers achtet. Korrupti
on gefährdet das rechtsstaatliche Gefüge, weil die Bürgerinnen und Bürger unter ihrem Einfluss das Vertrauen in Politik und Verwaltung verlieren können. Korruption richtet immensen wirtschaftlichen Schaden an, sie verzerrt den Wettbewerb und wirkt sich nachteilig auf die Investitionsbereitschaft von Unternehmen aus.
Deutschland belegt laut Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International den 16. Rang von etwa 160 untersuchten Staaten. Die Niedersächsische Landesregierung tritt deshalb dieser Form der Kriminalität energisch entgegen.
Das besondere - auch kriminalistische - Problem dieses Kriminalitätsfeldes sind das Dunkelfeld und die geringen Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden, sich auf Zeugen stützen zu können. Hier sind die Strafverfolgungsbehörden in besonderem Maße auf Hinweisgeber angewiesen, die ihr Wissen preisgeben.
In der Kriminalistik gibt es seit jeher auch anonyme Hinweisgeber, d. h. Personen, die ihr Wissen um kriminelle Aktivitäten preisgeben, sich selbst aber nicht benennen. Somit besteht für die Polizei auch keine Möglichkeit, mit diesen Personen in Kontakt zu treten, Sachverhalte zu hinterfragen und zu verifizieren. Trotzdem werden und müssen diese anonymen Hinweise polizeilich entgegengenommen, ver- und bearbeitet werden. Das Legalitätsprinzip aus §§ 152 und 163 StPO verpflichtet dazu die Staatsanwaltschaft und die Polizei gleichermaßen. Die so genannten „namenlosen“ Anzeigen müssen nach Nr. 8 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren durch die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Notwendigkeit einer Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geprüft werden.
Da sich im Bereich der Korruptionsdelinquenz in den meisten Fällen alles im beruflichen und sozialen Nahfeld abspielt, scheuen sich die meisten Mitwisser, ihre Erkenntnisse „offen“ den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Sie fürchten Nachteile und Repressalien.
Um dieses Dilemma weiter aufzulösen, hat Niedersachsen das so genannte Business Keeper Monitoring System, kurz BKMS, am 30. Oktober 2003 durch das Landeskriminalamt Niedersachsen - zunächst im Rahmen einer Pilotphase - eingeführt. Das webbasierte System eröffnet der Polizei die Möglichkeit, bei Wahrung der Anonymität des Hinweisgebers mit diesem Kontakt aufzunehmen
und ergänzende Überprüfungen vorzunehmen. Das Herzstück des Systems ist die Möglichkeit des anonymen Dialogs mit den Hinweisgebern. Es ermöglicht eine deutlich bessere Überprüfbarkeit der anonym mitgeteilten Sachverhalte. Dies liegt auch im schutzwürdigen Interesse des Verdächtigen.
Bei den anonymen Kommunikationsmöglichkeiten des BKMS-Systems ist es wichtig, dass sich die Hinweisgeber einen anonymen Postkasten am Ende des Meldeprozesses einrichten. Da sie Benutzernamen und Kennwort selbst wählen und die Angaben keinen persönlichen Daten zugeordnet werden können, bleibt der gesamte Dialog anonym.
Das BKMS-System unterscheidet sich hier völlig von E-Mail-Systemen. Der Rechner, auf dem die Hinweise eingehen, steht in einem Hochsicherheitstrakt von T-Systems. Dieser speichert nur den Inhalt der Meldungen, nicht aber IP-Adresse oder Uhrzeit, sodass ein Rückschluss auf den Hinweisgeber nicht möglich ist.
Mit der Einrichtung dieses Systems werden folgende Ziele verfolgt: erstens Schutz des Hinweisgebers durch Anonymität - das ist übrigens eine Forderung von GRECO, der vom Europarat gebildeten Staatengruppe gegen Korruption - und zweitens Erhöhung der Hinweisquantität und qualität.
Das System wurde - nach positiver Bewertung der Pilotphase zum 1. März 2004 - in die Alltagsorganisation der niedersächsischen Landespolizei überführt. Bis zum 31. Dezember 2004, also nach 14 Monaten - das ist der Untersuchungszeitraum von Professor Backes - hatten sich insgesamt 18 577 Interessierte auf die Infoseite, über die man in den direkten Meldeprozess gelangt, eingeloggt. 552 Meldungen sind eingegangen, von denen 306 nach erster Bewertung als strafrechtlich relevant eingestuft wurden. 414 Hinweisgeber hatten sich einen Postkasten eingerichtet. Bei den als strafrechtlich relevant bezeichneten 306 Hinweisen wurde in 246 Fällen ein Postkasten eingerichtet. 160 Hinweisgeber nutzten tatsächlich die angebotene Kommunikationsmöglichkeit. 111 Hinweise führten zur Einleitung von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren.
Vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2005 - außerhalb des Untersuchungszeitraumes von Professor Backes - erfolgten 8 528 Zugriffe auf die
Infoseite. 289 Meldungen gingen über das System ein, von denen 63 nach kriminalistischer Einschätzung einen strafrechtlichen Hintergrund haben dürften. 233 Hinweisgeber richteten sich einen Postkasten ein. 55 der 63 Hinweisgeber relevanter Meldungen hatten sich einen Postkasten eingerichtet, von denen 40 zum Teil sehr intensiv kommunizierten. Die 63 Meldungen mit strafrechtlicher Relevanz führten zu 17 staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren.
Nach alledem ist festzustellen: Seit jeher werden den Ermittlungsbehörden anonyme Hinweise übersandt, die - wie bereits dargelegt - auf strafrechtliche Relevanz überprüft werden müssen. Diese traditionellen anonymen Anzeigen sind in der Regel sehr kurz und unvollständig und lassen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte in Bezug auf strafrechtlich relevantes Verhalten häufig nicht oder nur sehr schwer erkennen.
Von daher stellt das BKMS-System mit der Möglichkeit des anonymen Dialogs eine grundlegende Verbesserung dar. Dies wird nicht nur von der Polizei und der Justiz so bewertet, sondern von allen mit der Korruptionsbekämpfung befassten Institutionen, so z. B. auch von Transparency International.
Grundrechtsintensive Ermittlungen schließen sich einem BKMS-Hinweis nur dann an, wenn die gesetzlich vorgesehenen Prüfungen durch Staatsanwaltschaften und Gerichte einen Anfangsverdacht ergeben oder bestätigen. Dieser Prozess findet unabhängig von dem Informationsweg statt, auf dem er die zuständigen Stellen erreicht.
Ein Verzicht auf das BKMS würde nur eine Stabilisierung des Dunkelfeldes bewirken. Der Staat würde sich gegenüber diesem bedeutsamen Kriminalitätsfeld künstlich blind machen, und das ist nicht akzeptabel. Ich bleibe dabei: Das BKMSSystem ist und bleibt ein wichtiges Modul zur Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität.
Zu 1: Das in Niedersachsen eingeführte BKMSSystem wurde u. a. von Herrn Professor Backes, Universität Bielefeld, im Rahmen einer Studie begutachtet, die angeblich Defizite des Systems aufzeigt und auch zu entsprechenden kritischen Presseveröffentlichungen führte. Dazu ist generell anzumerken, dass die Studie nur einen Teil der Hin