Protokoll der Sitzung vom 25.06.2003

Oktober 2002 eingebracht hat, durchaus ein anständiges Gerüst war. Aber der heutige Entwurf sieht in der Tat etwas anders aus, hat ein anderes Gesicht. Ich stelle einfach einmal die Positionen Dialog, Erziehungspartnerschaft, Durchlässigkeit und Stärkung von Schulleitungen in den Raum. Das sind wesentliche Dinge, die wir eingebracht haben, und ich bin dankbar dafür, dass sie berücksichtigt worden sind. Ich will in diesem Zusammenhang auch die Verbände nicht vergessen, die sich in die Arbeit eingebracht haben.

Als wesentliche Botschaft und als Kernpunkt muss ich ansprechen, dass das vorliegende Gesetz in der Tat den niedersächsischen Schülern erlaubt, frühzeitig ihre zweifellos vorhandenen Stärken innerhalb des dreigliedrigen Schulsystems zu entwickeln. Wer glaubt, das dreigliedrige Bildungssystem sei der Weg zu einer Drei-KlassenGesellschaft, verehrte Frau Harms,

(Wolfgang Wulf [SPD]: In der Tat!)

weist nach, dass er meilenweit von der Praxis entfernt ist.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Wer das behauptet, der unterschlägt, dass sich durch die zukünftigen Eingangsstufen völlig neue Chancen und Möglichkeiten für unsere Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen ergeben werden. Ich möchte auch noch anfügen, dass es bei der Stärkung der Hauptschule nicht allein um den Praxisbezug und die Berufsorientierung geht, sondern wir wollen erreichen, dass die Grundfertigkeiten Kopfrechnen, Lesen und Schreiben in der Tat verstärkt und intensiv unterrichtet werden. Das wird von Ihnen abgestritten oder nicht gesagt, ist aber ein wichtiger Punkt.

Meiner Meinung nach muss im Zusammenhang mit der Durchlässigkeit noch erwähnt werden, dass wir im Gegensatz zu Ihnen nicht immer nur an eine Durchlässigkeit von „oben nach unten“ denken, sondern für uns gehört jeder Schüler, sofern er leistungsbereit und leistungsfähig ist - ob er eine Hauptschule, eine Realschule oder ein Gymnasium besucht -, zur Spitze in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir betrachten einen Handwerker genau so wie einen Wissenschaftler. Wir lassen uns in diesem Punkt nicht in irgendeine Schublade stecken.

Noch etwas muss gesagt werden. Selbstverständlich sind die Vergleichsstudien wichtig. Sie haben eine hohe Bedeutung. Für die eigene Argumentation darf man sich aus diesen Studien aber nicht nur die Rosinen herauspicken. So darf z. B. nicht unterschlagen werden, dass die Siegerländer in ihre Bildungssysteme jahrzehntelang ganz anders investiert haben. Ein Lehrer für zwölf Schüler in Finnland. - Wo gibt es so etwas hier bei uns? Das ist nicht möglich. Wir können uns so etwas nicht erlauben. Auch ein Aufwachsen mit Lesen vor dem Fernsehapparat ist bei uns nicht möglich. Sie wissen, dass es in Finnland kaum synchronisierte Filme gibt. Von daher fangen die Kinder dort schon frühzeitig an, vor dem Fernseher zu lesen. Also: völlig andere Bedingungen.

Mit dem neuen Schulgesetz wird eine solide Grundlage für die Ausbildung unserer Kinder geschaffen. Darauf können wir uns jetzt allerdings nicht ausruhen. Stattdessen müssen wir dieses Gesetz gemeinsam mit Leben erfüllen. Wir können dennoch trefflich über die Systeme streiten. Ganz entscheidend für die Bildungsqualität sind jedoch eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung und engagierte Lehrkräfte vor Ort.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir über Bildungsqualität sprechen, dann werden wir Liberale sehr aufmerksam darauf achten, dass dieser Begriff nicht allein auf die Vermittlung von Wissen reduziert wird. Respekt vor Anderen, zuhören können, Toleranz und Selbstdisziplin sind Werte, die in diesem Bildungssystem in Zukunft ihren Stellenwert haben. Diese Werte werden in Zukunft verstärkt besetzt.

Ich wünsche mir eine konstruktive Mitarbeit aller Beteiligten. An vielen Stellen ist diese konstruktive Mitarbeit bereits geleistet worden. Dafür bedanke ich mich herzlich. Ich freue mich über das Gesetz, das wir heute verabschieden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, bevor ich Herrn Minister Busemann das Wort erteile, möchte ich noch eine Anmerkung machen und eine Erklärung abge

ben. Ich fange mit der Erklärung an: Ich schlage vor, dass wir nach der Mittagspause die Sitzung um 15 Uhr fortsetzen, weil wir die Debatte über das Schulgesetz ordnungsgemäß durchführen wollen und weil das Schulgesetz einen großen Stellenwert in Niedersachsen hat.

Herr Meinhold sollte mit Herrn Rösler klären, wie das mit der „Kanone“ gemeint war. Ich gehe davon aus, dass der Zuruf von Herrn Meinhold sportlich zu verstehen ist.

(Meinhold [SPD]: Ja, so ist das!)

- Dann ist es gut, Herr Meinhold. - Herr Minister Busemann, Sie haben jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes zur Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten schreiben wir in Niedersachsen Bildungsgeschichte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Am 14. Juni 1973 begann mit dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Vorschriften die Einführung der Orientierungsstufe. Heute, fast auf den Tag genau 30 Jahre später, wird diese immer umstrittene Schulform wieder abgeschafft. Sie hat - seien wir einmal ehrlich - nie die vollständige Rückendeckung durch die jeweilige Landespolitik erhalten.

Als die neu ins Amt gekommene CDU/FDPRegierung im Jahr 1978 das Gesetz über den Abschluss der Einführung der Orientierungsstufe verabschiedete, hat es dazu vonseiten der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen keinen Redebeitrag gegeben. Das ist bezeichnend für begrenzte Akzeptanz und den Kompromisscharakter dieser Schulform, auch wenn nach außen aus anderen Gründen von einem „großen Schulkonsens“ gesprochen wurde.

Die Orientierungsstufe hat die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Sie hat leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler nicht hinreichend gefordert und leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler nicht hinreichend gefördert. Als zweijährige Durchgangsstation - oft verbunden mit einem zusätzlichen Schulortwechsel - konnte sie den erzieherischen Bedürfnissen von Kindern in diesem

ja schwierigen Alter nicht gerecht werden. Das von der SPD-Vorgängerregierung eingeholte DIPFGutachten bestätigt diese Schwächen überzeugend. Hand aufs Herz: Niemand auch in diesem Hohen Hause trauert der O-Stufe wirklich nach.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es ist ein historischer Moment auch deshalb, weil wir die umfassendste Schulstrukturreform in der Geschichte des Landes seit fast 50 Jahren beschließen und umsetzen werden. Am 14. September 1954 wurde das erste einheitliche Schulgesetz, das Gesetz über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen, vom Landtag verabschiedet. Mit dem vorliegenden Änderungsgesetz aus dem Jahr 2003 schreiben wir hier erstmals seit Geltung des einheitlichen niedersächsischen Schulrechts eine Schulzeitverkürzung verbindlich fest. Bildungsgeschichte also auch hier.

Die Abschaffung der O-Stufe und das Abitur nach zwölf Schuljahren sind die wesentlichen Weichenstellungen, die wir vornehmen. Es ist nicht so, dass die SPD-Vorgängerregierung den dringenden Handlungsbedarf nicht erkannt hätte, Herr Jüttner. Herr Gabriel war angetreten, die Strukturschwächen des niedersächsischen Schulwesens zu beseitigen, auch, um der Opposition, wie er sagte, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wir alle wissen heute, dass er damit gescheitert ist, weil er die eigene Partei in einem quälenden Diskussionsprozess über unzählige Vorhaben und Ideenskizzen hinweg letztlich nicht für sich gewonnen hat. Die Partei hat nicht mitgezogen.

Den politischen Irrweg der Förderstufe, die Umetikettierung und die Verschlimmbesserung eines niedersächsischen Sonderweges hat in Niedersachsen niemand mittragen wollen. Kein Verband, keine Organisation, kein Schulträger.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Süddeutsche Allgemeine Zeitung hat es in ihrer Ausgabe vom 10. Juni auf den Punkt gebracht, wenn sie feststellt - ich zitiere -:

„In der Schulpolitik wiederum hat die SPD Sendepause, weil ihr Modell die Schaffung einer neuen Förderstufe - bei den Leuten nicht ankam. Es war viel zu kompliziert und mehr ein Kompromiss um des lieben Friedens

in der Partei willen als eine Lösung, die sich nur an den Interessen der Schüler orientiert hätte.“

So ist das, meine Damen und Herren von der SPD. Sie sollten sich von den Konzepten und den Beratern von gestern dringend verabschieden und so schnell wie möglich umsteuern, wenn Sie in der bildungspolitischen Diskussion wieder Tritt fassen wollen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Jüttner, wenn nicht Sie mit neuen Ideen kommen, dann macht das Maximilian Schmidt, der über das Vehikel des Landesschülerrates mit 100 Leuten aufgetreten ist und sich wahrscheinlich schon für seine landespolitische Karriere warm läuft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Jüttner, Sie haben gerade beim SPDBezirksparteitag in Hannover betont, dass es nichts nütze, wenn in der Schulpolitik wieder nur die alten Konzepte hervorgeholt würden. Richtig. Faktisch aber steht die SPD seit dem 2. Februar konzeptionslos und handlungsunfähig da. Ihre Reden waren ja ein bisschen bezeichnend dafür, dass Sie nicht so genau wissen, welcher Weg der Richtige ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich kann nur sagen: Auch für die linke Seite dieses Hauses ist die Zeit gekommen, umzudenken. Ehrlich gesagt: Auch für 68er-Bildungsideen gibt es Mottenkisten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Ausgangslage für die unverzichtbar notwendige Schulreform, die die Fraktionen von CDU und FDP jetzt gemeinsam mit der Landesregierung angegangen sind, war nichts anderes als dramatisch, Herr Aller: Katastrophales Abschneiden unserer Schülerinnen und Schüler bei PISA. Im Ländervergleich belegte Niedersachsen einen Abstiegsplatz. Eine unzureichende und mangelhafte Unterrichtsversorgung mit 10 % weniger Unterrichtsstunden, wenn wir einmal das Jahr 1989/1990 beleuchten. Fast 20 % mehr Schüler pro Lehrkraft. Das waren die Fakten in diesen Tagen. Unsolide

Finanzierung der Schul- und Bildungspolitik. Das werden Sie in Ihrer Amtszeit ja noch mitbekommen haben. Der Landesrechnungshof hat Ihnen das ja mit Brief und Siegel bescheinigt. Ein Bildungskonzept, das auf Einheitsschulen zusteuerte und Beliebigkeit den Vorrang gab, nicht aber auf Verbindlichkeit baute. Sie haben ja gemerkt, wie fatal es geradezu war. Das dauerhafte Hinausschieben der Schulstrukturreform über Jahre hinweg ist der Schule überhaupt nicht gut bekommen. Und jetzt vielleicht noch das Allerschlimmste: ein dramatisch schlechtes Verhältnis zu unseren Lehrerinnen und Lehrern, zu den Verbänden und den Organisationen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auf den Punkt gebracht: Die schulische Bildung der jungen Generation, der wichtigste Standortfaktor unseres Landes, war nachhaltig gefährdet. Diese Fehlleistungen der SPD-Vorgängerregierung haben die Wahlentscheidung unserer Bürgerinnen und Bürger nachweislich in erheblichem Maße beeinflusst. Die neue Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU und FDP haben die Verantwortung übertragen bekommen und umgehend die Weichen für einen Wechsel in der Schulpolitik gestellt. Die Bevölkerung stärkt uns weiter den Rücken. Mit Umfragen ist es manchmal ja so eine Sache. Emnid hat erst kürzlich eine Befragung durchgeführt und abgeklärt, wie der Vorsprung in Sachen Verbesserung der Schulsituation beurteilt wird. Er hat sich zugunsten der Regierung vergrößert: 48 % der Bürgerinnen und Bürger setzen auf die Problemlösungskompetenz der CDU und der FDP, nur 36 % auf die der SPD im alten Kernfeld. Emnid urteilt - ich zitiere -:

„Bei der Schulpolitik... wird die Politik der Landesregierung merklich besser beurteilt als die der Vorgängerregierung. In diesem landespolitisch wichtigen Feld gelingt es der Regierung offensichtlich, sich zu profilieren.“

Meine Damen und Herren, dieses Gesetz, das wir heute verabschieden werden, wird also von einer breiten Zustimmung der Bevölkerung, über Parteigrenzen hinweg, getragen. Das sollten Sie auch einmal berücksichtigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir sind mit unserer Politik vom niedersächsischen Bürger legitimiert. Was wir vor der Wahl versprochen haben, haben wir danach auch punktgenau umgesetzt. Jeder Wähler in Niedersachsen wusste, woran er bildungspolitisch bei der CDU und der FDP war. Wir haben mit klaren Aussagen und mit einem konsequenten Kurs überzeugt. Dem Schlingerkurs der SPD wollte sich niemand anvertrauen. Das muss auch gesagt werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)