Protokoll der Sitzung vom 11.07.2006

Die Bereitschaft der Landesregierung zum Dialog mit den Unternehmen, die Einrichtung von Fachprofessuren und die Weiterentwicklung des Kompetenzzentrums Versicherungswissenschaften GmbH belegen ja, dass die Politik durchaus aktive Anstrengungen einbringen kann, um Niedersachsen und Hannover weiterhin als attraktiven, herausragenden Standort für die Versicherungswirt

schaft zu erhalten. Ich bin davon überzeugt, das ist und bleibt das erklärte Ziel der Landesregierung. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Herr Kollege Hagenah!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dinkla, mit Ihrer Darstellung verharmlosen Sie die Lage.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Walter Meinhold [SPD]: Ja- wohl!)

Es ist völlig richtig: Die Allianz ist der größte Brocken, den wir zu schlucken haben. Die Allianz halbiert quasi ihren Standort Niedersachsen. In den letzten Monaten ist angekündigt worden, dass insgesamt fast 1 000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Das betrifft die Victoria und die Züricher mit jeweils 150 Arbeitsplätzen und die HUK und die Volksfürsorge mit jeweils 100 Arbeitsplätzen plus die Allianz. Da ist etwas im Gange.

Der Standort Niedersachsen ist stark gefährdet, und zwar vor allen Dingen durch die Konzentration, durch die Globalisierung und durch Shareholdervalue. Aber was steht denn tatsächlich dahinter, wenn die Allianz als Branchenprimus im letzten Jahr 4,4 Milliarden Euro Gewinn einfährt - Rekordgewinn des Unternehmens! -, für dieses Jahr 5 Milliarden Euro Gewinn prognostiziert und dann 7 500 Arbeitsplätze für einen erwarteten Einsparungseffekt von 600 Millionen Euro pro Jahr abbauen will? - Es ist wirklich Menschen verachtende Gewinnmaximierung, wenn etwa 10 % des Gewinns durch einen derart massiven Personalabbau gewonnen werden sollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Dinkla, „vaterlandslose Gesellen“ hat Michael Sommer damals zu Josef Ackermann gesagt, als dieser bei 20 % Gewinnzuwachs den Arbeitsplatzabbau bei der Deutschen Bank angekündigt hat. Man muss in diesem Zusammenhang Allianz-Chef Diekmann die Frage stellen, ob man diesen Titel auch auf die Allianz erweitern muss; denn Versi

cherungen sind keine Versicherungen mehr für die Menschen, sondern für die Kapitalgeber.

Natürlich gibt es bei global agierenden Unternehmen wie der Allianz nur noch geringere staatliche Steuerungsinstrumente, auch gewerkschaftliche Steuerungsinstrumente sind nicht mehr so tragfähig wie früher. Aber die wenigen Gestaltungsmöglichkeiten, die wir haben, müssen wir dann auch wirklich ergreifen. Dies vermissen wir bei dieser Landesregierung und im Bund.

(Hermann Dinkla [CDU]: Was denn?)

Die Große Koalition im Bund ist zunächst einmal mit ihren Bemühungen gescheitert, die deutliche Senkung der Steuer- und Arbeitskosten durchzusetzen, die sie versprochen hat. Während RotGrün von 2000 bis 2005 immerhin noch eine Senkung der Steuer- und Sozialabgabenquote von 43,3 % auf 39,9 % hinbekommen hat, gehen Sie mit der Großen Koalition mit Mehrwertsteuererhöhung und Gesundheitskostenerhöhung jetzt genau den umgekehrten Weg. Das kostet Arbeitsplätze!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Angesichts dieser Konzeptionslosigkeit ist das, was das Land machen kann, umso wichtiger. Bei Versicherungen ist es eben wie bei Sparkassen: Wenn wir das Korrektiv der öffentlichen Einrichtungen nicht hätten, dann würde die Globalisierung bei uns noch viel stärker zuschlagen. Vielleicht ist das ein Grund, warum bei der Allianz noch nicht der ganze Standort in Hannover zugemacht wird. Wir müssen aufpassen, dass in Niedersachsen mit unseren noch erfolgreich tätigen, aber leider zersplittert organisierten öffentlichen Versicherungen kein Ausverkauf wie in Schleswig-Holstein oder Hessen passiert.

Der Finanzminister - Herr Dinkla, das wissen Sie hat schon einige Gedankenspiele durchrechnen lassen, um Geld aus dem System herauszuziehen. Das schwächt den Standort. Auch regionale Konkurrenzen haben zu irrationalen Ideen in einigen Regionen geführt, so etwa dass ein süddeutscher Partner auf jeden Fall besser wäre als ein niedersächsischer. Ich glaube, das können wir uns überhaupt nicht mehr leisten. Das ist Luxus, der aus besseren Zeiten stammt. Kleinliche Animositäten müssen hintanstehen. Der Ministerpräsident ist unserer Ansicht nach in der Pflicht, das Abkassieren des Finanzministers mit virtuellem Eigentum bei den öffentlichen Versicherungen in Nieder

sachsen zu verhindern. Gemeinsam müssen wir uns um eine Zusammenführung der öffentlichen Versicherungen in Niedersachsen kümmern und uns dafür einsetzen.

Neben diesen landespolitischen Hausaufgaben muss von uns vor Ort aber auch versucht werden, die kaltschnäuzige Personalpolitik der privaten Versicherer mit mehr Widerstand zu verhindern; denn, Herr Dinkla, wenn sich die Einsparvorgaben bei der Allianz bundesweit so umsetzen lassen, dann ist zu erwarten, dass sich auch bei den anderen Versicherern eine Spirale der Einsparungen in Gang setzt. Das haben diese ja auch schon angekündigt.

Insofern hoffe ich, dass bei der nächsten Demonstration der von Entlassung bedrohten Beschäftigten auch die anderen Fraktionen mit vor Ort sein werden und wir in Niedersachsen klar machen, dass wir das Vorgehen der Gesellschaften so nicht akzeptieren wollen und dass das keine gesellschaftliche Mehrheit findet. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Rickert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast täglich erreichen uns Meldungen über den Arbeitsplatzabbau in deutschen Unternehmen. Ich nenne als Stichworte nur Siemens und Deutsche Telekom. Erst vor wenigen Monaten haben wir an dieser Stelle über den Arbeitsplatzabbau in niedersächsischen Unternehmen debattiert. Dabei ging es um Arbeitsplätze in Produktionsunternehmen wie Otis, Stadthagen, Bosch, Hildesheim, Karmann usw. Ausgelöst wurde jene Aktuelle Stunde durch den Protest gegen die Stilllegung der Reifenproduktion im Conti-Werk Stöcken.

Insbesondere Großunternehmen verlagern oder schließen Produktionen und Standorte. Dabei geht es meistens um mehrere hundert Beschäftigte. Als Gründe werden genannt: Kostenfaktoren, Wettbewerbsdruck und Globalisierung. Diese Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig.

Heute geht es um die Arbeitsplätze in der Versicherungswirtschaft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten aufhören, einzelne Unter

nehmen für solche Debatten herauszugreifen. Das Problem, über das wir heute reden und über das wir vor einigen Wochen geredet haben, ist substanziell und für unseren Standort alles andere als positiv.

Uns beschleicht bei solchen Nachrichten auch das Gefühl der Ohnmacht. Erneut müssen wir erkennen, dass die Einflussmöglichkeiten der Politik auf derartige Unternehmensentscheidungen relativ gering sind.

(Beifall bei der FDP)

Natürlich ist es umso schmerzhafter, wenn man feststellt, dass das in Rede stehende Unternehmen Gewinne macht. Das lässt gelegentlich Fragen im Hinblick auf die soziale Marktwirtschaft zu. Dennoch halte ich die soziale Marktwirtschaft für das erfolgreichste Wirtschaftssystem in der Geschichte der Wirtschaft überhaupt.

(Günter Lenz [SPD]: Das ist nicht mehr sozial, das ist asozial!)

Planwirtschaft ist keine Alternative. Das haben wir in der ehemaligen DDR erlebt. Somit, Herr Lenz, lehnen wir auch gesetzliche Regelungen, wie sie von den Gewerkschaften gefordert werden, ab. Die Forderung nach einem gesetzlichen Kündigungsverbot für profitable Unternehmen ist kontraproduktiv und würde die Standortproblematik noch verschärfen.

(Beifall bei der FDP)

Eines noch, wenn es auch nicht immer einsichtig ist: Gewinn ist das Ergebnis vergangenen erfolgreichen unternehmerischen Handelns. Kostensenkungsprogramme sind die Reaktion auf sich verändernde zukünftige Marktveränderungen. Sie dienen demzufolge der Zukunftssicherung.

Gerade vor diesem Hintergrund ist jedoch eine konstruktive Informationspolitik gegenüber den Mitarbeitern unerlässlich. Hier vermisse ich gelegentlich das notwendige Fingerspitzengefühl des Managements. Unverkennbar sind in der Versicherungswirtschaft Branchenprobleme, wie beispielsweise rückläufige Prämien, Kundenverluste, hohe Schadensquoten, im Übrigen Kostennachteile gegenüber Direktvermarktern. Da musste reagiert werden.

Auch Hannover ist betroffen, jedoch im Vergleich zu anderen Standorten - ich nenne nur Köln - noch relativ glimpflich davongekommen.

(Werner Buß [SPD]: Das ist doch kei- ne Rechtfertigung!)

- Das ist sicherlich keine Rechtfertigung. Aber es handelt sich um ein Gesamtproblem. Deswegen versuche ich ja auch, das in den Gesamtzusammenhang aller Wirtschaften zu stellen.

(Werner Buß [SPD]: Das ist Ver- harmlosung!)

Der Rückzug der großen Versicherer aus der Fläche bietet aber auch Chancen für die regionalen Anbieter, wie z. B. öffentliche Versicherungen. Diese Wettbewerbsvorteile sollten genutzt werden.

Dazu zählt z. B. auch die Einrichtung eines Kompetenzzentrums Versicherungswissenschaft mit zwei Professuren für Versicherungsmathematik. Wir lehnen daher jegliche Einmischung der Politik in die Unternehmensführung ab. Politik schafft allerdings Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Das ist gelegentlich ein Geben und Nehmen. Ich sagte eingangs, wir sollten aufhören, einzelne Unternehmen herauszugreifen.

(Werner Buß [SPD]: Das sind mehre- re!)

Das ist nicht gerade positiv. Ich erinnere Sie an die Deutsche Telekom. Sie baut allein 30 000 Beschäftigte ab, und das mit Zustimmung des Aufsichtsrats, in dem, wie wir wissen, auch die Bundesregierung sitzt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. - Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu diesem Thema drei Bemerkungen machen.

Erste Bemerkung. Der Abgeordnete Lenz hat die Veränderungsprozesse richtig beschrieben. Es gibt erhebliche Konzentrationen, Fusionen, Veränderungen, Effizienzsteigerungen unter Gesichtspunkten wie Standardisierung, Automatisierung und Zentralisierung im Bereich der Versicherungsbranche.

Wir haben das im Bankenbereich erlebt. Wir haben erlebt, dass sich Banken zu sehr aus der Fläche zurückgezogen haben. Deshalb haben jetzt gerade in Niedersachsen auch internationale Institute sehr erfolgreich Marktanteile gewonnen, wie die Credit Suisse, die wir sehr fördern, oder auch der Sitz der General Electric Money Bank für Deutschland. Hannover ist in solchen Feldern zum Teil zwar der Nutznießer dieser Entwicklung gewesen. Aber insgesamt ist der Standort Deutschland durchaus in Gefahr geraten.

Das Gleiche darf uns bei den Versicherern nicht passieren. Deshalb führen wir sehr viele Gespräche mit ver.di, mit den Betriebsräten, mit den Personalräten und mit den Vorstandsvorsitzenden der in Hannover und Niedersachsen beheimateten Versicherungskonzerne. Fakt ist, dass die Kunden stärker vergleichen - gerade im Internet - und dass es einen verschärften Preiswettbewerb gibt. Richtig ist auch, Herr Lenz, dass wir die Hilfe der Sozialdemokratie noch brauchen werden, wenn es um völlig überzogene Ansprüche der Bundesjustizministerin an dieses Feld geht. Es gibt einen Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium, Entwurf eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag. Wenn dieser so durch das Parlament ginge und rechtsgültig würde, dann würde die Wettbewerbsposition der gerade filial geprägten Versicherer erheblich geschwächt. Insofern hoffe ich, Sie auch dann an meiner Seite zu haben, wenn es um die Interessen gerade der Versicherer geht, die in der Fläche des Landes vor Ort kundenorientiert präsent sind.

Zweite Bemerkung. Ich kann hier heute bedauerlicherweise keine Details nennen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass aus diesem gesamten Prozess Hannover - das ist uns besonders wichtig - gestärkt hervorgehen wird. Das heißt, andere Städte werden in ganz anderen Umfängen von den Veränderungen in der Versicherungsbranche betroffen sein. Hannover wird auch deshalb relativ gestärkt werden, weil der Versicherungsstandort Hannover besonders attraktiv ist. Sie sollten mit einem Begriff wie Kahlschlag weder die Mitarbeiter übermäßig verunsichern noch den Standort schlecht reden. Sie tun damit niemandem einen Gefallen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Die Entscheidung der Allianz Leben hat gezeigt, wie wichtig der Standort Hannover ist; denn der Standort bleibt nicht nur erhalten, sondern er wird