Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

Dennoch haben wir das Problem - das ist gerade beschrieben worden -, dass es in manchen Regionen ein Ungleichgewicht gibt: Auf der einen Seite haben wir ungenutzte Gebäude und auf der anderen Seite zusätzliche Entwicklung durch das künstliche Anflanschen - so haben Sie, Herr Kollege Klein, glaube ich, gesagt - von neuen Baugebieten. Das wollen wir in diesen Modellprojekten beispielhaft anhand der verschiedenen Dorftypen in den verschiedenen Regionen Niedersachsen aufgreifen. Wir wollen eben nicht ein neues Förderprogramm stricken, sondern das als Modellprojekt im Dorferneuerungsprogramm ansiedeln; denn das bringt das Ganze voran.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich glaube, das kann dem Dorferneuerungsprogramm, das dem einen oder anderen vielleicht ein bisschen alt und verstaubt vorkommt,

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Das ist es auch!)

ein bisschen neue Impulse geben und neue Aspekte hineinbringen.

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Was ist mit den Dörfern, die auf der Warteliste sind?)

Ich glaube, insgesamt haben wir hier einen guten Ansatz. Deswegen würde ich mich freuen, Frau Kollegin, wenn wir im Ausschuss konstruktiv über diesen Antrag diskutieren würden. Ich würde mich sehr freuen, wenn die SPD-Fraktion einfach einmal anerkennen würde, dass CDU und FDP hier einen guten Antrag vorgelegt haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Karin Stief-Kreihe [SPD]: Wenn dem so wäre, würde ich das auch! Aber es ist nicht so!)

Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Ehlen. Bitte schön, Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat, der ländliche Raum steht vor großen Herausforderungen. Ich glaube, dass der Ansatz, der in dem Antrag formuliert ist, goldrichtig ist. Es kann nicht angehen, dass wir dabei zusehen, wie unsere Dörfer mit historischer Bausubstanz an einigen Stellen zerfallen, was das Ortbild nicht gerade positiv beeinflusst. Wir müssen Projekte im ländlichen Raum zukünftig so organisieren, dass wir den Charme unserer Dörfer und ihre Eigenart letztendlich wieder mit Leben erfüllen. Es kann nicht sein, dass mitten im Ort Ruinen stehen.

Dieser Antrag ist nicht nur eine wichtige und tolle Sache, um die wissenschaftlichen Vorgaben, die auch dazu nötig sind, mit hineinzubringen, sondern auch im Hinblick auf die praktische Umsetzung, um den Menschen, die davon betroffen sind, die nötige Hilfestellung zu geben und sie an die Hand zu nehmen, damit sie die Umnutzung, die hier gefordert wird, vornehmen.

Meine Damen und Herren, es geht nicht in erster Linie um das Geld der öffentlichen Hand bzw. der

Kommune, sondern um die einzelnen Akteure, die Besitzer solcher Häuser und Gebäude, die wir mit Konzepten dahin führen wollen, von den Möglichkeiten einer solchen Umnutzung Gebrauch zu machen. Dass das in der Vergangenheit auch schon hätte praktiziert werden können, wissen wir doch.

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Was ist da neu?)

Aber wir stellen fest, dass es trotz der vorhandenen Maßnahmen nicht funktioniert. Deshalb müssen wir neue Wege gehen, um die Menschen an die Hand zu nehmen und sie darauf hinzuweisen, was wir machen können. Müssen wir eventuell Teile von Ortskernen, die ja meistens Mischgebiet sind, umwidmen? Können wir sie umwidmen?

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Das muss doch die Kommune machen!)

Verträgt die Nachbarschaft eine Umwidmung? - In diesem Bereich müssen ganz klar etwas nach vorne bringen. Wir müssen neue Wege gehen, sonst treten wir auch künftig auf der Stelle.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die in dem Antrag formulierten Ziele zur Dorferneuerung, meine Damen und Herren - das halte ich für besonders wichtig -, müssen in den Kommunen, in den Arbeitskreisen erörtert und formuliert werden. Hierbei sind besonders die Nutzungsmöglichkeiten des vorhandenen Gebäudeund Flächenangebotes als innerörtliches Entwicklungspotenzial unbedingt zu berücksichtigen.

Weiter brauchen wir die Stärkung der Funktionen der Dörfer, also die Vitalisierung der Ortsmittelpunkte, die zum Teil zu veröden drohen. Wir brauchen Leben in den Ortsmittelpunkten.

Wir brauchen auch - das habe ich eben schon angedeutet - eine eigene Identität der jeweiligen Orte, die sich durch ortsbildprägende Bausubstanzen bildet. Es kann nicht angehen, dass Ruinen an Stellen stehen, an denen wir letztendlich eine Ausstrahlung ländlicher Kultur erwarten.

Weiter brauchen wir eine Stärkung des Bewusstseins für die Problematik des Landschaftsverbrauchs. Das ist hier ja schon rauf- und runterdiskutiert worden.

Herr Kollege Klein, ich meine auch, dass die ökologischen innerörtlichen Potenziale genutzt werden

sollten und könnten. Dabei sehe ich überhaupt keinen Dissens. Aber wir müssen letztendlich feststellen, dass die Nutzung von leer fallenden Gebäuden ganz wichtig ist. Wir müssen auch bedenken, dass an der einen oder anderen Stelle Denkmalschutz zum Tragen kommt.

Ich meine, dass wir das auf den richtigen Weg bringen. Wir befürworten und unterstützen diesen Antrag.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll der Ausschuss für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sein, mitberatend der Umweltausschuss und der Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Wer so entscheiden möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Das war einstimmig. Es ist so entschieden worden.

Ich rufe als letzten Tagesordnungspunkt vor der Mittagspause auf

Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung: Unabhängige Sicherheitsüberprüfung niedersächsischer Atomkraftwerke nach dem schweren Störfall in Forsmark, Schweden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/3123

Zur Einbringung erteile ich Herrn Meihsies für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Meihsies!

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sind Atomkraftwerke nun sicher oder nicht? Nach dem Fast-GAU im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark Ende Juli

(Christian Dürr [FDP]: Das ist wirklich Quatsch!)

beeilten sich die Umweltminister der Länder - in vorderster Linie Atomminister Sander -, die Beteu

erung der Kraftwerksbetreiber zu wiederholen, in Deutschland könne sich ein solcher Vorfall nicht ereignen.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel war immerhin vorsichtiger. Zwar hätten seine Länderkollegen Recht, wenn man es wörtlich nimmt, erklärte er auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die Wechselrichter, die in Schweden die Notstromaggregate steuern sollen und die versagt haben, würden hierzulande nicht verwendet. - Das stimmt.

Inzwischen hat sich allerdings hier wie in Schweden die Debatte um Sicherheit und Zukunft der Atomenergienutzung zu Recht neu entzündet. Was war passiert? - Nach einem Kurzschluss in einem Umspannwerk musste am 25. Juli der Reaktor Forsmark I durch eine Schnellabschaltung heruntergefahren werden. Die Leistung der Kraftwerksturbinen muss dazu auf ein Minimum reduziert werden, das noch für den Betriebsstrom benötigt wird. Dieses misslang jedoch, sodass automatisch das aus vier Dieselaggregaten bestehende Notstromsystem anspringen sollte. Das System - hören Sie genau zu - ist in der Theorie so angelegt, dass zwei Elemente versagen können, während die beiden anderen immer noch genügend Strom liefern. Was passierte? - Es versagten tatsächlich zwei Notstromdiesel, obwohl sie unabhängig voneinander geschaltet sind.

Da die Dieselmotoren eine gewisse Zeit brauchen, bis sie volle Leistung liefern, gibt es zusätzlich Batterien - meine Damen und Herren, das ist auch in deutschen Atomkraftwerken der Fall -, die bei Spannungsabfall Strom für eine ununterbrochene Versorgung liefern. Der Batteriegleichstrom muss mit Wechselrichtern in Wechselstrom umgewandelt werden. Zwei dieser Bauteile haben in Forsmark infolge des Netzkurzschlusses versagt, wodurch zwei Dieselmotoren nicht automatisch starten konnten, wie es hätte der Fall sein müssen. Und noch schlimmer, Herr Minister Sander: Die beiden verbliebenen Notstromdiesel reichten nicht aus, um die Reaktorkühlung sicherzustellen.

Es verging dann noch einige Zeit, bis das Kraftwerkspersonal überhaupt bemerkte, was dort geschah, und sich auch der Folgen bewusst war. Wegen des Notstromausfalls funktionierten die Messsysteme nicht richtig. Die Mannschaft in der Leitzentrale tappte wortwörtlich im Dunkeln. Die Computerbildschirme und die Lautsprecher fielen aus. Man konnte sich nicht verständigen und

wusste nicht, was im Reaktorkern passierte, meine Damen und Herren.

Im Klartext: Die Bedienungsmannschaft hatte keinen Überblick mehr, was im Reaktorkern vor sich ging. Bereits nach 20 Minuten hatte sich der Wasserstand im Reaktor um 2 m gesenkt. Wäre der Wasserspiegel weiter abgesackt, hätten sich die Brennstäbe so stark erhitzt, dass schließlich eine Kernschmelze eingetreten wäre. Das muss man sich einmal vorstellen!

Nach 23 Minuten gelang es dann dem herbeigerufenen Ingenieur eines Nachbarblocks - man telefonierte mit einem Nachbarblock -, die zwei ausgefallenen Dieselgeneratoren - auch das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - von Hand anzuwerfen, meine Damen und Herren - bei aller großen Technik, die dort vorhanden ist. Zum Glück! Der langjährige Chef der Konstruktionsabteilung des Energiekonzerns Vattenfall erklärte später, dass der Prozess nach nur sieben weiteren Minuten außer Kontrolle geraten wäre.

Angesichts dessen ist es schon mehr als bedenklich, dass Umweltminister Sander bereits am 4. August verkündete, ein solcher Störfall könne hier ausgeschlossen werden. Kurze Zeit später teilte Herr Sander uns allen das Ergebnis seiner Überprüfung mit: In niedersächsischen Atomkraftwerken ist ein Vorfall wie in Forsmark ausgeschlossen. Alles nicht so schlimm. Weitermachen. Business as usual. - Und noch weiter: Es ist nicht notwendig, in Niedersachsen noch weitere Überprüfungen vorzunehmen. - Diese Abwiegelung kam zu einem Zeitpunkt, als nur völlig unzureichende Informationen aus Schweden vorlagen. Von daher war es eine unverantwortliche Reaktion eines Umweltministers, der die Bevölkerung vor Gefahren schützen soll, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: Es ist einfach nicht richtig, was Sie sagen!)

Anders als in Niedersachsen wurden in Schweden als Konsequenz aus dem Vorfall der betroffene Reaktorblock in Forsmark und der baugleiche Block 2 bis auf Weiteres abgeschaltet. Zwei baugleiche Reaktorblöcke im Kernkraftwerk Oskarshamn sind auch vom Netz gegangen. Die Betriebserlaubnis dieser vier Siedewasserreaktoren mit gleicher Technik ist zurückgezogen und muss vor einer Wiederinbetriebnahme erneuert werden. Das ist richtig so.

Vier Wochen nach dem Störfall musste der Vorsitzende des Reaktorsicherheitsausschusses der schwedischen Strahlensicherheitsbehörde, Björn Karlsson, eingestehen, dass sich durch die Klärung von Einzelheiten das Bild deutlich verschlechtert hat.

In Schweden ist man sich darüber klar, dass nur ein glücklicher Zufall eine Katastrophe verhindert hat. Komplexe Systeme haben immer Fehler, und je länger sie laufen, desto sicherer tritt der Fehler auf, Herr Sander.

Herr Minister Sander, in Forsmark war nicht etwa ein russischer Schrottreaktor am Netz. Nein, dort befand sich westeuropäische Spitzentechnologie im Einsatz. Das muss uns richtig nachdenklich stimmen, meine Damen und Herren. Man kann nicht mehr abwiegeln und sagen: In Russland ist das alles anders, in der Ukraine ohnehin. Man muss einfach feststellen: Auch hier in der westeuropäischen Situation, wo eigentlich Hightech eingebaut sein sollte, kann so etwas passieren.

Meine Damen und Herren, schauen wir doch einmal nach Deutschland. Es geht um die deutschen Reaktoren. Herr Minister Sander, seit Jahren fordern Experten vergeblich die Anpassung der mangelhaften Notstromversorgung des Atomkraftwerkes Brunsbüttel an moderne Standards. Auch wir als Niedersachsen sind betroffen, wenn dort etwas passieren sollte, Herr Sander. Wir sollten uns auf den Weg machen und dieses von SchleswigHolstein und der Behörde dort vor Ort einfordern und nicht so tun, als ob hier niemand betroffen wäre. Wir müssen auf den Plan. Herr Sander, Sie sollten sich auf den Weg nach Kiel machen und sagen: Da muss etwas passieren. - Bis heute schweigen Sie zu der Situation in Brunsbüttel.

Aus den Protokollen und Sachverständigengutachten für Brunsbüttel geht hervor, dass die deutschen Aufsichtsbehörden die Brunsbüttel-Betreiber Vattenfall und E.ON seit 2002 vergeblich zu einer grundlegenden Modernisierung der Notstromversorgung des Reaktors gedrängt haben, meine Damen und Herren - seit 2002!