Deshalb geht es um eine sachgerechte und nicht parteipolitisch motivierte Debatte, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Wer heute auftritt und ganz genau zu wissen glaubt, was jetzt sofort zu tun ist, der wird dieser außergewöhnlichen Herausforderung auch nicht gerecht. Alle sind aufgefordert, ihre Position selbstkritisch zu überprüfen. Das gilt selbstverständlich auch für die Landesregierung. Ich bitte aber auch alle Abgeordneten im Hause, diese Haltung einzunehmen.
Lassen Sie uns deshalb die nächsten Monate und auch den heutigen Tag nutzen, um ernsthaft und mit der gebotenen Sachlichkeit über einen neuen energiepolitischen Weg in Deutschland und auch über mehr gesellschaftlichen Konsens in dieser so wichtigen Frage zu diskutieren.
In Gedanken sind wir heute Morgen allerdings auch bei den betroffenen Menschen in unserem befreundeten Land Japan.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der Nachrichten, die uns aus Japan erreichen, fällt es meiner Fraktion und mir schwer, das Thema parlamentarisch aufzugreifen und hier über die Nutzung der Atomkraft in Deutschland zu reden. Das Ausmaß der Katastrophe in Japan ist unfassbar. Die Bilder erinnern an apokalyptische Kinofilme. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist kein Film. Das geschieht wirklich. Das ist die Realität, und das ist für viele von uns kaum auszuhalten.
Diese ungeheure Katastrophe, ein Erdbeben ungeahnter Stärke hat nicht nur Tausenden von Menschen das Leben gekostet. Es wurden nicht nur weite Landstriche verwüstet. Erstmals in der Geschichte wurden in einem nie da gewesenen Ausmaß auch Atomkraftwerke beschädigt, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ein GAU, ein größter annehmbarer Unfall, war bisher immer nur Theorie. Jetzt ist er da. Er ist Realität. Die Folgen sind heute für uns noch nicht fassbar. Das macht nicht nur uns hier, sondern alle Menschen in Deutschland betroffen.
Genau hier liegt unsere Verantwortung als Politikerinnen und Politiker. Das ist der Grund, warum wir uns bei allem Entsetzen auch mit diesem Thema befassen müssen. Meine Damen und Herren, wir dürfen diese Tragödie nicht instrumentalisieren. Wir müssen aber die Fragen und die Ängste auch
Meine Damen und Herren, die Ereignisse zeigen, dass wir in den technologisch hoch entwickelten Industrieländern mit der Einschätzung des Risikos völlig falsch lagen. Diese fatale Fehleinschätzung wird für mich durch den verniedlichenden Begriff des beherrschbaren Restrisikos symbolisiert. Meine Damen und Herren, diese Katastrophe hat uns eines gelehrt: Es gibt kein Restrisiko. Die Nutzung der Atomenergie ist ein absolutes Risiko, meine Damen und Herren.
Wir sollten hier also nicht über die Frage diskutieren, ob und von wem möglicherweise das Thema instrumentalisiert wird, sondern darüber, wie wir dieses absolute Risiko für uns schnellstmöglich ausschalten können, und das im Interesse der Menschen, meine Damen und Herren.
Sehr geehrte Damen und Herren, gerade wir hier in Niedersachsen und in Deutschland debattieren seit Jahrzehnten darüber. Jetzt haben wir aber eine neue Dimension. Jetzt liegen Fakten vor, die gnadenlos das Resultat einer ganzen Reihe von Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen widerspiegeln. Die Frage lautet: Wie müssen wir darauf reagieren?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was wir jetzt in Deutschland und auch in Niedersachsen erleben, ist wirklich beeindruckend. Nie zuvor haben Regierungen mit diesem Tempo reagiert. Die Frage ist nur: Wie reagieren sie? - Auf einmal werden Entscheidungen möglich, die engagierte Menschen in diesem Lande seit Jahren und Jahrzehnten vehement erfolglos eingefordert haben.
Herr McAllister, ich darf Sie auch daran erinnern, dass Sie dort in den vergangenen Jahren durchaus eine Rolle gespielt haben. Sie persönlich haben die Atomenergie stets verteidigt, Herr Ministerpräsident.
So haben die Schaumburger Nachrichten im Jahr 2008 davon berichtet, wie Sie ganz unbekümmert von der großen Renaissance der Atomenergie
geredet haben. Sie sprachen davon, dass mittlerweile halb Europa neue Atomkraftwerke baue. Daher würden Sie die Kernenergie in Deutschland auch nicht abschaffen wollen.
Im Deutschlandradio legten Sie kurz darauf noch einmal nach: Die bestehenden Probleme in Deutschland seien ohne Kernenergie nicht zu lösen. Laufzeiten müssten verlängert werden. - Ihr Schlachtruf war damals: Das müssen wir machen!
Uns erscheint das heute eher wie blanker Hohn; denn wir alle haben gerade erlebt, wie sich Versorgungssicherheit darstellt, was mit den Energiepreisen passiert und was im Wirtschaftsgefüge der Welt geschieht. Im November 2008 haben Sie vor der CDU-Mittelstandsvereinigung noch gesagt, es mache keinen Sinn, die sichersten Atommeiler der Welt hier abzuschalten, um im Zweifel Strom aus unsicheren Kernkraftwerken einzukaufen.
Ein Jahr später diktierten Sie den Cuxhavener Nachrichten in den Block: Die deutschen Atomkraftwerke sind sicher und stehen rund um die Uhr unter Aufsicht. Bei Problemen werden sie sofort abgeschaltet.
Im Spätsommer 2010 haben Sie dann den Kurs der Kanzlerin gestützt, und dem Magazin Focus haben Sie den bezeichnenden Satz gesagt: „Hauptsache, das Geld fließt.“ Das war Ihre Bewertung des Energiekonzepts der Bundesregierung, Herr Ministerpräsident!
Sie haben die unsinnige Laufzeitverlängerung begrüßt. Sie haben sie als vernünftig beurteilt, meine Damen und Herren.
Um nicht zu vergessen: Sie haben sich damals über das Geld aus der Atomwirtschaft gefreut. Damit wollten Sie einiges finanzieren. Dass Sie dabei aber die vertragliche Absenkung der Sicher
heitsanforderungen gleichzeitig mit vereinbart haben, hat Sie öffentlich überhaupt nicht gestört - bei allergrößter Kritik, die wir hier formuliert haben, Herr McAllister.
Meine Damen und Herren, heute erleben wir hier die große schwarz-gelbe „Wende“ in der Atompolitik. Ich setzte das in Anführungszeichen; denn wie sieht diese Wende jetzt genau aus? - Ein Aussetzen der Laufzeitverlängerung für drei Monate. Sieben alte Atomkraftwerke sollen für drei Monate vorläufig abgeschaltet werden. Selbst wenn sie endgültig abgeschaltet werden - sie machen nur 7 % der gesamten erbrachten Leistung aus. Das ist wirklich lächerlich. Ziel sei jetzt eine Prüfung der Sicherheit. Und was kommt dann, meine Damen und Herren? - Nachdem Sie persönlich jahrelang als Verfechter der Atomenergie für die Laufzeitverlängerung eingetreten sind, haben Sie gestern, am Dienstag, vor Journalisten erklärt - ich zitiere Sie -: Es ist bekannt, dass ich immer eher skeptisch zur Kernenergie stand.
Was glauben Sie, Herr McAllister, für wie dumm können Sie Deutschland und die Niedersachsen hier verkaufen?
Ich finde es bezeichnend, dass wir von Ihnen heute kein einziges Wort darüber gehört haben, dass Sie sich in Ihrer politischen Vergangenheit auch nur einmal geirrt hätten. Das wäre aufrichtig gewesen.
Deshalb auch noch ein Wort zu dieser neuen unausgereiften Wortschöpfung, dem so genannten Moratorium, dem Aussetzen der Laufzeitverlängerung, meine Damen und Herren. In Japan werden zurzeit Jodtabletten verteilt. Hier verteilen Sie Beruhigungspillen an die Öffentlichkeit. Mehr ist das nicht, was dahinter steckt.
Das Größte ist, dass diese Thematik auch noch am Parlament vorbei behandelt wird. Wir befürchten wieder einen ganz schlimmen Deal auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung, meine Damen und Herren.