Protokoll der Sitzung vom 16.03.2011

Herr Ministerpräsident McAllister, in der Presse steht heute über Sie zu lesen, dass Sie als bekennender Kernkraftskeptiker gelten.

(Helge Stefan Limburg [GRÜNE]: Aha! Das haben Sie aber gut geheim gehalten!)

Skepsis wird nach Fukushima nicht reichen, um Schaden vom Land abzuwenden.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Über den Antiatomkraftprotesten der letzten Tage steht die Überschrift: Aus Trauer wird Power, aus Wut wird Mut. - Wir sagen: Abschalten und aussteigen!

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Starker, anhaltender Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich erteile dem Kollegen Dürr das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit großer Sorge blicken wir auf die Folgen des Erdbebens vor der Küste Japans. Am vergangenen Wochenende wurden weite Teile des Landes in Chaos, Verwüstung und Trauer gestürzt. Deutschlands Unterstützung, auch vor Ort, ist ein deutliches Zeichen unserer Solidarität und Ausdruck unseres Mitgefühls für die vielen Opfer. Wir sagen gemeinsam: In diesen dramatischen Stunden stehen wir alle an der Seite der Japaner.

(Zustimmung von Christian Grascha [FDP])

Das Wichtigste in den nächsten Tagen und Wochen sind die Rettungs- und Hilfsmaßnahmen in Japan. Familien sind auseinandergerissen worden. Tausende Menschen werden nach wie vor vermisst.

Zu dem Erdbeben und dem Tsunami ist nun auch ein nuklearer Unfall hinzugekommen. Es ist gerade dieser nukleare Unfall, der uns hier in Deutschland und in Niedersachsen in diesen Tagen so bewegt. Mich erfüllen die dramatischen Bilder aus Japan ebenso mit tiefer Sorge wie Sie alle.

Auch wenn wir gut beraten wären, einen kühlen Kopf zu bewahren, fällt es uns allen schwer, sich nicht von der emotionalen Dramatik der Bilder überwältigen zu lassen. Die Wahrheit ist, meine Damen und Herren: Wir brauchen jetzt Zeit, um die Dinge zu bewerten und für Deutschland Konsequenzen zu ziehen. Das Moratorium der Bundesregierung - das will ich deutlich sagen - und die Abschaltung von sieben Kernkraftwerken sind daher genau die richtigen und notwendigen Sofortmaßnahmen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Hans-Henning Adler [LINKE]: Die Menschen wollen die vollständige Abschaltung!)

Wir dürfen eines nicht aus den Augen verlieren: Es geht jetzt nicht um Laufzeiten, sondern es geht einzig und allein um die Sicherheit hier und heute.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Was nützt uns der Automausstieg bis 2020, wenn - wie in Japan - unvorhergesehene Extremereignisse eine Katastrophe auslösen? Auch wenn derzeit alle ein solches Erdbeben in Deutschland ausschließen, was bringt uns jetzt eine Laufzeitdebatte, wenn Naturkatastrophen und andere Zwischenfälle jeden Tag geschehen können?

Wer es ernst meint mit den Sicherheitsbedenken, der darf jetzt gerade nicht über einen Atomausstieg entweder bis 2022 oder bis 2030 reden. Was wir brauchen, ist eine schnelle Überprüfung der Sicherheitsstandards im Hinblick auf Ereignisse, die wir uns bisher nicht vorstellen konnten. Meine Damen und Herren, genau das macht unsere Bundesregierung.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Johanne Modder [SPD]: Also es geht weiter! Sagen Sie es doch mal so deutlich! - Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Rot-Grün hat im Rahmen des Atomkompromisses Sicherheitsanforderungen neu formuliert. SchwarzGelb hat diese im Rahmen der Laufzeitverlängerung weiter verschärft.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Erleichtert!)

Diese Sicherheitsanforderungen, die klar definiert worden sind, werden von den deutschen Anlagen erfüllt. Jetzt ist es nötig, meine Damen und Herren, diese Anforderungen zu überprüfen und, wenn nötig, entsprechend zu erhöhen. Die Ereignisse in Japan verdeutlichen ja gerade, dass es nicht mehr nur darum geht, dass die Anforderungen erfüllt werden. Das, meine Damen und Herren, war bei den deutschen Kernkraftwerken bisher der Fall. Jetzt geht es um die Sicherheitsanforderungen selbst und darum, diese zu überprüfen.

(Zustimmung bei der FDP)

Das sofortige Moratorium gibt uns die Möglichkeit, die Sicherheit jedes einzelnen Kernkraftwerkes auf den Prüfstand zu stellen und die neuen Erkenntnisse einfließen zu lassen. Gerade weil Sicherheit

immer die oberste Maxime ist, müssen jetzt sofort die nötigen Maßnahmen ergriffen werden.

Es muss also klar sein: Erstens. Laufzeiten und Sicherheit im Hier und Heute sind unabhängig voneinander. Zweitens. Alter und Sicherheit sind nicht unbedingt äquivalent. Drittens. Es geht nicht um die Laufzeit - einzig die Sicherheit ist entscheidend.

(Johanne Modder [SPD]: Nein! Sie müssen mal hören, was die Men- schen wollen!)

Jede einzelne Anlage muss - übrigens unabhängig von ihrem Alter - untersucht werden. Bei jeder einzelnen Anlage in Deutschland geht es um die Frage: Ja oder Nein? - Deswegen ist das Moratorium so richtig und wichtig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von den GRÜNEN)

Richtig ist auch: Nach dem Beschluss von RotGrün aus dem Jahr 2000 wären die Kraftwerke in Biblis und Neckarwestheim bereits vom Netz. Das heißt aber im Umkehrschluss: 14 Kernkraftwerke in Deutschland wären auch heute nach wie vor in Betrieb.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich hoffe - und das will ich vor dem Hintergrund der Reden der Kollegen Schostok und Wenzel deutlich sagen - und gehe sogar fest davon aus, dass selbst eine rot-grüne Bundesregierung jetzt die gleiche Sicherheitsüberprüfung veranlassen würde, wie es unsere Bundesregierung gemacht hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN - Glocke des Präsidenten)

Wir alle wissen, dass die Erneuerbaren die Kernkraft zurzeit nicht komplett ersetzen können. Frau Höhn hat das gestern im Fernsehen - wie ich meine, auch zu Recht - gesagt und hinzugefügt: Sofort alle Kernkraftwerke auszuschalten, geht natürlich nicht.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Der sofortige Ausstieg ist aber zurzeit nicht nur aus Gründen der Versorgungssicherheit und der Wirtschaftlichkeit nicht möglich, er ist zurzeit auch technisch nicht möglich. Die Kernkraft leistet derzeit die Hälfte der Grundlaststromversorgung in Deutschland. Das können die erneuerbaren Ener

gien - ich füge hinzu: leider - heute noch nicht leisten.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Insgesamt 23 %!)

Meine Damen und Herren, wenn wir ehrlich sind, dann deutet sich dadurch unter Umständen auch die Notwendigkeit des Baus neuer Kohlekraftwerke an.

Niedersachsen hat seit 2003 bereits enorme Anstrengungen bei den Erneuerbaren unternommen. Allein von 2004 bis 2008 wurden Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Bereich der erneuerbaren Energien mit über 30 Millionen Euro gefördert. Wir werden das jetzt noch stärker forcieren, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Christian Grascha [FDP])

Neben den Sicherheitsmaßnahmen, die derzeit von der Bundesregierung ergriffen werden, ist es schon jetzt notwendig, dass alle politischen Kräfte in Deutschland konkrete Vorschläge dazu machen, was anstatt der Kernkraft geht. Jetzt ist nicht die Zeit, zu sagen, was nicht geht. In den kommenden drei Monaten müssen wir alle gemeinsam sagen, was geht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Wir haben zwar den gesetzlichen Rahmen geschaffen, der zu einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien geführt hat, insbesondere mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz in 2000.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Was Sie abgelehnt haben!)

Aber wir haben in den vergangenen zehn Jahren der Geschichte der erneuerbaren Energien in Deutschland die Grundlastfähigkeit vernachlässigt - das müssen wir alle gemeinsam selbstkritisch zugeben -, ob Rot-Grün zu seiner damaligen Regierungszeit oder die jetzige Bundesregierung.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann über- nimmt den Vorsitz)

Wir waren uns all die Jahre so sicher, dass wir uns auf andere Energieträger verlassen können. Diese Verlässlichkeit droht jetzt mit den Ereignissen in Japan verloren zu gehen.

(Silva Seeler [SPD]: Was erzählen Sie da eigentlich für einen Unsinn?)

Wir müssen die Instrumente zur Förderung der erneuerbaren Energien viel mehr auf Versorgungssicherheit ausrichten, damit sie eine echte und vor allem sichere Alternative werden. Das sollte unser gemeinsames Ziel sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)