Protokoll der Sitzung vom 26.05.2011

Natürlich brauchen wir auch bundesweit eine Endlagersuche. Wir brauchen da - das ist schon mehrfach gesagt worden - einen Neustart. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle ziemlich dicht beieinander sind. Aber von Ihnen oder in Berlin muss gesagt werden, wohin die Reise gehen soll. Wie soll der Ausstiegsplan aussehen? - In Bezug auf Ihre Kehrtwende müssen Sie noch eine ganze Menge nachlegen. Ich habe den Eindruck, dass Ihnen die Bürgerinnen und Bürger das im Moment nicht abnehmen. Die Verweigerungshaltung von Bayern schädigt den bundesweiten Prozess. Natürlich ist das Politik nach dem Sankt-Florians-Prinzip. An der Stelle darf es nicht - so, wie Herr Seehofer das meint - heißen: Gorleben, nein Danke. Alternativen, na ja, wollen wir mal sehen.

Zur Energiewende gehört letzten Endes auch die Endlagerfrage. Die Kriterien sind ganz, ganz wichtig. Dazu gehört auch die Abschaltung aller Risikoreaktoren. Und die Kriterien für ein Endlager müssen zusammen mit allen Beteiligten festgelegt werden. Weiter muss es eine bundesweite transparente und ergebnisoffene Endlagersuche - und zwar, bitte schön, auch in Bayern - geben.

Ich danke Ihnen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Nächster Redner ist Herr Dr. Hocker für die FDPFraktion. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Bachmann, Sie haben eben argumentiert, dass die Laufzeitverlängerung - - - Ist er überhaupt im Saal? - Ich glaube, nicht.

(Zuruf: Er ist da!)

- Ach, da! Wie kann man Sie übersehen? Entschuldigung!

Sie haben eben argumentiert, dass die Laufzeitverlängerung dafür ursächlich ist, dass sich die Demonstrationen so entwickelt haben. Wir werden bei den nächsten Castortransporten, wenn keine Laufzeitverlängerung ansteht, sehr genau beo

bachten, wer sich dann vor die Demonstranten stellt und dafür sorgt, dass die Demonstrationen stattfinden, und wer die Menschen vor Ort für seine eigenen Ziele in Beschlag nimmt. Es steht keine Laufzeitverlängerung an. Da werden wir mal sehen, wie sich die Demonstrationen beim nächsten Castortransport entwickeln.

Meine Damen und Herren, ich habe das Wendland im Herbst 2010 bereist und mit zahlreichen Polizistinnen und Polizisten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justiz, aber auch mit vielen Demonstrantinnen und Demonstranten gesprochen. Dabei habe ich eine Vielzahl von Menschen getroffen, die ihr Recht auf friedliche Demonstrationen und ihre Meinung vor Ort zum Ausdruck gebracht haben. Sie haben friedlich demonstriert und ihre politische Meinung zum Ausdruck gebracht. Es ist Aufgabe der Polizei - das hat der Innenminister bereits ausgeführt -, sicherzustellen, dass jeder Bürger von diesem Recht Gebrauch machen kann. Ich glaube, die Polizei hat im vergangenen Jahr, im Jahr 2010, diese Aufgabe vorbildlich erfüllt.

Gleichzeitig habe ich aber auch eine kleine, jedoch nicht zu übersehende Anzahl von Demonstranten bemerkt und erlebt, die das Demonstrationsrecht missbrauchen und für ein Räuber-und-GendarmSpiel mit der Polizei instrumentalisieren. Diese Leute sind bewusst ins Wendland gefahren. Zum Teil sind sie ins Wendland gekarrt worden, um Straftaten zu begehen, um zu schottern, um zu beschädigen und vielleicht auch um - das kann ich nicht beurteilen - Menschen zu verletzen. Jeder, der diese Straftaten begeht, muss mit polizeilicher Verfolgung rechnen. Das ist genauso Markenkern eines Rechtsstaates wie die Sicherung des Rechts auf Demonstrationen durch die Polizei.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir aber schon über die Instrumentalisierung der Demonstrationen sprechen: Am 3. November berichtete das Göttinger Tageblatt über eine Demonstration, deren 200 Teilnehmer mehrheitlich im Kindesalter waren. Sie wurden von ihren Eltern in einen Demonstrationszug gegen die Kernenergie geschickt. Meine Damen und Herren, ich kriege schon ein bisschen eine Gänsehaut, wenn Eltern ihre Kinder im Kindergartenalter instrumentalisieren und behaupten, dass ihre drei bis fünfjährigen Sprösslinge freiwillig und - Zitat - „aus Angst vor der Kernenergie“ an der Demonstration teilnehmen und, mit Fahnen und mit Antiatomkraftaufklebern ausgestattet, als politische Werbefläche durch Göttingen marschieren. Ich weiß nicht, wie es Ih

nen gegangen ist. Aber mit fünf Jahren hatte ich ganz andere Sorgen und Nöte, als mir über die Energieversorgung Deutschlands einen Kopf zu machen. Ich finde, es ist kein Ruhmesblatt für die Demonstrations- und die Demokratiekultur der Eltern, wenn sie ihre Kinder für ihre eigenen politischen Ziele instrumentalisieren.

Wir alle wissen, dass die Castortransporte in 2010 unabhängig von der Laufzeitverlängerung zu betrachten sind, die die Bundesregierung beschlossen hat. Jede Bundesregierung - egal Rot-Grün oder Schwarz-Gelb - müsste sich an internationale Verträge halten und müsste den Atommüll - eben weil es vertragliche Verpflichtungen gibt - zurücknehmen. Das hat mit den Farben der Regierung überhaupt nichts zu tun. Wir werden sehen, wie es sich in den nächsten Jahren bei den nächsten Castortransporten verhalten wird und wie dann die Demonstrationen ablaufen werden.

Ich glaube, dass wir unserer Polizei in Niedersachsen für das Jahr 2010 einen großen Dank schuldig sind. Ich möchte sie schon jetzt auffordern, bei den nächsten Castortransporten dazu beizutragen, dass es eine Deeskalation gibt. Die können auch wir vonseiten der Politik befördern. Das ist nicht allein Aufgabe der Polizei, sondern da muss sich jeder einzelne Abgeordnete an die eigene Nase fassen und sich fragen, wie er dazu beitragen kann, dass die Demonstrationen in den nächsten Jahren friedlich ablaufen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Herzog. Er spricht für die Fraktion DIE LINKE. Sie haben das Wort, Herr Herzog.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele der Darstellungen der Landesregierung über den Castortransport 2010 sind - wie bei allen Antworten auf Anfragen meiner Fraktion - von Wunschdenken, Verharmlosung und vor allem vom Mut zur Lücke geprägt.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Und das Ganze zusammengestellt durchs Visier von Einsatzkräften. Ihre Interpretationen haben mit der am eigenen Körper erfahrenen Realität oft herzlich wenig zu tun.

Die eigentliche Frage muss doch lauten: Warum wehren sich die Menschen? - Sie tun es, weil sie die verheerenden Folgen der Atomenergie begriffen haben und weil sie durch konkrete Betroffenheit die atomare Bedrohung lange erfasst hatten, als Sie von CDU und FDP in der goldenen VorFukushima-Zeit noch das Hohelied des friedlichen Atomstroms sangen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will eines ganz klarstellen: Die eigentliche Straftat ist und bleibt die Atomenergie insgesamt.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wurden 25 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, ganze 10 wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Sapperlot! Bei 50 000 Teilnehmern!

(Editha Lorberg [CDU]: Das sind schon zehn zu viel!)

Bei 285 Ermittlungsverfahren, Herr Götz, wird ein bunter Strauß von Verfehlungen beider Seiten zusammengebunden - in diesem Gemisch nicht aussagekräftig. Aus langjähriger Erfahrung weiß ich aber, dass viele Protestierende keine Anzeigen mehr erstatten, weil sie sofort mit Gegenanzeigen der Polizei überzogen werden, für die es immer genügend Zeugen gibt, und weil sie die Beamten schlicht und einfach nicht identifizieren können, wie die Landesregierung ja selber zugibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Erstaunt hat mich zudem, dass von Tausenden von Menschen und Gruppierungen, die sich öffentlich dazu bekannten, auch Steine aus dem Gleisbett zu entfernen, noch lediglich 380 im Verfahren stehen. Anwälte sagen inzwischen, es werde kompliziert, ihnen überhaupt irgendeine Gefährdung des Schienenverkehrs nachzuweisen.

Ich kann Ihnen aber sagen, dass es auch in der ganz normalen bürgerlichen Bevölkerung LüchowDannenbergs viele Sympathien fürs Schottern gibt - ganz einfach deshalb, weil es jahrzehntelang eine Ignoranz der Politik gegenüber der einheimischen Bevölkerung gab, weil das fachfremde, undemokratische und autokratische Verhalten des Staates wütend und verzweifelt macht

(Beifall bei der LINKEN)

und weil sogenannte Ordnungsauflagen als ungerechtfertigter Zwang im Hinblick auf die eigene Existenz und Zukunftsplanung empfunden werden.

Was beschreiben Zahlen wie 700 Platzverweise oder 1 700 Identitätsfeststellungen? Sind 131 Verletzungen bei 20 000 eingesetzten Polizisten viel oder eher die nicht genannten über 500 aufseiten der Demonstranten? Oder sind es doch eher die Einzelbetroffenheiten? - Umgeritten werden, vom Baum gegast werden, schwer verletzt durch den Wald gejagt werden. Oder entsetzt nicht auch der rechtswidrige völlig überzogene Körpereinsatz eines französischen Polizisten oder in diesem Zusammenhang die niedersächsische Streberbeteiligung am EU-Projekt GODIAC, am Feldversuch an frierenden Protestlern?

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn der Staat Tausende in Gewahrsam nimmt, Rechtswidrigkeit als probates Mittel zelebriert, dann hat die Demokratie verloren.

(Beifall bei der LINKEN)

1 217 Menschen in Harlingen in Freilandbodenhaltung bei Frost 8 Stunden eingekesselt und freiheitsberaubt. Nicht neu, sagen manche. Ja, Herr Thiele, wir waren ja auch schon einmal für Käfighaltung vorgesehen. Herr Bartling weiß, wovon ich rede. Doch, es ist neu. Gesetzlich gestrickt für Einzelfälle, ist unverzügliche richterliche Vorführung zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme vorgesehen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Das ist bei 1 217 Menschen nicht möglich. Da passt das Gesetz nicht. Ganz einfach. Da lässt man dann zwei Eilrichter warm und trocken im 30 km entfernten Lüchow dösen, weil laut Antwort der Landesregierung die Logistik in dem Ackergehege bei Harlingen nicht vorhanden ist und die richterliche Anhörung dort nicht geordnet durchgeführt werden kann. „Rechtsverdreher“ nennt der Volksmund das; ich nenne das „Verhöhnung“. Besonders perfide, weil man einkalkuliert, dass viele Erschöpfte die unwürdige Prozedur nicht über sich ergehen lassen wollen. Stundenlange eingepferchte Überstellung in Gefangenentransportern, erkennungsdienstliche Behandlung, Leibesvisitation am nackten Subjekt, aktenkundig zum späteren Abschuss.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Das gibt es ja wohl nicht! Das ist gefähr- lich! - Editha Lorberg [CDU]: Man müsste Sie rausschmeißen! Das ist unglaublich!)

Meine Damen und Herren, die Beschreibung des flächendeckenden Gaseinsatzes im Wald, schon weit - - -

(Zurufe von der CDU - Unruhe)

Herr Kollege Herzog, ich würde Sie zunächst einmal bitten, ein bisschen mehr auf die parlamentarische Wortwahl zu achten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei den LINKEN)

Ich nenne die Dinge hier nur so, wie sind.

Herr Kollege Herzog, ich möchte nicht mit Ihnen diskutieren. Ich bitte Sie um eine parlamentarische Wortwahl. - Ich möchte jetzt darum bitten, dass Sie, meine Damen und Herren, den Redner ausreden lassen. Er hat noch eine knappe Minute. Bitte schön!

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Was hat er denn falsches gesagt?)

Die Beschreibung des flächendeckenden Gaseinsatzes im Wald schon weit außerhalb des Verbotskorridors kann nur auf getrübte Wahrnehmung zurückzuführen sein, möglicherweise durch Gaswirkung unter dem Einsatzhelm.