Protokoll der Sitzung vom 01.07.2008

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Wenzel, gestatten Sie eine Anmerkung. Dass Sie sich hier als Oberrichter aufspielen, ist schon ein starkes Stück. Das muss ich in aller Offenheit sagen.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei den GRÜNEN)

Es sind immerhin Ihre Leute gewesen, die sieben Jahre Zeit hatten - von 1998 bis 2005 -, die Sache in Ordnung zu bringen. Sie hätten längst eingreifen können. Ihnen war schon damals bewusst, dass das Bergwerk in der Asse einsturzgefährdet ist und dort Fässer liegen, die schwierig herauszuholen sind.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Und Ih- nen erst jetzt?)

Jetzt im Nachhinein zu sagen, Sie wüssten alles besser, ist schon ein tolles Ding.

(Beifall bei der CDU - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Dann fordern Sie doch ei- nen Untersuchungsausschuss! Las- sen Sie uns das gemeinsam aufklä- ren!)

Wir sollten einfach zum Sachverhalt zurückkommen. Das ehemalige Salzbergwerk Asse ist eine Altlast mit ganz massiven Problemen. Insgesamt sind hier bis 1978 125 000 Fässer mit schwach radioaktivem Abfall und fast 1 300 Fässer mit mittel radioaktivem Abfall eingelagert worden. Das sind

medizinische Abfälle, das sind Abfälle aus Reaktoren und Forschungsreaktoren.

Es war im Übrigen Ministerpräsident Albrecht, meine Damen und Herren, der seinerzeit die Einlagerung in der Asse beendete hat; auch das gehört zur Wahrheit. Das Kernproblem der Asse II, meine Damen und Herren, sind die Laugenzuflüsse, die mit Cäsium 137 kontaminiert sind, und die mangelnde Standsicherheit des gesamten Bergwerks. Die radioaktiv kontaminierten Flüssigkeiten treten konkret an mindestens drei Stellen im Bergwerk auf, was ja auch bekannt war. Dabei ist nicht auszuschließen, dass die Lauge durch Kontakt mit dem eingelagerten radioaktiven Abfall kontaminiert wurde.

Was jedenfalls dem Umweltministerium bis zum 12. Juni 2008 nicht bekannt war, ist die Tatsache, dass bei der kontaminierten Lauge die Freigrenze für Cäsium bereits 1995 bzw. 1997 überschritten wurde. Auf der 775-m-Sohle wurde 2004 ein Maximalwert, nämlich das Elffache der Freigrenze, gemessen. Warum das Überschreiten der Freigrenze vom Betreiber, dem Helmholtz-Zentrum, erst am 30. Juli 2004 dem Landesbergamt mitgeteilt wurde und warum das Amt dann pflichtwidrig diese Information nicht an das MU weitergegeben hat, muss rückhaltlos aufgeklärt werden. Hier bestehen - davon haben wir uns in der Sondersitzung des Umweltausschusses ein Bild machen können - unbegreifliche Kommunikationsdefizite, meine Damen und Herren, die umgehend abzustellen sind.

Ebenso unbegreiflich ist, dass die kontaminierte Salzlösung ohne ausreichende strahlenschutzrechtliche Genehmigung auf die 950-m-Sohle gepumpt wurde. Das ist schlichtweg ein Unding, meine Damen und Herren, und wird ebenfalls - genauso wie die Ursachen der Kontamination - aufzuklären sein.

(Zustimmung von der CDU)

Helmholtz-Gesellschaft und Bergamt haben in einer Sitzung des Umweltausschusses ja schon Fehler eingestanden.

Meine Damen und Herren, da nützt es uns wenig - das sage ich mit allem Freimut -, wenn wir den Menschen vor Ort sagen, dass weder sie noch die Umwelt durch die Laugenzuflüsse gefährdet sind. Die Bürgerinnen und Bürger haben Ängste; sie sorgen sich. Ich sage ganz klar: Wir alle - damit meine ich alle Bundes- und Landesregierungen der letzten 30 Jahre - sind mehr oder weniger in

der Pflicht. Auch Sie, Herr Jüttner, hatten lange Zeit die Aufsichtspflicht

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Als Hellse- her!)

und sollten jetzt nicht so tun, als ob Sie damit nichts zu tun haben. Wir alle sollten uns vor Schuldzuweisungen hüten.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Die verantwortlichen Institutionen müssen jetzt das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen. Deshalb müssen wir zügig ein Schließungskonzept erarbeiten. Dieses Konzept muss mit absoluter Zuverlässigkeit verhindern, dass die radioaktiv kontaminierte Lauge aus dem Bergwerk in die Biosphäre gelangen kann. Die Zeit für die Erarbeitung dieses Konzeptes ist äußerst knapp - das wissen wir alle. Experten gehen davon aus, dass das Bergwerk vermutlich schon ab 2014 einsturzgefährdet ist, weil es als Salzbergwerk genutzt wurde und durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist ganz neu!)

Deshalb haben wir auch keine Zeit mehr für die Beantwortung der Frage, ob formell Atom- oder Bergrecht anzuwenden ist.

(Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eines muss auch völlig klar sein: Bei diesem Schließungskonzept müssen alle vernünftigen Optionen auf ihre Realisierbarkeit hin geprüft werden - auch das sage ich ganz klar -, d. h. von der denkbaren Flutung über die Rückholbarkeit der Fässer bis hin zum Einsatz von Salzbeton zur längerfristigen Stabilisierung und Erhaltung der Standsicherheit.

Meine Damen und Herren, ich werte es als ausgesprochen positives Signal, dass sich Bundesumweltministerium, Bundesforschungsministerium und unser Umweltministerium in der letzten Woche gemeinsam darauf verständigt haben, noch bis Ende des Jahres eine Entscheidung zu treffen. Es ist wichtig, dass bis August ein Statusbericht zur Situation der Asse erarbeitet werden und dabei eine sogenannte Taskforce aus Fachleuten von Bund und Land mithelfen soll.

Wir können die Menschen nur mitnehmen, wenn eine totale Transparenz erreicht wird. Der Anfang

ist im Herbst 2007 gemacht worden, und zwar im Zuge der erweiterten Öffentlichkeitsbeteiligung. Das ist in Ordnung und läuft gut.

Lassen Sie mich noch eines feststellen: Wir alle sollten dieses Thema sehr ernst nehmen und dabei unserer Verantwortung nachkommen. Es eignet sich weiß Gott nicht zur parteipolitischen Instrumentalisierung. Wir müssen die gemachten Fehler aufarbeiten und im Interesse der Menschen um die richtigen Lösungen ringen. Wir sollten die Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht dazu nutzen, die Kernenergie in Deutschland aus ideologischen Gründen zu diffamieren und hier sozusagen Stellvertreterkriege zu führen. Auch das ist richtig.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Kreszentia Flauger [LINKE]: Wenn Ih- nen etwas nicht passt, nennen Sie es ideologisch!)

Meine Damen und Herren, Fehler in der Kommunikation abstellen, Statusbericht vorlegen, dann Entscheidung und Umsetzung eines geeigneten und technisch machbaren Schließungskonzeptes - das ist der Weg, der jetzt zu gehen ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Details des Skandals um Asse II wird Kurt Herzog gleich noch einiges sagen.

Ich möchte gerne zwei Vorbemerkungen machen und dabei zwei Empfehlungen der FDP bekräftigen.

Die erste Vorbemerkung betrifft das Demonstrationsrecht der Menschen im Vorharz, vor allem deshalb, weil wir uns alle, glaube ich, einig sind: Das Hauptverdienst hinsichtlich der Offenlegung dieses Skandals gebührt den Bürgerinitiativen, die hier heute auch vertreten sind. Herzlichen Glückwunsch dazu!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zweitens möchte ich etwas zur Informationspflicht der Landesregierung sagen.

Zum Demonstrationsrecht: In der 9. Plenarsitzung am 5. Juni 2008 gab es eine Debatte über das Recht der Menschen zu demonstrieren, wenn ihre elementaren Lebensinteressen betroffen sind. Das Thema war damals Gentechnik, die AKW-Frage wurde auch erwähnt. In diese Debatte haben Herr Sander und auch Herr Hirche eingegriffen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Protokolls der 9. Plenarsitzung. Auf Seite 939 gibt es eine Empfehlung des Minister Hirche. Herr Minister Hirche hat gesagt:

„Ich empfehle allen, das noch einmal nachzulesen, was Herr Sohn eben gesagt hat.“

Ich empfehle Ihnen, der Empfehlung des Ministers zu folgen. Allerdings sollten Sie nicht nur Sohn nachlesen - das ist nie falsch -, sondern die Lektüre erweitern und auch Hirche nachlesen. Er sagte bezogen auf Demonstrationen - am Beispiel AKW und Umweltfragen - nämlich Folgendes:

(Minister Walter Hirche: Bezogen auf die Legitimation von Gewalt!)

„Das ist dieser leichtfertige Umgang, der schon jetzt vorwegnimmt - trotz ordnungsgemäßem Zustandekommen künftiger Mehrheitsbeschlüsse, die dem einen oder anderen politisch gefallen mögen oder nicht -, zu legitimieren, dass man dagegen auf der Straße angehen kann.“

(Minister Walter Hirche: Gewalttätig haben Sie gesagt!)

„Meine Damen und Herren, in einem Rechtsstaat ist das nicht zulässig. Das will ich in aller Deutlichkeit sagen.“

Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen: Er sagt, wenn es Mehrheitsbeschlüsse gibt, soll man - so wünscht es diese Regierung - dagegen nicht mehr „auf der Straße angehen“.

(Widerspruch bei der CDU und bei der FDP)

Das ist - insofern ist Ihre Reaktion völlig verständlich - ein verfassungsrechtlicher Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun schadet das Herrn Hirche nicht, weil man in das Verfassungsschutzbeobachtungsraster von Herrn Schünemann ja erst gerät, wenn man sich der Linken nähert. Weder Bewegungsgeschwindigkeit noch Bewegungsrichtung dieser Regierung lassen vermuten, dass dieser Bewegungsmelder anspringt.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Jetzt mal zur Sache! Mal ein paar Lösungsvor- schläge!)