Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

Meine Damen und Herren, das Asylbewerberleistungsgesetz wurde 1993 als Abschreckung beschlossen, um von einer Flucht nach Deutschland abzuhalten. Das Gesetz arbeitet mit der Unterstellung, Asylbewerber kämen ohnehin nur wegen des Bezugs der Sozialleistungen nach Deutschland. Es bedient sich rassistischer Vorstellungen von vermeintlichen Wirtschaftsflüchtlingen und Sozialschmarotzern, gegen die sich Deutschland endlich zur Wehr setzen müsse.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann über- nimmt den Vorsitz)

Der größte Skandal an dem gesamten Gesetz ist aber, dass eine ganze Menschengruppe allein aufgrund ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus weit unter dem Existenzminimum vegetieren muss. Zudem gilt das gerade in Niedersachsen strikt umgesetzte diskriminierende Sachleistungsprinzip. Neben der Unterbringung in Wohnheimen bedeutet das auch die Ausgabe von Kleidung, von Nahrungsmittelpaketen oder eben auch Gutscheinen. Dieses Gesetz dient also der systematischen Ausgrenzung von Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen, soweit sie unter die Regelungen des Gesetzes fallen.

Aber das, meine Damen und Herren, hat mit Integration nicht viel zu tun. Ganz im Gegenteil: Es zielt darauf ab, eine Integration dieser Menschen zu verhindern und das Abschreckungspotenzial dieser Regelung aufrecht zu erhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Asylbewerberleistungsgesetz verletzt eklatant das Recht jedes Menschen auf ein Leben in Würde.

Die Bundesregierung und, wie wir nun auch wissen, die hiesige Regierungskoalition ignorieren dabei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Festlegung der Hartz IV-Sätze für Kinder.

Die Ausschussempfehlung lehnen wir ab

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die nächste Wortmeldung ist die von Herrn Riese von FDP-Fraktion. Bitte!

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Antragsstellerin hat gerade den Gesetzgeber aufgefordert, zu handeln. Der Gesetzgeber - wir wissen es - ist der Deutsche Bundestag. Und jetzt kommt auch gleich die gute Nachricht: Der Deutsche Bundestag handelt; denn alles, was hier über die Rechtsgeschichte wiedergegeben worden ist, ist im Bundestag längst diskutiert worden, nicht zuletzt in einer umfassenden Anhörung am 7. Februar dieses Jahres. Die Ergebnisse sind öffentlich nachzulesen, ebenso die Stellungnahmen, die dort zu Gehör gebracht wurden. Die Schlussfolgerung daraus ist mit Si

cherheit, dass das Asylbewerberleistungsgesetz geändert werden muss, allerdings nicht, dass es abgeschafft werden muss.

Die ganze Geschichte ist also richtig dargestellt, die Entwicklung seit 1993 usw. Aber unser FDPBundestagskollege Pascal Kober hat bereits am 17. November des vergangenen Jahres angekündigt, dass das Gesetz zügig angepasst werden muss, in Erkenntnis der Feststellungen des von uns unter anderen Aspekten vielfach diskutierten Urteils des Bundesverfassungsgerichts.

Man muss sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Seit das Gesetz besteht, haben viele Parteien in Deutschland regiert, die Grünen, die SPD, die CDU, die FDP. Es ist kaum jemand von dem Versäumnis frei, erkannt zu haben, dass das Asylbewerberleistungsgesetz in der Form, wie wir es zurzeit haben, sicherlich nicht verfassungsgemäß ist.

Ich muss Ihnen aber mitteilen, meine Damen und Herren, dass sich die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung vor dem Deutschen Bundestag deutlich zu der Frage positioniert hat, ob es grundsätzlich ein solches Asylbewerberleistungsgesetz geben sollte. Ich darf aus der Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände zitieren. Dort heißt es:

„Es wäre durchaus problematisch, diesen Personenkreis, der nicht über einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland verfügt, mit Sozialhilfeempfängern bzw. Empfängern von Grundsicherung für Arbeitssuchende gleichzustellen, die zum Teil langjährig in die hiesigen Sozialsysteme eingezahlt haben.“

Ich glaube, das ist ein Gesichtspunkt, mit dem wir uns hier ernstlich beschäftigen sollten. Es muss doch ein Unterschied zwischen den Personen bestehen, die selber durch eigene Beiträge die Sozialsysteme tragfähig gemacht haben, und denen, die dies nicht getan haben.

Meine Damen und Herren, die Positionen der FDP zu dem gesamten Kreis sind bekannt. Sie sind in diesem Monat in Niedersachsen ja auch noch einmal intensiv diskutiert worden. Es geht zunächst nicht darum, die Leistungen auf bestimmte Niveaus anzuheben, sondern es geht zunächst darum, dass wir dahin kommen müssen, die Hürden für Asylbewerber abzusenken, die sie davon abhalten, sich selber zu helfen. Außerdem ist es

dringend erforderlich, dass wir die Dauer der Asylverfahren weiterhin kürzen, damit für die Menschen die Perspektiven geklärt werden können.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Limburg?

Ich gestatte.

Bitte!

Vielen Dank, Herr Kollege. - Vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen zu Sozialleistungen und zur Frage, ob die Menschen, die in die Sozialsysteme eingezahlt haben, mit denen, die dies nicht getan haben, gleichbehandelt werden können, frage ich Sie, ob Sie tatsächlich der Auffassung sind, dass die Höhe des Existenzminimums und die Menschenwürde davon abhängen kann, wie lange jemand in Sozialsysteme eingezahlt hat.

Herr Riese, bitte!

Davon abhängig ist natürlich die Frage der Aufenthaltsperspektiven, um die es geht. Jemand, der für kurze, begrenzte Zeit ohne Aussicht, über längere Zeit bei uns zu bleiben, bei uns bleibt, hat natürlich ganz andere Bedürfnisse als jemand, der sein Leben, seine Existenz über die Zeit hinweg sichern will und eine unbegrenzte Aufenthaltsperspektive hat. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Das sollte auch Ihnen klar sein, Herr Limburg.

(Beifall bei der FDP)

Zu den weiteren Gesichtspunkten, die die Rahmensituation entschärfen, meine Damen und Herren, gehört natürlich die europäische Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen. Wir haben im Augenblick im Süden Europas regionale Erscheinungen, die in Dänemark auch schon zu Auswirkungen geführt haben. Das kann uns nicht kaltlassen, und da muss Europa tatsächlich vernünftig zusammenarbeiten. Dass Deutschland in dieser Weise von Dublin II profitiert, hat ja schon damals zu den ironischen Zeitungskommentaren geführt, dass man über Deutschland geradezu aus einem Flugzeug fallen muss, um hier in den Genuss von

Asylrecht zu kommen. Das kann natürlich nicht der richtige Weg sein.

Es geht auch darum, verehrte Damen und Herren, die Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen zu erleichtern. Die Positionen der FDP dazu sind seit langer Zeit bekannt.

Es ist also vieles zu tun. Das Asylbewerberleistungsgesetz als solches muss angepasst werden, aber es muss nicht abgeschafft werden. Insofern verstehe ich auch die Ablehnung der Beschlussvorlage durch die SPD nicht.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von der SPD: Du hast nicht zugehört!)

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Focke das Wort. Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon die Überschrift Ihres Antrags, meine Damen und Herren der Grünen, nämlich „Menschenwürde mit Rabatt“, ist eine Zuspitzung, die, wie ich finde, dem Thema nicht gerecht wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Menschen aus der ganzen Welt kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen nach Deutschland, sei es aufgrund von Krieg oder Verfolgung, oder sei es auch aus wirtschaftlichen Erwägungen. Vereint sind sie aber alle in dem Glauben und in der Hoffnung, dass es ihnen in Deutschland besser geht als in ihrer Heimat.

Und genau da sind wir schon an einem wichtigen und entscheidenden Punkt. Denn jeder, der durch sein Zutun die Gemeinschaft in Deutschland bereichert und stärkt oder der in der Welt verfolgt wird, ist herzlich willkommen. Aber eine einseitige wirtschaftliche Belastung der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland aus rein wirtschaftlichen Interessen einzelner Asylbewerber ist nicht hinzunehmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Unter anderem deshalb wurde Anfang der 1990erJahre das Asylbewerberleistungsgesetz im Zuge des Asylkompromisses erarbeitet und ist 1993 in Kraft getreten. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal erwähnen, dass seitdem die meisten Fraktionen in Regierungsverantwortung waren

und somit die Chance hatten, es zu ändern. Aber es ist nichts passiert.

Gerne wird jetzt auch das Argument ins Feld geführt, dass es damals viel mehr Asylbewerber gab als heute. Aber, meine Damen und Herren, das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Vielmehr geht es darum, dass man schon einen Unterschied zwischen Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch und Leistungen, die aufgrund einer Zufluchtsuche oder einer Einwanderung erfolgen, machen muss. Die Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch basieren auf Solidarität unseres beitragsfinanzierten Sozialsystems. Leistungen für Menschen, die um Asyl bitten, stehen damit nicht in Verbindung. Genau deshalb darf man diese unterschiedlichen Ansprüche auf Grundversorgung nicht mischen, sondern muss sie strikt trennen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: SGB II!)

Dabei geht es nicht um die Höhe, Herr Limburg, sondern darum, aus welchem Bereich es bezahlt wird.

In diesem Zusammenhang will ich auch auf Frau Lesemann eingehen. Sie beklagen, dass man nach vier Jahren in die SGB XII-Leistungen überführt wird, und wollen das wieder zurückdrehen. Entschuldigen Sie mal! Das wurde 2007 von der Großen Koalition beschlossen; ich glaube, Sie waren dabei. Und jetzt wollen Sie eine Rolle rückwärts machen? Das passt irgendwie nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU)

Im Übrigen ist das damals von Ihnen auch mit der sozialen Gerechtigkeit begründet worden. Sie haben gesagt: Wir sollen wir jemandem, der 25 Jahre in das Sozialsystem eingezahlt hat, erklären, dass er die gleiche Leistung bekommt wie jemand, der herkommt und noch nichts für diese Gesellschaft geleistet hat?

Bei der Ausgabe der Gutscheine geht es nicht um eine Stigmatisierung, sondern dies schützt die Asylsuchenden vor kriminellen Machenschaften. 90 % der Asylbewerber kommen mit Schleppern in die Europäische Union, die die Leistungen und die Entscheidungspraxen in den einzelnen europäischen Ländern genau kennen und analysiert haben. Insofern ist jede Barleistung, die gegeben wird, eine Gefahr für den Asylbewerber und ein zusätzlicher Anreiz für organisierte Kriminalität.

(Beifall bei der CDU)

Unter dem Strich sind die Menschen, die zu uns gebracht werden, immer die Verlierer: Zum einen, weil ihnen das Geld von den Schleppern abgenommen wird, und zum anderen, weil nur 1,6 % der Asylsuchenden einen Anspruch auf ein dauerhaftes Bleiberecht haben. Mehr Barleistungen sind also ein Anreiz zu organisierter Kriminalität, was auf keinen Fall unterstützt werden kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Obwohl wir den Ausländern nach dem Asylbewerberleistungsgesetz weniger zahlen als anderen Hilfsbedürftigen in unserem Land, scheint Deutschland ein attraktives Zuwanderungsland zu sein. Das belegen jedenfalls die seit drei Jahren enorm steigenden Zahlen. Anders als hier behauptet, liegen die Leistungen in Deutschland im europäischen Vergleich im oberen Bereich. Die Erfahrungen zeigen - das sagt auch die Kommission für Flüchtlinge und Migration -, dass die Anzahl der Asylbewerber sehr von den Sozialleistungen im jeweiligen Land abhängt. Die meisten anderen EUStaaten gehen mit den Sozialleistungen wesentlich restriktiver als Deutschland um. Sie werden insbesondere schneller gekürzt. Es gibt ganz unterschiedliche Regelungen. Aber unter dem Strich kann man sagen, dass im Schnitt in allen anderen europäischen Ländern weniger gezahlt wird als in Deutschland.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)