Protokoll der Sitzung vom 15.09.2011

Auch das ist also eine Folge der Netzsperrenpolitik: Geschadet wurde Leuten, die überhaupt nicht betroffen sind und die überhaupt nichts angerichtet haben.

Herr Schünemann will Seiten, die er extremistisch nennt, aus dem Netz raus haben und sperren. Das hat er hier noch einmal ausdrücklich bestätigt. Das Problem dabei ist, dass er es ist, der in diesem Land definiert, was extremistisch ist. Im Zweifel sind das auch unliebsame politische Gegner. Herr Thiele hat dann gleich deutlich gemacht, worum es hier geht. Er hat hier im April gesagt, der Minister soll die Homepage der Linken aus dem Netz nehmen.

All dies zeigt das Risiko von Netzsperren. Wenn Sie das an einer Stelle machen, dann haben Sie die Infrastruktur dafür, und dann ist es technisch ganz leicht, das auch auf andere Sachverhalte auszudehnen. Dann wachsen die Begehrlichkeiten. Ich habe die Beispiele genannt. Die Linke will dieses Tor gar nicht erst geöffnet haben.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Helge Limburg [GRÜNE])

Hier ist gestern ausdrücklich über die Demokratiebewegung in Nordafrika gesprochen worden. Ich möchte Sie bitten zur Kenntnis zu nehmen, dass das Internet maßgeblich an den bisherigen Erfolgen dieser Bewegung beteiligt war und dass diese Erfolge gar nicht möglich gewesen wären, wenn es das Internet dort nicht zensurfrei gegeben hätte. Dann hätten die entsprechenden Regimes sicherlich eingegriffen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Völlig rich- tig!)

Wir Linke wollen eine Zensur gar nicht erst ermöglichen. Ich darf Ihnen einmal den Flyer „Für ein demokratisches Internet ohne Zensur“ nahelegen. Den werde ich gleich Herrn Schünemann schenken. Der kann ihn gern einmal lesen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Den hat er doch schon!)

- Man weiß ja nicht, wie viele Überstunden seine Leute immer machen müssen, um ihm unser Material zu besorgen. Wir sind da ganz offen.

Meine Damen und Herren, leider ist das Thema Netzsperren bei Schwarz-Gelb noch nicht abschließend vom Tisch. Das zeigt der aktuelle Stand der Debatte über den Glücksspielstaatsvertrag, der solche Netzsperren schon wieder vorsieht. An dieser Stelle gibt es noch keine Verbesserung. Das hat Herr Zielke hier schon im April seitens der FDP ausgeführt.

Weil dieses Thema eben leider noch nicht vom Tisch ist, wollen wir mit unserem Antrag eine klare Positionierung des Niedersächsischen Landtags gegen Netzsperren erreichen. Die FDP hat im April ja schon eine Aktuelle Stunde betreffend „Für Bürgerrechte - Löschen statt Sperren“ beantragt, was ich hier positiv erwähnen möchte. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir bei ihrer Fraktion mit unserem Antrag offene Türen einrennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen, dass unser Landtag die Landesregierung auffordert, Netzsperren als schwerwiegende Einschränkung des Menschenrechts auf freie Meinungsäußerung grundsätzlich abzulehnen. Das fordert auch der Bericht des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für Meinungs- und Pressefreiheit, Frank La Rue. Außerdem wollen wir mit einem Landtagsbeschluss die Landesregierung auffordern, sich dafür einzusetzen, dass im Glücksspielstaatsvertrag Netzsperren weder explizit noch implizit enthalten sind bzw. dass ganz klar ausgeschlossen wird, dass es solche gibt. Wenn sich die Landesregierung damit in der Debatte nicht durchsetzt, dann wollen wir, dass sie den Glücksspielstaatsvertrag ablehnt.

(Beifall bei der LINKEN)

Unsere dritte Forderung lautet: Der Landtag soll die Landesregierung auffordern, sich über eine Bundesratsinitiative dafür einzusetzen, den freien Zugang zum Internet zum Menschenrecht zu erklären. Das haben uns andere EU-Länder schon vorgemacht.

Meine Damen und Herren, nach der von der FDP im April beantragten Aktuellen Stunde gehe ich davon aus, dass unser Antrag hier im Landtag nach konstruktiven Beratungen im Ausschuss so oder gegebenenfalls mit leichten Änderungen eine deutliche Mehrheit finden wird und dass ihm zumindest Linke, SPD, Grüne und FDP inhaltlich zustimmen können. Ich würde es sehr begrüßen

und als Bekenntnis der CDU zu Freiheit und Demokratie werten, wenn auch sie sich positiv auf unseren Antrag einlassen würde und wir vielleicht zu einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen hier in diesem Hause kämen.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat sich Frau Behrens für die SPD-Fraktion gemeldet. Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE zwingt uns im positiven Sinn die Diskussion über Aspekte einer aufgeklärten Netz- und Medienpolitik auf. Dieser Politikbereich hat angesichts der dynamischen Entwicklung des Internets und einer unglaublich schnell fortschreitenden Kommunikationstechnik eine enorme Bedeutung für die Demokratie, die Bildung, aber auch für die Wirtschaftsentwicklung. Ich finde, dass Netzpolitik bisher auch in diesem Landtag vernachlässigt worden ist. Deshalb müssen wir dieses Themenfeld immer mehr in den Fokus rücken. Heute haben wir eine Gelegenheit dazu. Dafür bedanke ich mich.

Für die SPD ist eine moderne Netz- und Medienpolitik mit Blick auf die digitale Zukunft Niedersachsens unverzichtbar. Für uns stehen dabei die Stärkung der Freiheitsrechte und der Schutz der persönlichen Daten im Internet im Mittelpunkt. Außerdem wollen wir eine Teilhabe aller an den neuen Medien und wenden uns gegen eine drohende informationelle Spaltung der Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die SPD-Landtagsfraktion arbeitet bereits in einer interdisziplinären Gruppe aus Rechts-, Innen- und Medienpolitikern sehr intensiv an diesem Thema. Einige Früchte unserer Arbeit kennen Sie schon, geehrte Kolleginnen und Kollegen. Der Kollege Siebels hat in unserer letzten Sitzung vor der Sommerpause unseren Antrag zur Netzneutralität vorgestellt. Auch in diesem Antrag werden Aspekte von Netzinhalten und Netzkontrolle behandelt. Die Debatte darüber führen wir im Ausschuss weiter. Vielleicht kommen wir in Kombination dieser beiden Anträge letztendlich ein gutes Stück weiter.

Ich komme nun zu dem Antrag, den uns die Kollegen der Linken vorgelegt haben.

Zunächst hebt der Antrag auf Internetsperren ab und meint damit beispielsweise Sperrinfrastrukturen, wie sie das Zugangserschwerungsgesetz vorsah. Gleichzeitig sind offensichtlich aber auch Internetzugangssperren gemeint, wie sie z. B. das französische Hadopi-Gesetz bei mehrmaligen Urheberrechtsverletzungen vorsieht. So wird auf den Bericht des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für Meinungs- und Pressefreiheit Bezug genommen, der sich erst vor wenigen Monaten sehr deutlich und sehr kritisch mit derartigen Internetzugangssperren auseinandergesetzt hat und solche Sperrinfrastrukturen deutlich ablehnt.

Das Abschalten des Internets ist nach Ansicht der Vereinten Nationen eine Verletzung der Menschenrechte. Dabei geht es der UN nicht darum, dass jedem Menschen ein Internetzugang ermöglicht werden muss. Der UN geht es vielmehr um die vorsätzliche Abschaltung des Internets durch Regierungen. Ausgesprochen kritisch werden dort zu Recht alle Länder behandelt, die einen freien Zugang zum Netz verwehren oder Inhalte gefiltert haben. Beispielhaft erwähnen möchte ich China. Kritisiert werden aber auch Länder wie Großbritannien oder Frankreich, die aufgrund ihrer Gesetze auch solche Abschaltungen vornehmen lassen können. Auch das wird darin abgelehnt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ein Entzug des Internetzugangs stellt unabhängig von der zugrunde liegenden juristischen Begründung in den Augen des Sonderbeauftragten eine Verletzung internationaler Menschenrechte dar, wie sie z. B. auch die Vereinten Nationen in ihrem ICCPR-Dokument festgeschrieben haben. Dieses Dokument hat übrigens auch Deutschland ratifiziert. Danach sollten sich jetzt auch alle Bundesländer richten.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich komme nun zu den drei Kernforderungen des Antrags.

Unter Nr. 1 werden Netzsperren als Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit abgelehnt. Hier, liebe Kollegin Flauger, wird aber nicht ganz deutlich, was genau gemeint ist: Netzsperren zur Filterung bestimmter Inhalte oder Netzzugangssperren nach Verstößen? - Die SPD lehnt beides ab.

Unter Nr. 2 gehen Sie auf den Glücksspielsstaatsvertrag ein. In den dazu laufenden Gesetzesberatungen soll sichergestellt werden, dass Netzsperren im Staatsvertragstext weder explizit noch implizit enthalten sind bzw. dass sie unmissverständlich ausgeschlossen werden. Hiermit ist offensichtlich die Sperrinfrastruktur gemeint. - Für die SPD steht fest: Glücksspiel im Netz soll verboten bleiben. Eine Sperrinfrastruktur brauchen wir dafür aber nicht. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz aus Hamburg hat die Position der SPD dazu im Kanon der Bundesländer bereits deutlich gemacht. Die SPD-Landtagsfraktion teilt diese Position. Den Sonderweg, den die Kollegen von CDU und FDP im Schleswig-Holsteinischen Landtag mit der Aufweitung auch im Netz gegangen sind, halten wir für nicht zuträglich. Das gehört abgesetzt.

(Zustimmung bei der SPD)

Unter Nr. 3 wird schließlich eine Bundesratsinitiative gefordert mit dem Ziel, den freien Internetzugang zum Menschenrecht zu erklären. Aber auch hier ist der Antrag ein bisschen unklar. Was ist gemeint? - Der Schutz vor einer entsprechenden Sperrinfrastruktur oder der Schutz vor dem Abklemmen vom Netz? - Letztlich ist das Abklemmen vom Netz schon durch die ICCRP-Erklärung geregelt. Hier brauchen wir also keine neue Position. Eigentlich müsste das bereits deutlich sein.

In der Enquetekommission des Bundestages „Internet und digitale Gesellschaft“ wird u. a. über die Frage debattiert, ob und inwieweit es schon einen verfassungsrechtlichen Schutz der Internetkommunikation - also z. B. einen Schutz des Zugangs - gibt. Die Juristen streiten wie immer darüber. Eine abschließende Position dazu gibt es nicht. Ich finde, darüber sollten wir in den Beratungen im Fachausschuss intensiv debattieren. Des Weiteren sollten wir meines Erachtens debattieren, welche Initiativen im Sinne eines Zugangs über breitbandiges Internet auch unter dem Stichwort von Menschenrechten diskutiert werden müssen.

Als SPD sehen wir einen anderen Weg als sinnvoll an. Wir fordern die Aufnahme des Rechts auf einen schnellen Internetzugang im Rahmen der Universaldienste; denn wir müssen den Internetzugang im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge diskutieren. So hat es die SPD-Bundestagsfraktion auch bei ihren Forderungen in den Verhandlungen zur Novelle des Telekommunikationsgesetzes deutlich gemacht. Der Internetzugang muss ein solcher Universaldienst wie die Versorgung mit Strom und Wasser werden. Er muss zu den nor

malen Möglichkeiten im Rahmen der Daseinsvorsorge gehören.

Schnelles Internet ist in Niedersachsen noch nicht überall Realität. Die Landesregierung muss hier besser werden. Sie muss sich in dieser Situation mehr einschalten.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Sie muss vor allem schneller werden!)

- Sie muss schneller werden - im wahrsten Sinne des Wortes. Auch da haben wir in der Debatte im Ausschuss noch eine Menge zu tun, denke ich.

Ich komme zum Schluss, geehrte Kolleginnen und Kollegen. Die Debatte um diesen Antrag ist ein wichtiger Baustein in der weiteren Netzpolitik des Landes Niedersachsen. Wie gesagt, finde ich, dass es an einigen Stellen noch ein bisschen an der Tiefenschärfe fehlt. Auf jeden Fall freue ich mich aber auf eine Debatte im Ausschuss dazu.

Frau Kollegin Flauger, ich finde auch, dass es diesem Landtag gut zu Gesicht stehen würde, wenn wir uns mit einem eindeutigen Votum gegen Netzsperren, gegen Inhaltskontrollen und natürlich auch gegen ein Abklemmen des Netzes aussprechen würden.

Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zu dem Beitrag von Frau Behrens hat sich Frau Flauger zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön, Frau Flauger!

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst einmal freue ich mich, dass die Kollegin Behrens von der SPD so positiv auf die meisten Punkte des Antrags eingegangen ist. Ich bedanke mich auch für die konstruktive Kritik, bei der es darum ging, ihn an einigen Punkten noch zu schärfen und zu präzisieren. Das werden wir sicherlich gemeinsam im Ausschuss erreichen können.

Ich möchte allerdings schon an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir nicht den Fehler machen sollten, jetzt alle Internetthemen auf einmal zu erschlagen. Deswegen würde ich die Frage der Breitbandanbindung gerne gemeinsam an einer anderen Stelle behandeln. Ich glaube, dass das in

Bezug auf diesen Antrag ein wenig zu weit führen würde.

Ansonsten freue ich mich, wie gesagt, auch auf spannende Ausschussberatungen.