Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

Die Linksfraktion verlangte von der Bundesregierung wegen der drohenden massiven Belastungen der öffentlichen Haushalte und des zu befürchtenden Sozialabbaus eine Garantieerklärung für Löhne, Renten und Sozialleistungen.

Diese neuerlichen Maßnahmen für die Rettung der Gemeinschaftswährung Euro können den Staatshaushalt in der Bundesrepublik Deutschland immens belasten. Im Haftungsfall kämen auf die Bundesrepublik Ausgaben in Höhe von bis zu 211 Milliarden Euro zu. Zugleich würden mit dem StabMechG die wesentlichen Ursachen der Schuldenkrise im Euro-Raum - die fehlende Regulierung der Finanzmärkte und die sehr teure Bankenrettung - nicht beseitigt. Die Demokratie wiederum droht nach Einschätzung von Beobachtern schweren Schaden zu nehmen.

Nach Expertenmeinung stellt sich folgerichtig die Frage: Wer bezahlt die Zeche des neuen Bankenrettungsschirms? - Zwei Rettungswege stehen zur Auswahl: Entweder refinanziert sich der Staat durch Aufnahme neuer Schulden oder durch Umverteilung. Laut Angaben der Deutschen Bundesbank sind die Schulden der öffentlichen Hand in Deutschland innerhalb des Zeitraumes 1999 bis 2011 von 1 200 Milliarden Euro auf ca. 2 000 Milliarden Euro angewachsen. Der Schuldenzuwachs beträgt rund 800 Milliarden Euro. Im selben Zeitraum ist das private Geldvermögen von 3 400 Milliarden Euro auf nahezu 5 000 Milliarden Euro, also um rund 1 600 Milliarden Euro, gestiegen. Das bedeutet, dass das Privatvermögen in Deutschland, von dem das oberste Drittel der Bevölkerung nach Angaben der Bundesbank ca. 90 % besitzt, doppelt so schnell wie die öffentliche Verschuldung gewachsen ist.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie beziffert sie im Haftungsfall die möglichen finanziellen Auswirkungen des am 29. September 2011 beschlossenen neuen Bankenrettungsschirms auf das Land Niedersachsen sowie die Kommunen zwischen Nordsee und Harz?

2. Wird sie und, wenn ja, in welchem Umfang mit Inkrafttreten des neuen Bankenrettungsschirms Vorsorge im Landeshaushalt für einen möglichen Haftungsfall treffen?

3. Welche Positionen vertritt die Landesregierung gegenüber der Bundesebene zur Wiedererhebung einer reformierten Vermögensteuer als Millionärssteuer, zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer, zur Anhebung des Steuersatzes bei der Körperschaftsteuer von 15 % wieder auf 25 % sowie zur Umwandlung der Erbschaftsteuer in eine Großerbensteuer?

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile jetzt Herrn Minister Möllring das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf festhalten: Deutschland hat einen grundlegenden Beitrag zur zukünftigen Stabilisierung des Eurowährungssystems geleistet. Dies ist ein klares Signal an alle unsere europäischen Partner, die internationalen Kapitalmärkte und zugleich an wichtige Handelspartner. Deutschland steht zur Stabilität des Euro. Man kann auch sagen: Deutschland steht für die Stabilität des Euro. Deutschland verteidigt zentrale Errungenschaften der europäischen Einigung. Deutschland ist bereit, Solidarität auch mit anderen Mitgliedstaaten der EU zu üben, die unter Staatsschuldenkrisen leiden.

Wir machen das nicht aus reinem Altruismus. Die Vorteile für uns Deutsche liegen auf der Hand. Zu Recht haben Altkanzler und Elder Statesmen in Deutschland auf die Wechselwirkungen von Eurostabilität und europäischem Zusammenhalt hingewiesen. Die EU hat eine beispiellose Phase der Verfestigung und Vertiefung der Integration durch den Maastrichter Vertrag 1992, die Euroeinführung 1999, die Erweiterung um insgesamt zwölf mittel- und osteuropäische Staaten 2004 und 2007 sowie das Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages am 1. Dezember 2009 hinter sich. Dieses Integrationsprogramm würde um Jahre - Herr Steinbrück hat im Bundestag gar von zwei Jahrzehnten gesprochen - zurückgeworfen.

Wenn das Eurowährungssystem scheitert, kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die D-Mark wieder einführen. Manche Wirtschaftsprofessoren haben ja den einfachen Rat parat: Lasst Griechenland die Drachme wieder einführen, dann wird sich über Schuldenschnitt, Abwertung und Herstellung einer neuen Wettbewerbsfähigkeit das griechische Problem einfach

lösen lassen. - Dass das Blödsinn ist, ist bekannt. Wir wissen von der Stadtsparkasse München, dass sie bereits mit dem auf Griechisch geschriebenen Text „Wir sprechen Griechisch“ wirbt, weil Leute, die ihr Geld in Griechenland in Euro angelegt haben, dieses jetzt in Deutschland anlegen. Auch in Griechenland denkt niemand ernsthaft daran, zur Drachme zurückzukehren.

Wenn man die eingehenden Untersuchungen von IWF, EU und OECD, insbesondere zur Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands, verfolgt, dann wird deutlich, dass die Ursachen tiefer liegen und einen mehrdimensionalen Förder- und Entwicklungsansatz erfordern. Ein Marshallplan für Griechenland ist natürlich schnell gefordert. Es geht insoweit aber eben nicht nur um die Bereitstellung von Finanzmitteln, sondern vor allem um ein in sich stimmiges Gesamtkonzept. Die Bundesregierung wird ein solches - der Besuch von unserem Bundeswirtschaftsminister Rösler in Griechenland letzte Woche hat das uns allen gezeigt - tatkräftig unterstützen.

Deshalb will ich hier unterstreichen: Wenn wir die Verteidigung des Eurowährungssystems aufgeben, ist ein Kernbaustein der EU-Architektur gefährdet. Es geht um das weitere geordnete Funktionieren des Binnenmarktes. Es geht um die Sicherung von Wachstum. Es geht um das europäische Sozialmodell. Eine EU ohne einen leistungsfähigen Euro kann nicht mehr diejenigen Wohlstandseffekte erzeugen, die wir alle brauchen. Davon hängen wir alle ab.

(Zustimmung von Hans-Jürgen Klein [GRÜNE])

Es geht, meine Damen und Herren, auch um nicht weniger als darum, den Frieden in Europa zu erhalten. Noch nie in der europäischen Geschichte hat es über 60 Jahre keinen Krieg gegeben. Auch dies ist ein Grund, für unser gemeinsames Europa und die gemeinsame Währung einzutreten.

Ich wehre mich auch dagegen, Deutschland wegen seiner Exportstärke an den Pranger zu stellen. - Jetzt ist Herr Hagenah leider nicht da. - Bundesfinanzminister Schäuble hat das in der Plenardebatte des Bundestages zum EFSF am 28. September 2011 wie folgt formuliert:

„Die Eurozone als Ganzes hat ein Gleichgewicht nur deswegen, weil Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss hat. Sonst wäre der Euro eine Defizitwährung. Gott sei Dank

hat Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss, mit dem wir Europa insgesamt stabilisieren können.“

Herr Hagenah hat hier gestern genau das Gegenteil behauptet. Er hat nämlich gesagt, weil wir einen Überschuss erwirtschaften und es den Armen so schlecht geht, wäre die Krise überhaupt erst entstanden. Nein, es ist umgekehrt.

(Zuruf von Kreszentia Flauger [LIN- KE]: Das ist falsch!)

- Das ist völlig falsch. Die Zahlen sagen es gleich. Denn wenn Sie in der Handelsbilanz ein Defizit haben, wird die Währung schwach. Wenn Sie einen Überschuss haben, ist die Währung stark. Und wir sind doch alle an einem starken und gesunden Euro interessiert. Deshalb war es falsch, was Herr Hagenah gesagt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich sage allerdings ausdrücklich dazu: Diesmal hat er es sicherlich nicht absichtlich falsch gesagt.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Herr Möll- ring, so einfach ist die Welt nicht!)

- Das sage ich Herrn Hagenah ja immer.

(Jens Nacke [CDU]: Er hat es nur nicht besser gewusst!)

Ich darf in diesem Zusammenhang einige Zahlen aus den Jahren 2010 und 2011 anführen. Das Gesamtexportvolumen hat im ersten Halbjahr 2011 525 Milliarden Euro und im Vergleichshalbjahr 2010 458 Milliarden Euro betragen. Das ist immerhin ein Zuwachs um knapp 50 Milliarden Euro oder - in Prozenten ausgedrückt - um knapp 15 %.

Das Gesamteinfuhrvolumen im ersten Halbjahr 2011 betrug 446 Milliarden Euro, das Gesamteinfuhrvolumen im ersten Halbjahr 2010 383 Milliarden Euro. Das heißt, die Importe sind um insgesamt gut 60 Milliarden Euro oder um gut 16 % gestiegen.

Zwar ist in einem Vergleich zwischen 1995 und 2008 der Anteil der deutschen Ausfuhren in den EU-Raum um knapp 1 % und in den Euroraum um etwa 4 % zurückgegangen. Dies liegt aber ausschließlich am starken Wachstum unseres Außenhandels mit den BRIC-Staaten - also mit Brasilien, Russland, Indien und China - und der Türkei. Der Anteil der Ausfuhren in die EU 27 bzw. in den Euroraum steigt im absoluten Volumen nach wie vor an und macht mit ca. zwei Dritteln der Ausfuhren das Rückgrat der deutschen Exporte aus.

Der einheitliche Euroraum bietet der deutschen Wirtschaft viele Vorteile: Erstens keine Währungsschwankungen mit wichtigen Handelspartnern; zweitens keine Notwendigkeit von Kurssicherungsgeschäften; drittens Währungssicherheit für Direktinvestitionen und die insoweit zugrunde liegenden Rentabilitätsrechnungen; viertens niedrige Zinsen im Euroraum und fünftens eine vielfältige und geordnete Bankenlandschaft und ein entsprechend großes Angebot an Bankdienstleistungen. Gerade die letzten beiden Punkte haben uns mit Stabilität durch die Krise kommen lassen. Die niedrigen Zinsen kommen auch unserem Landeshaushalt zugute. Wir haben gerade wieder eine Schatzanweisung über 1 Milliarde Euro mit 2,5 % für sieben Jahre fest im Markt. Das sind an sich sittenwidrige Zinsen. Die geordnete Bankenlandschaft hat uns gerade in Deutschland und in Europa stabilisiert, sodass wir durch die letzte Krise besser durchgekommen sind als andere Staaten.

Alle diese Vorteile lassen sich auch in Zukunft zu unser aller Vorteil einsetzen, wenn die Stabilität des Euroraums insgesamt gewährleistet wird. Es geht eben nicht nur um die Rettung eines Euromitglieds wie z. B Griechenland. Es geht auch nicht darum, dieser oder jener Bank unter die Arme zu greifen, die sich in der Vergangenheit vielleicht übermäßig in Griechenland, Portugal oder Irland engagiert hat. Entscheidend ist die Stabilität des Gesamtsystems, und dazu leistet der vorletzte Woche in Deutschland angenommene erweiterte Stabilitätsmechanismus im Rahmen des Rettungsschirms - kurz EFSF genannt - einen entscheidenden Beitrag.

Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Defizitkriterien wird in Zukunft stärker kontrolliert und sanktioniert. Die Mitgliedstaaten werden ihre jeweiligen nationalen Haushalts- und Finanzpolitiken schneller, intensiver und auf die europäischen Zielvorgaben ausgerichteter koordinieren.

Innerstaatlich wird es eine deutliche Verbesserung der Instrumente zur Einhaltung von Haushaltsdisziplin geben. Ich nenne nur das Stichwort Schuldenbremse. Deutschland und Spanien haben hier bereits das nationale Recht geändert. Andere werden folgen. In Niedersachsen diskutieren wir es gerade.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen im Namen der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 29. September 2011, den von der

Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung zu stellenden Gewährleistungsrahmen für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität - kurz EFSF genannt - auf 211 Milliarden Euro zu erhöhen, hat keine Auswirkungen auf das Land Niedersachsen. Es handelt sich um eine Gewährleistung des Bundes. Selbst der Bund erwartet keine unmittelbaren Ausgaben. Ich zitiere hierzu aus der Bundestagsdrucksache 17/6916 Ziffer D - Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand -:

„Es entstehen keine unmittelbaren Ausgaben. Die mittelbaren finanziellen Auswirkungen sind nicht bezifferbar.“

Zu Frage 2: Da die Landesregierung die Einschätzung des Deutschen Bundestages teilt und keine unmittelbaren finanziellen Auswirkungen aus den Gewährleistungen entstehen, besteht für die Landesregierung kein Anlass, dem Haushaltsgesetzgeber Vorschläge für etwaige Vorsorgemaßnahmen zu machen.

Zu Frage 3: Die Landesregierung lehnt die Wiedereinführung der Vermögensteuer ab. Die Vermögensteuer ist eine Substanzbesteuerung. Die Landesregierung hält - außer im Fall der Erbschaftsteuer - Substanzbesteuerung für ein Wirtschaftshemmnis und daher für kontraproduktiv. Viele mittelständische Unternehmen würden durch die Wiederbelebung der Vermögensteuer belastet werden, und es bestünde die Gefahr der Verlagerung von Betrieben und Kapital ins Ausland. Das haben wir ja vorhin gerade diskutiert. Die Wiedereinführung sowie die Erhöhung von Steuern können langfristig einen konsequenten Sparkurs nicht ersetzen.

Zurzeit laufen zu dem Thema Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene Gespräche. Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem vorgelegt. Danach sollen bereits ab 2014 alle Finanztransaktionen mit Finanzinstrumenten, an denen mindestens ein Handelspartner mit Sitz in der EU beteiligt ist, einer Besteuerung unterzogen werden. Hier muss erreicht werden, dass eine globale Einführung der Finanztransaktionssteuer erfolgt. Dazu gibt es im Moment allerdings noch den Widerstand der USA. Das heißt, die Diskussion beginnt gerade erst.

Die Landesregierung lehnt eine Anhebung des Körperschaftsteuersatzes von derzeit 15 % auf 25 % ab. Wir müssen fairerweise dazu sagen, dass das nicht der Abschluss der Besteuerung ist;

denn es kommt die jeweilige Gewerbesteuer obendrauf. Eine Körperschaft geht also nicht mit einer Besteuerung ihres Ertrages von 15 % nach Hause, sondern es kommt noch die Gewerbesteuer dazu.

Gerade die umsichtige Reform der Körperschaftsteuer - mit dem Ziel, Rechtsformneutralität zu erreichen und so Unterschiede zwischen Personengesellschaften und Körperschaften zu beseitigen - hat sich als erfolgreich erwiesen. Sie war dringend notwendig, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die weitgehende Rechtsformneutralität der Besteuerung hält Unternehmen und damit Arbeitsplätze in Deutschland. Hierdurch werden das wirtschaftliche Wachstum und die Stärkung der Konjunktur nachhaltig und erfolgreich gefördert. Die öffentlichen Haushalte werden durch steigendes Steueraufkommen gestützt. Es bedarf keiner Erhöhung der Steuern. Ausschlaggebend ist eine gerechte und transparente Steuersystematik.

Die Erbschaftsteuer ist erst zum 1. Januar 2009 grundlegend reformiert worden. Der Schwerpunkt dieser Reform lag zu Recht auf der verfassungskonformen Ausgestaltung - das ist eine Selbstverständlichkeit -, nicht auf einer Steuererhöhung. Die Landesregierung hat Steuererhöhungen im Rahmen dieser Reform deshalb abgelehnt. Sie hat sich am Aufkommen der Erbschaftsteuer in den Vorjahren orientiert, das sich im Schnitt auf rund 4 Milliarden Euro bundesweit belief. Daran hält die Landesregierung fest.

Mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz wurde aber nicht nur das Erbschaftsteuer- und Bewertungsrecht reformiert. Mit der Reform konnte zusätzlich auch die Erleichterung der Unternehmensnachfolge umgesetzt werden. Die Erleichterung der Unternehmensnachfolge ist ein besonderes Anliegen der Niedersächsischen Landesregierung. Es wird als zwingend erforderlich angesehen, Liquidität in den Unternehmen zu lassen und diese nicht durch die Erbschaftsteuer abzuziehen. Damit wird Sicherheit für die Fortführung der Unternehmen und den Erhalt der Arbeitsplätze erreicht. Dies ist aktuell - genauso wie früher und auch in Zukunft - besonders wichtig.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir kommen jetzt zu den Zusatzfragen. Dazu vorweg folgende Bemerkung: Das Präsidium wird es nicht akzeptieren, wenn sozusagen als Ouvertüre die bekannte Formulierung „vor dem Hintergrund“ in Serie eingesetzt wird.