Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Es setzt bundesweit Maßstäbe, meine Damen und Herren, das hören wir, wenn wir uns mit Bildungspolitikern anderer Länder unterhalten.

(Beifall bei der CDU)

Mit diesem Gesetz wird gelten: Gemeinsamer Unterricht kann eben nicht mehr wie bisher mit dem Hinweis auf fehlende personelle und sachliche Gegebenheiten verhindert werden. Inklusiver Unterricht kann nicht mehr durch Entscheidungen von Schulvorständen oder Schulträgern verhindert werden. Er findet grundsätzlich statt, meine Damen und Herren!

Das liegt an dem umfassenden Ansatz des neuen Gesetzes. Wer hier sagt, er könne sich andere Dinge, die noch weitgehender sind, vorstellen, der will den Sinn dieses Gesetzes einfach nicht begreifen, und das ist schade.

Ich will auf einen dritten Punkt eingehen, auf den auch schon der Kollege Försterling eingegangen ist. Wir schaffen ein grundsätzliches Elternwahlrecht, auf welche Schule die Eltern ihr Kind schicken wollen. Das bedeutet auch, dass ein differenziertes Förderschulsystem in Niedersachsen bestehen bleiben muss. Wer wie die Grünen - zumindest in Teilen - Förderschulen abschaffen will, der beschneidet das Wahlrecht der Eltern und beschneidet den Kindern mit Behinderungen die Chance auf bestmögliche Förderung, meine Damen und Herren; denn das kann auch die Förderschule sein. Das muss man doch einfach akzeptieren.

Eltern haben nach unserem Gesetz das Recht, dass ihr Kind eine Regelschule besucht, sie haben aber nicht die Pflicht, es dort anzumelden. Wir wol

len hier nicht zwangsbeglücken, sondern eine echte Wahlfreiheit für die Eltern garantieren.

Jetzt möchte ich zu dem Vorwurf der SPD kommen, unser Gesetzentwurf hebele den Elternwillen aus. Die SPD hat in einer Pressemitteilung formuliert:

„Mit der Möglichkeit, … ein Kind zwangsweise an eine Förderschule zu überweisen, bleibt der Elternwille ausgehebelt.“

Das sei höchst unmoralisch, heißt es dort weiter.

Ich erkläre Ihnen dazu Folgendes - lesen Sie es im Gesetzentwurf nach -: Der Elternwille ist das wichtigste Entscheidungskriterium zur Förderung der behinderten Kinder; er ist sozusagen der Leitgedanke des Gesetzes. Aber es muss wie in vielen anderen Bereichen - z. B. im Familienrecht - immer auch das Kindeswohl gelten. Ist das Kindeswohl gefährdet, muss der Staat zum Wohle des Kindes eingreifen. Es gilt auch, das Recht und die Ansprüche der anderen, nicht behinderten Kinder auf ordnungsgemäßen Unterricht zu garantieren. Auch das muss berücksichtigt werden.

Meine Damen und Herren, ich habe mich einmal sehr ausführlich mit sozial und emotional zu fördernden Kindern an einer Förderschule befasst. Ich zitiere aus einem Bericht über einen besonderen Vorfall:

„Frank weigert sich sehr häufig, am Unterricht teilzunehmen, rennt weg aus der Schule, bleibt für mehrere Stunden verschwunden und ist nicht mehr ansprechbar. Mit anderen Kindern hat er ständig Konflikte, die er verbal oder häufig körperlich austrägt. Ihm ist es egal, ob er körperlich unterlegen ist. Frank steuert sich überhaupt nicht mehr. Er wirft z. B. die ganze Pause über mit Steinen auf andere Schüler. Mittlerweile verprügelt er jede Pause und auch schon vor und nach dem Unterricht Kinder der dritten und vierten Klasse. Diese Kinder müssen mittlerweile vor Frank geschützt werden und verbringen ihre Pause in ihrem Klassenraum.“

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Das ist sehr ernst.

„Frank bedroht andere Schüler im Moment mit den Worten ‚ich bringe

dich um’. Es ist mit zwei Erwachsenen nicht möglich, Frank in einen Auszeitraum zu bringen, um andere Kinder vor ihm zu schützen. Sobald sich ein Erwachsener in der Konfliktsituation nähert, rennt er weg und ist zum Teil zwei oder drei Stunden verschwunden. Meistens bleibt die Suche nach ihm erfolglos.“

Meine Damen und Herren, ich habe 20 solcher Berichte gesammelt. Ich stelle sie Ihnen gerne zur Verfügung. Zugegeben, das ist ein drastisches Beispiel. Aber das ist der schulische Alltag in jener Schule. Früher hießen diese Schulen übrigens „Förderschulen für Verhaltensgestörte“, damit wir wissen, worüber wir reden.

Was passiert eigentlich - das frage ich Sie, Frau Heiligenstadt, allen Ernstes; wir werden ja darüber reden -, wenn die Eltern dieses Kind auf eine Oberschule, auf ein Gymnasium oder eine Gesamtschule schicken? - Wenn es nach der SPD geht, ist der Elternwille nicht mehr korrigierbar. Meine Damen und Herren, ich beantworte Ihnen die Frage, was passiert: Einen geordneten Unterricht wird es dann nicht mehr geben. Niemand kann ausschließen, dass andere Kinder zu Opfern werden.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann über- nimmt den Vorsitz)

Das ist die Realität, die heute an diesen Schulen festzustellen ist. Deshalb kann man nicht von einem umfassenden Elternwillen sprechen. Ich sage: Hier muss die Fürsorge des Staates greifen. Hat der Staat nicht die Möglichkeit, zum Wohle des Kindes korrigierend einzugreifen, wird nicht nur die Entwicklung dieses behinderten Kindes nachhaltig gestört, sondern es wird auch die Entwicklung der anderen Kinder in dieser Schule ganz nachhaltig gestört bzw. ganz massiv bedroht. Am Ende wird der gesamte Inklusionsprozess aufgrund der Tatsache, dass nicht nach dem richtigen Förderort gesucht wird, gefährdet.

(Ulrich Watermann [SPD]: Er hat es nicht verstanden!)

Zu den Vorschlägen der Grünen kann ich sagen: Sie schaffen die Förderschule mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung ab. Das heißt, bei Ihnen sind alle Kinder, die sich so verhalten wie Frank, automatisch in der Grundschule und werden dort beschult. - Ich sage Ihnen: Dies kann

auf keinen Fall akzeptiert werden, weil es zulasten der Kinder und des gesamten Prozesses geht.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, unser Gesetz will den uneingeschränkten Zugang zu allen Schulen, und zwar mit dem Schulwahlrecht der Eltern, mit der parallelen Beschulung im Regelschulsystem oder im Förderschulsystem und mit dem Anspruch auf den besten Förderort, orientiert am Kindeswohl. Wir haben unseren Gesetzentwurf vorhin vorgestellt, mit dem wir der Verantwortung nachgekommen sind, die sich aus der UN-Konvention ergibt. Es liegen auch noch die Gesetzentwürfe der Grünen und der SPD vor.

Ich weise Sie darauf hin - Sie werden es aber auch wissen -, dass die Kultusministerkonferenz erst am 15. September 2011 - also vor erst sieben oder acht Wochen - ein Positionspapier verabschiedet hat. Darin heißt es, dass sich alle Bundesländer gemeinsam - egal, wer dort regiert - auf die Grundlagen geeinigt haben, die wir in unserem Gesetzentwurf dargestellt haben.

Unser Gesetzentwurf nimmt fast all das auf, was dort gemeinsam auf den Weg gebracht worden ist. Wir sollten beim Umgang mit diesem sensiblen Thema, bei dem es um die Interessen und Bedürfnisse behinderter Kinder und ihrer Eltern geht, alle parteipolitischen Überlegungen hintanstellen, wie es die KMK getan hat. Wir sollten hier eine Vorbildfunktion übernehmen, meine Damen und Herren. Wir haben hier die ganz große Chance, aber auch die Verpflichtung, ein Zeichen in die Gesellschaft zu setzen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, uns liegen vier Wünsche auf Kurzinterventionen vor. In der Reihenfolge: Frau Korter, Frau Flauger, Frau Heiligenstadt und Herr Försterling. - Zunächst Frau Korter.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Klare, das, was Sie gerade ausgeführt haben, zeigt genau, wie Sie Inklusion verstehen. Sie gehen nicht von der Frage aus, wie Inklusion in Niedersachsen gelingen kann, sondern Sie stützen sich auf Extremfälle, um zu zeigen, wie sie nicht gelingen kann. Das ist genau das Problem.

Sie haben hier Ihre Vorstellungen von Ordnungsmaßnahmen - § 61 Ihres Gesetzentwurfs - referiert und davon gesprochen, dass Sie Kinder im Interesse der Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Schulbetriebes abschulen wollen. Der Ehrlichkeit halber muss ich darauf hinweisen, dass Sie, Herr Kollege Klare, vergessen haben, zu sagen, dass alle anderen Kinder, die im Zuge einer Ordnungsmaßnahme an eine andere Schule verwiesen werden, an eine Schule der gleichen Schulform überwiesen werden. Nur Kinder mit Unterstützungsbedarf wollen Sie plötzlich auf eine Förderschule abschulen. Diese Absicht widerspricht der UN-Konvention. Seien Sie ehrlich und sagen Sie: Wir wollen die Kinder mit Förderbedarf weiterhin anders behandeln als alle anderen Kinder. - Wir Grüne jedenfalls werden das nicht mitmachen.

Sie haben gekonnt abgelenkt und nichts zu der Frage gesagt, wie die inklusive Schule bei Ihnen ausgestattet werden soll. Das würde ich gern einmal wissen.

(Jens Nacke [CDU]: Das ist ziemlich egal, Frau Korter!)

Bis jetzt wissen wir nur: zwei Stunden pro Klasse wie bei der sonderpädagogischen Grundversorgung. Sagen Sie mir bitte einmal, wie Ihre inklusiven Schulen in der Sekundarstufe ausgestattet werden sollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die nächste Kurzintervention kommt von Frau Flauger. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es unverantwortlich, was hier aus den Reihen der FDP und der CDU zu diesem Thema gesagt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Klare hat gerade gesagt, dass es sich um ein sensibles Thema handele und dass es auch darum gehe, Zeichen in die Gesellschaft zu setzen. Das finde ich völlig richtig. Die Zeichen, die Sie hier in eine Gesellschaft geben, die in der breiten Masse noch lange nicht so weit ist, eine gemeinsame Beschulung als völlig selbstverständlich anzusehen, halte ich aber für eine Katastrophe. Das habe ich von Herrn Försterling nach einer öffentlichen Veranstaltung heute zum zweiten Mal und eben auch noch einmal von Herrn Klare gehört. Sie greifen

Extrembeispiele heraus und ziehen diese als Begründung dafür heran, dass Sie eigentlich keine wirkliche Inklusion betreiben wollen.

(Widerspruch bei der CDU)

Es ist doch völlig klar: Wenn Sie hier Einzelfälle heranziehen und ein Bild von randalierenden, prügelnden und schlagenden Schülerinnen und Schülern zeichnen, dann erhöhen Sie überhaupt nicht die Akzeptanz dafür, dass Kinder mit und ohne Behinderungen an der gleichen Schule unterrichtet werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD - Editha Lorberg [CDU]: Das stimmt doch nicht!)

Völlig klar ist allerdings auch, dass schulische Inklusion nicht gelingen kann, wenn man sie als Sparmodell ansieht und Förderschulen und normale Schulen einfach zusammenlegt und sagt: Wir ändern an den Bedingungen nichts. - Selbstverständlich müssen Sie für solche Schulen auch ein anderes zahlenmäßiges Schüler-Lehrer-Verhältnis schaffen und die Klassen verkleinern. Das alles aber wollen Sie nicht. Sie wollen das nur irgendwie formal erledigen.

(Björn Thümler [CDU]: Haben Sie den Gesetzentwurf gelesen oder nicht? Lesen Sie doch einmal, was in ihm steht! Es ist doch peinlich, was Sie hier vortragen! Das ist doch Unfug sondergleichen!)

Sie wollen nicht im Sinne der UN-Konvention handeln. Ich finde, das ist eine Schande.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, es gibt noch weitere Kurzinterventionen. Zunächst Frau Heiligenstadt!