Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Klare hat - auch in der Anhörung zum Gesetzentwurf der Grünen - schon immer so argumentiert und mit Extrembeispielen versucht, den guten Ansatz der Inklusion, die im Übrigen auch eine gesellschaftspolitische und nicht nur eine bildungspolitische Aufgabe ist, einfach zu diskreditieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Das ist unverantwortlich, Herr Klare, und zwar vor allem deshalb, weil Ihr Beispiel einen Haken hat. Sie haben hier beispielhaft ein Kind aus einer Förderschule, nicht aber aus einer Regelschule erwähnt. Genau dorthin dürften Sie dieses Kind dann nicht mehr abschulen. Insofern haben Sie hier nicht richtig argumentiert.

Eines muss ich aber ganz deutlich sagen: Wir alle wissen, dass es Kinder gibt, die problematisch sind und bei denen Sanktionen entsprechend den Regelungen des Schulgesetzes angebracht sind. Gar keine Frage! Das gilt für behinderte jedoch genauso wie für nicht behinderte Kinder. Die Inklusion fordert in diesem Fall eine Gleichbehandlung. Natürlich müssen behinderte Kinder mit Blick auf Sanktionen genauso behandelt werden wie nicht behinderte Kinder. Das wäre tatsächlich realisierte Inklusion, nicht aber die besondere Behandlung und Bestrafung von Kindern mit Behinderungen.

(Zustimmung bei der SPD)

Deshalb sage ich ganz deutlich: Bei Ihnen ist erkennbar, Inklusion ist nicht nur eine schulgesetzliche Maßnahme, Inklusion ist nicht nur eine gesellschaftspolitische Aufgabe, - - -

Frau Heiligenstadt, letzter Satz!

- - - sondern Inklusion ist vor allen Dingen eine Haltung, Herr Klare. Und die fehlt bei Ihnen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die nächste Kurzintervention auf Herrn Klare kommt jetzt von Herrn Försterling. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in dem Wortbeitrag von Herrn Klare sehr wohl das Bekenntnis zur Inklusion erkannt.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Ja, Lip- penbekenntnis! - Gegenruf von Björn Thümler [CDU]: Unerhört!)

Ich muss deutlich sagen, dass das Beispiel von Herrn Klare sehr gut in die Diskussion passt. Ich habe Herrn Klare so verstanden, dass die in unse

rem Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen darauf abzielen, für solche Einzelfälle Lösungsmöglichkeiten zu haben. Darum geht es.

Sie unterstellen Herrn Klare und den Fraktionen von CDU und FDP nun aber, dass Sie hier eine Pauschalmöglichkeit schaffen möchten, um Inklusion zu verhindern. Dies möchte ich noch einmal deutlich zurückweisen.

Wir wollen Inklusion. Wir wollen aber auch Lösungsmöglichkeiten für solche Beispiele, die Herr Klare eben genannt hat. Deswegen ist der Gesetzentwurf so verfasst worden, und deswegen ist der Gesetzentwurf auch richtig. Wir lassen uns von Ihnen nicht pauschal unterstellen, dass wir Inklusion ablehnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, jetzt gibt es die spannende Frage, ob Herr Klare erwidern möchte. - Er möchte. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe vorhin ausgeführt, dass dieser Gesetzentwurf das Weitestgehende ist, was es in Niedersachsen zur Inklusion jemals gegeben hat,

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

und dass das bundesweit Maßstäbe setzt. Das erste Mal haben wir 1993 über Integration gesprochen. Das war der Gesetzentwurf der ersten Schröder-Regierung. Da gab es sehr viele Einschränkungen, die übrigens von allen nachfolgenden Landesregierungen übernommen worden sind - Einschränkungen, die da heißen: wenn sächliche und personelle Voraussetzungen fehlen. - Diese Einschränkungen sind herausgenommen worden, d. h. es ist jetzt umfassend, und es findet statt.

Meine Damen und Herren, ich spreche nicht von Abschulung. Ich habe noch nie von Abschulung gesprochen, weil das ein Begriff ist, der in die pädagogische Wortwahl überhaupt nicht hineingehört.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ina Korter [GRÜNE]: Es ist aber so!)

Sie, Frau Korter, brauchen den Begriff nur, damit Sie Ihre ideologischen Vorstellungen hier darstellen können.

(Zuruf von Ina Korter [GRÜNE])

Wenn ich nur im Kopf habe, Sonderschulen abzuschaffen, dann muss ich natürlich mit einer solchen Wortwahl arbeiten. Versuchen Sie es doch einmal pädagogisch und nicht ideologisch, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es geht nicht um abschulen. Es geht um die Suche nach dem besten Förderort. Der Fall, den ich hier gerade dargestellt habe, ist übrigens kein Einzelfall. Ich habe mir diese Dinge packenweise angeguckt. Darunter sind viel extremere Beispiele.

(Ina Korter [GRÜNE]: Ich habe in einer solchen Schule gearbeitet!)

- Ja, Sie haben an einer solchen Schule unterrichtet. Dann müssten Sie, Frau Korter, es ja auch wissen und dürften hier nicht so tun, als wenn Sie davon keine Ahnung hätten. Sie wissen, was los ist.

Herr Klare, letzter Satz bitte!

Ich suche den besten Förderort. Wer nicht mehr das Ziel hat, dass auch eine Förderschule der beste Förderort ist - eine Schule, die sich über Jahre besonders bewährt hat; sie muss als Förderort natürlich angenommen und ausgesucht werden können -, hat anderes im Kopf als das Beste für die Kinder.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Dr. Althusmann um das Wort gebeten. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, entgegen meiner bisherigen Praxis in der ersten Beratung zu einem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen Stellung zu nehmen, weil ich glaube, dass es sich hierbei um eines der wesentlichen bildungspolitischen Projekte handelt, die wir in dieser Legislaturperiode - ich denke, mit großem Erfolg für diese Landesregierung - noch umsetzen werden.

Meine Damen und Herren, die Grünen und die Linken - ich muss das ein bisschen differenzieren -

haben tatsächlich meine Erwartungen in dieser Diskussion erfüllt.

(Ina Korter [GRÜNE]: Das war ja nicht schwer! Sie wussten ja schon vorher, was kommt! - Kreszentia Flauger [LINKE]: Wir sind verlässlich!)

Sie haben sie sogar fast übertroffen. Frau Korter, Ihre Aussagen sind immer sehr verlässlich. Ich finde aber, Sie - vielleicht auch Sie persönlich - beginnen zusehends, sich mit Ihren Extrempositionen und Extremforderungen im Parlament zu isolieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Lachen bei den GRÜNEN)

Ich glaube, es liegt bei Ihnen ein ganz grundsätzliches Missverständnis zur Umsetzung der UNKonvention vor. Wenn Sie geblieben wären und den wirklich klugen und guten Vortrag von Professor Hillenbrand bei dem Schulleitungsverband vor Kurzem in Celle gehört hätten, dann hätten Sie eigentlich zu bestimmten Schlüssen, die Sie hier gezogen haben, heute nicht kommen dürfen; denn in Artikel 24 der UN-Konvention - ich verzichte jetzt darauf, ihn auf Englisch vorzulesen - steht letztendlich im Kern, dass die Staaten, die Parteien, die Länder aufgefordert sind, Inklusion und eine berechtigte, gleichberechtigte und barrierefreie Teilhabe von behinderten Menschen am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Es gibt einen wesentlichen Unterschied zu Ihrer Position. Sie sagen, es muss am besten heute, am besten schon gestern, und zwar sofort, für alle gelten.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Wir ha- ben extra von Übergangszeiträumen geredet!)

Die UN-Konvention gibt allen Ländern bewusst die Freiheit und Möglichkeit, auf den bestehenden guten Konzepten, die in den Ländern angewandt werden, aufzubauen und die Inklusion in den nächsten Jahren Schritt für Schritt umzusetzen. So macht man richtig Inklusion und nicht nach dem Motto: Wir machen das mal eben!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flauger?

Gerne.

Bitte, Frau Flauger!

Vielen Dank. - Herr Minister, Sie haben soeben gesagt, es würde von Linken und Grünen gefordert: sofort und auf der Stelle. Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass meine Kollegin Reichwaldt ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass diese Dinge natürlich nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können, sondern es dafür Übergangszeiträume braucht?

(Beifall bei der LINKEN)