(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Kreszentia Flauger [LINKE]: So krie- gen Sie Ihre Verantwortung nicht wegdiskutiert!)
Auf den Beitrag von Frau Jahns hat sich Frau Leuschner zu einer Kurzintervention gemeldet. Frau Leuschner, bitte schön!
Bei allem Beschwören des Rechtsstaates, Kollegin Jahns, gibt es doch Sachen, bei denen man erkannt hat, dass sie verbessert werden müssen. Es gibt doch nicht ein starres Recht; vielmehr müssen wir uns, wenn Missstände auftauchen, gemeinsam bemühen, diese Missstände zu beseitigen und die Verhältnisse im Sinne der hier lebenden Menschen zu verbessern.
Sie haben immer gesagt: Was ist denn richtig, gibt es Integration oder keine Integration? - Eine Integration auf gleicher Augenhöhe ist immer von den Rahmenbedingungen abhängig. Die Rahmenbedingungen sind bei den Menschen, die unter Kettenduldungen fallen, freundlich formuliert, nun einmal nicht so gut wie in anderen Bereichen. Da muss etwas verändert werden. Da müssen wir alle Anstrengungen unternehmen. Das ist abhängig von den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die da vorherrschen.
- Das ist ein bisschen zynisch. Ich mache Ihnen den Vorschlag: Gehen Sie einmal in die Länder. Gehen Sie einmal nach Syrien, gehen Sie in die Osttürkei, und schauen Sie sich dort ganz bestimmte Bedingungen an.
Ich freue mich auf die Reise in den Kosovo, um einmal die dortige Situation der Sinti und Roma vor Augen geführt zu bekommen.
Man kann nicht mit einer eurozentristischen Überheblichkeit im Grunde genommen ausschließen, dass andere Menschen aus ganz bestimmten Gründen ihr Land verlassen.
(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Angelika Jahns [CDU]: Deswegen haben wir 10 000 Menschen allein in Nieder- sachsen!)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Leuschner, ich fand es ganz wichtig, was Sie gerade dargestellt haben. Da darf man auch nicht falsche Hoffnungen erwecken. Unser Ausländerrecht ist genau so ausgerichtet, wie ich es vorhin in meinem ersten Beitrag gesagt habe. Das heißt, diejenigen, die von staatlicher Verfolgung besonders betroffen sind, müssen hier ein Aufenthaltsrecht bekommen.
Natürlich gibt es sehr schwierige wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte in ganz vielen Ländern. Aber wenn wir hier vielleicht auch nur einen Hauch von Hoffnung herstellen und sagen, für alle diejenigen, die sich aus diesen Beweggründen auf den Weg machen, sollen hier Möglichkeiten geschaffen werden, dann überfordern wir nicht nur unsere Gesellschaft, sondern das wird - da bin ich ganz sicher - dazu führen, dass sich gerade diejenigen auf den Weg machen, die überhaupt keine Chance haben. Dann entsteht so etwas, wie wir es vor Lampedusa und anderswo erleben. Da müssen wir sehr vorsichtig sein.
Dann komme ich auf den Kernpunkt: die Neuregelung des Bleiberechts auf Dauer. Wenn wir wirklich darüber diskutieren, müssen wir sehr vorsichtig sein; denn wenn wir das Zeichen aussenden, dass es ausreicht, dass jemand fünf oder sechs Jahre hier ist, dann wird es ganz schwierig. Dann haben wir genau die Bewegung, die Sie im Prinzip nicht wollen. Aber Sie ermöglichen sie damit.
Sie haben gesagt, dass es angesichts der Lebensverhältnisse, unter denen sie leben, natürlich schwierig ist. Aber das können wir weder in Europa
noch in Deutschland mit einem noch so humanitären Bleiberecht tatsächlich bewerkstelligen. Deshalb halte ich es für schlichtweg ganz schwierig, sich hier hinzustellen und zu sagen, dass wir all die Probleme, die wir in der Dritten Welt und in anderen Bereichen haben, lösen können.
Das ist etwas, was auch nicht ehrlich ist. Dafür mag man mich kritisieren. Aber ich sage Ihnen, die Fakten sind andere. Es geht nicht nur darum, dass unsere Gesellschaft es nicht akzeptiert, sondern wir können hier auch nicht alle Probleme der Welt lösen;
Vielmehr müssen wir eine Politik machen, mit der wir die Lebensverhältnisse in anderen Bereichen verbessern. Deshalb müssen wir, um es einmal auf die Ebene zu bringen, meiner Ansicht nach die Entwicklungshilfe noch sehr viel stärker in den Blick nehmen.
Ich fände es schwierig, wenn man sagen würde, dass wir mit dem Bleiberecht die Probleme anderer Staaten lösen könnten.
Dann will ich konkret etwas zu Syrien sagen; denn es hat mich wirklich geärgert, dass es hier so dargestellt worden ist, als hätte ich in dem Zusammenhang gesagt, die Syrer haben die Pässe weggeschmissen und können deswegen nicht rückgeführt werden. Mitnichten habe ich das gesagt. Es ärgert mich schon, wie das hier immer wieder verdreht wird, Frau Polat. Ich muss Ihnen sagen, da haben Sie ein tolles Talent. Das ist schon eine tolle Geschichte. Aber ich lasse mir das nicht mehr gefallen.
Bei den Syrern ist es so, dass sie teilweise schon seit vielen Jahren hier sind. Das bedeutet, dass sie durch die vielen Bleiberechtsregelungen längst hätten begünstigt sein können. Unter die letzte im Jahre 2009 - ich wiederhole: man muss sich bemühen, den Lebensunterhalt selber zu bestreiten - sind sie nicht gefallen. Trotzdem ist doch völlig klar, dass wir sie in der jetzigen Situation nicht zurückführen können. Deshalb können wir darüber nachdenken, ob wir für sechs Monate einen Abschiebestopp erlassen, wie es einzelne Bundesländer gemacht haben. Das hielte ich allerdings für
schwierig, weil es eigentlich sinnvoller wäre, dass wir eine einheitliche Regelung haben. Das würde nämlich dazu führen, dass wir nach sechs Monaten auf den Bund angewiesen wären, weil wir nach sechs Monaten gar keine Chance mehr haben. Deshalb ist mir eine einheitliche Lösung schon sehr viel lieber.
Aber es ist doch sinnvoll, zu gucken, wie die Entwicklung ist. Wir hoffen doch alle, dass diese dramatische Situation in Syrien nicht auf Dauer Bestand hat. Unsere Gemeinschaft insgesamt ist gefordert, dass wir hier eine Verbesserung hinbekommen. Ich will jetzt nicht zu weltpolitisch werden, aber dass man in dem Zusammenhang noch nicht einmal Resolutionen durchkriegt, ist schon etwas, bei dem ich sehr nachdenklich werde. Wir müssen alles daransetzen, dass wir in Syrien eine bessere Situation haben.
Herr Minister, ich muss Sie unterbrechen. - Frau Polat und Frau Ross-Luttmann, bitte! Es geht hier um die Ausführungen des Herrn Ministers, und Sie führen einen Dialog. Ich möchte ganz gern, dass Herr Minister für seine Ausführungen Aufmerksamkeit bekommt.
Es steht doch außer Frage, dass wir zunächst sicherstellen, dass nach Syrien nicht abgeschoben wird. Wenn sich die Situation verbessert, ist es durchaus sinnvoll, zu sehen: Können die einen oder anderen tatsächlich auch wieder in ihr Land zurückkehren? - Viele werden das vielleicht sogar wollen, weil es dort dann bessere Verhältnisse gibt. Wird das aber nicht der Fall sein, dann hat man über eine Sonderbleiberechtsregelung immer die Möglichkeit, staatenbezogen, wie wir es im Falle von Afghanistan gemacht haben, für diesen Personenkreis eine Bleiberechtsregelung in der Innenministerkonferenz zu beschließen.
Das ist eine ganz normale Regelung. Das ist eine Entscheidung im Hinblick auf die Verhältnisse in Syrien. Und deshalb lasse ich mir nicht gefallen, dass Sie, Frau Polat, mich in diesem Zusammenhang wieder falsch zitieren und wieder darstellen,
dass wir diese Sondersituation nicht im Blick haben. Es ist schlicht nicht zu ertragen, wie Sie hier agieren.
(Beifall bei der CDU Vizepräsident Hans-Werner Schwarz: Frau Polat hat erneut nach § 71 Abs. 3 zusätzliche Redezeit beantragt. Frau Polat, eine Minute. Bitte schön! Filiz Polat (GRÜNE):
Herr Präsident! Herr Minister Schünemann, ich wollte nur deutlich machen, dass hier in Deutschland über verschiedene Herkunftsländer jahrzehntelang eine falsche Lageberichterstattung stattfindet. Wir wissen von vielen Menschenrechtsorganisationen - das haben wir bei Einzelschicksalen, die abgeschoben wurden, auch immer wieder deutlich gemacht -, dass die Minderheiten in Syrien verfolgt werden. Das wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge regelmäßig nicht als politische Verfolgung anerkannt. Deshalb haben hier viele in einem Duldungszustand gelebt.
Sie haben von diesen Menschen erwartet, dass sie freiwillig in dieses Land ausreisen. Das gilt auch für viele Kosovaren; ich habe es gerade gesagt. Die Roma hatten einen faktischen Abschiebestopp bis Mitte 2000, das wissen Sie. Sie haben zwar immer wieder erklärt, sie könnten freiwillig ausreisen. Serbien, das faktisch noch zuständig war, hatte aber völkerrechtswidrig gesagt: Wir wollen diese Menschen hier nicht haben. - Und diesen Menschen werfen Sie vor, nicht freiwillig ausgereist zu sein!
Nun zum zweiten Punkt. Es ist nun einmal so: Wenn jemand in Duldung gelebt hat - Sie haben mit Ihrer Koalition einige Punkte korrigiert: Residenzpflicht, Vorrangprüfung -, war er faktisch am Arbeitsmarkt benachteiligt. Das können Sie nicht in einem halben Jahr korrigieren, tut mir leid.
man einen Arbeitsplatz nicht bekommt. Das ist also mitnichten der Fall. Aber trotzdem ist es richtig, dass wir in dem Zusammenhang auf der Bundesebene eine Verbesserung erzielen konnten.
Frau Polat, eines merke ich allerdings schon seit einiger Zeit: Sie stellen alle staatlichen Berichte immer dann infrage, wenn sie nicht in ihre politische Diskussion hineinpassen.
Dann werden die Berichte aus dem Innenministerium nicht akzeptiert, dann werden die Berichte aus dem Auswärtigen Amt nicht akzeptiert. Sie müssen sich einmal die Berichte aus dem Auswärtigen Amt anschauen. Das sind nicht nur Berichte der Botschaften, sondern in die Bewertung werden durchaus auch Stellungnahmen von den Menschenrechtsorganisationen und aus anderen Bereichen einbezogen. Das war unter Joschka Fischer so, das ist unter Westerwelle so, und das war unter anderen Außenministern ganz genauso.
Dass wir jetzt im Niedersächsischen Landtag darüber diskutieren wollen, ob die Berichte des Auswärtigen Amtes zu Syrien und zu anderen Ländern stimmen oder nicht, hat schon eine besondere Qualität, Frau Polat. Damit sollten Sie sich vielleicht woanders bewerben und dort Reden halten, aber nicht hier; denn das bringt uns überhaupt nicht weiter.