Protokoll der Sitzung vom 20.03.2012

sähe die Situation in der Betreuungslandschaft schon ganz anders aus, meine Damen, meine Herren.

(Zuruf von Clemens Große Macke [CDU])

Ich will es ein bisschen überspitzt ausdrücken - ich habe das auch schon in der Beratung gesagt -: Behördenbetreuer sind an dieser Stelle erst einmal nichts anderes als gesponserte Berufsbetreuer.

Da so viele, unendlich viele Fragen noch offen geblieben sind - sie sind auch in der Stellungnahme der Berufsbetreuer zu lesen, aber natürlich auch in den schriftlichen Stellungnahmen der Wohlfahrtsverbände, die ebenfalls große Kritik daran äußern -, sage ich hier ganz deutlich, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen werden, meine Damen, meine Herren.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Heister-Neumann das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrter Kollege Bosse, zwei Dinge möchte ich an dieser Stelle noch einmal klarstellen.

Der erste Punkt: Sie haben gesagt, 1992 wollte man weg von der überbordenden Behördenbetreuung hin zur Einzelfallbetreuung. Das ist richtig. Tatsache ist, dass mit der Bestellung des Landessozialamts zu einer Betreuungsbehörde natürlich nicht die Behörde als solche die Betreuung übernimmt, sondern deren Mitarbeiter nach Feststellung ihrer Geeignetheit durch die zuständigen Amtsgerichte. Das heißt: Wir haben auch hier eine Einzelfallbetreuung und nicht die Behördenbetreuung durch ein imaginäres voluminöses Behördentum.

Der zweite Punkt, der mir wirklich wichtig ist, weil gerade die Arbeit der Betreuerin und des Betreuers von einer besonderen Bedeutung und Verantwortung ist: Die Geeignetheit der Betreuerin oder des Betreuers wird festgestellt durch die örtlich zuständigen unabhängigen Gerichte und nicht durch irgendwelche anonymen Vertreter einer Behörde. Es erscheint mir doch sehr wichtig, das an dieser Stelle noch einmal zu sagen.

(Beifall bei der CDU)

Ich frage die SPD-Fraktion, ob sie antworten möchte. - Bitte, Herr Kollege Bosse!

Verehrte Kollegin Heister-Neumann, das ist richtig, was die Behörde anbelangt. Es ist auch richtig, was die Qualität anbelangt. Aber umso wichtiger ist es an dieser Stelle doch, dass die Qualität nicht leiden darf. Und wer legt denn die Kriterien fest? Wer legt denn die Regeln fest? Was sind denn die Kriterien, wann jemand geeignet ist und wann jemand ungeeignet ist? - Das Gericht muss ja auch irgendwelche Entscheidungsgrundlagen haben. Wo sind denn diese Entscheidungsspielräume? - Das Gericht legt es fest. Aber wo sind hier die Maßstäbe? - Auch das ist an dieser Stelle offen geblieben. Leider Gottes gibt es immer noch zu viele Fragezeichen.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Adler von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist von der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände kritisiert worden.

Es ist kritisiert worden, dass das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie neben den örtlichen Behörden jetzt als weitere Betreuungsbehörde zuständig sein soll. Das ist ein Akt der Zentralisierung und führt notwendigerweise zu Reibungsverlusten gegenüber den örtlichen Behörden.

Diese auf diese Weise aufgeblähte Behörde ist auch für die Anerkennung der Betreuungsvereine zuständig, obwohl die kommunalen Spitzenverbände uns zu Recht darauf hingewiesen haben, dass die Beurteilung der örtlichen Vereine durch die örtlichen Behörden eigentlich viel kompetenter vorgenommen werden kann als durch diese zentralisierte Behörde.

Das Wichtigste an der Kritik der kommunalen Spitzenverbände und auch an der Kritik der Verbände der Berufsbetreuer ist aber die Tatsache, dass Sie jetzt die sogenannten Behördenbetreuer einrichten wollen. Im Grunde ist das ein Mittelding zwischen den ehrenamtlichen Betreuern und den Berufsbe

treuern, sozusagen für die mittelschweren Fälle. Aber mit dieser weiteren Kategorie werden Sie auch zulasten der Berufsbetreuer deren Einkommen verringern; denn die Tätigkeit der Berufsbetreuer beruht natürlich - das ist wie bei Ärzten auch - immer auf einer Mischkalkulation von schwierigen und weniger schwierigen Fällen. Wenn es aber darauf hinausläuft, dass die mittelschweren Fälle von den Behördenbetreuern übernommen werden und die ganz schwierigen Fälle dann den Berufsbetreuern überlassen werden, geht es auf deren Kosten.

Und schließlich sollten Sie sich überlegen, was Sie eigentlich anrichten, wenn Sie ein Gesetz schaffen, das es ermöglicht, dass dienstunfähige oder eingeschränkt dienstfähige Beamtinnen und Beamte mit Betreuungsaufgaben betraut werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Heister-Neumann hat eben von einer anspruchsvollen Tätigkeit und von Einfühlungsvermögen geredet. Wenn das so ist, Frau HeisterNeumann, kann man doch die Schwächsten dieser Gesellschaft, die Hilfebedürftigen, nicht zum Anlass nehmen, hier eine Sparpolitik zu machen. Denn Sparpolitik ist es, nichts anderes! Das steht auch übrigens in dem Gesetzentwurf drin. Im Kapitel „Finanzielle Auswirkungen und voraussichtliche Kosten“ steht - und das ist wie ein Geständnis -, dass Sie durch die Einrichtung dieser sogenannten Behördenbetreuung mit dienstunfähigen Beamtinnen und Beamten 1,3 Millionen Euro im Jahr sparen wollen. Das ist eine Sparpolitik auf Kosten der Schwächsten. Und dafür sollten Sie sich schämen.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Herr Adler, das stimmt nun wirklich nicht!)

In der Begründung wurde auf das Osnabrücker Modell verwiesen; in Osnabrück hat das angeblich schon funktioniert. Wenn wir uns das Osnabrücker Modell näher ansehen, müssen wir aber feststellen, dass hier passgenaue Einzelfälle verwendet worden sind, worauf die kommunalen Spitzenverbände hingewiesen haben, und dass beim Osnabrücker Modell nur dienstfähige Beamtinnen und Beamten eingesetzt worden sind. Dieses Osnabrücker Modell beweist also überhaupt nichts.

Ich kann nur sagen: Lassen Sie das! Diejenigen, die Hilfe bedürfen, diejenigen, die Betreuung bedürfen, brauchen, wenn die Betreuung nicht ehrenamtlich erledigt werden kann, professionelle

Hilfe und keine Hilfe von zweitem Rang und von niedriger Qualität.

(Beifall bei der LINKEN - Heinz Rolfes [CDU]: Das gibt es doch gar nicht!)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Limburg das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lehnt nach langen internen Beratungen diesen Gesetzentwurf ab - aber ausdrücklich nicht aus ganz grundsätzlichen Erwägungen.

Zunächst einmal ist festzuhalten - das hat die Kollegin Heister-Neumann auch zutreffend dargestellt -: Natürlich ist die Möglichkeit der Behördenbetreuung im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich vorgesehen. Wer das ablehnt, müsste konsequenterweise eine Initiative zur Streichung der entsprechenden Vorschriften starten. Soweit mir ersichtlich ist, ist das aber von keiner Partei geplant.

Wir finden auch, dass das Ziel der Kosteneinsparung bzw. des Im-Griff-Haltens der Kosten durchaus legitim ist. Selbstverständlich müssen eine Landesregierung und auch Betreuungsbehörden die Kosten im Auge haben.

(Zustimmung von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Wir können nicht speziell im Betreuungsrecht argumentieren, es könne immer kosten, was es wolle.

Und schließlich teilen wir sogar im Grundsatz von der theoretischen Vorstellung her das Ziel, teildienstfähige Beamte noch sinnvoll einzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denn - das muss man ja sehen - wer z. B. nicht mehr in der Lage ist, vor der Klasse bzw. vor einer größeren Gruppe zu stehen, kann durchaus in der Lage sein, in einem Einzelfall Betreuung zu übernehmen. Das alles ist unstrittig.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE])

Nun aber zu den beiden entscheidenden Punkten, warum wir den Gesetzentwurf ablehnen:

Zum Ersten - darauf hat Herr Adler zu Recht hingewiesen - verweisen Sie zwar immer wieder auf das Osnabrücker Modell. Sie haben aber - das ist

im Ausschuss auch ausdrücklich klargestellt worden - im Osnabrücker Modell nur mit dienstfähigen Beamten gearbeitet. Es gibt überhaupt keine Erprobung mit teildienstfähigen oder dienstunfähigen Beamten. Das bedeutet: Sie packen hier etwas in ein Gesetz, quasi völlig ins Blaue hinein, in der Hoffnung, dass es irgendwie gut gehen wird, ohne dass Sie irgendwie beweisen können, dass es funktioniert.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zum Zweiten haben Sie im Ausschuss überhaupt keine ernsthafte Diskussion über die Frage geführt, was eigentlich ist, wenn Sie nicht auf freiwilliger Basis ausreichend Beamte dafür finden. Sie schaffen eine neue Überbehörde und sagen, Sie wollten es für die Beamtinnen und Beamten rein nach Freiwilligkeit machen, aber verschweigen der Öffentlichkeit, was denn passieren soll, wenn Sie dann zwar eine Behörde haben, also eine Hülle, aber nicht genug Freiwillige, die darin arbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN - Jens Na- cke [CDU]: Was ist das denn für eine Wortwahl „Sie verschweigen der Öf- fentlichkeit“?)

- Herr Kollege Nacke, wir können das nachher ausdiskutieren.

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

- Genau! Stellen Sie eine Zwischenfrage, oder machen Sie eine Kurzintervention. Ich habe Ihre Bemerkung nicht verstanden.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, wir hoffen ehrlich, dass Ihr Gesetzentwurf Erfolg haben wird. Wir befürchten aber, dass genau das nicht der Fall sein wird. Darum stimmen wir ihm nicht zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile dem Kollegen Professor Zielke das Wort.