Protokoll der Sitzung vom 21.03.2012

Ich habe gesagt, dass wir die Wahlfreiheit beibehalten wollen. Aber es gibt auch Studien wie die Bertelsmann-Studie, die vor Kurzem veröffentlicht wurde, die belegen, dass der Bildungserfolg unterstützt wird, wenn Kinder eine Krippeneinrichtung besuchen: Die Wahrscheinlichkeit, das Abitur zu schaffen, steigt um 40 %, bei Zuwandererfamilien sogar um 55 % und bei bildungsfernen Familien um fast 100 %.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Glocke des Präsidenten)

Die Erfahrungen aus Norwegen, wo es, wie wir wissen, ja genug Geld gibt - dort gibt es keine Staatsschulden, dort kann Betreuungsgeld gezahlt werden -, zeigen, dass es genau die bildungsfernen Familien sind, die das Betreuungsgeld in Anspruch genommen haben.

Letzter Satz bitte, Frau Kollegin!

Diesen Fehler sollten wir nicht wiederholen. Und wenn Sie jetzt mit Gutscheinen anfangen: Das, was beim Bildungspaket nicht geklappt hat, müssen wir doch jetzt beim Betreuungsgeld nicht wiederholen!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Försterling. Bitte schön, Herr Försterling!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP heißt es:

„Eltern sollen die Wahlfreiheit haben, Familienleben und Erwerbstätigkeit nach ihren Wünschen zu gestalten. Alle, die Kinder erziehen, erbringen eine Leistung für die ganze Gesellschaft und verdienen daher deren besondere Anerkennung. Förderinstrumente sollen direkt in der Lebenswirklichkeit von Familien ansetzen.“

Es geht um die Wahlfreiheit der Familien, ihr Leben so zu verwirklichen, wie sie es wollen, und nicht so, wie ein Staat es gerne hätte.

(Lachen bei der SPD)

Nur derjenige, der diese Freiheit hochhält, betreibt tatsächlich Familienförderung. Alles andere ist der Versuch, Familienpolitik planwirtschaftlich zu betreiben. Das ist bisher immer schiefgegangen und wird auch in der Zukunft schiefgehen.

Zu der Lebenswirklichkeit von Familien gehört heutzutage, dass es zahlreiche unterschiedliche Lebensentwürfe gibt. Es gibt die Familien, in denen beide Elternteile Vollzeit arbeiten, teilweise auch im Schichtsystem, es gibt Familien, in denen beide Elternteile - mitunter ungewollt - zuhause sind, und dazwischen gibt es sehr viele individuelle Lebensentwürfe und Lösungen für das Familienleben. Grundsätzlich steht es der Politik nicht zu, zu entscheiden, welcher Entwurf richtig und welcher Entwurf falsch ist.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielmehr geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich jeder Lebensentwurf wie

derfinden kann und in dem auch jeder Lebensentwurf wertgeschätzt wird.

In dem Antrag wird zum Ausdruck gebracht, dass das Betreuungsgeld im Widerspruch zu allen Zielvereinbarungen des Krippengipfels steht. Das ist aber mitnichten der Fall. Natürlich brauchen wir eine entsprechende Anzahl von Krippenplätzen, aber wir brauchen auch Förderinstrumente wie das Betreuungsgeld, um eine entsprechende Entscheidungsfreiheit zu haben.

(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Ich glaube, Sie haben es nicht verstan- den!)

Auf der einen Seite haben wir diejenigen, die sich für die Krippenbetreuung entscheiden und dafür einen Krippenplatz benötigen. Dafür schaffen wir in Niedersachsen die notwendigen Rahmenbedingungen.

(Zustimmung bei der FDP)

Auf der anderen Seite haben wir aber auch vielfach den Wunsch, dass sich Väter und Mütter bewusst entscheiden wollen, ihre Kinder in den ersten Jahren - Frau Vockert hat ausgeführt, wie wichtig die Bindung ist - zuhause zu betreuen. Dafür nehmen sie mitunter einen sehr viel höheren Einkommensverlust in Kauf, als es ein Betreuungsgeld oder irgendeine Fördermaßnahme überhaupt ausgleichen kann. Auch eine solche Entscheidung sollten wir wertschätzen.

(Zustimmung von Astrid Vockert [CDU])

Ich glaube, mit dem Betreuungsgeld erweitern CDU, CSU und FDP den familienpolitischen Förderrahmen um ein Instrument, welches auch künftig die Familien unterstützt, die nicht auf staatliche oder staatlich subventionierte Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zurückgreifen wollen. Das lässt sich rechtfertigen, weil auch für die Familien in den letzten Jahren einiges auf den Weg gebracht worden ist.

Jetzt wird es insbesondere auf die Ausgestaltung des Betreuungsgeldes ankommen. Wir müssen es so gestalten, dass dann tatsächlich alle Familien in dieser Republik davon profitieren und nicht nur einige wenige Familien in Bayern sehr glücklich werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Frauke Heiligenstadt [SPD]: Das kann man nur als Satire ertragen! - Weitere Zurufe)

Wenn Sie mit Ihren Zwischenrufen fertig sind, habe ich die Gelegenheit, Herrn Kollegen Brammer eine Kurzintervention auf den Beitrag des Kollegen Försterling zu ermöglichen. Sie haben 90 Sekunden. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Herr Försterling, mit Ihrem letzten Satz haben Sie die Wahrheit offenbart. Mit Ihrem Satz „Hauptsache nicht nur nach Bayern“ haben Sie gerade offenbart, wie die FDP zur CSU steht und wie die FDP auf der Bundesebene in Wirklichkeit für das Betreuungsgeld steht. Vielen Dank!

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Von der CSU am Nasenring durch die Manege geführt!)

Ich möchte noch einmal sagen: Es geht nicht nur darum, dass hier Kinder aus dem frühkindlichen Bildungsbereich herausgekauft werden. Es geht hier auch um 200 Millionen Euro je Jahr, die wir im Bereich der frühkindlichen Bildung bitter nötig haben. Sie wollten uns heute Morgen weismachen, wir wollten mit der Schuldenbremse nichts zu tun haben. Aber hier verpulvern Sie Geld!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Försterling möchte antworten. Bitte sehr, Sie haben die Gelegenheit dazu.

Herr Präsident! Herr Brammer, ich glaube, es ist nicht deutlich geworden. Natürlich wissen wir alle, woher das Betreuungsgeld gekommen ist, wer es initiiert hat und wer es damals in den Koalitionsvertrag eingebracht hat. Aber ich glaube, dass es insbesondere durch die vielfältigen Initiativen in einer Bundesregierung, die von einer Koalition aus CDU, CSU und FDP getragen wird, möglich ist, so vielfältige Lebensentwürfe, wie es sie in unserer Bundesrepublik nun einmal gibt, zu fördern. Nichts anderes machen wir mit dem Betreuungsgeld.

Wir schreiben niemandem vor, dieses Betreuungsgeld in Anspruch zu nehmen. Wir schreiben niemandem vor, seine Kinder in Krippen zu geben. Wir sagen einfach: Jawohl, wir akzeptieren, dass die Menschen in diesem Land das Leben so leben können, wie sie es wollen. Das ist die Aufgabe.

Dafür sind CDU, CSU und FDP auf der Bundesebene die Garanten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Als letzte Wortmeldung liegt die des Herrn Kultusminister vor. Herr Dr. Althusmann, bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Försterling hat gerade so nebenbei gesagt, es sei doch klar, woher das Betreuungsgeld kommt. Das hat er in Reaktion auf den Abgeordneten Brammer, der hier für die SPD erklärt hat, dass dieses Betreuungsgeld quasi Teufelszeug sei, weil es der familienpolitischen Haltung seiner Partei nicht entspreche.

(Professor Dr. Dr. Roland Zielke [FDP]: Es wird „verpulvert“!)

Bei genauerer Betrachtung der Fakten weise ich auf das Datum 10. Dezember 2008 hin. Damals, in Zeiten der Großen Koalition von SPD und CDU, ist im Rahmen des Kinderförderungsgesetzes der § 16 SGB VIII um folgenden Absatz 4 ergänzt worden - ich zitiere -:

„Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel Betreuungs- geld) eingeführt werden.“

(Aha! bei der CDU - Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Große Koalitionen sind Mist! - Weitere Zurufe)

Sehr geehrter Herr Brammer, Frau Heiligenstadt, jeder mag sich nun ein eigenes Urteil bilden, ob die Kritik, die Sie hier vorgetragen haben, wirklich so glaubwürdig ist, zumal ich bei dieser Diskussion generell den Eindruck habe, dass das Geschrei um die Frage, ob es richtig oder falsch ist, ein Betreuungsgeld in Deutschland einzuführen, in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu den bereits gelegten Eiern steht; denn es liegt ja noch nicht einmal ein Referentenentwurf vor. Wer sagt Ihnen denn, dass im April, Mai oder Juni dieses Jahres der Referentenentwurf oder der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht vorsehen wird, dass das Betreuungsgeld, das ausgezahlt wird, wenn Eltern bewusst auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätteneinrichtung verzichten, ausdrücklich für Bildungsleistungen für diese Kin

der vorgesehen wird? Die Diskussion über die Frage des Betreuungsgeldes ist doch noch nicht beendet, nur weil wir sie heute in einer sehr aufgeheizten und gereizten Debatte führen.

Meine Damen und Herren, es geht um 750 000 bis 900 000 Kinder. Es geht um eine Größenordnung von 1,5 Milliarden bis 2 Milliarden Euro. Die innere Gestaltung dieses Gesetzentwurfes muss noch erfolgen. Im Bundesrat liegt ein Antrag BadenWürttembergs, der nicht abgelehnt wurde, sondern dessen Beratung ausgesetzt wurde und zu gegebener Zeit natürlich wieder aufgerufen werden kann.

Frau Heiligenstadt, ich bin zum zweiten Mal verheiratet. Das ist allen hier bekannt. Ich habe mit den Kindern, die meine zweite Frau mit in die Ehe gebracht hat, fünf Kinder im Alter zwischen 16 und 16, nämlich 16 Monaten und 16 Jahren. Ich persönlich habe mich als Vater in jeweiliger Situation bewusst dafür entschieden, dass meine Kinder in eine Kindertagesstätte gehen,

(Johanne Modder [SPD]: Sehr gut!)

weil ich davon überzeugt bin, dass in einer Kindertagesstätte die Sprachbildung, die Sprachförderung und insbesondere die Vorbereitung auf den Übertritt in die Grundschule besser gewährleistet werden kann, als wir dies zu Hause hätten leisten können.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Er wird mir immer sympathischer! - Jens Na- cke [CDU] lacht)

Das sage ich ganz bewusst. Aber ich bitte auch um Verständnis, dass es eine individuell andere Entscheidung von Eltern geben kann, die man auch respektieren muss, weil der Staat in Deutschland kein Familienbild vorzuschreiben hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)