Protokoll der Sitzung vom 08.05.2012

Niemand weiß, ob dieser Vertrag denn tatsächlich ratifiziert wird. Niemand weiß, wann er ratifiziert wird. Sie alle wissen, er sollte ursprünglich bereits zum 31. Dezember 2011 unterschrieben werden. Das ist nicht passiert. Und niemand weiß, ob der Vertrag einer Überprüfung durch den EuGH standhält.

Weil all das so ist, müssen wir Regelungen treffen, die jede mögliche zukünftige Entwicklung berücksichtigen. Wir müssen Sorge dafür tragen, dass viel vom Inhalt des Glücksspieländerungsstaatsvertrages als Landesrecht übernommen wird. Aber wir müssen auch Sorge dafür tragen, dass die Änderungen, die wir übernehmen, tatsächlich von der EU akzeptiert werden. Daher ist es folgerichtig,

solche Regelungen nicht zu übernehmen, die die Kommission bereits als kritisch gekennzeichnet hat. Dabei geht es z. B. um die streitige Frage, ob man die Begrenzung von Sportwettenkonzessionen auf 20 Sonderspiele vornehmen soll. Da würden wir ein Problem bekommen.

Lieber Herr Jüttner, weil Sie das öffentlich angesprochen haben: Das ist auch keine Brüskierung der anderen Vertragsländer. Dieser Glücksspieländerungsstaatsvertrag ist ein Kompromiss. Man macht immer dann Kompromisse, wenn man unterschiedliche Positionen hat. Es ist ein Stück weit Ehrlichkeit, wenn man den anderen Vertragsländern sagt, was denn passieren wird, wenn der Kompromiss nicht gefunden wird. Da ist es legitim und angebracht, die eigene Position darzustellen.

Meine Damen und Herren, es gibt natürlich auch eine Fülle von juristischen Problemen. Das hängt u. a. damit zusammen, dass die Positionen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs sehr, sehr unterschiedlich sind. Die einen - nämlich das Bundesverfassungsgericht - legen den Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Spielsucht, und die anderen beschäftigen sich eher mit der Liberalisierung des Marktes. In der Tat ist das sehr, sehr schwierig. Der GBD hat das eine oder andere kritisiert. Ich gebe aber zu bedenken: Der GBD hat auch kritisiert, dass einige Dinge seiner Meinung nach auch schon im alten Glücksspielstaatsvertrag - ich sage es einmal vorsichtig - nicht glücklich formuliert gewesen sind. Funktioniert hat es aber irgendwie trotzdem.

Meine Damen und Herren, eine grundsätzliche Frage - damit komme ich zu Ihnen, lieber Herr Adler - sollten wir wirklich nicht aus dem Fokus verlieren. Ich habe neulich etwas im Internetblog gelesen. Dort war es sehr schön formuliert. Es hieß dort - ich zitiere -:

„Beim Glücksspiel verirrt man sich leicht zwischen Markt und Moral.“

Weil das so ist, ist nicht nur dieser Änderungsstaatsvertrag, sondern auch der vorliegende Gesetzentwurf ein Kompromiss, nämlich ein Kompromiss zwischen Markt und Moral. Die Linke, lieber Herr Kollege Adler, hat sich mit ihrem Änderungsantrag zwischenzeitlich zwischen Markt und Moral tatsächlich verirrt. Die Öffnung des Marktes für alle Formen von Spielbankspielen im Internet - also auch des Onlinepokers - wollen wir weiterhin nicht; denn wir halten sie für brandgefährlich. Da können wir Ihrer Fraktion gar nicht folgen.

Das Suchtpotenzial von Onlinepoker ist erheblich. In Deutschland gelten bereits 500 000 Menschen als spielsüchtig; 800 000 gelten als problematisch. Diese Zahlen werden mit einer Öffnungspolitik à la Linke sicherlich eher steigen. Ich stelle fest, dass Sie Ihre Position hierzu innerhalb der Linken inzwischen verändert haben. Ihr Bundestagskollege Tempel hat am 10. November 2011 im Deutschen Bundestag Folgendes gesagt - ich zitiere -:

„Mehr Markt gleich mehr Spiel gleich mehr Spielsucht. … Das ist verantwortungslos, und das wird mit der Linken nicht gehen.“

Es ist schön, dass Sie diese radikale Position aufgegeben haben. Dass Sie jetzt aber zum anderen Extrem finden, können wir nicht nachvollziehen. Es mag auch sein, dass der Zugang zum illegalen Onlinepoker in Deutschland leicht ist, aber anders als Sie, Herr Adler, werden wir vor dieser Entwicklung keineswegs kapitulieren. Deshalb trägt der vorliegende Gesetzentwurf nicht nur dem Markt, sondern auch der Moral Rechnung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Jüttner das Wort.

(Petra Tiemann [SPD]: Jetzt kommt mal Qualität!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Toepffer, im ersten Teil Ihrer Rede haben Sie Ihre Meinung zum EuroJackpot gesagt. Das war in dem Gesetzentwurf eine Banalität. Darin sind wir uns einig. Im zweiten Teil haben Sie einen schweren Kotau vor Ihrem kleinen Koalitionspartner gemacht. Im Kern ist Ihnen zuwider, was da passiert. Der parlamentarische Alltag hat aber nicht nur Höhepunkte. Und heute geht es aus Sicht der CDU darum, zu leiden. Das ist hart, und das tut weh. Aber da muss man durch.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dürr aber hat heute seinen freudigen Tag.

Meine Damen und Herren, worum geht es? - Am 1. Juli soll der Glücksspielstaatsvertrag in Kraft treten. Das ist ein Kompromiss, der weitgehende Zugeständnisse an die Glücksspielindustrie macht. Er löst das bisherige Glücksspielmonopol auf. Das

ist problematisch, wie ich finde. Er soll aber im Juli in Kraft treten.

Sechs Wochen vorher kommt der kleine Koalitionspartner. Dem reicht das alles gar nicht, sondern der will jetzt für 40 Tage einmal zeigen, wo der Hammer hängt. Der zwingt Ihnen an verschiedenen Stellen eine Geschichte auf, die wirklich zum Himmel schreit.

Zunächst ist es eine Provokation. Herr Toepffer, alle anderen Länder machen das, was Niedersachsen gerade macht, nicht, sondern die bauen auf den Staatsvertrag. Das ist doch interessant. Das ist eine Provokation gegenüber Herrn McAllister, der am 15. Dezember unterschrieben hat. Jetzt wird den anderen Ländern jedoch signalisiert: Im Kern wollen wir das gar nicht, und wenn ihr das nicht ratifiziert, haben wir für Niedersachsen sowieso die bessere Lösung.

Das ist auch mit Blick auf die Vollmachten, die dort ausgesprochen werden, eine Provokation gegenüber dem Parlament. Das aber nur nebenbei; denn das sind wir von dieser Regierung in der Zwischenzeit ja schon gewohnt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Problematisch ist, dass dieser Gesetzentwurf an einem Vormittag durch alle Ausschüsse gezogen worden ist. Lesen Sie sich den Schriftlichen Bericht durch! Dann werden Sie feststellen, an wie vielen Stellen der GBD auf rechtlich hoch komplizierte Fallen, die in dieser Beschlussempfehlung enthalten sind, dringlich hingewiesen hat. Da geht es um die nicht vollzogene Notifizierung bei der EU. Da geht es z. B. um mögliche Rechtstitel, die in diesen 40 Tagen erworben werden, dann aber hinterher wieder einzukassieren sind, obwohl damit gegen Artikel 12 der Verfassung verstoßen werden könnte. Also ein rechtlich hoch problematischer Text, der hier für 40 Tage in Kraft gesetzt werden soll.

Im Übrigen geht das an vielen Stellen weit über das hinaus, was im Staatsvertrag geregelt ist. Ich möchte Ihnen wenige Beispiele nennen.

Sie, Herr Toepffer, sagen, dass der Kampf gegen die Suchtgefahren Vorrang habe. Diese Beschlussempfehlung relativiert aber das Thema „Kampf gegen die Sucht“, meine Damen und Herren. In Zukunft soll mit der Sucht anders umgegangen werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Diese Beschlussempfehlung nimmt im Staatsvertrag vorgesehene Entschleunigungen - z. B. Höchstspieleinsätze und Risikominimierungen - wieder heraus und ermöglicht, sehr viel riskantere Spiele durchzuführen, als dies bisher der Fall war und nach dem Staatsvertrag der Fall sein soll.

Meine Damen und Herren, eine der wichtigsten Verabredungen der letzten Monate war, dass es wegen der Spielsucht kein Onlinepoker geben soll. Da stimme ich Ihnen zu. Die Linken müssen an dieser Stelle abgedreht sein. Das sehe ich wie Herr Toepffer.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Das werde ich Ihnen gleich erklären!)

Das Weitere ist das Verbot von Livewetten, meine Damen und Herren. Der deutsche Sport hat ein riesiges Interesse daran, dass Livewetten beim Sport verboten bleiben, weil er an der Sauberkeit des Sports interessiert ist. Was macht diese Mehrheit? - Übrigens gegen den Willen der CDU. Man spürt ja richtig, wie sie sich bei dieser Debatte geekelt hat. - Das Verbot der Livewette wird gestrichen, und die Landesregierung - insbesondere Wirtschaftsminister Bode, der Vorkämpfer für jedwede Form für Glücksspielindustrie - wird beauftragt, in Zukunft festzulegen, wann Sportwetten live ausgetragen werden dürfen und wann nicht, meine Damen und Herren. Das ist wirklich die Krönung dessen, was man sich bei diesem Thema vorstellen kann.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie sehen: Die heute auf dem Tisch liegende Beschlussempfehlung ist rechtlich hoch problematisch. Sie ist ein Kotau vor der Glücksspielindustrie. Sie hat sechs Wochen Bestand, und dann soll sie wieder einkassiert werden. Es spricht wirklich alles dafür, den vorliegenden Gesetzentwurf abzulehnen. Dafür, dass die CDU dies hier hat mitmachen müssen, haben Sie wirklich meine ganz tiefe Zuwendung. Wie es aber so ist: Ich weiß auch, wie das geht.

Abschließend möchte ich auf die Frage hinweisen, wie man mit so einem Thema umgeht. 1971 ist hier im Landtag im Zusammenhang mit dem Spielbankengesetz zum ersten Mal eine grundsätzliche Debatte über Glücksspiele geführt worden. Seinerzeit haben der damalige Ministerpräsident Alfred Kubel und der damalige Innenminister Otto Bennemann hier deutlich gemacht, dass der Staat in den Makeln von Menschen, wenn man so will,

nicht sein Glück suchen sollte. Das heißt: An Fehlern Einzelner darf der Staat nicht verdienen. - Das ist ein moralischer Fundamentalismus, den wir alle heute nicht mehr haben. Das will ich gern einräumen; denn auch wir nehmen billigend in Kauf, dass es Glücksspiel gibt, und erkennen, dass man an einigen Stellen eine Kanalisierung vornehmen muss - völlig richtig.

Aber, meine Damen und Herren, es geht hier um zwei Dinge.

Erstens muss alles genutzt werden, um die Glücksspiele nicht weiter zu steigern, sondern zu entschleunigen. Dieser Punkt wird mit der vorliegenden Beschlussempfehlung wirklich missachtet.

Das Zweite, was mich bei diesem Thema umtreibt, ist: Wenn die öffentlichen Haushalte schon von der Sucht Einzelner profitieren, dann wäre es fair, die erzielten Einnahmen im Sinne des Gemeinwohls zu nutzen und die Millionen nicht einer im Zweifel schamlosen Glücksspielindustrie zuzuschanzen.

Das sind die kleinen Unterschiede. Deshalb lehnen wir diese Beschlussempfehlung ab.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Adler von der Fraktion DIE LINKE gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Jüttner, wir sprechen heute nicht über den Glücksspieländerungsstaatsvertrag - er ist noch gar nicht in das Verfahren eingebracht worden -, sondern nur über ein Vorschaltgesetz. Aber weil Sie das angesprochen haben, muss ich darauf erwidern.

Der Glücksspieländerungsstaatsvertrag ist deshalb noch nicht vorgelegt worden, weil es Bedenken der Europäischen Kommission gibt.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Es gibt dazu einen Brief der Europäischen Kommission vom 20. März 2012, der mir in englischer Sprache vorliegt. In diesem Brief - das ist nun keine Position der Linken, das ist eine Position der Europäischen Kommission - fragt die Europäische Kommission die Ministerpräsidenten: Was ist eigentlich der Grund dafür, dass ihr auf der einen

Seite für Sportwetten ein Konzessionsmodell erarbeitet, aber das Gleiche für Poker nicht?

Da fragt die Europäische Kommission nach Beweisen, dass nun dieses Spiel hinsichtlich der Suchtgefahr besonders gefährlich sei. Dies vermisst die Europäische Kommission. Dieser Brief ist bis heute nicht beantwortet. Das ist ein Punkt, über den man noch einmal nachdenken muss.

Sie müssen wissen, dass in Deutschland ungefähr 500 000 Pokerspieler bei entsprechenden Veranstaltern angemeldet sind. Wenn man dann noch diejenigen dazu nimmt, die irgendwo mitspielen, kann man von ungefähr 1 Million Onlinepokerspielern in Deutschland ausgehen, die gegenwärtig in die Illegalität gedrängt werden. Das ist ein Problem, dem man sich ernsthaft stellen muss.

(Die Präsidentin schaltet dem Redner das Mikrofon ab)

Das war ein guter Schlusssatz. - Herr Kollege Jüttner möchte antworten. Auch Sie haben anderthalb Minuten. Bitte schön!