Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

„Mit ihrer Berufsfixiertheit und ihrem Vorrang von praktischem Lernen hinke die bisherige Berufsausbildung der modernen Wissensgesellschaft hoffnungslos hinterher.“

Meine Damen und Herren, ca. 300 000 Jugendliche befinden sich laut Berufsausbildungsbericht der Bundesregierung weiter in Warteschleifen. Was aber genauso problematisch ist, ist die Entwicklung der Abbrecherzahl von 23 % in der Ausbildung selbst. Hier müssen Sie endlich handeln. Denn es sind zum Teil schon langfristige Entwicklungen. Sie regieren nun seit über neun Jahren, reagieren aber immer noch nicht. Getan haben Sie nichts.

(Beifall bei der SPD)

Das Handwerk hat hier dringend Unterstützung nötig. Es muss aber auch selbst vorausschauender handeln. Wissenschaftler verweisen darauf, dass schon nach fünf Jahren im erlernten Beruf jeder Zweite in einem anderen Beruf arbeitet. Für das Handwerk heißt das, die Haltearbeit ausgebildeter Facharbeiter zu verstärken. Es geht im Kern um systematische Fort- und Weiterbildung. Das Stichwort hierzu ist auch die offene Hochschule.

Im Zuge der demografischen Entwicklung müssen ältere Arbeitnehmer durch entsprechende Arbeitsbedingungen und Wertschätzung länger im Beruf gehalten werden. Das kostet nur eine andere Einstellung zur Personalentwicklung und Personalplanung in den Unternehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihre Hinweise zur Absicherung einer mittelstandsgerechten Finanzierung erfordern von dieser Landesregierung endlich auch eine überschaubare, vor allem saubere und transparente Förderpolitik.

Bei knappen Fördermitteln ist es umso wichtiger, dass kleine und mittelständische Unternehmen entsprechende Planungssicherheiten bekommen, weil Wirtschaftsförderanträge mit viel Aufwand erarbeitet werden müssen, also Zeit und Geld kosten. Dazu hat Ihnen der Landesrechnungshof ausreichend Verhaltens- und Bearbeitungsempfehlungen beim Cemag-Komplex ins Stammbuch geschrieben. Wenn von fünf geprüften Anträgen der Cemag drei zum Teil aus Mehrfachgründen als rechtlich problematisch bewertet werden, dann spricht das Bände. Daher ist Ihr Handeln an dieser Stelle deutlich zu kritisieren.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wer das Vertrauen in eine neutrale und sachgemäße Wirtschaftsförderung durch eigene Förderprinzipien nach Gutsherrenart erschüttert, schadet der niedersächsischen Wirtschaft und verliert das Vertrauen in faire Behandlung. Kehren Sie endlich zu einer nachvollziehbaren und handwerklich sauberen Förderpolitik zurück!

(Glocke der Präsidentin)

Im Bereich der beruflichen Bildung formulieren Sie leider ausschließlich und sehr platt die Interessen der Wirtschaft als Wunschkonzert. Wer hat Ihnen das bloß aufgeschrieben, Herr Bley? - Das ist ein Angriff auf die berufliche Bildung. Diese Klientelpolitik reduziert die jugendlichen Berufsanfänger auf Objekte der Interessen der Wirtschaft. Quotierungen auf schulische Ausbildung und eine Schwächung der Berufsfachschulen sind mit uns jedenfalls nicht zu machen.

(Zustimmung bei der SPD)

Natürlich gilt es, die duale Ausbildung zu stärken. Das wäre in den vergangenen Jahren auch dringend notwendig gewesen, spätestens nach Abschaffung des Berufsgrundbildungsjahres. Insofern kann ich Sie nur herzlich einladen, unsere Initiativen in der Fachkräfteoffensive für Niedersachsen aufzugreifen: Eine gute Ausbildung auch über den Bedarf hinaus, eine praxisorientierte Aus- und Weiterbildung

(Glocke der Präsidentin)

und vor allem gute Arbeitsbedingungen sorgen für die Zukunft des Handwerks in Niedersachsen vor.

Ein letzter Satz!

Aber ich habe Zweifel, dass Sie die nötige Kraft dazu haben.

(Beifall bei der SPD)

Bei nur noch einem Halbsatz hätte ich gar nicht mehr einbremsen müssen. Herzlichen Dank, Herr Kollege Will. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Weisser-Roelle das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg sagen, die linke Fraktion würdigt ausdrücklich das hohe Leistungsvermögen des Handwerks. Wir bringen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenso wie den Inhaberinnen und Inhabern der Handwerksbetriebe unsere hohe Wertschätzung entgegen.

(Beifall bei der LINKEN)

In Deutschland sind 11,7 % der Erwerbstätigen sowie 29,3 % der Auszubildenden im Handwerk tätig. Ähnlich sind die Anteile in Niedersachsen. Das Handwerk hat im Jahr 2010 bundesweit einen Umsatz von rund 492 Milliarden Euro erzielt.

Nun zum Antrag der Regierungskoalition: Er bleibt überwiegend unverbindlich und ist damit nicht kontrollfähig. Er ist finanziell nicht untersetzt und geht daher, wie wir es von anderen Anträgen kennen, nicht über einen Schaufensterantrag hinaus.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Viele Aussagen - ich greife den Teil Schulbildung und Berufsbildung heraus - sind überdies schwer nachvollziehbar oder sogar falsch. Ich möchte dazu einige Beispiele nennen.

Im Bereich allgemeinbildende Schulen fordern Sie unter Nr. 1 die Umsetzung einer frühzeitigen und umfassenden Berufsorientierung an allen allgemeinbildenden Schulen. Wir sagen, dies muss an allen Schulformen gelten, auch an den Gymnasien und nicht nur an den allgemeinbildenden Schulen.

(Gabriela König [FDP]: Sind das keine allgemeinbildenden Schulen?)

Unter Nr. 2 fordern Sie, die Eltern und Jugendlichen über die Durchlässigkeit des niedersächsischen Bildungssystems aufzuklären. Wir haben kein durchlässiges Bildungssystem, sondern wir haben ein Bildungssystem, welches unsozial ist

und sozial ausgrenzt. Von daher kann man nicht über eine sogenannte Durchlässigkeit aufklären, wenn sie nicht da ist.

Des Weiteren fordern Sie, bei den berufsbildenden Schulen Verfahren einzuführen, die darauf abzielen, die Anmeldequote von Jugendlichen an Berufsfachschulen zu verringern. Warum gehen Jugendliche denn an Berufsfachschulen? - Sie tun dies zum größten Teil, weil sie eine Warteschleife einlegen müssen, da es keine Ausbildungsplätze gibt. Herr Will hat eben schon die Zahlen dazu genannt, wie viele Ausbildungsplätze es für einen Bewerber gibt. An dieser Stelle muss man ansetzen, und dann würde der Antrag an Qualität gewinnen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Glo- cke der Präsidentin)

Wenn der Antrag schwerpunktmäßig auf die Sicherstellung des Qualifikationsniveaus im Handwerk abzielt, dann hätten wir erwartet, dass die Koalition Stellung zu ihren Erfahrungen mit der 2004 auf Bundesebene durchgesetzten Handwerksnovelle bezieht. Diese Novelle ist acht Jahre alt. Eine Überprüfung hat bisher nicht stattgefunden. Kern dieser Novelle war, die Meisterpflicht als Voraussetzung zur selbstständigen Berufsausübung bei 53 Gewerken aufzuheben. In vielen Bereichen hat zwar die Zahl der Handwerksbetriebe zugenommen, gleichzeitig haben aber die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen abgenommen.

(Glocke der Präsidentin)

Noch dramatischer ist der Rückgang bei Ausbildungsplätzen, weil Firmeninhaber ohne Meisterbrief keine Lehrlinge ausbilden können. Von daher fehlt uns in Ihrem Antrag die Forderung, sich auf Bundesebene für eine Evaluierung der Handwerksnovelle einzusetzen.

Letzter Satz!

Das waren einige Beispiele, die in Ihrem Antrag fehlen, die falsch sind oder ergänzt werden müssen, wenn der Antrag einen Sinn bekommen soll. Das Weitere können wir im Ausschuss diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Kollegin Weisser-Roelle. - Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Hagenah. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag will von der Überschrift her Gutes. Dann folgt allerdings ein Potpourri von allen möglichen teilweise bereits beschlossenen Dingen und teilweise nicht wirklich zu Ende gedachten Forderungen, Herr Kollege Bley.

Ich lese den Antrag in einigen Passagen als Eingeständnis von Schwarz-Gelb, dass seit fast einem Jahrzehnt in Niedersachsen ein Konzept fehlt, mit dem verhindert wird, dass viele Tausend Jugendliche nach der Schule im Übergangssystem landen.

Grundsätzlich ist es gut, dass Sie das Thema aufgreifen. Sie kritisieren damit aber Ihre eigene Landesregierung. Auch das findet unsere Unterstützung. Sie sagen aber nicht, wie das Problem aufgelöst werden soll.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Sie haben sich in der Vergangenheit darauf beschränkt, die Jugendlichen im Übergangssystem im Wesentlichen als nicht ausbildungsfähig zu diskreditieren. Jetzt entdecken Sie sie als ungeschöpfte Ressource, um den Mangel an Auszubildenden und Fachkräften zu beheben. Auch das ist eine richtige Wendung, aber wegen der Versäumnisse in der Vergangenheit eine Kritik an Ihnen selbst.

Wir Grüne fragen Sie aber, wie Sie das Ganze bei allen guten Absichten finanzieren wollen. Denn letztendlich hat Schwarz-Gelb nicht nur hier im Land, sondern auch auf Bundesebene die Ressourcen, um mehr für Qualifizierung tun zu können, in den vergangenen Jahren massiv abgebaut. Sie haben uns also die Möglichkeiten genommen, um den Quereinstieg und die Nachqualifizierung für eine vernünftige duale Ausbildung gezielter anzugehen.

2011 strich Frau von der Leyen der Bundesagentur für Arbeit weit über 1 Milliarde Euro. Auch die Kürzung um mehrere Milliarden Euro durch die Hartz-IV-Reform führte dazu, dass Argen und Jobcenter von 2011 an nur noch die Hälfte der Mittel hatten im Vergleich zu 2010. Dennoch bedanken Sie sich in Ihrer Rede für die Unterstützung durch Schwarz-Gelb in Berlin. Das kann ich allerdings nicht nachvollziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Als weiterer Tiefschlag trat in diesem April die Instrumentenreform bei uns in Kraft. Noch immer ist die Frage nicht gelöst, wie unsere effektiven Jugendwerkstätten den Kahlschlag von SchwarzGelb auf Bundesebene überleben sollen. Zusätzlich strich Ihre Mehrheit hier im Hause auch hierzulande munter weiter Mittel im Ressort Arbeit und Qualifizierung. Die aber bräuchten wir jetzt, um Ihren Antrag umzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Auch strukturell machten Sie Fehler, Kollege Bley. Um die in Niedersachsen besonders hohe Zahl von Jugendlichen in der Warteschleife zu kaschieren, schickte Schwarz-Gelb seit 2008 die jungen Frauen und Männer auf dem Papier in die sogenannte einjährige Berufsfachschule. Das haben Sie jetzt als Irrweg erkannt und wollen den Zugang beschränken.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das ist zwar sehr gut. Diesen Irrweg haben wir aber von Anfang an kritisiert. Er hätte gar nicht erst beschritten werden müssen. Er diente nur zur Kaschierung Ihrer Statistiken.