Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen Bilder mitgebracht und möchte Ihnen gerne zeigen, wie das dann aussieht.

(Die Rednerin zeigt Fotos)

Die Menschen, die dann keine Unterstützung mehr bekommen und dahinvegetieren müssen, haben ein Badezimmer, das so aussieht - - -

Frau Kollegin Zimmermann, ich unterbreche Sie. Hier im Plenarsaal verwenden wir als Instrument die Sprache und das Wort.

(Victor Perli [LINKE]: Auf einmal!)

Die Debatte ist nicht für emotionale Bilder gedacht. Ich möchte Sie bitten, diese Bilder jetzt nicht zu zeigen.

(Zurufe von der LINKEN)

Ich finde das nicht in Ordnung, Frau Präsidentin. Ich kann das jetzt hier leider nicht kommentieren. Wir haben hier schon oft Bilder gesehen. Aber egal, diese Bilder wird man sich auf unserer Homepage anschauen können. Ich bitte alle, sich das noch einmal anzusehen; denn das ist das, um das es hier geht, das ist das, was wir dort gesehen haben, und das ist das, was Sie nicht wahrhaben wollen!

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Es geht hier um Menschen, die hier bei uns integriert waren. Das sind Familien, die nach den schlimmsten Erfahrungen dann in Deutschland eine Heimat gefunden haben.

Ich erinnere an dieser Stelle noch einmal ganz besonders an unsere historische Verantwortung allen Roma gegenüber.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, nahezu alle zivilgesellschaftlichen Organisationen, die vor Ort im Kosovo tätig sind und mit denen wir gesprochen haben, forderten inständig, keine Roma mehr in den Ko

sovo abzuschieben, solange es keine handlungsfähigen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen gibt, die die Aufgaben der Reintegration und der Gewährleistung eines humanen Lebensstandards sowie eines Diskriminierungsschutzes gewährleisten können. Fast alle haben uns das mit auf den Weg gegeben. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wissen das ganz genau.

Dass nun Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition angeben, einen insgesamt positiven Eindruck gewonnen zu haben, klingt nicht allein wie Hohn und Spott, sondern ist eine Beleidigung für die Familien, die täglich um ihr Leben fürchten und nicht wissen, wie sie ihre Existenz sichern sollen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich will noch eins sagen - das ist mir besonders an die Galle gegangen -: Darüber hinaus empfand ich nämlich das Verhalten des Vertreters des Innenministeriums als sehr fragwürdig. Wie von einer Manie getrieben, fragte er den albanischen Vermieter der von uns besuchten Familie Meta, ob sie albanisch spreche, es Übergriffe auf sie gegeben habe, ob sie vor die Tür ginge. Das war eine merkwürdige Art und Weise, mit der versucht wurde, Argumente für ein wunderschönes Leben von abgeschobenen Roma im Kosovo zu finden.

Sie können das nicht einfach herunterspielen und verdrängen, was wir im Kosovo gesehen und erlebt haben. Wenn Sie politisch die Augen verschließen, so appelliere ich an das Ihnen zugrunde liegende christliche Menschenbild: Stoppen Sie weitere Abschiebungen in das Kosovo, und sorgen Sie für Rückholungsmöglichkeiten für die Menschen, deren Abschiebung Sie bereits zu verantworten haben!

(Beifall bei der LINKEN)

Die Roma dürfen nicht länger Spielball der europäischen Politik und des Kosovo sein, meine Damen und Herren. Abschiebungsstopp - Rückholungsmöglichkeiten sofort!

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Nun hat für die SPD-Fraktion Frau Dr. Lesemann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Die Eindrücke der Kosovo-Reise zur Bewertung der Lage der Roma sind noch recht frisch, und es ist gut, dass wir das heute zum Gegenstand der Aktuellen Stunde machen. Es war eine kurze, aber intensive Reise mit einem dicht gedrängten Programm, mit gefüllten Tagen, und es blieb nicht immer genug Zeit für ausführliche Nachfragen und Antworten auf unsere Fragen.

Erste Meldungen aus den Fraktionen kommen zu unterschiedlichen und diametralen Einschätzungen dieser Reise. Für meine Kollegin Sigrid Leuschner und mich als Teilnehmerinnen für die SPD verbieten sich weitere Abschiebungen der Roma.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die CDU dagegen zeichnet ein weitgehend positives Bild. War dies nun eine Reise der zwei Wahrheiten, der unterschiedlichen Wahrnehmungen? - Die Gespräche mit staatlichen und nicht staatlichen Organisationen ergaben vor allem zwei einander widersprechende Erkenntnisse.

Erstens die gute Nachricht: Es gibt staatliche Hilfsprogramme für Rückkehrer und zum Teil auch für abgeschobene Roma.

Zweitens die schlechte Nachricht: Die staatlichen Hilfsprogramme greifen in der Praxis nicht. Sie funktionieren nicht zuverlässig, sie sind nicht ausreichend und erreichen nicht immer die Adressaten.

Man muss wissen, dass die kosovarische Regierung alles daransetzt, demnächst eine Visa-Liberalisierung zu erreichen. Vor diesem Hintergrund gibt es ein vitales Interesse daran, die Bemühungen zur Umsetzung des Rücknahmeabkommens von Roma aus Deutschland positiv herauszustellen. Reintegrations- und Antidiskriminierungsstrategien sind zwar vorhanden, aber in der Praxis greifen sie nicht. Die Minderheitenangehörigen, vor allem der Roma, sind weiterhin einem tief verankerten Rassismus ausgesetzt. Und auch die Hilfeleistungen kommen bei den Betroffenen nur unvollständig und schleppend an.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Oder gar nicht!)

Bürokratische Anforderungen sind oft verworren, kompetente Ansprechpartner vor Ort in den Kommunen gibt es selten. Politischer Wunsch und

Wirklichkeit bei der Umsetzung von Maßnahmen klaffen eklatant auseinander.

Lebenswichtige Hilfen wie Nahrungsmittel und Brennholz sind im vergangenen harten Winter - wir haben ihn hier thematisiert - mitunter um Monate verzögert bei den Hilfebedürftigen angekommen. Das haben selbst Gesprächspartner von Regierungsseite eingeräumt.

Hinzu kommt das - Zitat - Krebsgeschwür Korruption, wie ein hochrangiger Gesprächspartner betonte, welches das Land von den Gemeinden bis in die staatlichen Ebenen hinein betrifft.

Staatlichen Rückkehrerprogrammen fehlt es an Nachhaltigkeit. Nach dem Ablauf von sechs Monaten stehen die Familien vor dem Nichts. Das hat meine Kollegin Zimmermann eben ausgeführt.

Übereinstimmend haben uns Gesprächspartner von KFOR, UNICEF, OSZE und UNHCR - um nur die bekanntesten zu nennen - auf die zum Teil erbärmlichen Lebensbedingungen von Roma hingewiesen. Die Bedingungen für eine menschenwürdige Integration, die medizinische Versorgung, Bildung und Arbeit seien nicht annähernd gegeben. Traumatisierten kann nicht geholfen werden. Im Armenhaus Europas liegt die Arbeitslosigkeit im Allgemeinen ohnehin schon bei 60 %. Aber was bedeutet das für die Roma?

(Sigrid Leuschner [SPD]: 98 %!)

Sie sind zu über 90 % von Arbeitslosigkeit betroffen. Mir ist noch der eindringliche Appell von Vertretern der Stadtverwaltung von Fushë Kosovë im Ohr, die uns ermahnten - Zitat -, keine Menschen mehr hierher abzuschieben. Kein Rückgeführter habe eine regelmäßige Arbeit, die Unterkunftssituation sei ebenfalls brisant.

Er lenkte den Blick auf die abgeschobenen Kinder und Jugendlichen. In einer komplett anderen Welt aufgewachsen, fänden sie sich im Kosovo nicht zurecht, zumal sie selten albanisch sprächen - eine Einschätzung, die immer wieder geteilt wurde. Die Kinder betrachten sich als Deutsche, haben hier jahrelang gelebt und sprechen unsere Sprache. Das Schicksal der Kinder sollte alle hier im Landtag vertretenen Fraktionen wachrütteln. Lassen Sie hier endlich Menschlichkeit walten!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Kinder sind von den Abschiebungen, aber auch von den sogenannten freiwilligen Rückführungen, die in Wirklichkeit gar keine sind, besonders betrof

fen. Sie haben alles verloren: Sicherheit, wirkliche Möglichkeiten zur Bildung, Freunde, Umgebung und auch ihre Sprache.

Wir hatten Gelegenheit, mit der Familie Meta und deren Kindern, aber auch mit anderen zu sprechen. Mein Eindruck: Diese Menschen sind auf einen ihnen völlig fremden Planeten verfrachtet worden. Diesen Kindern fehlt neben der Kenntnis der Sprache auch ein Schutzmechanismus, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Die hier herrschenden sozialen Codes sind ihnen fremd. Sie sind in einer offenen Gesellschaft aufgewachsen und im Kosovo zutiefst verunsichert. Abschiebung ist für sie ein Schockerlebnis.

Wir werden noch Gelegenheit zur ausführlichen Auswertung der Reise haben. Aber ich appelliere jetzt an Sie, Frau Jahns, Herr Ahlers, Herr Güntzler und Herr Götz - ich habe auch in Ihren Gesichtern tiefe Nachdenklichkeit gesehen -: Stoppen Sie endlich die Abschiebungen! Machen Sie damit Schluss!

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Güntzler. Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war gut und auch wichtig, dass wir mit einer Delegation des Innenausschusses in den Kosovo gereist sind. Frau Kollegin Zimmermann, das war nicht die Idee der Linken, sondern Herr Ausschussvorsitzender Reinhold Coenen, leider viel zu früh verstorben, hat diese Reise angeregt. Das sollte man ehrlicherweise hier hinzufügen.

(Beifall bei der CDU)

Es war richtig, dass wir uns vor Ort ein eigenes Bild machen konnten. Es bleibt festzuhalten - das haben auch die Vorredner gesagt -: Die Reise war äußerst informativ und alles andere als eine Postkartenreise, wie Frau Zimmermann schon vor der Reise in der taz bekannt gegeben hatte. Wir alle sind mit neuen Eindrücken und umfangreichen Informationen über die Lage im Kosovo nach Deutschland zurückgekehrt.

Manches, was wir dort gesehen und erlebt haben, hat auch mich ganz persönlich betroffen und nachdenklich gemacht. Aber wer mit offenen Au

gen durch das Land gefahren ist - und wir sind viel durch das Land gefahren -, hat auch gesehen, dass in diesem jungen Land viel Aufbruch ist, und wir haben auch viele Menschen getroffen, die diesen Aufbruch leben und mitgestalten. Meine Damen und Herren, auch das gehört zum Gesamtbild der Lage im Kosovo.