Protokoll der Sitzung vom 19.07.2012

Die Gesellen bekommen 6,97 Euro. Im Einzelhandel in Niedersachsen haben wir 7,50 Euro als Untergrenze. Der Durchschnitt im Bäckerhandwerk liegt bei 7,85 Euro. Das ist die Perspektive, die Sie den Frauen bieten, die bisher zum Teil dafür gesorgt haben, dass sie ihre Familien ernähren konnten! Sie treiben sie in die Sozialämter, Sie treiben sie zu den Arbeitsagenturen, damit sie sich Aufstockerleistungen holen. Das ist das Angebot auf dem Arbeitsmarkt, das Sie diesen Frauen machen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das mag Ihnen nicht gefallen. Sie stellen immer Ihre schönen Zahlen dar. Nur leider erleben die Frauen nicht Ihre schönen Zahlen, sondern die harte Realität. Allein 135 000 Erwerbstätige in Niedersachsen beziehen ergänzend zu ihrem Einkommen Arbeitslosengeld II. 54 000 von ihnen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Über 1,2 Milliarden Euro geben wir in Niedersachsen - nur in Niedersachsen - dafür aus, dass Menschen, die in Arbeit sind und arbeiten gehen, noch Aufstockerleistungen bekommen, damit sie überleben können. Dorthin treiben wir diese Frauen. Davon müssen wir sie wegholen. Sie brauchen vernünftige Beschäftigung. Das muss unser Ziel sein, Herr Hoppenbrock!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ihr Taschentuch brauche ich nicht. Wenn Sie die Sorgen der Frauen so ernst nehmen, dass Sie mir hier ein Taschentuch hinhalten, dann sollten Sie sich schämen und neben Frau König setzen. Da gehören Sie dann nämlich hin.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn man sich jetzt noch einmal ansieht, was die Frauen auf dem Arbeitsmarkt erwartet, was die Stellen angeht - - -

(Jens Nacke [CDU]: Sie können nur noch das! Das ist der Grund, warum Sie in der SPD keine Rolle spielen! Sie reden nur Unsinn!)

- Herr Nacke, das ist der Grund, warum Sie bald in der Opposition sind. Das ist gut so. Darauf freue ich mich schon.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Frage ist nämlich: Was erwartet die Frauen auf dem Arbeitsmarkt? - Dazu aktuelle Zahlen: Auf 100 offene Stellen im Einzelhandel kommen 883 Bewerber, also auf eine Stelle zehn Bewerber! Das ist die reale Situation! Wozu führt sie? - Dass die Löhne immer noch weiter gedrückt werden und dass die Frauen für immer noch weniger Geld arbeiten müssen. Am Ende bleibt ein 400-Euro-Job übrig. Das ist die Perspektive, die Sie diesen Frauen mit Ihren Entscheidungen bieten.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Auch ansonsten erleben die betroffenen Frauen einiges. Wir haben ja das Beispiel aus Garrel gehört: Man hat einer Beschäftigten von Schlecker aus Bernburg in Sachsen-Anhalt angeboten, 350 km entfernt einen Job anzunehmen. Weil sie nicht bereit war, diesen Job anzunehmen, hat man ihr das Arbeitslosengeld gekürzt. - Das ist das, was die Frauen erleben! Dann nennen Sie einmal diese Beispiele und lassen Sie uns dafür sorgen, dass das nicht mehr passiert! Das muss unser erklärtes gemeinsames Ziel sein!

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Christian Dürr [FDP]: Das ist die Ge- setzgebung, die Rot-Grün in Berlin gemacht hat! Gucken Sie sich einmal im Spiegel an! Wie peinlich! - Ulf Thie- le [CDU]: Das passiert, weil Schröder solch ein Gesetz gemacht hat! Das ist Schröders Gesetzgebung!)

Als Letztes will ich noch Ihr Beispiel der Erzieherin aufgreifen. Ich kann dem viel abgewinnen. Wenn Frauen von Schlecker eine Perspektive haben, Erzieherin zu werden, dann ist das gut. Aber dann sprechen Sie doch einmal mit den Frauen! Eine Kollegin aus unserem Bezirk, Mitte 40, hat sich bei

der Agentur für Arbeit gemeldet. Die Antwort, die sie bekommen hat, war: Nein, sie habe doch vor 25 Jahren mal eine qualifizierte Ausbildung gemacht, der Arbeitsmarkt sei ja so toll. - Der Arbeitsmarkt ist nicht so toll. Dann geben Sie ihnen auch eine Perspektive! Das muss die Aufgabe sein, Frau König, und nicht das Schlechtreden!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Einen letzten Satz gestatte ich Ihnen, Herr Lies - aber nur einen.

Letztlich haben FDP und CDU auf dem Rücken der Frauen und Familien ihre unsäglichen ordnungspolitischen Maßnahmen und Vorstellungen umgesetzt.

(Christian Dürr [FDP]: Das ist die Ge- setzgebung von Gerhard Schröder! Das ist Ihnen jetzt peinlich, Herr Lies! Sehr peinlich ist Ihnen das!)

Sie versuchen, Ihr klägliches Restpotenzial von 5 % zu erreichen. Ich hoffe, dass Ihnen das nicht gelingen wird, damit wir wieder eine vernünftige Politik in Niedersachsen machen. Wir brauchen eine soziale Politik für die Menschen in diesem Land. Das ist der richtige Weg.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. - Seitens der FDP-Fraktion ist der Wunsch nach einer Kurzintervention geäußert worden, und zwar durch den Kollegen Rickert. Bitte schön, Sie haben für 90 Sekunden das Wort!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich Sie, Herr Lies, eigentlich als einen sehr vernünftigen Menschen kenne,

(Jens Nacke [CDU]: Wie bitte?)

aber immer das Gefühl habe: Wenn Sie hier oben an diesem Rednerpult stehen, dann verlieren Sie die Bodenhaftung und versuchen, mit total emotionalen,

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

einseitig gefärbten Darstellungen für sich und Ihre Politik Stimmung zu machen.

(Johanne Modder [SPD]: Das sind die Erfahrungen der Schlecker-Frauen!)

Sie schrecken auch nicht davor zurück, solche wirklich bemerkenswerten, nicht guten Schicksale der Schlecker-Frauen dazu zu missbrauchen, um Ihr Mütchen an der FDP zu kühlen. Das finde ich ungehörig. Deswegen stehe ich hier.

(Beifall bei der FDP)

Sie sollten zur Kenntnis nehmen, Herr Lies, dass Sie sich dann, wenn Sie - was Gott verhüten möge - als potenzieller Wirtschaftsminister hier stehen,

(Jens Nacke [CDU]: Was?)

möglicherweise noch mit ganz anderen marktwirtschaftlichen Problemen auseinandersetzen müssen. Denn dann haben Sie es auch mit 2 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Karstadt, mit 2 500 Mitarbeitern von Neckermann, mit ungefähr 100 Mitarbeitern von BARD in Emden und mit 60 Mitarbeitern eines Elektrowerks in Oldenburg zu tun. Denen müssen Sie dann auch erklären, wie Sie sich das vorstellen und wie Sie diesen Menschen helfen wollen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Lies möchte antworten. Auch er hat für 90 Sekunden die Möglichkeit.

(Jens Nacke [CDU]: Der SPD- Vorsitzende hat ihn doch längst ab- gemeldet! Er wird gar nichts! Das pfei- fen doch die Spatzen von den Dä- chern! - Gegenruf von Stefan Schostok [SPD]: Nicht zu persönlich werden! - Weitere Zurufe - Unruhe)

- Jetzt herrscht wieder eine große Unruhe.

(Zurufe)

- Die ständigen Schuldzuweisungen helfen auch nicht weiter. Mal ist es der eine, mal ist es die andere. Dieses Spiel kennen wir schon. Wollen wir uns darauf verständigen, dass jetzt Herr Lies das Wort hat? - Okay. Herr Lies!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rickert, mir zu unterstellen, ich

würde das emotionalisieren und das Schicksal der Frauen missbrauchen - - -

(Christian Dürr [FDP]: Da grinst er selbst! - Jens Nacke [CDU]: Reine Selbstdarstellung!)

- Es ist traurig, dass Sie das so sehen. - In allem Ernst: Erkennen Sie nicht, dass ich nur das Schicksal dieser Frauen beschrieben habe und es auch an einer Arbeitsmarktsituation deutlich gemacht habe, die Sie mitzuverantworten haben? Genau darum geht es. Das ist das Schicksal der Frauen. Ihre Schönrederei, der Arbeitsmarkt sei so toll und gebe so viele Perspektiven her - - -

(Christian Dürr [FDP]: Sagen Sie et- was zu Holzmann! - Weitere Zurufe von der FDP)

- Schreien Sie mich doch nicht immer an, wenn ich hier vorne stehe! Das ist ja schrecklich.

Das ist das Problem. Erkennen Sie bitte an, welche Schwierigkeiten wir auf dem Arbeitsmarkt haben! Sorgen Sie mit uns gemeinsam dafür, dass wir genau diese Probleme beseitigen und einen Ordnungsrahmen für den Arbeitsmarkt schaffen! Dann finden wir auch eine Lösung für die Menschen am Arbeitsmarkt.

Da geht es uns wahrlich nicht nur um die Frauen, die bei Schlecker beschäftigt waren, sondern um alle Beschäftigten, die wir in unserem Land haben. Da können Sie ganz sicher sein, Herr Rickert.

(Beifall bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: Sagen Sie etwas zu Holzmann! Butter bei die Fische!)

Ich finde, dass man das an dieser Stelle wirklich einmal sagen muss: Die Einzelschicksale, die ich genannt habe, könnten wir hier in einer Riesenreihe aufführen. Fragen Sie doch einmal nach! Dann hören Sie, dass über 50 % der Beschäftigten im Einzelhandel für 400 Euro oder weniger arbeiten. Ist das Ihre reale Vorstellung von Arbeitsmarkt? Fragen Sie doch einmal, wer von ihnen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kriegt und wer im Urlaub Geld bekommt! Fragen Sie sie doch einmal, wie die Situation ist! Fragen Sie sie doch einmal, welche Perspektive sie im Alter haben! Wenn Sie die Antworten haben, können Sie zurückkommen. Dann lassen Sie uns gemeinsam über Lösungen reden. Ich glaube, so sind wir weit voneinander entfernt.