Wird durch die Reform der Wasserstraßen Niedersachsen abgehängt? Was tut die Landesregierung? - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 16/5020
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit mehr als einem Jahr beschäftigen die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sowie die Kategorisierung der niedersächsischen Wasserstraßen den Landtag.
Das aktuelle Reformkonzept des Bundesministeriums für Verkehr, Bauwesen, Städtebau und Raumordnung sieht eine grundlegende Veränderung der Aufbauorganisation der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes vor, welche alle Verwaltungsstufen - BMVBS, Direktionen, Ämter und Außenbereiche - umfasst. In diesem Zuge werden ab 2013 alle Direktionen bloße Außenstellen einer neuen Zentrale der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung mit Sitz in Bonn. Ein massiver Arbeitsplatzabbau dürfte die Folge sein. Auch die bisherigen Direktionen in Hannover und Aurich verlieren ihre regionalen Zuständigkeiten und ihre
Funktion als Anlaufstellen für die regionale Wirtschaft, für Länder und Kommunen. Damit wird künftig am Mittelrhein entschieden, was für die Wasserstraßen von der Nordsee bis Passau notwendig ist.
Grundlage für die zukünftige Verwaltungsstruktur ist die überarbeitete Kategorisierung der Bundeswasserstraßen nach ihrer Transportfunktion. Die Folgen der überarbeiteten Kategorisierung der Bundeswasserstraßen bleiben dabei nicht nur auf die Frage der zukünftigen Verwaltungsstrukturen beschränkt. Künftig werden auch Investitionsmittel auf Flüsse, Kanäle und Seewasserstraßen des Bundes mit viel Tonnage konzentriert. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass die erheblichen Zuwächse im Bereich der Binnenschifffahrt fast ausschließlich im Bereich des Containertransports erfolgen. Das vergleichsweise geringe Gewicht steigert die Tonnage jedoch nur geringfügig. Die Volumina der Container steigen jedoch, sodass mehr Schiffsverkehr auf den Wasserstraßen zu erwarten ist.
Bei einer reinen Festlegung auf die transportierte Tonnage wird dem Trend zu mehr Containertransport in keiner Weise Rechnung getragen. Eine starre Bindung der Investitionsmittel an die zusätzliche Tonnage lässt für die Zukunft einen massiven Rückgang der Investitionen in die niedersächsischen Wasserstraßen befürchten. Bereits durchgeführte oder in Aussicht genommene Investitionen, beispielsweise in Schleusenbauwerke, werden durch die Planungsunsicherheit bedroht.
1. Welche Auswirkungen auf die niedersächsischen Wasserstraßen erwartet die Landesregierung durch die Schaffung einer neuen Zentrale der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in Bonn?
2. Welche Auswirkungen wird die Kategorisierung der Wasserstraßen rein nach Tonnage aus Sicht der Landesregierung auf die künftige Bereitstellung von Investitionsmitteln zum Ausbau der Wasserstraßen haben?
3. Mit welchen Maßnahmen hat sich die Landesregierung seit Beginn der Reformbestrebungen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gegenüber dem federführenden BMVBS für die Interessen der Beschäftigten der niedersächsischen Standorte der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und den Interessen der niedersächsischen Binnenwasserstraßen eingesetzt?
Meine Damen und Herren, für die Landesregierung antwortet Herr Minister Bode. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom 27. Oktober 2010 hat das Bundesverkehrministerium von Januar 2011 bis Juni 2012 insgesamt fünf Berichte zur Neuorganisation der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes vorgelegt.
Auf der Grundlage von Artikel 89 des Grundgesetzes ist der Bund alleiniger Eigentümer der Bundeswasserstraßen und verwaltet diese mit einer bundesunmittelbaren Verwaltung. Die Länder haben damit keine eigenen Mitwirkungsrechte an der Gestaltung der Organisation dieser Bundesbehörde.
Niedersachsen hat nach dem Bekanntwerden der Reformpläne in den politischen Gremien der Verkehrsministerkonferenz wegen möglicher Auswirkungen auf die jeweiligen Wirtschaftsregionen eine stärkere Beteiligung vom Bund eingefordert. Auf Initiative des Landes Niedersachsen wurde der Bund mit dem Verkehrsministerkonferenzbeschluss vom 5./6. Oktober 2011 aufgefordert, die Forderungen der Länder und der Verbände stärker zu berücksichtigen und zu diesem Zweck ein gemeinsames Gutachten über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Wasserstraßen mit zu erstellen.
Dieser Initiative aus Niedersachsen ist der Bund dann gefolgt. Auf der Grundlage des Verkehrsministerkonferenzbeschlusses ist - wiederum unter Federführung meines Hauses - der Auftrag an die Firma Railistics erteilt worden. Railistics hat bereits - ebenfalls im Auftrag Niedersachsens - exemplarisch für das norddeutsche Wasserstraßennetz eine alternative Methodik entwickelt.
Dieser neuerliche Auftrag ging nunmehr dahin, die alternativen Kriterien zur Netzkategorisierung der Wasserstraßen auf das gesamte deutsche Wasserstraßennetz auszudehnen. Hierbei stand im Vordergrund, im Unterschied zur Orientierung allein an Gütertonnen Kriterien für die Kategorisierung der Wasserstraßen zu erarbeiten, die vor dem Hintergrund der Haushaltszwänge des Bundes eine nach Auffassung der Länder sachgerechtere Kategorisierung der Wasserstraßen ermöglichen.
An dem Auftrag haben sich 14 Bundesländer sowie der Bund und der Bundesverband öffentlicher Binnenhäfen beteiligt.
Mit dem Gutachten wird dem Kriterium der Erreichbarkeit der Wirtschaftsräume und dem Netzzusammenhang Rechnung getragen, wie es damals im Beschluss des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages gefordert worden ist. Nach Auffassung der Länder und des Bundesverbandes der öffentlichen Binnenhäfen ist damit eine gute Grundlage geschaffen worden, um eine alternative Kategorisierung der Wasserstraßen im Unterschied zur reinen gütertonnenorientierten Klassifizierung vorzunehmen.
Zu Frage 1: Auf die grundsätzlichen Einwirkungsmöglichkeiten der Länder im Bereich der Organisation von Bundesbehörden ist in der Vorbemerkung bereits eingegangen worden. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zentralisiert werden. Es ist eine Generaldirektion in Bonn vorgesehen, die für eine zentrale Steuerung aller Wasserstraßenprojekte zuständig sein soll.
Nach Auffassung der Landesregierung hat die jetzige Planung auch Nachteile. Durch diese Organisationsform verlieren die Länder z. B. ihre regionalen Ansprechpartner. Weiterhin sollen die laufenden Bau- und Unterhaltungsaufgaben durch örtliche Wasser- und Schifffahrtsämter und die verkehrlichen Aufgaben durch Revierämter wahrgenommen werden. Für die betrieblichen Aufgaben wird diese Organisationsform als möglich angesehen.
Seitens der Landesregierung wird gefordert, den Seehafenhinterlandverkehr und das hierfür wichtige norddeutsche Wasserstraßennetz in eine einheitliche, regional orientierte Betreuung zu legen. Auch unter Beachtung der gegebenen Haushaltszwänge kann so die Abwicklung der zunehmenden Verkehrsströme auf der Wasserstraße aus einer Hand erfolgen.
Zu Frage 2: Der Wasserstraßenhaushalt des Bundes ist nach Aussage des Bundesverkehrsministeriums strukturell unterfinanziert. Das jährliche Defizit beläuft sich nach dortiger Aussage auf ca. 500 Millionen Euro. Wegen der Altersstruktur der Bauwerke sind in den nächsten Jahren über 80 % des Budgets für die Substanzerhaltung und für Ersatzinvestitionen vorgesehen. Aufgrund der
knappen Haushaltsmittel ist - und das muss wohl zugestanden werden - eine Priorisierung der Investitionsmittel erforderlich.
Nach Auffassung der Landesregierung eignet sich hierfür jedoch nicht eine gütertonnenbezogene Klassifizierung der Wasserstraßen.
Vielmehr bietet die Untersuchung der Firma Railistics ausreichend Entscheidungskriterien für eine Priorisierung, ohne dass Wasserstraßen insgesamt hierfür in eine bestimmte Kategorie eingestuft werden müssen.
Immerhin - und das rechnen wir uns als ersten großen Erfolg zu - haben gerade die Ergebnisse des Railistics-Gutachtens dazu geführt, dass die Wasserstraßen in Norddeutschland überwiegend in eine höhere Kategorie als ursprünglich geplant eingestuft worden sind. Dies gilt für den Elbeseitenkanal, die Mittelweser, den Dortmund-EmsKanal, den Küstenkanal und auch für die Stichkanäle zum Mittellandkanal. Während sich die Zufahrt nach Wilhelmshaven noch in der höchsten Kategorie befindet, gibt es für die Außenems und die Unterweser noch Handlungsbedarf, da diese seewärtigen Zufahrten entgegen der Auffassung der Landesregierung nur in die zweithöchste Kategorie eingestuft worden sind. Negative Auswirkungen auch auf die norddeutschen Wasserstraßen hinsichtlich des weiteren Netzausbaus und der Beseitigung von Engpässen sind deshalb nicht auszuschließen.
Gerade vor dem Hintergrund steigender Gütermengen im Seeumschlag der norddeutschen Häfen fordert die Niedersächsische Landesregierung, in Norddeutschland einen Investitionsschwerpunkt zur Bewältigung der Transportbedürfnisse im Seehafenhinterlandverkehr zu bilden. Insoweit spielt der Elbeseitenkanal in den konzeptionellen Überlegungen der Landesregierung eine zentrale Rolle. Ein wichtiges Element des Elbeseitenkanals ist das Schiffshebewerk Scharnebeck bei Lüneburg - sowohl für den Seehafen Hamburg als auch für die Wirtschafts- und Industriegebiete in Niedersachsen und den angrenzenden Ländern. Damit wird nämlich der Höhenunterschied von Mittellandkanal und Elbe ausgeglichen.
Leider gibt es altersbedingt technische Probleme, die im Zuge der Wartungsarbeiten immer wieder zu Betriebsbeeinträchtigungen führen. Die Unternehmen beklagen wirtschaftliche Verluste in erheb
licher Größenordnung. Außerdem ist das Schiffshebewerk inzwischen zu klein, um die nächstgrößere Klasse von Binnenschiffen aufzunehmen. Die Anlage ist grundsätzlich modernisierungsbedürftig. Der Neubau ist nach hiesiger Auffassung geboten, um mittel- bis langfristig die notwendigen Transportkapazitäten im Hinterland des Hamburger Hafens für die hiesige Wirtschaft bereitzustellen.
Auch die seewärtige Zufahrt zum Hafen Emden bedarf baldmöglichst einer Anpassung. Der Hafen Emden hat sich in den vergangenen Jahren zur zentralen Automobildrehscheibe des VolkswagenKonzerns entwickelt. Das Land Niedersachsen hat erhebliche finanzielle Anstrengungen unternommen, um den Hafenstandort Emden im Rahmen der weltweiten Logistik zu unterstützen. Der Hafen Emden sollte in gleicher Weise erreichbar sein wie die Bremischen Häfen und der Hafen Hamburg.
Die Mittelweser zwischen Bremen und Minden ist nicht in der von der Landesregierung gewünschten höchsten Kategorie eingestuft worden, wodurch die Situation entstehen kann, dass nach Fertigstellung der beiden Schleusenneubauten in Minden und Dörverden, die mit erheblichen Bundesinvestitionen verbunden sind, eine durchgängige Befahrbarkeit mit dem Großgütermotorschiff (GMS) möglicherweise nicht gewährleistet werden kann. Möglicherweise wird hierdurch das Ausbauziel für die Mittelweser infrage gestellt. Problematisch ist bei der Mittelweser auch die fehlende Perspektive für die Erweiterung der Fluss- und Schleusenkanalstrecken für das übergroße Gütermotorschiff (ÜGMS) , obwohl alle Schleusen auf die Schiffsgröße des ÜGMS ausgelegt sind.
Zurzeit werden im Zusammenhang mit einem Forschungsvorhaben die Möglichkeiten geprüft, den Anschluss von Wilhelmshaven an das Binnenwasserstraßennetz durch ein neuartiges Schiffs- und Logistikkonzept herzustellen. Hiermit könnten ca. 5 Millionen Gütertonnen - Container und Massengut - zusätzlich auf der Mittelweser transportiert werden. Diesem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie voraussichtlich geförderten Vorhaben könnte damit die wirtschaftliche Basis entzogen werden.
Die Stichkanäle zum Mittellandkanal sind trotz ihrer erheblichen Bedeutung für die niedersächsische Industrie in die Kategorie C eingeordnet worden, obwohl der Ausbau auf der Grundlage des Regierungsabkommens von 1965 vertraglich vereinbart worden ist. Auf der Grundlage des Regierungsabkommens und unter Berücksichtigung der Ver
kehrsmengenentwicklung für das Stahlwerk Peine der Salzgitter AG ist der Ausbau des Stichkanals Salzgitter in der gleichen Kategorie wie der Hauptkanal Mittellandkanal zwingend erforderlich. Für die übrigen Stichkanäle Osnabrück, Linden und Hildesheim gelten differenzierte Betrachtungsweisen.
Zu Frage 3: Die Niedersächsische Landesregierung hat sich bislang in vielfältiger Weise in den Reformprozess der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung eingebracht und wird dies auch zukünftig tun. So hat die Landesregierung sich von Anfang an für die Belange der gesamten norddeutschen Binnenwasserstraßen eingesetzt und für die Länder die Sprecherrolle übernommen. In einem Schreiben vom 10. Juli 2012 hat die Landesregierung sowohl die Kategorisierung der Wasserstraßen nach Gütertonnen als auch die Strukturveränderung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die möglicherweise negative Auswirkungen auf die Weiterentwicklung des Wasserstraßennetzes haben könnte, kritisiert und Nachbesserungen gefordert.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bisher noch nicht alle Einzelheiten der geplanten organisatorischen Umsetzung bekannt und auch auf Bundesebene noch nicht abschließend festgelegt sind. Insoweit besteht für die Landesregierung zurzeit nur eine beschränkte Handlungsmöglichkeit. Die Auswirkungen auf die Beschäftigten an den niedersächsischen Standorten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung können ebenfalls erst mit Vorlage des fünften Berichts zur Wasser- und Schifffahrtsreform abgeschätzt werden.
Auch wenn die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Organisation des Bundes im Bereich der Wasserstraßen sehr begrenzt sind, haben die Ergebnisse des Railistics-Gutachtens nicht nur zu einer deutlichen Verbesserung bei der Kategorisierung der Wasserstraßen in Norddeutschland und damit auch in Niedersachsen gegenüber den ersten Entwürfen geführt. Voraussichtlich werden sie auch mittelbar eine positive Wirkung auf die Beschäftigtensituation in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung haben, da nach den Aussagen des BMVBS die Organisationsstruktur der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung an die Kategorisierung angelehnt werden soll.
Die Niedersächsische Landesregierung wird die bewährte Abstimmung mit den anderen Ländern insoweit fortführen und auch die niedersächsische Wirtschaft stärker zur tatsächlichen Nutzung der
Wasserstraßen anhalten. Ein Beitrag hierfür wird das sich in Überarbeitung befindliche niedersächsische Hafenkonzept sein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass der Minister gerade ausgeführt hat, welche Bedeutung die Wasserstraßen für die niedersächsischen Häfen haben und dass die Länder keine Mitwirkungsrechte haben, frage ich mich schon, ob nicht eine schwarz-gelbe Landesregierung mit ihrem politischen Einfluss auch über die Parteien bei einer schwarz-gelben Bundesregierung dafür sorgen müsste, dass eine solche unsägliche Reform, die zulasten des Landes Niedersachsen geht, gestoppt wird.