Protokoll der Sitzung vom 18.09.2008

Seit ich in diesem Landtag bin - inzwischen länger als ein halbes Jahr -, erreichen mich immer wieder Briefe und Schreiben zum Thema Beratungssituation in den Schulen. Die Schulpsychologenstellen werden abgebaut. Es gibt dazu inzwischen ein Schreiben des Verbands der Schulpsychologen, das Ihnen allen wahrscheinlich auch vorliegt. Jetzt gibt es wieder eine Eingabe, die diese wirklich

kritische, schwierige Situation zu verbessern versucht.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Und was passiert? - Ich muss mich jetzt wieder aufregen, wie ich es schon einmal getan habe. Sie wischen mit der Ausschussempfehlung alle vernünftigen Vorschläge vom Tisch. Ich kann nur noch einmal betonen: Auch mit dieser Eingabe wird versucht, eine Situation zu verbessern, die schwierig genug ist. - Ich empfehle dringend, hierbei von der Ausschussempfehlung abzuweichen.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Mir liegen jetzt zwei Wortmeldungen zu der Eingabe 3987/15 vor. Zunächst hat Herr Tonne von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche zu der Eingabe 3987/15. Es geht hier um die Änderung bzw. Aufhebung einer Wohnsitzauflage. Der Sachverhalt ist einfach wiederzugeben: Eine Mutter, die in Hessen wohnt, möchte gerne zur einzig verbliebenen Verwandten, nämlich ihrer Tochter, nach Osnabrück ziehen. Die Mutter ist in einem Alter, in dem sie feststellt, dass sie zunehmend Unterstützung braucht, und sie möchte gerne mehr Zeit mit ihrer Tochter und ihrem Enkelkind verbringen.

Die Antwort ist im negativen Sinne bemerkenswert. Sie lautet Nein, weil die Mutter im Sozialhilfebezug stehe und eine ungleiche Verteilung von Soziallasten vermieden werden müsse. Der Mutter wird sodann mitgeteilt: Wenn du umziehen willst, musst du einen Arbeitsplatz haben. Schließlich sei sie noch nicht so kränklich, dass sie pflegebedürftig wäre. Es wird dann seitens der Mutter ein Arbeitsvertrag vorgelegt. Die Antwort ist: Dieser Vertrag muss fingiert sein. - Einen konkreten Beweis dafür bleibt man jedoch schuldig. Außerdem sei die Mutter so krank, dass sie gar nicht in dem vorgelegten Umfang arbeiten könne.

Eine derartige Argumentation als widersprüchlich zu bezeichnen, ist das Vornehmste, was mir dafür noch einfällt.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Im Übrigen findet sich an keiner Stelle eine Darstellung, ob Osnabrück im Vergleich zu dem hessischen Landkreis tatsächlich eine höhere oder mindestens gleiche Belastung mit Sozialleistungen aufweist. Das müsste doch nach der eigens aufgestellten Argumentation so sein. Ich frage mich wirklich, was mit dieser Begründung hier bezweckt werden soll.

Die Erteilung der Wohnsitzauflage ist nicht zwingend vorgeschrieben. Es gibt somit genügend Spielraum für den Einzelfall.

Meine Damen und Herren, alle Reden der vergangenen Tage, man sei für die Menschen da, und die Empörung über den Vorwurf einer inhumanen Politik sind doch nur Sonntagsreden gewesen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Sie hätten hier konkret den Beweis für das antreten können, was Sie in Ihren Reden behaupten. Stattdessen wird kühl, bürokratisch, eben inhuman gehandelt und der Einzelfall mit seiner menschlichen Komponente nicht einmal ansatzweise beachtet. Das können und wollen wir nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

In Ihren Reden halten Sie sonst den familiären Aspekt immer ziemlich hoch. Hier scheint er Sie nicht zu interessieren.

Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass die Wohnsitzauflage zur Regelung der gleichmäßigen finanziellen Belastung durch Sozialleistungen sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung unter Dauerfeuer steht. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 15. Januar 2008 festgestellt, derartige Auflagen seien für anerkannte Flüchtlinge rechtswidrig. Genauso äußerte sich in einem ähnlichen Fall das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Genauso äußert sich der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. Der Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention ist nun mehrmals rechtlich festgestellt. Also hören Sie endlich auf mit Ihrer Politik! Sie müssen doch nicht warten, bis Ihnen auch noch dieser Fall durch irgendein Gericht um die Ohren gehauen wird. Das können wir jetzt beenden.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wir treten für eine Gesellschaft ein, in der gegenseitige Unterstützung und Hilfe gelebt werden.

Auch wenn Werte wie Solidarität Sie nicht interessieren - uns interessiert das. Wir nehmen das ernst. Wir werden nicht dazu beitragen, Menschlichkeit dem politischen Kalkül zu opfern. Ich beantrage namens meiner Fraktion, die Eingabe der Landesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Zu der gleichen Eingabe hat sich Frau Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, es wäre schön, wenn Sie etwas leiser wären. Ich kann das alles hier oben verstehen. Das ist nicht Sinn einer Plenardebatte.

Bitte schön, Frau Polat!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion hat diese Eingabe strittig gestellt. Auch wir - um das vorwegzunehmen - plädieren hier für Berücksichtigung.

Da ich nicht viel Zeit habe, möchte ich das zitieren, was mein Kollege von der SPD angesprochen hat. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat in seiner aktuellen Stellungnahme aus dem letzten Jahr zum Thema Wohnsitzauflage Folgendes gesagt - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:

„Nach Auffassung von UNHCR ist die Praxis deutscher Behörden, den Aufenthaltstitel von Flüchtlingen, die öffentliche Sozialleistungen beziehen, mit Hilfe einer Auflage hinsichtlich des Wohnsitzes auf das Gebiet des Bundeslandes, Bezirks, Landkreises oder der Gemeinde zu beschränken, in dem bzw. der diese erteilt wurde, mit dem Völker- und Europarecht nicht vereinbar. Sie verstößt sowohl gegen das in Art. 26 GFK“

- Genfer Flüchtlingskonvention -

„sowie anderen Menschenrechtsverträgen und in Art. 32 Qualifikations

richtlinie garantierte Recht auf Freizügigkeit …“

Deshalb plädieren wir für Berücksichtigung.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Zur gleichen Eingabe hat sich jetzt Frau Lorberg von der CDU-Fraktion gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Polat, ich hätte doch erwartet, dass Sie inhaltlich etwas zu dieser Eingabe sagen. Das war ausgesprochen flach.

Herr Tonne, wenn Sie diese Eingabe schon darstellen, dann sollten Sie wenigstens die Fakten ganz und gar hier vortragen und nicht irgendetwas heraussuchen, was dann völlig aus dem Zusammenhang gerissen wird und den Sachverhalt gar nicht richtig darstellt.

(Zuruf von der CDU: Das macht er immer so!)

Wichtig ist nämlich, dass die Petentin im Jahr 2003 mit ihrer Tochter - von dieser Beziehung sagen beide, dass sie eigentlich unzertrennlich seien - nach Deutschland kam und ins Hessische zog. Die Mutter bekam dort diese Wohnortauflage, weil sie weder erwerbstätig war, also ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern konnte, noch die anderen Bedingungen, an die diese Auflage geknüpft ist, erfüllt.

Die Tochter zog dann im Jahr 2004 zu ihrem Lebensgefährten nach Osnabrück. Wohlgemerkt, heute sagt sie in der Petition, sie und ihre Mutter seien eigentlich unzertrennlich. Sie zog aber aus freien Stücken nach Osnabrück und ließ ihre Mutter zurück.

Sie sagen, die Mutter befinde sich in einem Alter, in dem sie auf Hilfe angewiesen sei. Dazu muss man deutlich sagen, dass die Mutter zu diesem Zeitpunkt 60 Jahre alt war. Das sind einige, die hier sind, auch. Das muss man vielleicht einmal deutlich sagen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Dann sprechen Sie an, dass die Mutter sehr krank sei. Das wird von der Tochter in der Eingabe an

gemerkt. Aber wie kann es denn sein, dass ich, wenn ich eine so schwer kranke Mutter habe, ihr zumuten will, mein dreijähriges Kind tagtäglich zu betreuen? Auch das ist ein krasser Widerspruch. Hier wird ganz deutlich: Die Mutter möchte zu der Tochter - das ist sicherlich unstrittig -; aber die Tochter möchte, dass die Mutter kommt, um die Sorge um das Enkelkind nicht mehr haben zu müssen.

(Andrea Schröder-Ehlers [SPD]: Was ist daran schlimm?)

Hier besteht überhaupt keine besondere Härte, die das rechtfertigen würde, in keinster Weise.

(Andrea Schröder-Ehlers [SPD]: Die Auflage ist rechtswidrig!)

Es gibt Ausnahmen, die hier nicht erfüllt werden. Wäre die Mutter pflegebedürftig und auf die Pflege der Tochter angewiesen, würde sie sofort eine Ausnahmeregelung bekommen und könnte zu ihrer Tochter ziehen. Alle diese Punkte kommen hier überhaupt nicht in Betracht.

Ich finde es eigentlich ganz schwierig und ganz schade, dass Sie hier eine emotionale Diskussion führen, als würde hier jemandem wirklich etwas ganz Schwieriges und Schweres aufgebürdet.