Eine sensible Erinnerungskultur bezüglich der nationalsozialistischen Vergangenheit - ich glaube, darüber besteht in diesem Haus eindeutig Konsens - muss gepflegt werden. Dies bedeutet: Von Deutschen begangene Verbrechen sind anzuerkennen. Ein emotionaler Zugang zur Vergangenheit ist zu eröffnen. Aus der Geschichte muss auch die Verantwortung wachsen und vermittelt werden.
Aus unserer Sicht reicht es aber nicht aus, im Unterricht Vergleiche über totalitäre Systeme zu vermitteln oder sie gar gleichzusetzen. Eine Aufrechnung mit anderen Extremismen darf nicht erfolgen. Eine unspezifische Auseinandersetzung mit Extremismus schlechthin verwischt Unterschiede im Hinblick auf die sozialen und gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen und verliert sich leider in allgemein gehaltenen Aussagen und Appellen.
Meine Damen und Herren, wir fordern Sie auf, unseren Antrag zu unterstützen und mit Leben zu erfüllen. Wir würden uns freuen, wenn wir in den Beratungen zu einem Konsens kommen könnten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beide vorliegenden Anträge bieten heute eine gute Möglichkeit, über Ursachen, Erscheinungsformen und insbesondere über die Möglichkeit der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu diskutieren.
Eines möchte ich allerdings gerne vorwegschicken: Die Diskussion zu unserem Antrag im Plenum und im Ausschuss hat allerdings teilweise nicht in angemessener und würdevoller Form stattgefunden. Mit einer erschreckend schwachen Argumentation und Begründung wurde dieser Antrag im Ausschuss von den Fraktionen der CDU und der FDP abgelehnt. Sie haben heute die Chance, das zu ändern und dafür Sorge zu tragen, dass ein deutliches Signal gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit von diesem Landtag gesendet wird und Kommunen in ihrem Bestreben gestärkt werden, dagegen vorzugehen.
Somit würden auch die mahnenden Worte des Landtagspräsidenten während der gestrigen Gedenkveranstaltung anlässlich des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht praktisch untersetzt werden.
Meine Damen und Herren, gerade die letzten Wochen und Monate haben deutlich gemacht, dass Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit keine Randerscheinung in unserem Land sind. Am 1. November fand im sachsen-anhaltischen Harbke ein illegales Nazikonzert statt, an dem über 400 Personen teilnahmen. Ursprünglich sollte dieses Konzert in einem Lokal in der Nähe von Stadthagen stattfinden. Dies konnte zum Glück verhindert werden. Es zeigt jedoch, dass die Szene in Niedersachsen sehr aktiv ist. Zu klären bleibt noch, warum das Konzert in Sachsen-Anhalt nicht verhindert werden konnte und ob die niedersächsische Informationspolitik gegenüber den sachsenanhaltischen Behörden ausreichend war.
Genau eine Woche später konnte ein Konzert nicht verhindert werden. Im Bereich der Polizeidirektion Lüchow-Dannenberg fand mit Bands mit den Namen „Sturmtrupp“ und „Blue Max“ eine solche Veranstaltung statt. In Faßberg versucht der bundesweit bekannte Neonazi Rieger, eine Immobilie für neonazistische Schulungszwecke zu erwerben. Entsprechende Nachfragen sind gestellt.
Erschreckend ist auch die aktuelle Straftatenstatistik. Laut Innenministerium sind im ersten Halbjahr dieses Jahres insgesamt 908 - im Jahr 2007 waren es im ganzen Jahr 1 724 - rechtsextreme und 199 fremdenfeindliche Straftaten registriert worden. Besonders erschreckend ist die hohe Anzahl an Körperverletzungsdelikten: Waren es im Jahre 2007 insgesamt 95, wurden bis zum 31. Juli 2008 bereits 56 solcher Delikte registriert. Diese Statistik verdeutlicht eines: 80 % der politisch motivierten
Straftaten sind rechtsextrem bzw. fremdenfeindlich motiviert. Das unterstreicht, dass Niedersachsen ein strukturelles Rechtsextremismusproblem hat.
Dem müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen. An dieser Stelle möchte ich die Forderung meiner Partei nach einem NPD-Verbot wiederholen. Das wäre ein wichtiges Signal.
Aber es ersetzt natürlich in keiner Weise ein umfangreiches präventives Maßnahmenpaket, wie es im SPD-Antrag gefordert wird. Im Übrigen bin ich sehr gespannt, welche Ergebnisse das von Ihnen, Herr Schünemann, als Innenminister in Auftrag gegebene Gutachten zur möglichen Einschränkung von staatlichen Finanzierungen für verfassungsfeindliche Parteien erbracht hat.
Meine Damen und Herren, aus der Sicht meiner Fraktion muss insbesondere die Arbeit im präventiven Bereich verstärkt werden. Allerdings werden in den Jahren 2009 und 2010 die seit Anfang 2007 laufenden Maßnahmen des Bundesprogramms gegen Rechtsextremismus auslaufen. Davon werden dann auch zahlreiche Projekte in Niedersachsen betroffen sein. Unter anderem ist die Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt in Braunschweig in ihrer Existenz bedroht. Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass die in den letzten Jahren gewachsenen Strukturen der Zivilgesellschaft nicht wegbrechen. Die Arbeit gegen Rassismus und Gewalt muss auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wenn Sie die mahnenden Worte unseres Landtagspräsidenten Herrn Dinkla und die Ausführungen des Zeitzeugen Herrn Fürst ernst nehmen, wenn Sie gegen Rassismus, Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus eintreten und wenn Sie - das geht nur parteiübergreifend - mit dafür Sorge tragen wollen, dass Rassismus und Rechtsextremismus in unserem Land keine Chance haben, dann stimmen Sie unserem Antrag zu!
Genau unter diesem Aspekt würde ich Sie bitten, würdevoll und inhaltlich über den Antrag der SPDFraktion zu diskutieren; denn nur so und nur gemeinsam werden wir es schaffen, den Rechtsextremisten in unserem Land und in unseren Parlamenten keine Chance zu geben.
Der nächste Redner ist Herr Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde kurz auf den Antrag zur Städtekoalition gegen Rassismus eingehen und dann zum Antrag der SPD-Fraktion sprechen.
In der ersten Debatte über den Antrag zur Städtekoalition hat die CDU-Fraktion ihre Ablehnung im Wesentlichen mit zwei Argumenten begründet: Erstens wolle man nicht in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen, und zweitens tue man bereits genug gegen Rechtsextremismus.
Zum Ersten: Wie sieht es denn mit der kommunalen Selbstverwaltung z. B. bei der Flüchtlingspolitik in diesem Lande aus? - Die Landesregierung tut alles, um zu verhindern, dass Landkreise von ihrer Selbstständigkeit Gebrauch machen und Flüchtlingen Bargeld statt Gutscheine auszahlen.
Hier ist die Landesregierung eifrig dabei, den Kommunen hineinzuregieren und auch den letzten Landkreis zu zwingen, auf die teuren und menschenunwürdigen Gutscheine umzustellen.
Aber bei der Städtekoalition zählen plötzlich die Unabhängigkeit und die kommunale Selbstverwaltung.
Zum Zweiten: Ohne Frage laufen innerhalb Niedersachsens einige wirklich gute Projekte gegen Rechtsextremismus. Aber der Punkt ist noch lange nicht erreicht, an dem wir sagen können: Jetzt haben wir genug gegen Rechtsextremismus getan,
Gestern hat Herr Fürst hier an dieser Stelle eindringlich an uns alle appelliert, mehr gegen Rechtsextremismus zu unternehmen. Das sollten wir ernst nehmen.
(Reinhold Coenen [CDU]: Das ma- chen wir auch! - Gegenruf von Ralf Briese [GRÜNE]: Nun hör doch mal zu!)
Um zu verdeutlichen, wie wichtig entschlossenes gemeinsames Handeln gegen Rechtsextremismus ist, möchte ich ein paar Zahlen vortragen. Seit der Wiedervereinigung 1990 sind in Deutschland über 140 Menschen durch Rechtsextreme ermordet worden. Allein im August 2008 gab es drei leider wenig beachtete Morde von Nazis an anderen Menschen. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen zu Beginn dieses Jahres erreichte die NPD 1,5 %. In absoluten Zahlen gaben 52 817 Niedersächsinnen und Niedersachsen der NPD ihre Stimme. Am 2. August 2008 marschierten in Bad Nenndorf über 400 gewaltbereite Neonazis, die erreichten, dass die Polizei die Route der friedlichen, angemeldeten und genehmigten Gegendemonstration aus Angst vor dem Gewaltpotenzial der Nazis abbrach.
Nazis wollen am 1. Mai 2009 in Hannover demonstrieren und damit unzweifelhaft die Veranstaltung zum Tag der Arbeit stören.
Das alles zeigt: Rechtsextremismus ist eine permanente Bedrohung. Wir sollten für jeden neuen Vorschlag zur Bekämpfung dieses Übels dankbar sein.
Der SPD-Antrag geht aber auch auf das Phänomen des Rassismus der Mitte ein. Rechtsextremes Gedankengut findet sich nach der HalfmeyerStudie bei Mitgliedern aller demokratischen Parteien, also auch aller im Landtag vertretenen Parteien. Das muss uns allen zu denken geben. Denn leider bereiten allzu oft Politiker demokratischer Parteien den Nährboden für Rechtsextreme und liefern ihnen Vorlagen, die sie bei ihrer Propaganda aufnehmen. Wenn z. B. der Innenminister dieses Bundeslandes Niedersachsen öffentlich davon spricht, dass wir mehr Ausländer brauchen, die
uns nutzen, und weniger Ausländer, die uns ausnutzen, wenn also Menschen in dieser Weise nach ihrer Nützlichkeit bewertet und unterschieden werden, dann ist das eine gefährliche Rhetorik, die fremdenfeindliche Ressentiments bedient.
Diese Aspekte machen deutlich: Es ist noch viel zu tun gegen Rechtsextremismus. Der SPD-Antrag bietet allerdings nur wertvolle Anregungen; konkretere Forderungen fehlen überwiegend. Wie soll z. B. Demokratieerziehung aussehen? Wie soll „Mitwirkung an demokratischen Prozessen“ aussehen? - Eine Möglichkeit wäre, Schülerinnen und Schülern in den Schulvorständen eine echte Mitwirkung einzuräumen, z. B. durch die Einführung der Drittelparität, die wir Grüne immer gefordert haben. Schülerinnen und Schüler stellen jetzt nur ein Viertel der Mitglieder des Schulvorstandes, obwohl sie in der Schule die mit Abstand größte Gruppe stellen. Das wäre ein konkretes Beispiel.
Unklar bleibt auch, was mit „niedrigschwelligem Zugang zu kulturellen Gütern“ oder „verstärkter Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Institutionen“ gemeint ist. Aber wir haben ja in der Ausschussarbeit noch viel Zeit, um diese Hülle mit Leben zu füllen. Ich bin optimistisch, dass wir anhand dieses Antrages gemeinsam viele Konzepte gegen Rechtsextremismus bearbeiten werden.