Protokoll der Sitzung vom 09.12.2008

Meine Damen und Herren, wegen der Heftigkeit der Rezession sind aber auch Sie gefragt, den zweiten Schirm für Wachstum und Beschäftigung aktiv mit zu gestalten. An den Bund Zensuren zu verteilen, aber im Land keine Konzepte zu haben und nur in die Zuschauerrolle zu verfallen - das reicht nicht aus. Dabei liegen die Möglichkeiten auf der Hand, als Land einen Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaft zu leisten. Je länger Sie jedoch warten, desto schlimmer wird die wirtschaftliche Delle auch hier in Niedersachsen werden.

Das Land Niedersachsen hat einen eigenen Wirkungsbereich und genügend Möglichkeiten, in Landeseinrichtungen zu investieren, ob energetische Gebäudesanierung oder Bau von Landstraßen und Radwegen. Die Hauptlast aber - das wissen Sie genau - tragen in erster Linie die Kommunen und Landkreise; denn sie haben sehr vielfältige Aufgaben. Besonders die öffentliche Nachfrage über Investitionen in Infrastruktur, Schulen, Sport- und Schwimmhallen sowie Kitas oder auch die dringend notwendige energetische Gebäudesanierung sind jetzt auch dort angesagt. Geben Sie den Kommunen und Landkreisen endlich den Spielraum für das Vorziehen wichtiger Investitionen. Geben Sie auch Gemeinden mit schwieriger Haushaltslage die Möglichkeit, durch Sanierung Energiekosten einzusparen. Das Land hat keine Zuschauerrolle und schon gar keine Schiedsrichterfunktion. Sie als Koalitionsfraktionen sind gefragt. Diese Landesregierung muss endlich handeln.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile dem Abgeordneten Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kritik von Herrn Rösler an der unausgegorenen Konsumgutscheinidee ist durchaus berechtigt. Wir teilen sie.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Aber man muss schon fragen, welche Vorschläge die FDP gegen die stark zunehmende Wirtschaftskrise zu bieten hat.

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Da muss ich feststellen: Ihre Steuersenkungskonzepte, Herr Rösler, sind nichts als ebensolche ungedeckten Konsumgutscheine,

(Beifall bei den GRÜNEN)

allerdings - darauf hat Herr Will schon hingewiesen - mit enormer sozialpolitischer Schieflage; denn Vielverdiener bekommen bei Ihnen mehr als Geringverdiener.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Transfergeldbezieher gehen ganz ohne Konsumgutschein von der FDP nach Hause. Das Loch im Staatshaushalt reißen Sie mit Ihrem Vorschlag noch deutlich größer auf als die Linken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind einfach nicht die richtigen Alternativen. Weitere Strohfeuer auf Pump verbieten sich angesichts der erheblichen finanziellen Vorbelastungen der öffentlichen Haushalte. Aufgabe der Politik muss es sein, jetzt mit den vorhandenen Mitteln viel mehr für die Binnenkonjunktur zu tun, und zwar mit möglichst schneller und nachhaltiger Wirkung. Wir haben ein Binnenkonjunkturproblem, Herr Rösler. Das verleugnen Sie.

Hier verweigern sich CDU und FDP in Niedersachsen bislang. Das macht diesen Antrag zur Aktuellen Stunde letztlich zum Bumerang für Sie selbst, Herr Rösler. Sie haben hier die Mehrheit und hatten Zeit genug, um die alarmierenden wirtschaftspolitischen Signale aufzunehmen und im Haushalt 2009 darauf Antworten zu geben. Der ist finanziell noch einigermaßen solide. Über 3 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen stehen Ihnen im Vergleich zum Jahr 2006 zur Verfügung.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Der ist hoch solide!)

Was haben Sie daraus gemacht? - Business as usual, als hätte es keine Finanzkrise gegeben und als gäbe es nicht überall Hiobsbotschaften über Auftragseinbrüche, Kurzarbeit und drohende Entlassungen. Der Haushaltsentwurf vom Frühsommer soll diese Woche mit wenigen, homöopathischen Veränderungen von Schwarz-Gelb durchgewunken werden. Das ist Realitätsverweigerung und fehlende politische Verantwortung, Herr Rösler!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihre Antwortversuche beschränken sich bisher auf das, was Sie nicht selber tun müssen. Von Bund und EU fordern Sie Steuersenkungen und Umweltdumping für die Industrie, als hätten Sie die Wirkung des Jobmotors Klimaschutz auf dem Weg aus der vergangenen Wirtschaftskrise nicht zum eigenen politischen Nutzen mit erlebt.

Der Ministerpräsident tut sich als politischer Schattenboxer hervor. Populistisch auf den Spuren von Al Gore warnt er vor drohenden 800 Milliarden Euro Aufwendungen bis 2050, um Klimaschäden zu beheben, drückt aber zugleich mit der Kanzlerin in Brüssel längere Laufzeiten für Spritfresser durch und will für Chemieunternehmen Ausnahmen beim CO2-Emissionshandel durchsetzen.

(David McAllister [CDU]: Sie sind doch wirtschaftspolitischer Sprecher!)

Was denn nun, Herr Wulff - Klimakatastrophe oder Wirtschaftsförderung bei den Klimakillern?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Seit heute wissen wir, Herr McAllister, wie Herr Wulff das hinkriegt. Wie ich heute morgen der HAZ entnehmen konnte, gibt es nämlich in Wirklichkeit zwei Wulffs, zum einen den Ministerpräsidenten, der z. B. über Innenminister Schünemann bei den Kommunen, wie etwa im Falle Hannovers, die Daumenschrauben für mehr Einsparungen ansetzt, und zum anderen den Privatmann Wulff, der scheinbar wie Al Gore die Klimaschäden vor sich sieht und bei der Linken Unterschriften gegen die vom Land erzwungenen Zusammenlegungen von eng beieinander liegenden Bibliotheken abgibt. Zwei Wulffs!

(Helge Limburg [GRÜNE]: Aha! - Da- vid McAllister [CDU]: Lieber zwei Wulffs als ein Hagenah!)

Herr Wulff, was Sie hier an Politik vorlegen, ist wirklich Sankt Florian hoch drei.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

An dieser Stelle hat die FDP mit ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde tatsächlich Recht: Politik kann sich nicht in ein widersprüchliches „Wünsch dir was“ verstricken, sondern hat die Aufgabe, passende Lösungsansätze zu den politischen Problemen zu erarbeiten. Nicht heute hü und morgen hott!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - David McAllister [CDU]: Das war ein ganz schwacher Auftritt!)

Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

(David McAllister [CDU]: Keine Kon- sumgutscheine zu Weihnachten! Das wäre christlich!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen in gewisser Weise eine Geisterdebatte, mindestens aus drei Gründen: Erstens ist die Sache ganz offenbar erledigt. Die SPD hat’s gegeben, die SPD hat’s genommen. Das ist sozusagen der Abglanz früherer sozialdemokratischer Regierungsherrlichkeit.

(Heiner Bartling [SPD]: Der Name des Herrn sei gepriesen!)

Zweitens kann man natürlich über so etwas reden. Es gab auch schon einmal den Vorschlag, die Leute Gräben ausheben und wieder zuschütten zu lassen, um dadurch die Konjunktur in Gang zu bringen. So ganz falsch sind solche scheinbar absurden Gedanken nicht. Auch in solchen Gedanken muss man das Sinnhafte entdecken. Das Sinnhafte besteht hier darin, dass der Vorschlag implizit das Zugeständnis beinhaltet: In diesem Lande haben wir vor allem ein Nachfrageproblem. - Das ist der richtige Kern dieses Vorschlages.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Bartling, Herr Wenzel, dass wir dieses Nachfrageproblem haben, ist allerdings das Ergebnis der Politik nicht nur von CDU und FDP, sondern auch von SPD und Grünen.

Das Merkwürdige und Gespenstischste an dieser Debatte aber ist, dass dies anstelle wirklich ernsthafter Maßnahmen auf bundespolitischer Ebene diskutiert wird. Zu den landespolitischen Vorschlägen kommen wir heute Nachmittag noch.

Es gäbe z. B. die Möglichkeit, auch kurzfristig etwas zu tun, indem man beispielsweise eine Rentenerhöhung um 4 % zum 1. Januar 2009 wirksam werden ließe. Wenn man das Bankenrettungspaket so schnell durchwinken konnte, hätte man auch dies durchwinken können. Das wäre wirksam.

(Beifall bei der LINKEN)

Man könnte z. B. genauso schnell einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,71 Euro, 8,44 Euro oder wie Sie ihn möchten - darüber kann man ja streiten - einführen. Auch das wäre eine - übrigens steuerschonende - Maßnahme, die den Konsum sofort und schlagartig beleben würde.

(Beifall bei der LINKEN)

Man könnte auch den Hartz-IV-Regelsatz sofort auf z. B. 435 Euro anheben. Auch das wäre eine Maßnahme, die im Vergleich zum Bankenrettungspaket zu Spottpreisen zu haben wäre, aber erhebliche Nachfragewirkung entfalten würde.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wären wirksame Sofortmaßnahmen. Von denen ist aber weit und breit nichts zu sehen, u. a. auch wegen der steuerpolitischen Position, die wir eben von Herrn Dr. Rösler gehört haben.

Herr Will, zu dem, was Sie gesagt haben, möchte ich eine Bemerkung machen. Unsere Parteien sind ja in diesem Parlament aus verschiedenen Gründen die am nächsten beieinander sitzenden.

(David McAllister [CDU]: Das merkt man!)

Was ich aber problematisch finde und was wir uns nicht antun sollten, weil es sachlich falsch ist, ist, davon zu reden, es gebe 24 Millionen Menschen, die keine Steuern zahlten. Es gibt zwar viele, die zu wenig Einkommen haben, um direkte Steuern zu zahlen. Aber auch jeder Hartz-IV-Empfänger und jeder Kleinrentner zahlt bei jedem Einkauf seine Mehrwertsteuer. Insofern zahlen sie Steuern. Herr Will, ich finde, das ist eine Verschmähung der vielen Steuerzahler, denen tatsächlich bei jeder Mehrwertsteuererhöhung das Geld aus der Tasche gezogen wird. Das sollten wir uns nicht antun.