Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Stratmann, ich möchte auf die Äußerung von Frau Ministerin Heister-Neumann zur Warteliste der Ganztagsschulen zurückkommen. Ich möchte gerne wissen, wie lang diese Warteliste ist und in welchem Tempo Sie vorhaben, diese Liste abzuarbeiten.
Ich habe in meinen Eingangsbemerkungen darauf hingewiesen, dass es Anträge gibt und dass mit allen antragstellenden Schulen Beratungsgespräche geführt werden. Wir sind bemüht, das Ergebnis dieser Beratungsgespräche insoweit zu konkretisieren, dass es schließlich zu einer Bewilligung des Antrages kommt. So läuft das Verfahren. Ihre Frage unterstellt, dass wir Anträge von vornherein ablehnen würden. Das ist nicht der Fall.
Zur Einbringung erteile ich dem Abgeordneten Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Cellesche Zeitung berichtete am 27. November 2008, dass in der Justizvollzugsanstalt Celle Gefangenenakten bzw. Teile von Gefangenenakten
Herr Kollege, ich darf Sie kurz unterbrechen. - Ich bitte dringend darum, dass die Gespräche im Plenarsaal bei allen Fraktionen jetzt deutlich reduziert werden. Das stört hier vorne und hindert auch den Redner daran, ungestört seine Ausführungen zu machen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Bereits im September habe die JVA Strafanzeige gestellt; die Ermittlungen dauern an. Betroffen sind offenbar Akten von prominenten Ex-Gefangenen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten nicht mehr in der JVA inhaftiert sind. Bekannt ist bisher, dass aus der Gefangenenakte eines ehemaligen RAF-Terroristen, der bis 1995 in der JVA Celle einsaß, Aktenteile verschwunden sind und dass die Akte des Schauspielers Driest, der bis 1968 seine Haft in Celle verbüßte, zunächst verschwunden war; diese ist jedoch wieder aufgetaucht. Gefangenenakten enthalten sensible Daten, deren Veröffentlichung schwerwiegende Konsequenzen für die Betroffenen nach sich ziehen könnten.
Die Unterrichtung des Unterausschusses „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ des Landtags durch das Justizministerium zu den Vorfällen kam zwar auf Drängen einiger Abgeordneter zustande. Es bleiben aber weiter Fragen offen.
1. Ist der Landesregierung der gesamte Umfang des Verlustes von Akten oder Aktenteilen von Strafgefangenen in der JVA Celle bekannt?
2. Hat die Landesregierung in Erwägung gezogen, zumindest die Akten von weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf Verlust zu überprüfen?
3. Hat der Justizminister und/oder haben Mitarbeiter des Justizministeriums über Art, Umfang und Stand der Ermittlungen mit der ermittelnden Staatsanwaltschaft über den Verlust der Gefangenenakten gesprochen und gegebenenfalls Weisungen erteilt?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Thematik der Dringlichen Anfrage ist auch Gegenstand einer Kleinen Anfrage des Abgeordneten Limburg gewesen, die dieser jedoch gestern zurückgezogen hat. Ich hoffe, Herr Kollege Limburg, Sie hatten keine Angst vor der Antwort.
Der Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ hat sich in seiner Sitzung am 3. Dezember 2008 eingehend mit dem Vorgang in der JVA Celle befasst. Das Protokoll zu diesem Tagesordnungspunkt, das 29 Seiten umfasst, liegt den Mitgliedern des Rechtsausschusses und, ich denke, auch den Mitgliedern des Unterausschusses bereits vor. Im Übrigen musste das Justizministerium zur Unterrichtung nicht gedrängt werden. Der Vorsitzende des Unterausschusses hat, wie üblich, das Thema auf die Tagesordnung des Unterausschusses gesetzt, und das Justizministerium hat, wie üblich, berichtet.
Selbstverständlich beantworte ich die Dringliche Anfrage von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gerne auch in diesem Rahmen - allerdings nur, soweit das laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren dies erlaubt. Denn es sollte in unserem gemeinsamen Interesse liegen, die Ermittlungen zu unterstützen und nicht etwa zu behindern oder gar den Ermittlungserfolg zunichtezumachen. Ich bitte Sie sogar, gegebenenfalls Ihr Wissen der zuständigen Staatsanwaltschaft anzuvertrauen.
Der Landtag ist aber auch noch auf anderem Wege über den Vorfall in der JVA Celle unterrichtet worden. Der Informant selbst, ein wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilter Insasse der JVA Celle, hat sich in diesem Zusammenhang mit zwei Eingaben an den Niedersächsischen Landtag gewandt. In der am 14. November 2008 eingegangenen Eingabe berichtet er unter dem Betreff „Entwenden von Gefangenenpersonalakten“ über seine Rolle und seine Kontakte zu dem Abgeordneten Limburg. In der am 5. Dezember 2008 eingegangenen Eingabe beklagt er vermeintliche Drangsalierungen der Anstaltsleitung, die ihm, weil er Fehler aufgedeckt habe, eigentlich mit Respekt begegnen müsse.
Sie sehen, meine Damen und Herren, dass wir das Aktenthema unter verschiedenen Blickwinkeln beleuchten werden, aber erst - ich betone es noch einmal -, wenn das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist und verwertbare Ergebnisse vorliegen.
Sehr geehrte Damen und Herren, jedes Jahr werden etwa 7 000 Gefangene aus niedersächsischen Vollzugsanstalten entlassen. 2007 waren es genau 7 139 Gefangene. Nach der Entlassung werden die Personalakten der Gefangenen geschlossen und in der Regel zehn Jahre aufbewahrt. In Einzelfällen können längere Aufbewahrungsfristen festgelegt werden. Durchschnittlich enthält jede Akte zwei Bände. Gehen Sie also bitte davon aus, dass etwa 140 000 Aktenbände von entlassenen Gefangenen in unseren Justizvollzugsanstalten aufbewahrt werden. Hinzu kommen die Akten von derzeit 6 513 einsitzenden Gefangenen; diese Zahl bezieht sich auf den Stichtag 30. November 2008.
Der Landesregierung ist seit 2003 bis auf den jetzt aktuellen Fall kein einziger anderer Fall bekannt geworden, in dem Akten unzulässigerweise in Hände außerhalb der Anstalt gelangten. Auch die Mitarbeiter meines Hauses, die auf einen noch längeren Zeitraum zurückblicken, erinnern sich nicht an ein solches Vorkommnis.
Bevor ich nun die Fragen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen beantworte, möchte ich, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, in aller Deutlichkeit sagen: Wenn das Ermittlungsverfahren Schwachstellen in der Organisation oder Aktenführung der Anstalt oder systematische Fehler anderer Art offenlegt, werden wir die Konsequenzen daraus ziehen. Sie werden aber verstehen, dass ich zunächst die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens abwarten und nicht in ungesteuerten Aktionismus verfallen möchte. Wenn eine Bank z. B. zwei Fehlbuchungen vorgenommen hat, überprüft sie zunächst auch nicht alle Kundenkonten, sondern eruiert, ob ein individueller Fehler oder eine Störung im System ursächlich ist. Nur in letzterem Fall werden Kontrollen in großem Umfang veranlasst.
Zu Frage 1: Die JVA Celle hat berichtet, dass sie die Aktenbestände aller derzeit inhaftierten Gefangenen auf Vollständigkeit hin überprüft und dabei - bis auf ein Gutachtenheft - keine Fehlbestände festgestellt hat. Weitere Einzelheiten kann ich Ih
nen nicht mitteilen, weil ich damit in den Kern des laufenden Ermittlungsverfahrens vorstoßen würde.
Anlass, auch die Akten aller ehemaligen Gefangenen der JVA Celle zu überprüfen, hatte ich bisher nicht. Ich weise allerdings darauf hin, dass es auch mit größtem Personaleinsatz unmöglich ist, die Existenz jedes einzelnen Aktenbestandteils in den Vollzugsgeschäftsstellen und in den Archivräumen festzustellen und dass es geradezu wagemutig wäre, selbst nach einer erfolgreichen Überprüfung zu behaupten, dass nichts fehlt.
Zu Frage 2: Die Landesregierung hat nicht veranlasst, darüber hinaus weitere Gefangenenakten auf Verlust zu überprüfen. Sie hätte auch Schwierigkeiten damit, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Justizvollzugsanstalten als solche zu qualifizieren und zu identifizieren, weil sie nicht einordnen kann, ob damit z. B. Rechtsanwälte, Industrielle, Künstler, Bankräuber, Zuhälter oder Terroristen gemeint sind. Die Landesregierung vermag auch nicht nachzuvollziehen, warum nach Auffassung von Bündnis 90/Die Grünen - wenn überhaupt - nur die Akten sogenannter prominenter Gefangener auf Vollständigkeit überprüft werden sollten. Die Sensibilität im Umgang mit persönlichen Daten gilt nach dem Verständnis der Landesregierung für alle Gefangenen ungeachtet ihrer Präsenz in den Medien.
Zu Frage 3: Das Justizministerium hat sich in dieser Sache auf der Grundlage der AV „Berichtspflichten in Straf- und Bußgeldsachen“ des MJ vom 8. Oktober 2007 - veröffentlicht in der Niedersächsischen Rechtspflege, Seite 342 - berichten lassen. Das ist ein üblicher und notwendiger Vorgang. Einfluss auf die Ermittlungen in Form von Weisungen hat es nicht gegeben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, Herr Minister, haben Sie gesagt, dass die Aktenbestände überprüft worden sind. Das heißt, es trifft offensichtlich zu, dass nach Bekanntgabe der Vorfälle, des Verschwindens von Akten oder Teilen von Akten, Justizbeamte in Celle etwa zwei Wochen lang den Aktenbestand überprüft haben. Meine Frage an Sie ist: Warum ist das in der Sitzung des Unterausschusses geleugnet worden?
Herr Präsident! Frau Kollegin, ich unterstelle einfach einmal zugunsten aller dort beteiligten Abgeordneten und aller dort beteiligten Bediensteten, dass in der Sitzung ausführlich Auskunft erteilt worden ist - 29 Seiten stark ist das Protokoll - und dass dort nicht geleugnet worden ist.
Nach unserem Kenntnisstand sind die Akten der derzeit einsitzenden Gefangenen vollständig überprüft worden. Das ist ein Bestand von einigen hundert Akten, zum Teil sicherlich auch umfangreich. Mit dem Bestand der Akten der bereits entlassenen Gefangenen hatte man sich, glaube ich, bis zu dem Zeitpunkt noch nicht hinreichend befasst. Weil es Berge von Akten sind, müssen wir auch gucken, wie wir in nächster Zeit damit umgehen werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Busemann, ich würde gern noch einmal ein paar Worte darüber hören, wann und auf welchem Wege die Landesregierung von dem Abhandenkommen der Akten erfahren hat.
Herr Präsident! Herr Kollege Adasch, es war wohl am 3. September dieses Jahres so, dass sich ein Inhaftierter - derjenige, den ich bereits vorhin in der Antwort erwähnt habe - der Anstaltsleitung anvertraut und mitgeteilt hat, von drei - „drei“ war die Zahl - ehemaligen Gefangenen würden die Akten fehlen.
Herr Minister, Sie haben eben gesagt, dass die Akten zehn Jahre aufbewahrt werden. Nun ist ja der ehemalige Gefangene Burkhard Driest 1968 inhaftiert worden. Das ist also 40 Jahre her. Deshalb stellt sich für mich die Frage: Gibt es eigentlich nicht bestimmte Fristen, nach denen solche Akten vernichtet werden sollten, um zu verhindern, dass sie gestohlen und anschließend, soweit es Akten von Prominenten sind, die gestohlenen Akten dann verkauft oder vermarktet werden?