Protokoll der Sitzung vom 15.01.2009

Nichtsdestoweniger werden wir uns natürlich konstruktiv und vernünftig in den weiteren Prozess einbringen. Sonst hätten wir doch nicht einen sol

chen Antrag gestellt, wie wir ihn Ende November vorgelegt haben. Wir werden mit Ihnen darüber reden, wie das Ganze vernünftig gestaltet werden kann. Das wird jetzt deutlich schwerer, als wenn man es gleich in die Verhandlungen zum Lissabon-Vertrag eingebracht hätte. Aber wir werden alles tun, damit Europa ein soziales Europa wird und damit soziale Grundrechte sich hier durchsetzen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. - Herr Kollege Riese, möchten Sie antworten? - Bitte schön, auch Sie haben anderthalb Minuten.

Verehrte Frau Flauger, das war nicht wirklich eine Reaktion auf meine Rede, sondern ein Herausschinden zusätzlicher Redezeit.

(Björn Thümler [CDU]: Sehr richtig!)

Das war vielleicht ein ganz geschickter Kunstgriff.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Zur Sache!)

- Ja, zur Sache. Die europäische Koordination verschiedener Politikfelder bezieht sich nach dem Vertrag von Lissabon auch auf die Abstimmung von Verteidigungspolitik. Ich glaube, dass wir in einer Zeit, in der Verteidigung eine hohe Technologie erfordert, sehr gut beraten sind, in dem Europa, das für sechs Jahrzehnte Frieden für uns alle gesorgt hat - und das in einem Land, das vorher jahrhundertelang nur Krieg kannte -, diese Möglichkeiten zu nutzen. Das wird nicht zuletzt auch den Staatshaushalt der Bundesrepublik Deutschland entlasten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Das wol- len wir einmal sehen!)

Danke schön. - Eine letzte Wortmeldung liegt mir von der Fraktion DIE LINKE vor. Frau Kollegin Flauger!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Riese, Sie haben eben an die Adresse der SPD gesagt, der Begriff „soziale Fortschrittsklausel“ sei von der Fraktion geprägt wor

den, die rechts neben der SPD sitze. Ich möchte Sie darüber aufklären, dass dieser Begriff aus dem Gewerkschaftsumfeld kommt: vom Europäischen Gewerkschaftsbund und vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Wenn Sie meinen, die Linke habe dafür gesorgt, dass der EGB, der DGB und Einzelgewerkschaften diesen Begriff geprägt haben, dann stelle ich fest: Sie trauen uns eine Menge Einfluss zu. Das mag auch so stimmen.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das sagt ja noch nicht einmal Ihre eigene Frakti- on!)

Frau Pieper, Sie haben offensichtlich den Antrag nicht gelesen. Erstens stellen Sie die Frage: Warum jetzt? - Wir hätten natürlich gehofft, dass die Landesregierung auch an dieser Stelle mehr tut.

Zweitens zu Ihrer Aussage, die Forderungen seien bereits erfüllt und es gebe doch ein schönes EIZProgramm: Auf dieses Programm haben wir uns im Antrag ausdrücklich bezogen. Wir haben gesagt, das ist ein gutes Programm, das sind gute Maßnahmen, darauf aufbauend wollen wir mehr.

Wir haben keine Bürgerforen gefordert. Das steht überhaupt nicht in unserem Antrag. Das EIZ macht mehrere. Das finden wir auch gut, aber das reicht in unseren Augen nicht, weil viele Menschen nicht zu solchen Veranstaltungen gehen. Wer sich für Europa nicht weiter interessiert, der geht nicht zu einer Informationsveranstaltung des EIZ. Das wird einfach nicht passieren. Wir begrüßen ausdrücklich, was das EIZ da tut.

Herr Dr. Matthiesen, Sie haben gesagt, es werde ja auch soziale Marktwirtschaft erwähnt. Das ist richtig. Aber im Lissabon-Vertrag wird auch offene Marktwirtschaft erwähnt. Diese beiden Dinge stehen gegeneinander, und es ist eben nicht klar, was Vorrang hat. Sie müssen auch unterscheiden zwischen rechtlichen Bestimmungen, die verbindlich Wirkung entfalten, und gewissen lyrischen SchöneWorte-Passagen, die an manchen Stellen, in Präambeln usw., stehen und leider nicht einklagbar und juristisch nicht durchsetzbar sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Das Wort zu diesem Themenkomplex hat jetzt der Ministerpräsident. Herr Wulff, bitte schön!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Immer, wenn wir dieses Thema hier diskutieren, fragt man sich: Steigert es die Wahlbeteiligung, gefährdet es die Wahlbeteiligung, wenn die Öffentlichkeit diese Debatten über die Frage, worum in Europa gerungen wird, vernimmt?

Ich glaube, es kann überhaupt nicht bestritten werden, dass die Niedersächsische Landesregierung in besonderer Weise mit Aktivitäten unseres Informationszentrums die Wahlbeteiligung zu steigern versucht. Sie versucht es über das Internet, über Informationsangebote und Veranstaltungen, mit einem Schulkoffer, den wir jetzt allen Schulen zur Verfügung stellen, mit dem EU-Projekttag und anderen Dingen. Das ist auch der Grund dafür, dass Niedersachsen bei diesem Thema unter den Bundesländern die Federführung hat mit der Europäischen Union, gerade hinsichtlich der Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit. Dort gibt es auch eine Aufgabenverteilung. Manches, was Sie hier fordern, ist ausdrücklich für das Europäische Parlament vorgesehen, wenn es z. B. um Fernseh-, Radio- oder Kinospots geht.

Vielleicht ist es doch sinnhafter, hier im Plenum die Frage zu stellen, warum die Wahlbeteiligung bei Europawahlen ständig niedriger geworden ist. Der demoskopische Befund ist ziemlich eindeutig. Die niedrige Wahlbeteiligung wird darauf zurückgeführt, dass die Bevölkerung sagt: Diese Wahl ist für mich persönlich unwichtig. Egal, wie sie ausgeht, die machen sowieso, was sie wollen. - Das erleben wir zum Teil auch bei unseren Wahlen, aber bei der Europawahl ist es besonders ausgeprägt. Für die Bevölkerung ist nicht transparent, um welche Fragen und um welche Personen es geht. Das heißt, die Wähler haben noch weniger Kenntnis von den Spitzenkandidaten als bei Landtags-, Bundestags- oder auch Kommunalwahlen, bei denen die Wahlbeteiligung noch höher ist.

Ich glaube aber auch, dass ein wesentlicher Grund für die Begeisterung für Europa darin zu sehen ist, dass die Gründungsmütter und Gründungsväter Europas eine konkrete Vorstellung davon hatten, warum dieses Europa für sie gut ist: wegen des Friedens, zur Überwindung der Gefahren der Kriege, aufbauend auf den Erfahrungen mit den Weltkriegen, wegen des Wohlstandes, des Zusammenwachsens, des Austausches, wegen der grenzüberschreitenden Freiheiten. Diese Begründung für Europa scheint sich ein bisschen überlebt

zu haben, weil uns diese Dinge heute als selbstverständlich erscheinen, obwohl die Kriege im Nahen Osten und andernorts uns eigentlich ständig zur Dankbarkeit veranlassen müssten, dass wir Europa in dieser Form haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich glaube einfach, dass man sich grundsätzlich positionieren muss, ob man Europa als Quelle des Guten ansieht oder als völlig kritiklos hinstellt und in diesem Europa auch gar nicht um den richtigen Weg ringt oder ob man Europa als Dämon des Bösen sieht und hier antieuropäische Stimmung macht und behauptet, es gebe kein Europa der sozialen Grundrechte. Das ist ja von den Vorrednern schon widerlegt worden. Natürlich gibt es soziale Grundrechte, und natürlich wollen wir den Grundrechtskatalog über den Lissabon-Vertrag in Europa durchsetzen. Sie sind halt mit der Volksabstimmung gemeinsam gegen Lissabon. Alle anderen europäischen Staaten haben den LissabonVertrag inzwischen ratifiziert. Auch wir als Landesregierung treten auf Ebene der Entsenderichtlinie für Veränderungen des Sekundärrechts ein. Ich selber werde in wenigen Tagen mit Präsident Barroso erneut zusammentreffen und in diesem Gespräch auch über die sozialpolitische Agenda im Rahmen des Sozialpaktes reden.

Dass die SPD sich jetzt dem Antrag der Linken anschließt, überrascht mich sehr; denn im Deutschen Bundestag sind die meisten Forderungen der Linken vor wenigen Wochen mit den Stimmen der SPD abgelehnt worden. Hier scheinen Sie über die Beschlussfassung der SPD in Berlin hinausgehen zu wollen. Sie sollten sich einmal mit dem Buch von Sylvia-Yvonne Kaufmann beschäftigen.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Be- stimmt!)

Sie war Ihre Spitzenkandidatin für das Europäische Parlament, nämlich der PDS. Sie hat ein Buch geschrieben - ich denke mal, an Sie gerichtet - mit dem Titel: „Die EU und ihre Verfassung. Linke Irrtümer und populäre Missverständnisse zum Vertrag von Lissabon“. Daniel Cohn-Bendit, Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament, hat das Vorwort geschrieben.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Sehr guter Mann!)

Ich zitiere:

„Sylvia-Yvonne Kaufmann listet akribisch die Vorurteile, die Verdrehungen und die bewusst formulierten Missverständnisse auf, die sowohl von ihrer Partei DIE LINKE als auch von anderen linken Organisationen, wie zum Beispiel Attac, in die Welt gesetzt werden. Dieses Buch ist gerade jetzt wichtig, um aufzuzeigen, wie gnadenloser und bornierter Populismus betrieben wird. In ihrem Buch stellt sie die entscheidende Frage: Welches Verhältnis hat die Linke zum europäischen Projekt? Seit dem Beginn des europäischen Einigungsprozesses wurde dieser von den jeweiligen kommunistischen Parteien als kapitalistisch-militaristisches Machtwerk denunziert und damit eine fundamentale Opposition zur europäischen Integration, insbesondere zur Europäischen Union, artikuliert. Zum Beispiel hat sich in den 70er-Jahren die französische kommunistische Partei gegen den EU-Beitritt von Spanien, Portugal und Griechenland ausgesprochen, um die französischen Arbeiter und Bauern zu schützen.“

Mit Ihrem linken Populismus, mit Ihrer Argumentation und Ihrer Aussage, die Menschen müssten sich vor Europa fürchten, anstatt Sie zu diesem Europa im Interesse der Arbeitnehmerschaft zu ermutigen, machen Sie eine antieuropäische Stimmung,

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist Quatsch!)

die mich hinterher nicht wundern lässt, dass die Wahlbeteiligung niedriger ist.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Dass ich hier ein Buch einer PDS-Europaabgeordneten erwähnen und den Grünen-Europaabgeordneten Cohn-Bendit zitieren muss,

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das ist doch ein vernünftiger Mann!)

zeigt ja auch schon, wie weit wir gekommen sind. Ich kann nur sagen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa und damit auch in Niedersachsen profitieren vom Euro, sie profitieren vom

Europäischen Binnenmarkt. Die Exporte aus Niedersachsen gehen nämlich ganz überwiegend in Mitgliedstaaten der Europäischen Union, und auch durch Europa sind wir Exportweltmeister. So stärkt Europa auf unterschiedliche Art und Weise nahezu jeden Arbeitsplatz in Niedersachsen. Wir sollten dies auch den Arbeitnehmern sagen und deswegen gerade die Arbeitnehmer auffordern, bei den Wahlen zum Europäischen Parlament tatsächlich ihre Stimme abzugeben.

Vielen Dank.

Danke schön. - Die Fraktion DIE LINKE hat um zusätzliche Redezeit gebeten. Frau Flauger, Sie haben anderthalb Minuten. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt, wir würden behaupten, die Menschen fürchteten sich vor Europa. Das haben wir nicht gesagt. Wenn Sie solche Behauptungen in den Raum stellen, dann ist das Populismus. Das möchte ich an dieser Stelle auch einmal ganz klar sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Welt ist an dieser Stelle und auch an anderen Stellen nicht so schwarz-weiß, wie Sie sie versuchen hier darzustellen. Entscheiden zu müssen, ob Europa die Quelle des Guten oder der Dämon des Bösen ist - so schwarz-weiß liegen die Dinge nicht. Es gibt in meinem Leben selten Momente, in denen ich mir, wenn ich Dinge sehr kompliziert finde und nicht weiß, wie ich sie beurteilen soll, ein solches schwarz-weißes und schlichtes Weltbild wünsche, wie Sie hier gerade vorgegeben haben, es zu haben. Ich glaube, ein solches einfaches Weltbild haben Sie gar nicht. Das ist dann wieder einmal Populismus.

Ich muss leider auch sagen: Dasselbe gilt für ein solches schwarz-weißes und schlichtes Weltbild, wie es meine Kollegin Sylvia-Yvonne Kaufmann hat. Ob sie noch einmal als Kandidatin aufgestellt wird, werden wir in der nächsten Zeit sehen.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU, der FDP und von den GRÜNEN - Unruhe)

Sind jetzt alle Beiträge zwischen den Fraktionen ausgetauscht? - Dann kann ich Herrn Kollegen

Hogrefe von der CDU-Fraktion ebenfalls zusätzliche Redezeit geben. Sie haben drei Minuten. Bitte schön! - Ich bitte aber um ein bisschen Ruhe.