Protokoll der Sitzung vom 09.04.2008

Nächste Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist Frau Flauger von der Fraktion DIE LINKE. Frau Flauger, ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Ceterum confiteor constitutionem - außerdem bekenne ich mich zu unserer Verfassung.

(Editha Lorberg [CDU]: Schon wie- der?)

- Das mache ich jetzt jedes Mal, weil Sie ja darum gebeten haben.

Die SPD beantragt, die Rechte von Kindern in unserer Landesverfassung zu verankern. Das ist ein begrüßenswertes Vorhaben, das grundsätzlich auch unsere volle Unterstützung findet. Ein gesonderter Schutz von Kindern in der Verfassung - von Kindern, den Schwächsten in unserer Gesellschaft - ist absolut angemessen. Dafür gibt es alle Gründe.

Der Tenor des vorliegenden Antrags geht sehr in Richtung Kinderschutz - das ist hier gesagt worden -: Schutz vor Vernachlässigung, Schutz vor Gewalt. - Das ist auch richtig und lobenswert. Dies ist ein wichtiger Gedanke, der auch in die Verfassung aufgenommen werden muss. In einem Punkt glaube ich aber, dass der Gesetzentwurf an der Realität und den wichtigen Dingen ein wenig vorbeigeht. Uns fehlt eine Gewichtung in Richtung Chancen auf gleiche Teilhabe von Kindern. Vielleicht lässt sich das aber noch klären.

Sie haben formuliert:

„Jedes Kind hat ein Recht auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft.“

Das finde ich gut; denn Staat und Gesellschaft sind etwas anderes als nur der Staat. Nach Ihren Formulierungen werden alle in die Verantwortung genommen. Das ist eine hohe und auch eine gute Verpflichtung.

Nun sind in Niedersachsen mehr als 200 000 Kinder arm. Wir wissen, dass diese Regierung nichts dagegen tut. Wir finden, dass Kinder auch davor geschützt werden müssen, dass ihre Rechte und ihre berechtigten Interessen hinter einseitiger Gewinnorientierung zurückstehen müssen und für Haushaltsaspekte geopfert werden, die dann eine höhere Gewichtung bekommen, wie dies derzeit in Niedersachsen leider der Fall ist. Wir meinen, dass sich auch dieser Aspekt in der Verfassung widerspiegeln muss.

Ich möchte gern aus der eben schon erwähnten UN-Kinderrechtskonvention zitieren, die auch Deutschland unterzeichnet hat. Ich zitiere:

„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit … zu erreichen, werden sie … die Entwicklung verschiedener Formen der weiterführenden Schulen allgemeinbildender und berufsbildender Art fördern, sie allen Kindern verfügbar und zugänglich machen und geeignete Maßnahmen wie die Einführung der Unentgeltlichkeit und die Bereitstellung finanzieller Unterstützung bei Bedürftigkeit treffen … “

So weit das Zitat.

Chancengleichheit im Bildungswesen haben wir in Deutschland leider nicht, wie vorhin in der Gesamtschuldiskussion schon angeklungen ist. Chancengleichheit ist nicht gegeben. Es hängt sehr von der sozialen Herkunft ab, welche Bildungschancen man in Deutschland hat. Auch die Lehrmittelfreiheit ist abgeschafft worden, wie Sie wissen.

Ein weiteres Zitat aus dieser Konvention:

„Die Vertragsstaaten achten und fördern das Recht des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben und fördern die Be

reitstellung geeigneter und gleicher Möglichkeiten für die kulturelle und künstlerische Betätigung sowie für aktive Erholung und Freizeitbeschäftigung.“

Gleiche Möglichkeiten für die kulturelle und künstlerische Betätigung - Sportvereine, Musikunterricht, Kinobesuche - haben Kinder von Hartz-IVEmpfängern nicht. Das wissen Sie. Arme Kinder - davon gibt es in Niedersachsen mehr als 200 000 - haben diese Möglichkeit nicht. Insofern sind diese Ziele der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland bei Weitem noch nicht verwirklicht. Hier besteht noch großer Handlungsbedarf. Wir würden die Absicherung dieser Ziele ebenfalls gern in unserer Niedersächsischen Verfassung widergespiegelt sehen. Lassen Sie uns darüber miteinander reden. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass wir uns darüber einig werden können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das war Frau Flauger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fraktion DIE LINKE beantragt entsprechend § 78 zu den Tagesordnungspunkten 12 und 13 die Anwesenheit der Minister Möllring und Hirche. Ich muss hier sofort darüber abstimmen lassen, ob das von allen so mit eingefordert wird. - Herr Bode, Sie haben sich zu diesem Antrag gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Linken ist ja neu im Plenum und kennt die Abläufe in der Form sicherlich nicht. Es ist selbstverständlich - deshalb bedarf es auch gar keiner Abstimmung darüber oder einer Zitierung von Ministern -, dass der stellvertretende Ministerpräsident und damit der Wirtschaftsminister Walter Hirche und auch Finanzminister Hartmut Möllring - Hartmut Möllring ist bereits jetzt gekommen, um der Debatte über die Kinderrechte zu folgen; das möchte ich einmal festhalten - bei dem wichtigen Thema des Landesvergabegesetzes und auch des Urteils zum Landesvergabegesetz anwesend sein werden. Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für den Justizminister, der bei diesem Thema dabei sein wird. Wir brauchen deshalb keine Minister zu zitieren. Wir werden Zitierungsanträge entsprechend ablehnen.

Im Übrigen empfiehlt es sich, so etwas bei dem jeweiligen Tagesordnungspunkt zu machen, um nicht das wichtige Thema Kinderrechte zu belasten.

Vielen Dank.

(David McAllister [CDU]: Jörg, das hast du prima gemacht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Bode hat zu dem Antrag gesprochen. Ich stelle fest, dass die beiden Minister, deren Anwesenheit gewünscht worden ist, bereits da sind. Ich frage Herrn Sohn: Reicht Ihnen das aus?

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Das reicht mir völlig aus!)

- Herzlichen Dank. Dann können wir in der Beratung fortfahren.

Es hat sich zu Tagesordnungspunkt 11 Frau Miriam Staudte gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Kinderrechte sollen in Niedersachsen Verfassungsstatus erhalten. Warum eigentlich? - Bekennen wir uns nicht in jedem Wahlkampf mit Slogans wie „Kinder sind unsere Zukunft“ oder „Niedersachsen Kinderland“ zu den Rechten der Kinder? - Die PR-Agenturen, die solch eingängige Slogans produzieren, lassen wir uns doch schließlich auch etwas kosten. Wie kommt der Kinderschutzbund eigentlich dazu, dann auch noch die Aufnahme der Kinderrechte in die Niedersächsische Verfassung zu fordern? - Ich will versuchen, dies zu beantworten.

Es geht in der Frage der Kinderrechte um Glaubwürdigkeit, Ernsthaftigkeit und Beständigkeit. Wir sollten die Chance nutzen, zu Beginn der neuen Wahlperiode ein gemeinsames Bekenntnis abzulegen, ein Bekenntnis, dass uns das Schicksal von Kindern berührt, dass wir die erschreckenden Nachrichten von Misshandlungen, Kindstötungen und Vernachlässigungen nicht einfach tatenlos hinnehmen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Einem solchen Bekenntnis verleihen wir nur dadurch wirklich Gewicht, dass wir ihm Verfassungsstatus verleihen. Die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung wird uns fünf Jahre lang Ansporn sein, das Wohl von Kindern und Jugendlichen bei

all unseren politischen Entscheidungen im Auge zu haben und nicht nur dann, wenn es wieder einmal geknallt hat und wir schnell ein Sofortprogramm aus der Tasche zaubern.

Wir als Grüne begrüßen natürlich die Initiative des Sozialministeriums zum Kinder-haben-RechtePreis. Aber kein Anwalt in Niedersachsen kann sich bei einer Gerichtsverhandlung auf den Kinderhaben-Rechte-Preis berufen, wenn es um den Abwägungsprozess Elternrecht versus Kindeswohl geht.

Einige von Ihnen wissen vielleicht, dass wir in Deutschland eine Sondersituation haben. Deutschland hat die Kinderrechtscharta der UN 1989 zwar ratifiziert, aber Deutschland hat dies nur unter Vorbehalt getan. Ein Grund für die Bedenken war die Einschränkung des Elternrechts durch die UN-Konvention. Warum diese Bedenken? - Wir blicken zurück auf eine deutsche Geschichte, die mit zwei totalitären Systemen erfahren hat, dass solche Regime gezielt versuchen, ihren Einfluss auf die Erziehung zur Indoktrination zu missbrauchen. Daher wird bei uns im Fall von Kindeswohlgefährdung stets sehr kritisch geprüft, ob das Elternrecht wirklich eingeschränkt werden kann. Wir Grüne sind der Überzeugung, Kinderrechte müssen stärker als bisher im Mittelpunkt stehen. Die Aufnahme der Kinderrechte in die Niedersächsische Verfassung wurde von meiner Kollegin Meta JanssenKucz in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert, und sie ist meiner Meinung nach überfällig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Schwarz hat es gesagt, elf Bundesländer - u. a. Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein - haben vorgemacht, dass ein solcher Schritt auch auf Länderebene sinnvoll ist. Formaljuristische Bedenken sind an dieser Stelle nicht hilfreich.

Aber wir brauchen auch insgesamt einen Perspektivwechsel. Kinder sind eben keine Objekte, sondern Subjekte. Kinder und Jugendliche müssen nicht warten, bis ihre Persönlichkeit entwickelt ist. Sie sind Persönlichkeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Persönlichkeiten müssen wir anerkennen. Dazu gehören neben der Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung noch viele weitere Schritte, die wir an anderer Stelle mit Ihnen diskutieren werden. Ich möchte nur einen Schritt nennen. Das ist die Absenkung des Wahlalters.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Nächste Rednerin ist Frau Heidi Mundlos von der CDU-Fraktion. Ich erteile Frau Mundlos das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schwarz, wir wollen hier jetzt keine Geschichtsklitterung machen. Fakt ist, dass die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung von uns in der letzten Wahlperiode ganz klar gewollt worden ist und dass das von Ihnen auf dem Altar der Wahl geopfert worden ist.

(Beifall bei der CDU - Heiterkeit bei der SPD - Wolfgang Jüttner [SPD]: Ich kann Ihnen die Februar-Reden gerne noch einmal heraussuchen lassen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Januar 2004 wird die dreijährige Carolina misshandelt in einer Damentoilette liegen gelassen. Anfang März 2005 wird Jessica verhungert aufgefunden. Orte und Namen lassen sich beliebig austauschen. Zu viele ließen sich benennen. Jede Woche werden etwa drei Kinder in Deutschland getötet. Jedes einzelne ist ein Kind zu viel.

(Norbert Böhlke [CDU]: So ist es!)

Dabei ist sich die Menschheit über das Naturgesetz des Nachwuchsschutzes grundsätzlich einig. Kindern tut man nichts. In der Tat: Die große Mehrzahl der Eltern liebt ihre Kinder und tut alles für sie. Das, denke ich, muss man an dieser Stelle auch einmal sagen. Man darf es nicht vergessen.

(Beifall bei der CDU)

Trotzdem gibt es das Phänomen der Kindesmisshandlung, der Vernachlässigung. Dabei sind die erwähnten Beispiele die heftigsten. Aber auch auf den Ebenen darunter gäbe es vieles zu benennen, was bereits als Vernachlässigung einzustufen wäre. Es stellt sich zwangsläufig die Frage: Tun wir genug für Kinder? Fördern und schützen wir sie hinreichend? Akzeptiert unsere Gesellschaft Kinderlärm als Zukunftsmusik, oder empfindet sie ihn eher als störend? Wie helfen wir den Eltern, die Hilfe brauchen?