Protokoll der Sitzung vom 09.04.2008

Ohne sie hat keine Gesellschaft eine Zukunft. Ich glaube, das wissen wir alle, und darüber gibt es Konsens. Sie erfreuen ihre Eltern und Großeltern, uns alle. Sie zu schützen und ihre Position in der Gesellschaft zu stärken, ist deshalb eine unserer wichtigsten Aufgaben. Ich denke, auch insoweit besteht in diesem Hause große Einigkeit. Vor etwas über einem Jahr haben wir bereits einen wortgleichen Antrag der SPD-Fraktion beraten. Frau Ross-Luttmann hat Ihnen damals gesagt, dass sie den Göttinger Verfassungsrechtler Professor Starck um Prüfung gebeten habe, inwieweit noch Raum für die Aufnahme von Kinderrechten in die Niedersächsische Verfassung bestehe. Herr Professor Starck hat vorgeschlagen, die Bestimmung „Kinder und Jugendliche genießen den besonderen Schutz des Landes und der Kommunen“ in einen neuen Artikel 4 a der Niedersächsischen Verfassung aufzunehmen. - Ich würde eine entsprechende Ergänzung der Niedersächsischen Verfassung ausdrücklich begrüßen. Wichtig ist aber, dass wir uns hier nicht über Symbolik unterhalten. Erforderlich ist es, hier zu einem breiten Konsens zu kommen; denn die Rechte von Kindern und insbesondere ihr Recht auf Schutz vor Misshandlungen und Vernachlässigung ist von ganz besonderer Bedeutung. Dabei ist uns allen bewusst, dass eine Verfassungsänderung lediglich ein weiterer Baustein sein kann, um die Kinderfreundlichkeit unseres Landes und insbesondere den Kinderschutz weiterzuentwickeln. Die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung darf in der Diskussion aber auch nicht überbewertet werden. Besonders wichtig sind uns deshalb konkrete Maßnahmen für den Kinderschutz. Jedes Kind, das Hilfe braucht, soll diese bekommen, schnell, richtig und vor allem fachlich kompetent.

Grundsätzlich dürfen wir nicht vergessen, dass die weit überwiegende Zahl der Kinder in der liebevollen Obhut ihrer Eltern aufwächst. Die meisten Eltern sind sich ihres Erziehungsauftrages bewusst und geben ihren Kindern die Geborgenheit und die Anregung und Förderung, die sie für eine gesunde Entwicklung unabdingbar brauchen. Wir sind aber auch in der Pflicht, dies für alle Kinder zu gewährleisten. Deshalb ist die Stärkung der Erziehungskompetenz für uns schon seit Langem ein wichtiger Bereich. Das sieht man zum Beispiel an der langjährigen finanziellen Förderung der Familienbildungsstätten in Niedersachsen. Mit unserem Engagement in aktuellen Projekten wie „Welcome“ und „Erziehungslotsen“ setzen wir ebenfalls genau an diesem Punkt der Förderung der elterlichen Fähigkeiten an.

(Zustimmung bei der CDU)

Eltern dabei zu unterstützen, ihre Aufgaben gut wahrzunehmen, ist das Beste, was man für Kinder tun kann.

Entscheidend für einen funktionierenden Kinderschutz sind gut aufeinander abgestimmte Hilfsangebote. Hier sind wir in Niedersachsen in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Wir haben den Haushaltsansatz für den Bereich Kinder- und Jugendschutz deutlich erhöht, und wir haben in wichtige Projekte investiert.

Eltern brauchen frühere Hilfen bzw. Angebote, am besten schon in der Schwangerschaft, damit eine Überforderung gar nicht erst entsteht. Wir fördern hier die Stiftung „Eine Chance für Kinder“ mit dem Ziel, dass alle Jugendämter in Niedersachsen Familienhebammen einsetzen können. Ebenso unterstützen wir das Projekt „Pro Kind“, das besonders hilfsbedürftige junge Schwangere und Mütter unterstützt und zugleich diesen Ansatz wissenschaftlich untersucht. Außerdem fördern wir seit Langem eine bewährte Infrastruktur mit Kinderschutzzentren, Mädchenhäusern und Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder in ganz Niedersachsen.

Ein weiterer Punkt: Alle am Kindeswohl orientiert Handelnden müssen ihre Zusammenarbeit vor Ort verbessern. Dies unterstützen wir durch unser Modellprojekt „Koordinierungszentren Kinderschutz - Kommunale Netzwerke früher Hilfen“. Hierbei erproben wir neue Wege, wie die beteiligten Institutionen - verbindlich und schriftlich vereinbart - zusammenarbeiten, damit kein Kind verloren geht.

Außerdem sind wir derzeit mit Hochdruck dabei, ein verbindliches Einlade- und Meldewesen für die Früherkennungsuntersuchungen vorzubereiten. Wir wollen damit zum einen die Teilnahmequoten an diesen Untersuchungen steigern. Zum anderen sollen, wenn trotz wiederholter Einladung keine Teilnahme erfolgt, die Jugendämter über diese Nichtteilnahme informiert werden. Gespräche mit Kommunen, Krankenkassen und Ärztevertretern haben hierzu bereits stattgefunden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, dieser kleine Überblick zeigt, dass Kinder und deren Schutz einen ganz besonderen Stellenwert in Niedersachsen haben. Die Aufnahme von Kinderrechten stellt hier einen schlüssigen weiteren Baustein dar. Alle Fraktionen des Landtages sind sich nach meiner Wahrnehmung einig in diesem Ziel. Ich wünsche mir - und ich sage das für die ganze Landesregierung -, dass es uns in diesem Jahr gelingen wird, gemeinsam einen Text für die Verfassungsergänzung zu formulieren. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen zu dem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht vor.

Wir kommen damit zur Ausschussüberweisung. Der Ältestenrat hat vorgeschlagen: federführend der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen und wegen der grundsätzlichen Bedeutung mitberatend der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit. Gibt es andere Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Wer so überweisen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist so beschlossen. - Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 und 13 vereinbarungsgemäß zusammen auf.

Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Landesvergabegesetzes (LVergabeG) - Gesetzentwurf der Fraktion der SPD - Drs. 16/48

Erste Beratung: Einführung eines Mindestlohns in das Landesvergabegesetz - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/43 neu

Die Anträge werden jetzt eingebracht. Zunächst gebe ich das Wort Herrn Schminke für die SPDFraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Landesvergabegesetz wurde 2002 durch eine SPD-geführte Landesregierung auf den Weg gebracht.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Wir waren damals, ehrlich gesagt, stolz, so etwas auf den Weg gebracht zu haben. Ziel war damals wie heute, Wettbewerbsverzerrungen im öffentlichen Bereich durch Niedriglohn insbesondere im Bauwesen zu verhindern, weil osteuropäische Unternehmen zunehmend auf die deutschen Märkte drängten. Als Schwellenwert wurde eine Auftragssumme von 10 000 Euro festgesetzt, und Kontrollmöglichkeiten der Auftraggeber sowie scharfe Sanktionsmaßnahmen für festgestellte Verstöße wurden im Gesetz direkt verankert.

Am 28. August 2002 hat der Landtag das Vergabegesetz beschlossen, damals übrigens gegen die Stimmen der CDU. Der damalige Oppositionsführer Christian Wulff hat in der Plenaraussprache zur Schlussabstimmung über das Gesetz damals wörtlich ausgeführt - ich zitiere -:

„Lasst uns das Vergabegesetz mit Bezug auf den Baubereich heute einstimmig verabschieden, und lasst uns über den Bahnbereich noch einmal diskutieren.“

Das politische Handeln der neuen Regierungsfraktionen von CDU und FDP stand wenige Monate später jedoch in auffälligem Widerspruch zu der zitierten Aussage des jetzigen Ministerpräsidenten.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Das hat- ten wir heute doch schon mal! - Wolf- gang Jüttner [SPD]: Das kommt im- mer wieder mal vor!)

Anfang der 15. Wahlperiode haben CDU und FDP beantragt, den Schwellenwert für die Anwendbarkeit des Vergabegesetzes auf 50 000 Euro zu erhöhen. Erst nach scharfen Protesten der Oppositi

onsparteien und auch der betroffenen Verbände wurde die Grenze schließlich bei 30 000 Euro festgesetzt. Alle Aufträge unter 30 000 Euro fielen damit zu diesem Zeitpunkt schon heraus. Das war ein Todesstoß auf Raten für das Vergabegesetz, meine Damen und Herren.

(Beifalle bei der SPD und bei der LINKEN)

Die neue Mehrheit hat es nämlich nicht versäumt, sogleich das Außerkrafttreten des Gesetzes zum 31. Dezember 2008, also zum Ende dieses Jahres, zu beschließen. Ich frage: Wie verträgt sich das mit der Aussage von Herrn Wulff aus dem Jahr 2002?

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Gar nicht!)

Meine Damen und Herren, der praktische Umgang mit dem Vergabegesetz sorgt immer wieder für enorme Probleme, auch heute noch. Lohndumping konnte bis heute nur äußerst selten aufgedeckt werden, weil das Gesetz faktisch nicht umgesetzt worden ist.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Weil das Gesetz nicht gewirkt hat!)

- Nein. Es wurde einfach nicht umgesetzt. Diese Tatsache musste die Landesregierung in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage selbst eingestehen. In der sogenannten Schwarzliste, in die Firmen kommen, wenn sie auffällig geworden sind, fanden sich 2006 lediglich zwei Firmen. In den Jahren 2004 bis 2006 wurden insgesamt nur sechs Vertragsstrafen verhängt, obwohl fast keine Baustelle - das sage ich Ihnen aus eigener Erfahrung - sauber war. Woran lag das? Es ist ganz einfach.

(Heinz Rolfes [CDU]: Keine Baustel- le? Wie kommen Sie dazu, so etwas zu behaupten?)

- Fragen Sie Herrn Koch. Der kennt sich im Eichsfeld aus. Da bieten die Thüringer Betriebe alle unter Preis an. Dumpinglöhne sind dort die Regel.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Woran lag das? Es ist ganz einfach. Die Kommunen setzen kein Personal für solche Kontrollen ein, obwohl sie dazu eigentlich schon immer das Recht hatten. Sie geben sich mit der schriftlichen Erklärung der Firmen zufrieden. Mit der sogenannten Tariftreueerklärung mit Stempel und Unterschrift bescheinigen die Firmen, dass sie den Mindestlohn und auch die anderen Tariflöhne im Baugewerbe zahlen. Ich sage Ihnen: Im Tiefbau können

Sie mit mir auf jede Baustelle gehen, und Sie werden feststellen, dass das nirgends eingehalten wird.

Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel direkt aus diesem Hause. Ich habe die Fliesenleger, die in dem unterirdischen Gang zu den Abgeordnetenbüros tätig waren, gefragt. Nicht einer von denen bekam den Tariflohn. Das findet auch in diesem Hause statt!

(Zustimmung bei der SPD - Buh-Rufe und weitere Zurufe bei der SPD und bei der LINKEN)

In diesem Hause! Ich berichte nur über die Realität. Selbst Landes- und Bundesbaustellen waren von massivem Lohndumping betroffen.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Wie war das mit dem Wachpersonal beim Bundesparteitag der SPD, Herr Kolle- ge?)

Die JVA in Rosdorf - sie wird Ihnen ja noch ein Begriff sein - war ein Paradebeispiel für Lohndumping und - das betone ich - für menschenunwürdige Arbeitsbedingungen. Der Generalunternehmer hatte für das polnische Subunternehmen den Tariflohn bescheinigt, so wie es im Gesetz stand.

(Zurufe von Heinz Rolfes [CDU])

- Sie wissen das, aber Sie handeln nicht. - Tatsächlich malochten die polnischen Arbeiter bis zu 14 Stunden und zudem weit unter dem Mindestlohn. Die Menschen wurden in Containern auf engstem Raum zusammengepfercht. Den Bauarbeitern wurde von ihren skrupenllosen Peinigern nicht einmal Geld bezahlt, damit sie sich bei hochsommerlichen Temperaturen hätten Mineralwasser hätten kaufen können. Die Arbeiter haben Wasser aus dem Bauschlauch getrunken - solch menschenverachtende Verhältnisse hat es dort gegeben. Und das auf einer Landesbaustelle! Ich sage Ihnen: Das sind kriminelle Machenschaften, die dort eine Rolle gespielt haben. Das hat anschließend auch die Staatsanwaltschaft bestätigt.

Ich habe damals diese Baustelle mit 80 Gewerkschaftern besetzt, um diese Zustände auffliegen zu lassen.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

- Nicht so lange klatschen, sonst komme ich nicht durch. - Ich habe damals die Baustelle besetzt. Was da zutage gekommen ist, war erschreckend.

Nach der Besetzung dieser Baustelle folgten Durchsuchungen durch das Hauptzollamt. Anschließend kam die fristlose Kündigung durch das Land. Schließlich wurden Sanktionen festgesetzt: 849 000 Euro Strafzahlung und ein Jahr Sperrzeit für öffentliche Aufträge wurden damals gegen den Generalunternehmer aus Aurich festgesetzt. Die Firma wurde aufgegeben, sie ist mittlerweile insolvent. Den polnischen Arbeitern wurde der Differenzlohn gerichtlich zugestanden, das haben wir durchgeklagt. Aber leider ist der Lohn bis heute nicht zur Auszahlung gekommen. Auch das Land hat sich nicht bereiterklärt, auch nur einen Teil dieses Geldes für diese Menschen, die letztlich ohne Gegenleistung auf dieser Landesbaustelle gearbeitet haben, locker zu machen. Das, finde ich, ist ein Skandal!

(Beifall bei der SPD - Pfui- und Buh- Rufe und weitere Zurufe bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, warum schildere ich diesen Fall so ausführlich? - Nun, ich möchte damit verdeutlichen, wie sehr wir klare Regeln für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen benötigen, um solche unmenschlichen Zustände zu vermeiden. Das ist das Ziel.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)