Protokoll der Sitzung vom 09.04.2008

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wir sind der Meinung, dass der Auftraggeber hierbei besonders in der Pflicht ist. Wir vergeben Aufträge aus Steuermitteln, und deshalb haben wir eine Vorbildfunktion zu erfüllen, meine Damen und Herren.

In Europa gibt es bereits Regeln nicht nur bei uns, es gibt auch schon auf anderen nationalen Ebenen gesetzliche Regelungen. Der Europäische Gerichtshof hat nun mit seinem Urteil vom 3. April 2008 leider explizit die Geschehnisse auf dieser JVA-Landesbaustelle nachträglich rechtlich gewürdigt. Der Tenor lautet: Erstens. Die Festlegung des Bautariflohns - zu der Zeit lag er bei 15,01 Euro für Facharbeiter - aus einem nicht allgemein verbindlichen Tarif ist unzulässig, weil damit gegen eine EU-Richtlinie verstoßen wird. Der Europäische Gerichtshof hat zweitens festgestellt, dass die Diskriminierung daran festgemacht wird, dass die Bestimmungen des Landesvergabegesetzes lediglich für öffentliche Baustellen, nicht aber für private Bauvorhaben anzuwenden sind. Drittens. Der Mindestlohn, der zurzeit bei 12,50 Euro je Stunde für den Facharbeiter liegt, soll selbstverständlich weiterhin gelten. Auch er ist gesetzlich geregelt, er ist

allgemein verbindlich und steht im Entsendegesetz. Das Gesetz findet weiterhin Anwendung.

Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf zur Änderung des Landesvergabegesetzes, den wir hier eingebracht haben, läuft jetzt ins Leere. Wir benötigen aber trotzdem und gerade wegen der von mir beschriebenen Zustände unbedingt eine Anschlussregelung. Ohne diese kommen wir nicht klar.

(Zuruf von der CDU: Das haben wir im Ausschuss doch schon gesagt!)

Sie können das nachvollziehen: Die Industrie, das Handwerk, alle Arbeitnehmer, Gewerkschaften, alle ziehen hierbei an einem Strang und wollen eine Regelung, die jetzt vorzusehen ist. Wenn Sie im Ausschuss mit uns einer Meinung sind, dann hoffe ich, dass wir auch zu einer vernünftigen Regelung und nicht wieder zu einem verwässerten Vorschlag kommen, der bei den kleineren Aufträgen eine Kappung bei 30 000 Euro vorsieht. Das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Die Verbände fürchten eine Deregulierung zu Recht, und sie fürchten Wettbewerbsnachteile gegenüber der Billiglohnkonkurrenz. Es geht dabei um sehr viele Arbeitsplätze, und es geht um Firmenexistenzen. Heimische Unternehmen sind an die Tariflöhne gebunden, während die Billigkonkurrenz den Markt systematisch mit Dumpingangeboten abgrast. Handwerksmeister, Kreishandwerkerschaften und Gewerkschaften zeigen deshalb in diesen Fragen auch Einigkeit. Darum sollten wir dies zum Anlass nehmen, meine Damen und Herren, jetzt im zuständigen Ausschuss die Verbände zur Sache anhören. Die SPD-Fraktion wird sich jedenfalls dafür einsetzen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, mit unserem Gesetzentwurf haben wir bezweckt, das bisherige Landesvergabegesetz zu verbessern und vor allen Dingen über den 31. Dezember 2008 hinaus fortzuführen. Wenn wir für Verbesserungen eintreten, dann wollen wir konkret den Schwellenwert wieder absenken - das sagen wir Ihnen ganz deutlich -, den Anwendungsbereich auf ÖPNV und Dienstleistungen ausweiten und Kontrollen verbindlich vorschreiben. Wir sind davon überzeugt, dass es zukünftig unabdingbar sein wird, solche Regeln einzubauen. Das gilt auch für die Kinderarbeit. Wir

sind der Meinung, dass Produkte, die durch Kinder gefertigt worden sind, strikt abgelehnt werden müssen. Auch ein solches Kriterium hat dabei für uns einen Stellenwert.

Wenn dieses EuGH-Urteil noch eine wichtige Erkenntnis zutage gebracht hat, dann die, meine Damen und Herren - das ist ein wichtiger Kernsatz -, dass jetzt auf der Bundesebene ein einheitlicher Mindestlohn kommen muss,

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

um zahlreiche Arbeitnehmer vor einem ruinösen Wettbewerb zu schützen. Es geht nicht mehr anders. Der Mindestlohn muss jetzt her!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Unsinn!)

Der Presse war zu entnehmen, dass Finanzminister Hartmut Möllring nach dem Urteil des EuGH - ich zitiere - ein sinnvolles Landesvergabegesetz gefährdet sehe. Herr Möllring, dem haben wir nichts hinzuzufügen. Das sehen wir genauso. Wenn diese Aussage wirklich ehrlich gemeint ist, kann die logische Konsequenz nur sein, schnellstmöglich einen vernünftigen Rechtszustand durch eine EU-rechtsbeständige Neuregelung wiederherzustellen. Genau das fordert die SPD-Fraktion. Dabei können Sie helfen; denn Arbeitsplätze werden andernfalls massiv bedroht. Ich habe Ihnen das deutlich gemacht. Ich hoffe, dass Sie dabei mitmachen.

Schönen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Frau Weisser-Roelle zu uns. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Einreichung unseres Antrags zur Einführung eines Mindestlohnes in das Landesvergabegesetz konnten wir nicht ahnen, welche Aktualität das Thema durch die Entscheidung des EuGH bekommt. Der EuGH hat festgeschrieben, dass bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr von den Unternehmen verlangt werden darf, das in den Tarifver

trägen der Branche vereinbarte Arbeitsentgelt am Ort der Leistungserbringung zu zahlen.

Das Urteil ist das eine, meine Damen und Herren. Herr Möllring erklärte der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung am 4. April im blinden Gehorsam gegenüber dem Gerichtsurteil aus Brüssel, die Niedersächsische Landesregierung werde bei ihren Aufträgen ab sofort keine Tariftreue mehr verlangen. Das zeigt mir, dass dieses Urteil sehr gelegen kam, um dieses unbeliebte Landesvergabegesetz abzuschaffen.

(Beifall bei der LINKEN - Björn Thüm- ler [CDU]: Falsch! Ganz falsch!)

Aber eine Forderung nach Abschaffung des Vergabegesetzes ist für die Fraktion der Linken völlig haltlos; denn sie öffnet dem Sozialdumping Tür und Tor.

(Zuruf von der CDU: Quatsch!)

Die EuGH-Entscheidung wird den Druck auf die Betriebe verstärken, die tariflichen Lohn zahlen. Es besteht die Gefahr, dass Betriebe, die dies tun, künftig kaum mehr Aussicht haben, im Wettbewerb mit anderen Anbietern öffentliche Aufträge zu erhalten.

Meine Damen und Herren, wenn wir soziale Standards wollen, wenn wir wollen, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können, dann kommen wir an einem Mindestlohn nicht mehr vorbei.

(Beifall bei der LINKEN)

Die EuGH-Entscheidung hat bedauerlicherweise erneut das Prinzip der Dienstleistungsfreiheit über den Schutz von Dumpinglöhnen gestellt. Das Urteil besagt aber nicht, dass Länder und Gemeinden ihre Aufträge nicht mehr an die Einhaltung von Tarifverträgen koppeln dürfen. Zur reflexartigen Vollzugsmeldung gegenüber Brüsseler Gerichten besteht daher überhaupt kein Anlass.

(Beifall bei der LINKEN)

Anlass besteht allerdings zur ruhigen und gründlichen Prüfung von politischen Optionen, um soziale Mindeststandards in Niedersachsen künftig besser durchsetzen zu können. Das ist auch ganz deutlich.

In Auslegung des europäischen Wettbewerbsrechts haben die bundesdeutschen Gerichte ausdrücklich die Zulässigkeit regionaler Vergabekriterien festgelegt.

Vonseiten der CDU und der FDP wurde heute mehrere Male unsere Verfassungstreue infrage gestellt. So habe ich es verstanden. Ich kann Ihnen sagen, wir haben die Niedersächsische Verfassung sehr genau gelesen. Wir haben auch Artikel 6 a gelesen, in dem steht „Das Land wirkt darauf hin, dass jeder Mensch Arbeit finden und dadurch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann“.

(Beifall bei der LINKEN)

Dafür ist aus unserer Sicht die Konkretisierung unserer Forderung nach einem Mindestlohn nötig. Nur dann kann diese Verfassung auch so gelebt werden.

(Björn Thümler [CDU]: Falsch!)

Die Regierungskoalition muss sich jetzt entscheiden, ob in Niedersachsen die Verfassung gilt oder ob sie EU-Urteile gehorsam als geltendes Recht anerkennt.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Welches Rechtsverständnis haben Sie überhaupt?)

Wir sind der Auffassung, dass unser Antrag auf Einführung eines Mindestlohns in das Landesvergabegesetz mit einigen Änderungen - ich nenne es einmal so - EU-konform gestaltet werden kann und muss, und zwar so, dass Artikel 6 a der Niedersächsischen Verfassung zu seinem Recht kommt.

Wir sind gegen Dumpinglöhne. Wir wollen, dass Menschen vom Lohn ihrer Arbeit leben können, und fordern daher eine gründliche Überarbeitung des Landesvergabegesetzes unter Berücksichtigung des Artikels 6 a und des EuGH-Urteils.

Wenn der Mindestlohn nach Auffassung der Landesregierung über das Vergabegesetz nicht sicherzustellen ist, dann erwarten wir mindestens eine entsprechende Bundesratsinitiative zur Verankerung eines gesetzlichen Mindestlohnes auf Bundesebene. Das zeigt, es ist längst überfällig. Gemeinsam mit Verbänden, Gewerkschaften und Parteien werden wir daran arbeiten, dies durchzusetzen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort hat jetzt Frau König von der FDP.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal wird man von den Ereignissen einfach überrollt. Ein Gesetz mit dem Verfallsdatum Ende 2008 steht durch ein Urteil des EuGH in großen Teilen bereits jetzt nicht mehr zur Verfügung. Wir müssen uns den Regeln der EU anpassen, die dazu dienen sollen, andere Bürger nicht zu diskriminieren. Der SPD-Antrag zur Änderung des Landesvergabegesetzes fällt ebenfalls unter das Urteil und ist damit überholt, noch bevor er eingebracht wurde.

Das Urteil des EuGH ist eindeutig. Das Tariftreuegesetz, wie wir es in unserem Landesvergabegesetz bislang formuliert haben, ist nicht mehr anwendbar. Eine Trennung zwischen privaten und öffentlichen Aufträgen darf nicht erfolgen.

Kern des Urteils ist aber, dass der Bezug auf einen örtlichen Tarifvertrag unzulässig ist. Damit entfällt der Kern des Vergabegesetzes. Auch andere Paragrafen, die der Umsetzung und Kontrolle der Tariftreue dienen, verlieren zum Teil oder gänzlich an Bedeutung.

An dieser Stelle möchte ich auch einiger Unsicherheit vorbeugen. Auch wenn das Gesetz durch das Urteil ex tunk, also von Anfang an, ungültig ist, bedeutet dies nicht, dass damit alle abgeschlossenen Vergabeverfahren ungültig sind. Schon der Vertrauensschutz gebietet es, dass sich Unternehmen auf eine einmal erteilte Zusage verlassen können. Unternehmen, die sich erfolgreich um einen Auftrag beworben haben, brauchen sich also keine Sorgen zu machen. Nur bei neuen Vergaben wird auf die Einhaltung der Tariftreue verzichtet. Da herrscht im Moment viel Sorge und Unsicherheit.

Für die FDP kommt das Urteil des EuGH nicht überraschend. Das vor 2002 geschaffene Gesetz war ein Schnellschuss der SPD und sollte unbedingt noch vor der Wahl verabschiedet werden. Dieses Gesetz ist in der bestehenden Fassung bürokratisch und schwer zu kontrollieren. Es benachteiligt insbesondere den Mittelstand.

Es mag Ihnen nicht bekannt sein, dass sich viele kleinere Betriebe schon lange nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, weil sie den bürokratischen Aufwand der Tariftreueregelung scheuen.