Protokoll der Sitzung vom 09.04.2008

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Genau!)

Ich darf zitieren: Wir müssen jetzt handeln. Die NPD, so der Minister, breitet sich weiter aus. - Und:

„Daher empfehle ich dringend, gemeinsam den Bestrebungen der NPD zum Umsturz unseres bestehenden politischen Systems Einhalt zu gebieten.“

Der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Herr Graumann, erklärte in diesem Zusammenhang, es wäre ein „Zeichen von Hilflosigkeit und Resignation“ der Demokraten, wenn kein derartiger Versuch mehr unternommen werden sollte.

Herr Minister Schünemann, können Sie sich eigentlich vorstellen, wie sich die vielen Menschen, die sich gegen rechts und Ausländerfeindlichkeit engagieren, die vielen Initiativen im Kampf gegen rechts und die vielen Opfer rechter Gewalt fühlen müssen, wenn Sie sich in aller Öffentlichkeit weiterhin verweigern, bei diesem Verbotsantrag überhaupt mitzuarbeiten?

Herr Minister, Ihr Vorschlag - er ist ja nicht neu -, die NPD über die Parteienfinanzierung zu bekämpfen, ist halbherzig und, wie Sie wissen, wegen der Grundsatzänderung genauso schwierig.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Was machen Sie denn jetzt?)

Sie, Herr Wulff, in Ihrer Verantwortung als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen fordere ich auf, Ihren Innenminister zu stoppen, die Blockade aufzugeben und sich an einer ernsthaften Mitarbeit auf Bundesebene zu beteiligen, auch mit Blick auf die Situation in den neuen Bundesländern! Die SPD-Länder werden ihren Beitrag dazu leisten - da können Sie sicher sein -, auch wenn Sie gleich wieder etwas anderes behaupten werden. Der Innenminister aus Schleswig-Holstein, der dort federführend für uns tätig ist, hat gestern der Presse erklärt, dass das Material sehr vielversprechend sei.

Meine Damen und Herren, wir können Zivilcourage nicht immer nur von anderen einfordern, sondern wir sind jetzt selbst gefragt, Zivilcourage und Mut im Kampf gegen Rechtsextremismus zu zeigen.

(Heinz Rolfes [CDU]: Was hat das denn mit Zivilcourage zu tun?)

Meine Damen und Herren, ein Verbot der NPD - - -

Frau Modder, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Letzter Satz, Herr Präsident. - Ein Verbot der NPD wäre ein Gewinn für die Demokratie. Deshalb müssen wir gemeinsam einen neuen Versuch starten.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Das Wort hat nun Herr Humke-Focks von der Fraktion der Linken.

(David McAllister [CDU]: Radikale re- den über Radikale! Unglaublich! - Zu- ruf von der CDU: Ein Schlag ins Ge- sicht der Polizisten!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Zwischenrufe, die ich hier nicht wiederholen möchte, waren vorhersehbar wie das Amen in der Kirche. Ich bin immer dankbar, wenn es von der rechten Seite kommt.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Hier ist die Mitte! Oder haben Sie das verges- sen?)

Schade, dass Sie gestern Abend nicht in Göttingen bei der Ehrung von Herrn Buergenthal gewesen sind, als Herr Gansäuer, unser ehemaliger Landtagspräsident, eine sehr beeindruckende Rede zur deutschen Verantwortung zu Zeiten des Faschismus gehalten hat. Da hätten Sie sich Nachhilfeunterricht holen können.

Zentraler Punkt der Auseinandersetzung, vor allem in der Großen Koalition, ist die Frage nach den Erfolgsaussichten für einen NPD-Verbotsantrag. Vergessen wird bei dieser wichtigen Frage leider sehr häufig, dass eine - wenn nicht sogar die entscheidende - Bedingung für das Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus 2003 der Einsatz der V-Leute gewesen ist. Hier macht es sich die CDU auf allen Ebenen sehr leicht, indem sie das Urteil derart interpretiert, dass damit die Beobachtung der NPD mit nachrichtendienstlichen Mitteln eingestellt werden müsse. Das ist grober Unfug! Denn es räumt doch selbst der niedersächsische Verfassungsschutz ein, dass deutlich weniger als 20 % seiner Erkenntnisse über die NPD aus der Arbeit der sogenannten V-Leute stammten.

Dieter Graumann nannte neben dem, was meine Kollegin Frau Modder gerade gesagt hat, im Handelsblatt als weiteres Beispiel für die Verfassungsfeindlichkeit und -widrigkeit der NPD - dies haben Sie sicherlich gelesen -, dass z. B. NPDLandtagsabgeordnete in Mecklenburg-Vorpommern bei der Ehrung von NS-Opfern demonstrativ sitzen geblieben seien und zudem jüdische Zuwanderer als Ausbeuter des deutschen Staates bezeichnet hätten. Dabei wurde bereits in den Nürnberger Prozessen festgestellt - ich zitiere -:

„Unter den unerhörten Gräueltaten der Hitleristen nehmen ihre blutigen Gewalttaten gegen die slawischen Völker und das jüdische Volk einen Sonderplatz ein.“

Umso unerträglicher ist es, dass der Vorsitzende der NPD, Voigt, vor diesem Hintergrund unbestraft sagen darf, dass die Auseinandersetzung mit dem Verbrechen des deutschen Faschismus ein Schuldkult der Blockparteien - er meint damit uns alle, Sie mit eingeschlossen - sei und dass man das Holocaustmahnmal in Berlin als „Fundament einer neuen Rechtskanzlei“ nutzen solle.

Spätestens an dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass die Grundlage für ein etwaiges Verbotsverfahren der NPD die Grundgesetzartikel 21 und 139 sind, nämlich die Fortgeltung der Entnazifizierungsvorschriften. Ich habe sie für Sie, Herr Schünemann, noch einmal ausgedruckt, weil ich mir nicht sicher bin, ob Sie das Grundgesetz immer parat haben. Ich überreiche Ihnen das im Anschluss an die Rede.

(Beifall bei der LINKEN - Björn Thüm- ler [CDU]: Unerhört! - David McAllister [CDU]: Sie treten das Grundgesetz mit Füßen! - Weitere Zurufe - Unruhe)

Das Grundgesetz und somit auch das Strafgesetzbuch kennen also keine Toleranz gegenüber den rassistischen, antisemitischen und religiösen Inhalten der NPD.

Die NPD ist in allen Konsequenzen der organisatorische Kristallisationspunkt der Neofaschisten in Deutschland. Damit ist klar - ich muss jetzt auf die Privilegien des Parteienstatus eingehen -, dass sie sie nutzen. Und wir fördern sie mit Steuergeldern in Millionenhöhe. Das ist ein Skandal!

(Heinz Rolfes [CDU]: Das ist uner- hört!)

Eine Konsequenz muss der sofortige Abzug der V-Leute aus der NPD sein, auch in Niedersachsen. Dafür haben auch Sie die Verantwortung, Herr Innenminister Schünemann. Nach der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau seien sie, also die V-Leute, „grundsätzlich ihrem Wesen nach gekaufte Agenten und bezahlte Provokateure. Sie sind keine Lösung, sondern selbst ein Problem“.

(Beifall bei der LINKEN - Heinz Rolfes [CDU]: Das ist ja unglaublich!)

Selbst der Innensenator Berlins, Herr Körting, stellte gerade fest, dass man die V-Leute nicht bräuchte, um nachzuweisen, dass die NPD gegen die Demokratie arbeite.

Die Linke fordert die Landesregierung mit ihrem Innenminister Schünemann dazu auf, endlich ihre Energien auf den Erfolg eines NPD-Verbotsverfahrens zu richten, anstatt Antifaschistinnen und Antifaschisten bei Demonstrationen wie vor Kurzem in Bad Lauterberg mit Verfahren zu überziehen und darüber hinaus weiterhin aktuell zu bespitzeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Nehmen Sie die Position der Linken, der VVNBdA, des Zentralrats der Juden sowie der Gewerkschaften ernst! Bilden Sie mit uns gemeinsam - springen Sie über Ihren Schatten! - die gesellschaftliche Mehrheit gegen das Agieren von Neofaschisten in dieser Gesellschaft; denn Faschismus ist nach wie vor keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Auf diesem Grundsatz beharren wir. Wir würden Sie gerne mitnehmen in dem Kampf gegen alte und neue Faschisten.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beilfall bei der LINKEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: So etwas ist uner- träglich! - David McAllister [CDU]: Demokratische Lehrstunde von DDR- Nostalgikern! - Heinz Rolfes [CDU]: Das waren die Geister, die sie riefen!)

Das Wort hat jetzt Herr Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich gibt es eine Reihe wirklich guter Gründe für ein neues NPD-Verbotsverfahren. Diese Partei ist offen rassistisch, sie ist antisemitisch, sie ist extrem nationalistisch, und sie ist auch extrem gewaltbereit. Allein aus Opferschutzgründen, wie man sagen kann, bräuchten wir eigentlich ein neues NPD-Verbotsverfahren. Das ist einfach eine widerliche Partei, die unsere Grundordnung infrage stellt. Ich glaube, das ist hier außer Frage.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist wirklich schwer zu ertragen, dass diese Partei öffentliche Gelder bekommt, sowohl Fraktionsgelder in den entsprechenden Landtagen als auch Mittel über die Parteienfinanzierung. Auch in Niedersachsen war der Erfolg zwar nicht besonders groß. Sie ist aber auf über 1 % gekommen und bekommt deswegen Wahlkampfkostenerstattung.

Außerdem - darüber haben wir in diesem Landtag schon häufiger geredet - gibt es bedenkenswerte Gründe - zumindest nachdenkenswerte Gründe -, die gegen ein NPD-Verbotsverfahren sprechen. Sie alle wissen: Eine menschlich widerliche Gesinnung kann man nicht verbieten. Denken in den Köpfen kann man nicht verbieten. Wenn man eine Partei verbietet, dann sucht sie sich sehr oft andere Organisationsformen. Deswegen muss die Aus

einandersetzung um den Rechtsextremismus auf allen Ebenen geführt werden - nicht nur auf der Ebene der Verbotsdebatte -, und zwar durch gute Aufklärung, durch eine gute Bildungspolitik, durch eine gute Erinnerungskultur und auch durch eine gute Arbeitsmarktpolitik.

Ich meine aber, ein Verbot hat zumindest das Recht oder einen guten Grund, vernünftig und seriös geprüft zu werden, und darf nicht immer gleich reflexhaft abgelehnt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wofür sich die Debatte aber definitiv nicht lohnt, ist ein öffentliches Parteiengezänke in dieser Frage. Die Debatte lohnt auch nicht, dass man daraus jetzt eine große Auseinandersetzung macht, insbesondere in der Großen Koalition nach dem Motto „Wir wollen dieses Verbot, ihr wollt es nicht“, um sich dann gegenseitig zu profilieren. Diese Debatte in der Öffentlichkeit ist extrem schädlich. Sie nutzt eigentlich nur der NPD, weil sie wieder Aufmerksamkeit für die NPD bedeutet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich finde, wenn die SPD der Meinung ist, das Verbot müsse mit guten Argumenten vorangetrieben werden, dann soll sie das sachlich machen und gute Gründe auftischen. Dann sollen auch ihre Innenminister in den entsprechenden Ländern liefern.

(Zuruf von Johanne Modder [SPD])

- Frau Modder, das hat relativ lange gedauert; das will ich nur sagen. Jetzt haben Sie anscheinend das Material abgegeben. Das ist ja gut und richtig. Aber ich finde nicht, dass man in der Großen Koalition ein großes Gewese machen soll nach dem Motto: Wer macht den besseren Kampf gegen die NPD? - Das finde ich falsch.