Protokoll der Sitzung vom 09.04.2008

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Frech- heit! Unbelehrbar!)

- Darüber, wer hier unbelehrbar ist, Frau Flauger, werden wir uns sicherlich noch des Öfteren unterhalten.

(Zuruf von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Meine Damen und Herren, Menschenrechte sind unteilbar. Menschenrechte sind universell gültig. Menschenrechte sind keine innere Angelegenheit der Volksrepublik China. Wir können, dürfen und werden im Vorfeld der Olympischen Spiele, aber auch nach den Olympischen Spielen die Augen nicht verschließen, wenn Menschenrechte einer Minderheit in Tibet mit Füßen getreten werden. Die Lage der Menschenrechte in China war und ist besorgniserregend.

In unserer Verfassung bekennen wir uns zur Unantastbarkeit der Menschenwürde, zu den unverletzlichen, unveräußerlichen Menschenrechten. Sie sind für uns Grundlage jeder menschlichen Ge

meinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit. Kommunistische Systeme mit dem Absolutheitsanspruch von Einheitsparteien achten solche Grundsätze in der Regel nicht. Weder die Niedersächsische Landesregierung noch die sie tragenden Koalitionsfraktionen von CDU und FDP werden sich wegducken, wenn es um den Schutz und die Wahrung von Menschenrechten geht, ob nun in Tibet oder anderswo auf der Welt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Ministerpräsident Wulff hat im Mai 2005 im Rahmen seines Besuchs in China ausweislich der Anfrage von Herrn Wenzel im Juni 2007 mit Vertretern der chinesischen Regierung die Frage der Menschenrechte ausführlich diskutiert. Herr Ministerpräsident Wulff hat in China die katholische Minderheit in Tsingtao besucht. Ich sage sehr deutlich: Die wirtschaftliche Entwicklung des Riesenlandes China liegt im niedersächsischen Interesse - immerhin werden Waren im Wert von 1,5 Milliarden Euro dorthin exportiert -, aber nicht minder bedeutsam bleibt die Weiterentwicklung und Achtung rechtstaatlicher Grundsätze. Deshalb sind und werden auch weiterhin die Partnerschaften mit Anhui und des Landtages von elementarer Bedeutung für die Fortsetzung des Dialogs über Menschenrechte sein. Ich sage aber auch: In einer Partnerschaft muss es möglich sein, unmissverständlich deutlich zu machen, dass das gewaltlose Streben Tibets nach religiöser und kultureller Identität zu achten ist. Menschenrechtsverletzungen gegen kulturelle Minderheiten und fröhliche Olympische Spiele ab 8. August bilden meines Erachtens unvereinbare Gegensätze.

Lassen Sie mich allerdings darauf hinweisen, dass der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aktuellen Stunde zum Einsatz für Menschenrechte deswegen bemerkenswert bleibt, weil es Ihnen in der Regierungskoalition mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesaußenminister Joschka Fischer trotz symbolischen und wortreichen Widerstandes nicht gelungen ist, seinen Versuch zu verhindern, beispielsweise das Waffenembargo gegen China aufzuheben. Auch das gehört zur Wahrheit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Warum hat eigentlich der ehemalige Bundeskanzler bei seinen vielzähligen Besuchen in der Volksrepublik China zu der Niederschlagung der Studentenrevolte auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking fortwährend geschwiegen?

Meine Damen und Herren, das hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht getan. Sie hat zu Recht den Dalai Lama im September 2007 in Berlin empfangen. Sie hat dafür sogar die Rückendeckung von Claudia Roth erhalten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es geht uns hier nicht um Taktiererei, sondern um Öffnung Chinas für unsere Grundüberzeugungen von Rechtstaatlichkeit und Demokratie durch kulturellen Austausch. Innerhalb von fünf Jahren hat sich bis 2006 die Zahl der in Niedersachsen Studierenden auf über 3 000 versechsfacht. Deutschlehrer werden umgekehrt nach China entsandt. Ich meine, das ist der richtige Weg; denn jeder junge Chinese, der bei uns in Niedersachsen studiert, ist bei der Rückkehr in seine Heimat ein Botschafter demokratischen Wandels.

(Glocke des Präsidenten)

Insofern - zum Schluss -: Öffentliche Boykottaufforderungen gegen VW und generelle Aufforderungen zum Olympiaboykott erscheinen uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nicht zielführend. Ich meine, wir sollten die Chance nutzen, dass Tausende von Journalisten ab August die Gelegenheit erhalten, über dieses Land zu berichten, um einen Einblick in die inneren Vorgänge in Tibet oder China insgesamt zu bekommen. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass wir die Frage von Menschenrechtsverletzungen ausdrücklich ernst nehmen. - Herzlichen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es hat sich jetzt Herr Schwarz von der FDP zu Wort gemeldet. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Schwarz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema wäre heute kein Thema, wenn die Vergabe der Olympischen Spiele 2008 nicht an Peking, sondern an Paris, Toronto, Osaka oder Istanbul erfolgt wäre. Die Vergabe wurde bereits 2001 kritisch begleitet. Die Frage der Menschenrechte spielte schon damals eine sehr wichtige Rolle. Es war zu erwarten, dass Tibet die Möglichkeiten nutzen würde, der Weltöffentlichkeit zu zeigen, welche Probleme es hat. Vor diesem Hintergrund haben die Grünen heute diese Aktuelle

Stunde beantragt. Ich will hier für die FDP-Fraktion deutlich machen, dass die Menschenrechtsfrage für uns vor der Vergabe der Olympischen Spiele, gegenwärtig und auch in Zukunft eine ganz wichtige Rolle spielen wird - nicht nur vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse.

(Beifall bei der FDP)

Vor diesem Hintergrund verurteilen wir es scharf, wenn friedlichem Protest mit Gewalt begegnet wird, so wie wir es zurzeit leider erleben. Die Olympischen Spiele sind das Schaufenster der Welt. Man schaut auf China. Die kommunistischen Machthaber wollen der Welt ein gigantisches Spektakel liefern und damit die Stärke ihres Systems unter Beweis stellen. Die Vorhaben laufen aber nicht rund, weil sich die Weltöffentlichkeit zurzeit zu Wort meldet und die Missstände berechtigterweise anklagt. China muss einen weiteren Gesichtsverlust befürchten. Vielleicht fürchten die Chefplaner noch ein bisschen mehr, nämlich dass Tausende von Journalisten einreisen und dann nicht über Olympia, sondern über Unterdrückung, Folter, Zensur und Umweltverschmutzung berichten.

Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich in der Kategorie angekommen, in der Wirkung erzielt werden kann. Der Zuständigkeitsbereich für Menschenrechtsverletzungen liegt, was die politische Ebene betrifft, bei der Bundesregierung bzw. der EU-Kommission. Die täglichen Meldungen aus Tibet und China machen uns alle in einem Land mit demokratischen Kräften außerordentlich betroffen.

Deswegen zum Stichwort „Partnerschaft“: Es ist kein Geheimnis, dass die Wachstumsmärkte in China Chancen bieten - auch und besonders für Niedersachsen. Wir haben einen Ministerpräsidenten und einen Wirtschaftsminister, die diese Chancen für Niedersachsen nutzen. Unser Wirtschaftsminister Hirche war mit einer Unternehmensdelegation in China, um der heimischen Wirtschaft Türen zu öffnen und Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen. Wie man hört, war diese Reise außergewöhnlich erfolgreich. Über Netzwerkveranstaltungen und Firmenbesuche konnten neue Geschäftskontakte geknüpft werden. Darüber hinaus ist festzustellen, dass bei der chinesischen Industrie hinsichtlich der Umweltthemen ein Umdenkungsprozess eingesetzt hat. Umweltschutz und erneuerbare Energien geraten immer mehr ins Blickfeld. Das ist von uns zu begrüßen und nachhaltig zu unterstützen.

So etwas gelingt aber nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie, wie Frau Helmhold es fordert, Ihren Partnern in diesen Gesprächen ihre Defizite vorhalten. Im Grunde weisen Sie mit Ihrer Einlassung nur nach, dass Sie von den Abläufen, die erforderlich sind, um die angesprochenen Chancen zu realisieren, meilenweit entfernt sind.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Ganz konkret: Würden Sie sich einen Geschäftspartner aussuchen, der Ihnen sozusagen ständig ins Knie schießt? Doch bestimmt nicht. Vielleicht in Hamburg. Aber wo sonst? Sie können doch nicht vergessen haben, dass die rot-grüne Regierung unter Kanzler Schröder von Peking bis Teheran und von Moskau bis Riad kühle Interessenpolitik vertreten hat. Ihr ehemaliger Außenminister Joseph Fischer verteidigte den Verkauf der Hanauer Plutoniumfabrik. Er schwieg zu Tschetschenien und China. Fischer hat sich vom Menschenrechtsmoralismus komplett verabschiedet,

(Zustimmung bei der LINKEN)

und die Grünen haben in diesem Zusammenhang Kröten in jeder Menge und in jeder Größe geschluckt.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU und bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen die partnerschaftlichen Beziehungen mit der chinesischen Provinz Anhui nutzen, um die freie Entwicklung der chinesischen Unternehmen zu stärken und um auf diesem Wege auch zur Schärfung des Bewusstseins der Gesellschaft beizutragen. Das führt unweigerlich auch zu kritischem Hinterfragen des Regierungshandelns. Auf der politischen Ebene muss die Problematik immer wieder angesprochen werden. Kein Zweifel, das tut diese Landesregierung; Herr Althusmann hat es gesagt. Auf der geschäftlichen Ebene erwarte ich von unserer Landesregierung Geschick im Umgang. Das hat unsere Landesregierung ebenfalls nachgewiesen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Das Wort hat nun Herr Tanke von der SPD.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir als SPD - ich denke, das ist die Einschätzung und Haltung vieler Parlamentarier hier im Hause und auch vieler Menschen draußen im Land - kümmern uns natürlich darum, dass die Menschenrechte universell auf der ganzen Welt eingehalten werden. Wir sprechen das auch an und thematisieren es in geeigneter Art und Weise.

Ich will einleitend sagen: Herr Dr. Sohn, wenn Sie Ihren Beitrag mit der Frage beginnen, wer den ersten Stein geworfen hat, lenken Sie meiner Auffassung nach von den wesentlichen Problemen in dieser Auseinandersetzung ab, weil es darum geht, ob man den Menschen in der Welt kulturelle Vielfalt, kulturelle Identität und Religionsfreiheit zubilligt. Das ist die entscheidende Frage.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Genau gegen diesen Punkt verstoßen die staatlichen Eingriffe, die wir beklagen.

Weil wir ja morgen noch über zwei Anträge debattieren werden, will ich aber auch etwas zu denen sagen, die heute in einer Pressemitteilung schreiben, man solle möglichst fraktionsübergreifend ein Zeichen setzen. Herr Dr. Althusmann, wenn Sie das ernst meinen, dann müssen Sie natürlich anders vorgehen. Das wissen Sie auch. Dann muss man über Anträge, die eingebracht werden, vorher sprechen und gemeinsam ausloten, an welchen Stellen man zu 100 % übereinstimmt und an welchen Stellen nicht. Sie wissen ja - Sie sind ja nicht erst seit gestern im Landtag -, dass man mit ein paar Formulierungen genau dieses Ziel konterkariert. Wir sind beide klug genug, das zu wissen. Deswegen ist es schon etwas scheinheilig, wenn Sie in Ihrer Pressemitteilung von einem möglichst fraktionsübergreifenden Zeichen sprechen. Wenn man das wirklich will, geht man anders miteinander um. Das Europäische Parlament macht dies zurzeit vor. Dort wird es offensichtlich über viele Fraktionen hinweg in dieser Woche eine gemeinsame Resolution geben, die in der Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe in China gipfeln wird.

Wir sind der Auffassung, dass die bestehenden Kontakte genutzt werden müssen. Das gilt für unsere Partnerschaften mit Anhui und Jilin. Das gilt nicht nur im wirtschaftlichen Bereich - Frau Helmhold hat ja den zuständigen Minister schon gefragt, wie er damit umgegangen ist -, sondern das gilt auch im Wissenschaftsbereich, im Hochschulbe

reich und im Austausch bei den Kontakten, die wir dort pflegen.

Die Formulierung „mit allen diplomatischen Mitteln“ ist natürlich ein Streitpunkt, über den wir gerne auch hier im Niedersächsischen Landtag mit Ihnen diskutieren. Wir sind nicht der Auffassung wie einige Konservative, dass man sich bei solchen Fragen wie ein Elefant im Porzellanladen bewegen muss,

(David McAllister [CDU]: Was?)

indem beispielsweise die Bundeskanzlerin bewirkt, dass Gespräche abgesagt werden. Nicht jeder medienwirksame Auftritt zieht auch Erfolge nach sich.

(Zurufe von der CDU)

- Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören.

(David McAllister [CDU]: Das hören wir sogar sehr gerne! Sie entlarven sich gerade!)

Wenn dann der sozialdemokratische Außenminister erst wieder die Grundlage für Gespräche und Kontakte, die Sie ja auch fordern, schaffen muss, dann ist das eine Arbeitsteilung, die nicht funktioniert und die wir auch ablehnen.

(Zurufe von der CDU)

Ich sage Ihnen auch: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat nicht über alle seine Aktivitäten in diesem Bereich eine Pressemitteilung gemacht.

(Lachen bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Der war gut! - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Der war echt gut! - Dr. Bernd Althus- mann [CDU]: Er hat doch keine Gele- genheit ausgelassen!)