Protokoll der Sitzung vom 19.02.2009

2. Beabsichtigt die Landesregierung vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen, das interne Vorprüfungsverfahren in Härtefallangelegenheiten künftig transparenter zu gestalten oder auf dieses Verfahren künftig gänzlich zu verzichten?

3. Welche konkreten Veränderungen der Verordnung über die Härtefallkommission beabsichtigt die Landesregierung z. B. mit Blick auf die geforderte Erweiterung der Härtefallkommission auf neun Mitglieder und die Vertretung des niedersächsischen Flüchtlingsrates?

Herr Minister Schünemann!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor Unruhe aufkommt, will ich vorwegschicken, dass ich die Gelegenheit nutzen werde, zur Beantwortung die rechtliche Situation durchaus ausführlich darzustellen, auch vor dem Hintergrund, dass in den letzten Tagen in der Zeitung einiges veröffentlicht worden ist, weil es notwendig ist, auch hier klar zu sagen, was rechtlich möglich ist und was rechtlich nicht möglich ist. Insofern bitte ich um Verständnis.

Der Gesetzgeber hat bei der Regelung des § 23 a des Aufenthaltsgesetzes außergewöhnliche Einzelfälle im Blick gehabt, die vom gesetzlichen Regelfall so erheblich abweichen, dass eine Ausnahme gerechtfertigt sein kann. Hier wurde der Überlegung Rechnung getragen, dass eine abstrakte Regelung gerade in diesem Rechtsbereich nicht jeden Lebenssachverhalt berücksichtigen kann.

Allein die Tatsache, dass die Anforderungen der gesetzlichen Bestimmungen nicht erfüllt werden, kann somit nicht der Maßstab für die Annahme als Härtefall sein. Das Gleiche gilt, wenn sich eine besondere Situation für Ausländer aus bestimmten Herkunftsstaaten oder andere Ausländergruppen ergeben hat, weil für derartige gruppenbezogene Situationen der Gesetzgeber das Instrument der Bleiberechtsregelung nach § 23 geschaffen hat.

Nach § 23 a des Aufenthaltsgesetzes können Härtefallkommissionen durch ihr Ersuchen die oberste Landesbehörde ermächtigen, abweichend von den im Aufenthaltsgesetz enthaltenen Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen anzuordnen, dass einem ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Die Härtefallkommission hat somit kein Letztentscheidungsrecht, sondern ihre Ersuchen haben lediglich Empfehlungscharakter.

Meine Damen und Herren, die Zahl der von der Härtefallkommission beratenen Fälle wurde wesentlich durch die am 17. November 2006 von der IMK beschlossene Bleiberechtsregelung für langjährig hier lebende geduldete Ausländerinnen und Ausländer sowie durch die sich anschließende gesetzliche Altfallregelung beeinflusst. Das hat dazu geführt, dass eine große Zahl der Ausländerinnen und Ausländer bereits Aufenthaltserlaubnisse nach der Bleiberechts- bzw. Altfallregelung erhalten hat, die grundsätzlich auch für Härtefallentscheidungen in Betracht gekommen wären. Somit haben sich viele Eingaben an die Härtefallkommission von vornherein erübrigt.

Bei der Härtefallkommission sind insgesamt 159 Eingaben eingegangen. Zur Beratung angenommen wurden 127 Fälle, wovon sich 40 durch zwischenzeitlich nach der Altfallregelung erteilte Aufenthaltserlaubnisse und 13 anderweitig positiv erledigt haben. In zwölf Fällen ist die Beratung zurückgestellt, weil über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung noch nicht abschließend entschieden wurde.

Der Härtefallkommission liegen derzeit 14 Fälle vor, die entscheidungsreif sind. In 17 Fällen ist vom Ministerium eine Stellungnahme erbeten worden. Die Härtefallkommission hat bis heute über 31 Fälle entschieden. Davon wurde in 18 Fällen ein Härtefallersuchen gestellt und in 13 Fällen nicht. Von den 18 Härtefallersuchen habe ich in 14 Fällen angeordnet, dass die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, und in vier Fällen nicht, weil mir die Gründe für eine Ausnahmeentscheidung nicht ausreichend waren bzw. Gründe in der Person vorlagen, die eine positive Entscheidung nicht rechtfertigen konnten.

Aufgrund der Koalitionsvereinbarung ist die Härtefallkommissionsverordnung im vergangenen Jahr nach Anhörung der kommunalen Spitzenverbände und unter Beteiligung der Kirchen überarbeitet worden. Die Änderungsverordnung enthielt drei wesentliche Änderungen und ist am 17. September 2008 in Kraft getreten. Der Vorschlag, das für ein Härtefallersuchen erforderliche Abstimmungsquorum abzusenken, ist nicht berücksichtigt worden. Für die Entscheidung, ob im Einzelfall einem nach den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen wegen besonderer Härte eine Aufenthaltser

laubnis erteilt werden soll, ist bewusst eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden stimmberechtigten Mitgliedern festgelegt worden. Damit soll der Bedeutung und den Auswirkungen, die sich aus dem Härtefallersuchen ergeben, Rechnung getragen werden. Eine einfache Mehrheit kann der Bedeutung eines positiven Votums nicht hinreichend genügen. Ein entsprechendes Abstimmungsquorum wird deshalb auch in 13 Ländern praktiziert. Mit der Änderung der Regelung in der Verordnung von bisher sechs Stimmen auf zwei Drittel der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder ist die Handlungsfähigkeit der Kommission verbessert worden, weil jetzt auch mit weniger als sechs Stimmen ein Ersuchen gestellt werden kann, weil sich das Quorum nicht mehr auf die Zahl der Mitglieder, sondern auf die Zahl der anwesenden Mitglieder bezieht.

Meine Damen und Herren, meine Antwort wäre allerdings unvollständig, wenn ich heute nicht auf die vielfach öffentlich von Vertretern der Kirchen, der Wohlfahrts- und Flüchtlingsverbände und gestern auch noch vom früheren Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Professor Mahrenholz, erhobenen Vorwürfe eingehen würde, dass in Niedersachsen eine rigide Flüchtlingspolitik betrieben würde.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Genauso ist es!)

Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass die Aussagen von Professor Mahrenholz in der Zeitung richtig wiedergegeben worden sind. Jedenfalls habe ich keine Korrekturwünsche von ihm vernommen. Und der heutigen Presse ist zu entnehmen, dass die Kritik von Professor Mahrenholz von den Landtagsabgeordneten Herrn Bachmann und Frau Polat begrüßt wird.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deshalb haben Sie ein Recht darauf, dass ich Ihnen dezidiert sage, wie die Rechtslage tatsächlich ist.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Ach, Herr Schünemann! Wie Sie sie im Lande gestalten!)

Herr Professor Mahrenholz kritisiert zunächst allgemein die Zielsetzung des Gesetzgebers, eine „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ zu verhindern, und verweist darauf, dass § 1 des Aufenthaltsgesetzes auch der „Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik“ diene und bei

staatlichem Handeln der grundrechtliche Schutz der Menschenwürde zu beachten sei.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Da kön- nen Sie noch was lernen!)

Der Bundesgesetzgeber hat neben die von Professor Mahrenholz genannte Zielsetzung in § 1 des Aufenthaltsgesetzes jedoch auch bestimmt, dass das Gesetz „der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs“ dient und die „Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik“ gestaltet wird.

Der Gesetzgeber hat somit die unterschiedlichen Zielsetzungen gleichermaßen im Blick gehabt. So sind die humanitären Aspekte in Kapitel 2 Abschnitt 5 in den §§ 22 bis 26 ausdrücklich geregelt. Darüber hinaus besteht für die Flüchtlingsanerkennung mit dem Asylverfahrensgesetz ein eigenes Gesetz, sodass die durch die Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllt werden. Dass dieses bundesgesetzliche Regelwerk in seinen Zielsetzungen den verfassungsrechtlichen Ansprüchen des Grundgesetzes genügt, wird auch von Herrn Mahrenholz nicht bezweifelt, sodass unklar bleibt, wen diese Kritik eigentlich treffen soll.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Sie!)

Entschieden widersprechen muss ich Professor Mahrenholz, wenn er die Regelung in der Niedersächsischen Härtefallkommissionsverordnung kritisiert, wonach einem ausreisepflichtigen Ausländer grundsätzlich auch im Wege einer Ausnahmeentscheidung kein Aufenthaltsrecht eingeräumt werden soll, wenn er selbst seinen Verpflichtungen zur Identitätsaufklärung und Passbeschaffung nicht nachgekommen ist und er damit seine Aufenthaltsbeendigung verhindert hat.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ein derartiges Verhalten muss bei Härtefallentscheidungen unbedingt berücksichtigt werden und darf nur dann unbeachtlich sein, wenn demgegenüber erhebliche Integrationsleistungen vorgewiesen werden können, die in der Gesamtbetrachtung das Fehlverhalten ausgleichen oder sogar überwiegen können.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: So wie Sie das bewerten! - Unruhe - Glo- cke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, genau das wird den Mitgliedern der Härtefallkommission bei ihrer Entscheidungsfindung durch die Verordnung aufgegeben. Das ist auch völlig richtig, weil es bei dem Grundsatz bleiben muss, dass bei dauerhaft ordnungs- und rechtswidrigem Verhalten kein Aufenthaltsrecht erzwungen werden darf. Das ist klar und muss hier auch dargestellt werden.

(Beifall bei der CDU - Unruhe)

Als Beispiel für eine besonders rigide niedersächsische Regelung nennt Professor Mahrenholz die Bestimmung, dass zum Härtefallverfahren nicht zugelassen wird, wer in den letzten drei Jahren wegen einer Straftat zu einer Geldstrafe von insgesamt mindestens 90 Tagessätzen verurteilt worden ist.

Herr Minister, darf ich Sie kurz unterbrechen?

Gerne.

Die Kolleginnen und Kollegen, die meinen, hier zwingend Gespräche führen zu müssen, müssen dies nicht zwingend im Plenarsaal tun, sondern sollten diese außerhalb des Plenarsaals fortführen. Ich bitte darum, dem Herrn Minister die notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Herr Mahrenholz verweist darauf, dass der Bundesgesetzgeber sogar noch bei 180 Tagessätzen die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis zulassen würde. Hier allerdings irrt Professor Mahrenholz, da die von ihm angesprochenen 180 Tagessätze nur im alten Ausländergesetz enthalten sind. Im Aufenthaltsgesetz ist seit dem 19. August 2007 eine entsprechende Grenze nicht mehr enthalten. Vielmehr ist im Entwurf der derzeit zwischen Bund und Ländern erörterten Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz geregelt, dass eine Niederlassungserlaubnis bzw. Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG - so heißt das jetzt - grundsätzlich nicht erteilt werden darf, wenn jemand wegen einer Straftat zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt worden ist. - Der Hinweis von Professor Mahrenholz auf geltendes Recht geht somit fehl.

Professor Mahrenholz erwähnt leider auch nicht, dass die Verordnung der Länder insoweit nur eine Bestimmung präzisiert, die bereits in der gesetzlichen Ermächtigungsnorm für den Erlass von Härtefallkommissionsverordnungen enthalten ist. § 23 a Abs. 1 Satz 3 lautet:

„Die Annahme eines Härtefalls ist in der Regel ausgeschlossen, wenn der Ausländer Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat.“

Meine Damen und Herren, nun kann man sicherlich geteilter Meinung darüber sein, was eine Straftat von erheblichem Gewicht ist.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: So ist es!)

Jedenfalls habe ich bei der Betrachtung unserer Regelung gelegentlich schon das Gefühl, dass wir mit der Festlegung, dass Straftaten, die mit Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen geahndet wurden, sehr weit gehen. Denn darunter fallen auch Straftaten, die nicht als Bagatelle angesehen werden können, sondern schon einiges Gewicht haben.

Ich habe mir einmal aus ausländerrechtlichen Vorgängen heraussuchen lassen, welche Geldstrafen für bestimmte Straftaten verhängt wurden. So wurden beispielsweise an Geldstrafen verhängt: Für Diebstahl: Erste Tat: Einstellung wegen Geringfügigkeit. Zweite Tat: Einstellung gegen Auflagen. Dritte Tat: 10 bis 30 Tagessätze. Vierte Tat: 50 bis 60 Tagessätze. Erst nach der fünften Tat: Freiheitsstrafe. Für unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln: Bei der ersten Verurteilung: 15 Tagessätze. Bei der siebten Verurteilung: 50 Tagessätze. Für unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln: 30 Tagessätze. Für Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: 25 Tagessätze - 40 Tagessätze im Wiederholungsfall. - Ich könnte diese Aufzählung noch fortführen.

Meine Damen und Herren, wenn ausreisepflichtige Ausländer auch nach derartigen Straftaten nach der Niedersächsischen Härtefallkommissionsverordnung noch die Möglichkeit haben, im Wege einer Härtefallentscheidung ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erreichen, fehlt mir dafür schlicht jedes Verständnis.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das sind keine Bagatelldelikte. Deshalb ist die Grenze von 90 Tages

sätzen völlig richtig. Ich meine auch nicht, dass dies geändert werden sollte.

Des Weiteren kritisiert Professor Mahrenholz, dass Kinder von lediglich geduldeten Flüchtlingen und von Asylbewerbern in Niedersachsen - anders als in Bayern, Nordrhein-Westfalen und BadenWürttemberg - nicht schulpflichtig seien, und wirft dem Landtag vor, insoweit ein verfassungswidriges Schulgesetz erlassen zu haben. Auch dieser Vorwurf ist natürlich falsch. In Niedersachsen sind alle Kinder, die in Niedersachsen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, schulpflichtig. Auf den ausländerrechtlichen Status kommt es dabei gar nicht an. Diese Bestimmung im Niedersächsischen Schulgesetz gilt bereits seit Jahren. Sie galt auch schon zu der Zeit, als Professor Mahrenholz selbst niedersächsischer Kultusminister war. Das zeigt ein Vergleich der jeweiligen Schulgesetze. § 46 Abs. 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes von 1975 lautet:

„Wer in Niedersachsen seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zum Schulbesuch verpflichtet.“

§ 63 Abs. 1 aus dem Jahre 1998 lautet:

„Wer in Niedersachsen seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Ausbildungs- und Arbeitsstätte hat, ist nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zum Schulbesuch verpflichtet.“

Meine Damen und Herren, deshalb ist für mich klar: Es gibt keine andere Rechtsform als noch im Jahr 1978. Deshalb ist dieser Vorwurf von Professor Mahrenholz schlicht falsch.