Protokoll der Sitzung vom 20.02.2009

Ich stimme Frau Helmhold uneingeschränkt zu, dass jetzt wirklich Eile geboten ist. Denn am 1. Juli 2008 ist das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in Kraft getreten. Ein Kernbaustein dieses Gesetzes ist die Einrichtung von Pflegestützpunkten. Nach dem Gesetz haben die Pflegekassen und Krankenkassen zur wohnortnahen Versorgung, Beratung und Betreuung der Versicherten Pflegestützpunkte einzurichten, sofern die oberste Landesbehörde dies bestimmt. Diese Landesbehörde bestimmt aber nicht. Sie tut es einfach nicht! Über ein Jahr ist vergangen, das Ministerium ruht vor sich hin - ein Jahr, in dem die Möglichkeit, Pflegestützpunkte in Niedersachsen einzurichten, ungenutzt geblieben ist. Anschubfinanzierung versenkt!

(Beifall bei der SPD)

Selbst wenn Sie jetzt endlich aufwachen und handeln würden, haben die Kranken- und Pflegekassen immer noch sechs Monate Zeit, die Bestimmung umzusetzen. Fazit: In diesem Jahr wird das wahrscheinlich wieder nichts.

Diese abwartende Haltung der Landesregierung ist unverständlich, da es bereits genügend Erfahrungswerte zu eingerichteten Pflegestützpunkten gibt. Im Vorfeld des Inkrafttretens des PflegeWeiterentwicklungsgesetzes wurden bundesweit Pilotstützpunkte eingerichtet, um die Einführung von Pflegestützpunkten durch die Auswertung der Erfahrungen dieser Einrichtungen zu unterstützen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Gesundheit finanziert.

Sehr geehrte Damen und Herren, die ersten Ergebnisse weisen eindeutig darauf hin, dass Pflegestützpunkte realisierbar und sinnvoll sind. Es zeigte sich, dass die Effizienz der Pflegeberatung wesentlich erhöht werden konnte, da dort die Informationen über alle Dienstleistungen und Angebote zusammenlaufen und regelmäßig aktualisiert werden. Die Pflegeberater und -beraterinnen können sich so gezielter auf ihre fallbezogene, individuelle Beratungstätigkeit konzentrieren.

Ein weiterer wichtiger Nutzen der Pflegestützpunkte für die Hilfesuchenden besteht darin, dass die Pflegestützpunkte durch die Koordinierung und Vernetzung der vor Ort vorhandenen Hilfsangebote dazu befähigt sind, die angebotenen Leistungen und deren Qualität transparent zu machen, um so den Ratsuchenden die Entscheidung für bestimmte Leistungen und Anbieter zu vereinfachen. Die Erfahrungen der Pilotstützpunkte beweisen, dass hier ein Angebot geschaffen werden kann und muss, für das es einen Bedarf gibt und das von den Menschen gerne angenommen wird.

Mit der Errichtung der Pflegestützpunkte könnte endlich die Situation für die Leistungsempfänger erleichtert werden. Es gibt ja eine Vielzahl von unterschiedlichen Ansprechpartnern und Leistungsanbietern wie ambulante Pflegedienste, stationäre Pflegeeinrichtungen und Wohnberatungsstellen. Das ist zwar gut, führt aber dazu, dass die Leistungen meist unkoordiniert erbracht werden. Dies führt häufig zu einer Über-, Unter- oder Fehlversorgung. Diese unzureichende Versorgung kann für die Pflegebedürftigen beispielsweise zu einem frühzeitigen Umzug in eine stationäre Einrichtung führen. Indizien dafür gibt es. So wurde beispielsweise bei einer Erhebung, die das Kuratorium Deutsche Altershilfe im Auftrag des Kieler Sozialministeriums durchführte, festgestellt, dass 30 % der Bewohnerinnen von Pflegeheimen überversorgt sind.

Im Aufbau eines flächendeckenden Netzes von Pflegestützpunkten liegen sogar weit mehr Chan

cen, als allgemein diskutiert werden. Diese Stützpunkte sind dazu geeignet, pflegebedürftige Menschen aller Altersklassen, also auch Kinder und junge Erwachsene - und mit jedweder Behinderung -, zu unterstützen, indem mit ihnen und ihren Angehörigen nahe am Wohnort individuelle Pflegearrangements entwickelt werden. Hier gilt es, die Pflegestützpunkte im Sinne des Gesetzes zu entwickeln.

Sehr geehrte Damen und Herren, diese Landesregierung gewährt den Menschen in Niedersachsen die in der gesetzlichen Grundlage vorgesehene Hilfe nicht. Ich habe es eben schon einmal erwähnt. Sie macht es einfach nicht. Wir konnten auch bei noch so aktiver Recherche keine Aktivitäten der Landesregierung erkennen. Nun konnte man allerdings über Flurfunk hören, dass das Ministerium zahlreiche Gesprächsrunden moderiert und so „nett“ war, ein Eckpunktepapier zu erarbeiten. Jetzt stellt sich die dringende Frage: Weshalb wissen die Abgeordneten nichts davon? Oder wissen die Kolleginnen und Kollegen in den Regierungsfraktionen vielleicht mehr?

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Sie wissen einfach nichts!)

Warum diese Heimlichkeiten?, fragt man sich dann, Herr Hoppenbrock.

(Zustimmung bei der SPD)

Warum unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Weiß man wieder einmal nicht, ob man will oder ob man nicht will? - Es wäre schön, diese Eckpunkte auch zu kennen. Dann bräuchten wir uns nur noch über die Tatsache aufzuregen, dass bereits ein Jahr vertrödelt wurde, und hätten die Hoffnung, dass es doch noch etwas mit Pflegestützpunkten in Niedersachsen wird.

Außerdem besagt § 7 a Abs. 4 SGB XI, dass zur praktischen Umsetzung der Pflegeberatung „die Pflegekassen im Land … Pflegeberater und Pflegeberaterinnen zur Sicherstellung einer wirtschaftlichen Aufgabenwahrnehmung in den Pflegestützpunkten nach Anzahl und örtlicher Zuständigkeit aufeinander abgestimmt bereitzustellen und hierüber einheitlich und gemeinsam Vereinbarungen“ - jetzt kommt wieder das Datum, das uns zur Eile bringt - „bis zum 31. Oktober 2008 zu treffen“ gehabt hätten. Darüber hinaus hat ab dem 1. Januar 2009 jeder Pflegebedürftige einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Hilfe und Unterstützung durch eine Pflegeberaterin oder einen Pflegeberater.

(Zustimmung bei der SPD)

Dieser Rechtsanspruch wurde mit der Pflegereform 2008 beschlossen. Wie will die Landesregierung dem gerecht werden? - Sie sind mit Ihrer Arbeit heftig in Verzug. Da sind wohl einige Überstunden angesagt.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir und auch die Menschen in diesem Land erwarten von der Landesregierung, dass sie klare Rahmenbedingungen gemäß den Bestimmungen nach § 92 c SGB XI festlegt. Es haben übrigens inzwischen 13 Ministerien in der Bundesrepublik Angaben über die Einführung von Pflegestützpunkten gemacht. Niedersachsen ist mal wieder nicht dabei.

(Johanne Modder [SPD]: Ach!)

Es wäre bestimmt hilfreich, wenn die Landesregierung einmal über den eigenen Tellerrand hinausschauen und sich entsprechend informieren würde.

(Johanne Modder [SPD]: Das wollen die nicht!)

Frau Ministerin, das könnten Sie ganz einfach haben, sogar vor der eigenen Haustür. Fahren Sie doch einmal nach Langenhagen und besuchen Sie den Stützpunkt, den die Bundesregierung dort eingerichtet hat! Dann kommen wir vielleicht endlich ein Stückchen weiter.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr HumkeFocks zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Linke begrüßen wir selbstverständlich jeden Vorstoß, der den Bedürfnissen chronisch kranker bzw. pflegebedürftiger Menschen überhaupt entgegenkommt. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass eine schnellere Einrichtung von Pflegestützpunkten über das Versuchsstadium in Langenhagen hinaus der einzige Weg in die richtige Richtung ist. Aus Sicht der Linken ist jetzt das Land gefragt.

Allerdings müssen wir über die genaue Zielsetzung und die konkreten Aufgaben, über die Trägerschaft und über die Ausstattung sowie die dauerhafte

Finanzierung sprechen. Ziel soll es sein, die Versorgung mit Pflegeangeboten zu verbessern und auf die Bedürfnisse zugeschnittene Angebote zu unterbreiten. Dazu gehört unserer Auffassung nach auch, dass wir den Begriff der Pflege neu definieren, und zwar in enger Kooperation u. a. mit Behindertenorganisationen und Behindertenverbänden.

Wir fragen, durch welche Mechanismen sichergestellt werden kann, dass die Pflegestützpunkte, die in ihrer zentralen Funktion Kooperationsbeziehungen zu allen relevanten Diensten unterhalten sollen, unabhängig bleiben können. Wie sollen sie gegen Versuche der Einflussnahme konkurrierender Pflegeanbieter immunisiert werden, um in ihrer Beratungsarbeit tatsächlich ausschließlich auf das Wohl der Pflegbedürftigen ausgerichtet zu sein? Welche Interessen haben die jeweiligen Träger der Pflegestützpunkte? In welchem Verhältnis stehen sie zu den vor Ort bestehenden Strukturen? - Die Beantwortung dieser Fragen halten wir für mitentscheidend.

Große Defizite liegen in der eingeschränkten Autonomie und Gesellschaftsteilhabe pflegebedürftiger Menschen. Um diese zu stärken, müsste beispielsweise auch die Pflege- und Alltagsassistenz deutlich ausgebaut werden. Dieser höhere Bedarf ließe sich gut in das Konzept eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors einbauen, wie er von uns Linken nach wie vor gefordert wird. Positive Erfahrungen wurden u. a. in Berlin gemacht.

Wir als Linke sind nicht pauschal gegen Pflegestützpunkte. Darum geht es uns nicht. Im Gegenteil. Allerdings halten wir die Reform der Pflegeversicherung, wie sie von der Großen Koalition beschlossen wurde, für unzureichend.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern über diese hinaus insbesondere eine Neudefinition des Pflegebegriffs - ich sagte es vorhin bereits -, eine Überwindung des starren Pflegestufenmodells und eine Verankerung der Pflegeversicherung als Rehabilitationsträgerin im SGB IX.

Zum Schluss möchte ich in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit einer wirklichen Bürgerversicherung im Gesundheitswesen betonen, die sowohl Kranken- als auch Pflegeversicherung umfasst und sämtliche Einkommen beitragspflichtig stellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Debatten dürfen wir nicht voneinander trennen. Ich hoffe, dass wir durch den Anstoß der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wirklich gemeinsam weiterkommen und auch die von mir genannten Punkte mit in die Diskussion einfließen lassen. Ich denke, dann können wir einen richtigen Weg beschreiten. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für die politische Forderung, die in diesem Antrag formuliert ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Riese. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich einen Teich vor, durch den ein kleines grünes Fischlein schwimmt. Das kleine grüne Fischlein sieht einen leckeren Brocken, schnappt zu - und schwupps wird es von einer unsichtbaren Leine aus dem Teich herausgezogen. - Der Köder, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat 45 000 Euro gekostet und hatte den Namen „Anschubfinanzierung“.

In dem Antrag der Fraktion der Grünen zu den Pflegestützpunkten lesen wir vor allem die lapidare Feststellung zu der Finanzierung, nachdem die Anschubfinanzierung verbraucht ist. Unter Nr. 5 steht, die Anschubfinanzierung erfolgt „im Übrigen durch die Kranken- und Pflegekassen sowie durch Mittel der öffentlichen Hand“. So machen wir das auch zu Hause: Wir wünschen uns irgendetwas - nein, Frau Helmhold, leider nicht -,

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ich wollte mal wissen, wie das bei den Senio- renservicebüros ist!)

kaufen es uns und fragen uns nicht, wie lange wir noch die Raten abzahlen müssen, wie lange wir es noch finanzieren müssen.

(Zustimmung von Gesine Meißner [FDP])

Meine Damen und Herren, es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass eine gute, solide, neutrale und fachlich qualifizierte Pflegeberatung erforderlich ist. Die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen sind ja auch geschaffen. Aber in der Anhörung zu den Pflegestützpunkten im Januar 2008 hat die Mehrzahl der Experten

warnende Stimmen erhoben. Ich will hier nur eine einzige davon zitieren, und zwar die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer Cornelia Goesmann, die sagte, der Versorgung könnten durch die Pflegestützpunkte beträchtliche Mittel entzogen werden. Das ist der Hauptkritikpunkt an dieser Organisation, die Sie uns gerade so glühend geschildert haben, die die Einrichtung von bundesweit 4 000 Stützpunkten erfordert, die Mittel der Pflegekassen verbrauchen, aber nur dafür da sind, die Beratung sicherzustellen, aber nicht tatsächlich die Pflege durchzuführen. Das ist das hauptsächliche Problem bei diesem Modell.

(Zustimmung von Gesine Meißner [FDP])

Bis heute fehlt bundesweit eine Übersicht über die längst vorhandenen Beratungsstellen, auch im Lande Niedersachsen. Hier gibt es ein großes Netzwerk, aber keine einheitliche Übersicht darüber. Selbst Ministerin Schmidt, die im Internet Informationen zur Regelung der Pflegestützpunkte zur Verfügung gestellt hat, schlägt die Einbeziehung bestehender Beratungsstellen vor. Ich zitiere: „Funktionierende Strukturen sollen weder gefährdet noch zerstört werden, sondern einbezogen und ausgebaut.“ Welchen Weg wir dazu im Lande Niedersachsen gehen, wird uns die Ministerin gleich im Detail erläutern. Vieles ist schon auf dem Weg. Es ist mehr in Vorbereitung, als Sie wissen. Den Köder sollten wir auf jeden Fall nicht schnappen - es wird gefährlich.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Helmhold hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön!