Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Jahns, wir tragen als Parlament eine gemeinsame Verantwortung. Ich bedaure es sehr, dass es uns nicht gelungen ist, uns auf einen gemeinsamen Antrag zu verständigen, obwohl es bei vielen Punkten Überschneidungen gab. Wir haben in den Ausschüssen ausführlich über unser Handlungsprogramm und auch darüber geredet, was sich konkret hinter den 17 darin enthaltenen Maßnahmen verbirgt. Deswegen wundert es mich, Herr Limburg, dass Sie jetzt sagen, der Antrag sei unkonkret. Wir haben ihn mit Beispielen belegt und in den folgenden Plenarsitzungen - der Antrag ist im November 2008 eingebracht und zum ersten Mal beraten worden - entsprechende Anträge eingebracht. Als ein Beispiel nenne ich den Antrag „Freier Eintritt zu den Landesmuseen“. Dieser Antrag ist abgelehnt worden. Auch die Anträge betref
fend „Mehr Beschäftigte mit Migrationshintergrund in den öffentliche Dienst“ und „Studierende mit Migrationserfahrung in Lehrämter“, die wir eingebracht haben, um in diesem Bereich weiterzukommen, sind im zuständigen Fachausschuss ebenfalls abgelehnt worden.
Im Änderungsvorschlag der Fraktionen von CDU und FDP steht, man müsse die Städte animieren, sich dort intensiver dafür einzusetzen. Frau Kollegin Jahns, wir haben hier über den Antrag „Städtekoalition gegen Rassismus unterstützen“ diskutiert. Die Koalitionsfraktionen haben ihn abgelehnt. Das waren konkrete Ansätze zur Umsetzung.
Jetzt möchte ich noch einmal deutlich machen, warum es uns nicht gelungen ist, uns auf einen gemeinsamen Antrag zu verständigen. Ich glaube, in vielen Punkten sind wir einer Meinung. Im Änderungsvorschlag der Fraktionen der CDU und der FDP sind durchaus Punkte enthalten, die auch wir unterstützen. Darin ist eine Aneinanderreihung von Aussagen enthalten, deren Umsetzung einer Fleißarbeit bedarf und die auch nicht verkehrt sind. Aber uns geht es um einen interdisziplinären, konkreten Handlungsansatz gegen Rechtsextremismus.
Herr Limburg, Sie haben zu Recht auf die Existenz von freien Kameradschaften und auf die Waffenfunde bei diesen Kameradschaften hingewiesen. Sie haben auch zu Recht darauf hingewiesen, dass von diesen zunehmend an symbolträchtigen Tagen wie dem 1. Mai Demonstrationen angemeldet werden. Das ist erschreckend. Die PfeifferStudie spricht für sich. Aber die Aussage in Ihrem Antrag, Rechtsextremismus sei ein Problem, das vorrangig Jugendliche betrifft, ist leider falsch, Frau Kollegin Jahns.
Die Heitmeyer-Studie und auch die Studie von Stöss belegen, dass man in allen gesellschaftlichen Schichten Rechtsextreme finden kann, dass sich das Problem der Ausländerfeindlichkeit, der Menschenfeindlichkeit und des Antisemitismus verfestigt und bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Das ist also nicht ausschließlich ein Jugendproblem. Deswegen müssen die Handlungsansätze breiter gefächert werden.
Frau Kollegin Jahns, Sie haben auch die Integrationsarbeit erwähnt. Es ist ja anzuerkennen, dass die Landesregierung etwas unternimmt. Aber der
ganze Aspekt der Integrationsmaßnahmen aus unserem Ursprungsantrag ist in Ihrem Änderungsvorschlag leider nicht mehr enthalten - ebenso wenig wie der Ansatz der islamophoben Vorurteile. Ich kann das auch mit Beispielen belegen. Die Rechten errichten immer das Szenario „Muslime aus dem Süden kommen in die europäischen Länder und unterwandern uns“ - ich sage das jetzt überspitzt -, und gleichzeitig wird von den Rechtsextremen leider auch versucht, Spätaussiedler aufgrund ihrer deutschen Herkunft zu instrumentalisieren. Dass ihnen dies nicht gelingt, ist auch Personen wie Frau Bischoff zu verdanken.
Alle diese Aspekte haben Sie herausgenommen. Uns geht es um einen breiteren Handlungsansatz, der abgestimmt und auch finanziell unterlegt ist, und nicht um einzelne Feigenblätter wie vielleicht - auch wenn wir das für sinnvoll halten - die Förderung der ARUG. Es geht um ein konkretes Handlungspaket, das im Bildungsbereich und im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe ansetzt, das sich gegen autoritäre Erziehungsmuster auf allen Ebenen richtet und den Menschen konkrete Perspektiven eröffnet und ihnen zeigt, dass sich durch ihren Einsatz für Zivilcourage, Toleranz und Weltoffenheit in diesem Land etwas bewegt.
Ich möchte jetzt noch auf einige einzelne Aspekte eingehen. Wir haben in unserem Entschließungsantrag zum Ausdruck gebracht, dass wir eine größere Inpflichtnahme der öffentlich-rechtlichen Medien wollen. Dazu ist mir „Zensur“ vorgeworfen worden. Das war nicht unser Anliegen. Ich will nur kurz an die Debatte über den „Tatort“ erinnern und daran, wie der Innenminister reagiert hat.
(Johanne Modder [SPD]: Oh! - David McAllister [CDU]: Was? - Bernhard Busemann [CDU]: Das hat er gut ge- macht!)
Ich möchte noch einen anderen Aspekt ansprechen; das soll dann der letzte Beitrag zu diesem Thema sein. Die Landesregierung und die sie tra
genden Koalitionsfraktionen stellen ja das Feigenblatt der Grundrechtefibel in den Vordergrund. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, dass das ein Modell aus Baden-Württemberg ist, welches dort noch nicht abgeschlossen ist. Es ist von der Landeszentrale für politische Bildung in BadenWürttemberg erarbeitet worden. Sie führen das aber als ein Beispiel aus Niedersachsen an. Ich glaube, das ist ein bisschen gebogene Wahrheit.
Ich setze mich dafür ein, dass Sie entgegen der Beschlussempfehlung des Ausschusses den Änderungsvorschlag der Fraktionen von CDU und FDP ablehnen und zu unserem Ursprungsantrag zurückkehren.
Auf den Beitrag von Frau Leuschner hat sich Frau Jahns zu einer Kurzintervention gemeldet. Ich erteile ihr das Wort. Sie haben anderthalb Minuten.
Liebe Frau Kollegin Leuschner, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in unserem Antrag angeführt haben, dass die Grundrechtefibel aus Baden-Württemberg stammt bzw. dort angewendet wird. Wir haben das keineswegs auf unsere Fahnen geschrieben, als sei das unsere Idee. Wir lassen diese Möglichkeit prüfen und sind froh darüber, dass es solche Maßnahmen schon in anderen Bundesländern gibt; denn man muss das Rad ja nicht immer neu erfinden. Wenn die Erfahrungen aus Baden-Württemberg vorliegen, werden wir überlegen, ob wir die Maßnahme in Niedersachsen sinnvoll umsetzen können. Das Gleiche gilt für den Jugend-Comic. Ich meine, dass das gute Maßnahmen sind, die dazu beitragen werden, Demokratieerfahrung zu stärken.
Liebe Kollegin Jahns, es ist nicht verkehrt, etwas zu prüfen. Man muss dann aber auch sagen, worin der eigene Verdienst besteht und welchen Nutzen man aus möglicherweise sinnvollen Maßnahmen anderer zieht, ohne dafür viel Geld und viel Arbeit zu investieren. Die Erstellung eines Produktes allein aber reicht doch nicht aus; denn so etwas muss doch auch umgesetzt werden. Lehrerinnen und Lehrer müssen doch auch Zeit für so etwas haben und in der Thematik weiter geschult werden! Sie machen es sich immer sehr einfach, indem Sie einen Vergleich zwischen totalitären Regimen anstellen; die sind dann identisch. So aber kann man daran nicht herangehen. Es bedarf einer tieferen pädagogischen Aufarbeitung und der Unterrichtszeit, sich damit auseinanderzusetzen. Dagegen aber gehen Sie bekanntlich an.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich gut, dass sich der Landtag heute auf der Grundlage zweier Vorlagen mit der Gefahr des Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in unserem Land auseinandersetzt. So weit, so gut. Das ist schon deshalb notwendig, weil es eine weitere Chance ist, diese Landesregierung wachzurütteln und aufzufordern, ihren Kurs der Verharmlosung zu verlassen
aber auch die Gelegenheit beim Schopfe zu packen, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, um ein für alle Mal rechtsradikale Tendenzen im Keim zu ersticken. Ich erinnere in dem Zusammenhang an unsere Broschüre „Braune Wurzeln“.
Dazu müsste man sich aber endlich eingestehen, dass Niedersachsen ein strukturelles rechtsextremes Problem hat.
Allein ein Blick in die Kriminalstatistik untermauert das. Über 80 % der politisch motivierten Straftaten in unserem Lande sind rechtsextremistisch motiviert.
Das müssen Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Da nutzen auch Ihre Zwischenrufe hier vorne gar nichts.
- Meine Eltern haben mich gelehrt, dass die Bezeichnung „Kommunist“ ein Ehrenwort ist. Darauf bin ich nach wie vor stolz.
Es ist notwendig, nunmehr politischen Handlungsdruck aufzubauen und das Problem ganz oben auf die Agenda der Landesregierung sowie der gesamten Landespolitik zu setzen. Lassen Sie mich wegen der andauernden Zwischenrufe, die natürlich nicht geahndet werden, nur nebenbei bemerken, dass meine Eltern Sozialdemokraten sind. Ich sage das nur, damit Sie es endlich einmal wissen.
(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Warum sollten Zwischenrufe geahndet wer- den? Zwischenrufe sind erlaubt!)
Eine Bekämpfung des militanten Rechtsextremismus kann nur ressortübergreifend dauerhaft erfolgreich sein. Die vielseitige Betätigung neonazistischer Gruppen in sozialen und kulturellen Bereichen, verbunden mit einem immer selbstsichereren Auftreten im öffentlichen Raum, und die kommunalen Wahlerfolge der NPD können Sie auch in Niedersachsen nicht kleinreden. Zu der hohen Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten hatte ich schon etwas gesagt. Nicht zuletzt die aktuellen Waffenfunde bei Rechtsextremisten, u. a. der Fund einer Pumpgun im „Moonlight“-Club in Göttingen, die von Rechtsextremisten eingesetzt worden ist, machen deutlich, dass die Landesregierung in ihrer Verharmlosung der rechten Szene offensichtlich falsch liegt.
Bedenkt man, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus laut Koalitionsvertrag 2008 als zentraler Bestandteil niedersächsischer Präventionspolitik gedacht ist, verwundert doch, dass bisher weder die Bedeutung militanter Gruppierungen im bundesweiten Kontext noch deren Aktivitäten richtig und realistisch eingeschätzt werden.