Geradezu eine Lachnummer ist Ihr Punkt „mehr Sicherheit und Opferschutz durch das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz“. Meine Damen und Herren, Sie haben den Vorrang der Resozialisierung abgeschafft und nehmen damit sehenden Auges in Kauf, dass Straftäter gefährlicher aus der Haft entlassen werden als sie hineingewandert sind. Wie bitte soll das Sicherheit schaffen und den Opferschutz stärken?
Meine Damen und Herren, auch nicht neu ist Ihr Vorschlag zur Einführung von Schülergerichten. All diejenigen, die diesem Parlament schon länger angehören, werden sich sicherlich daran erinnern, dass die damalige Justizministerin schon im Juni 2006, also vor fast zwei Jahren, Schülergerichte einführen wollte. Passiert ist bis dahin aber gar nichts. Ich warne allerdings davor, mit solchen Show-Modellversuchen von den wahren Problemen abzulenken.
Nach Schätzungen des Niedersächsischen Richterbundes fehlen aktuell 300 Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, um den Arbeitsanfall auch nur annähernd zeitnah bewältigen zu können. Wir fordern daher: Stel
len Sie erst einmal ausreichend richtige Richter ein, bevor Sie mit Schülerrichtern herumexperimentieren.
Als die damalige Justizministerin 2006 mit diesem Vorschlag gekommen war, ist sie vom damaligen Kultusminister auf den Unsinn dieser Maßnahme hingewiesen worden. Ich hoffe, dass es durch den Rollentausch nicht dazu kommt, dass diese Einsichten verloren gegangen sind.
Also, meine Damen und Herren, stärken Sie die richtigen Gerichte und Staatanwaltschaften und unterstützten Sie das lange etablierte Konfliktlotsenmodell und verzetteln Sie sich nicht bei den Schülergerichten.
Abschließend möchte ich auf zwei Ihrer Forderungen eingehen, die Sie schon seit Jahren bei jeder passenden Gelegenheit aus der kriminalpolitischen Mottenkiste hervorzaubern. Ich rede vom Warnschussarrest, der schlicht überflüssig ist, und der von Ihnen geforderten generellen Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende, die schlicht Unfug ist, weil sie suggeriert, das Erwachsenenstrafrecht sei härter als das Jugendstrafrecht. Dabei wissen alle, die sich nur halbwegs mit der Materie auskennen, dass das Gegenteil richtig ist.
(Beifall bei der SPD - Ralf Briese [GRÜNE]: Genau richtig! - Zuruf von Hans-Christian Biallas [CDU])
- Sie können ja dieses kleine Kärtchen aus der Schublade nehmen, Herr Biallas, und es ausfüllen. - Das Erwachsenenstrafrecht kennt nur Verurteilungen zu Geld- oder Freiheitsstrafen. Das Jugendstrafrecht erlaubt ein ganzes Spektrum von Verurteilungen. Ihre Forderung mag also bei Stammtischen auf Zustimmung treffen. In Fachkreisen bewirken Sie nur Kopfschütteln.
Meine Damen und Herren, wollen Sie den Gerichten ernsthaft die Möglichkeit nehmen, mit Arbeitsweisungen und sozialen Trainingskursen auf den Heranwachsenden einzuwirken? Vor diesem Hin
tergrund ist es doch wirklich kein Zufall, dass sogar der amtierende Bundesinnenminister, der sich ansonsten gern als CDU-Hardliner profiliert, diesen Forderungen nach einer vermeintlichen Verschärfung des Jugendstrafrechts eine klare Absage erteilt hat.
Diese Forderungen drücken eine nicht zu übersehende Hilflosigkeit der Antragsteller aus, die in eine ganz zentrale Forderung mündet: Der Landtag bittet die Landesregierung, eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe einzurichten. - Meine Damen und Herren, Sie kennen doch sicher den Satz: Wenn ich nicht mehr weiter weiß …
Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Ideen- und Perspektivlosigkeit dieser Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, dass Sie die Probleme der perspektivlosen Jugendlichen mit einem Arbeitskreis lösen möchten. Ich schlage Ihnen einen anderen Weg vor.
Schaffen Sie endlich ein Bildungssystem, das allen Schülern Perspektiven gibt. Es sollte uns alarmieren, dass Deutschland das Land ist, in dem Herkunft und sozialer Status der Eltern über die Perspektiven entscheiden. Perspektivlosigkeit schafft Kriminalität.
Okay, Frau Präsidentin. Dann geht an meine Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP der Appell: Wir brauchen eine Kultur der Wertschätzung und nicht der Ausgrenzung.
Herzlichen Dank, Frau Modder. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Briese. Bitte schön!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Der Antrag, der jetzt hier zur Diskussion steht, enthält ganz wenige richtige Feststellungen, die wir vielleicht in der einen oder anderen Sache unterstützen können. Darauf komme ich gleich noch. Er enthält ganz viele überflüssige Banalitäten. Leider enthält er einen sehr großen Anteil an völlig falschen rechts- und innenpolitischen Punkten.
Dazu werde ich gleich noch kommen. Ehrlich gesagt kann ich es nicht wirklich verstehen, dass Sie diese Kernforderungen zur Verschärfung des Jugendstrafrechts dem Niedersächsischen Landtag noch einmal auftischen, nachdem Roland Koch mit seiner ganzen Debatte um die Verschärfung des Jugendstrafrechts in Hessen ein sehr verdientes Debakel erlebt hat. Dazu werde ich gleich kommen. Koch hat der Integrationsdebatte übrigens einen sehr großen Schaden zugefügt. Das hat die Kollegin Modder sehr gut herausgearbeitet. In der Debatte um jugendliche Straftäter - insbesondere mit ethnischem Hintergrund - hat ein gewisser Rassismus mitgeschwungen. Insbesondere die Migrantenverbände haben das auf jeden Fall so angenommen und sagen auch heute noch, dass das, was dort in die Öffentlichkeit getragen worden ist, extrem integrationsfeindlich war.
Frau Lorberg, Sie müssen es einfach konstatieren. Koch hat drei konservative Kernforderungen aufgestellt. Sie haben jetzt nur zwei davon hier thematisiert. Zum einen heißt es, dass die Jugendrichter bei Heranwachsenden das Erwachsenenstrafrecht anwenden sollen. Diese Forderung von Ihrer Seite verstehe ich gar nicht. Es ist heute ein sehr flexibles Instrument. Die Jugendrichter können kraft ihrer Ausbildung frei entscheiden, ob sie bei einem Täter Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anwenden. Das Instrument ist also sehr flexibel. Es bedeutet für die Richter die freie Entscheidung.
Sie bekunden damit nur eines: Sie misstrauen den Jugendrichtern, frei zu entscheiden, wann sie welches Recht anwenden sollen.
Zum anderen führen Sie immer den sogenannten Warnschussarrest an. Da haben Sie sich komplett von der universitären Fachwelt entfernt. Sie finden dort keine Unterstützung. Als Koch die Debatte aufgetischt hat, gab es in Berlin - hören Sie genau zu - eine Resolution von nicht weniger als 1 000 Leuten aus dem kriminologischen Bereich, aus dem Strafrechtsbereich, aus dem sozialpädagogischen Bereich und aus dem Bereich der Bewährungshilfe. 1 000 Leute haben gesagt, wir brauchen diesen Warnschussarrest nicht. Das geltende Jugendstrafrecht ist sehr gut und flexibel. Es hat ein breites Instrumentarium. Diese Instrumentarien können Sie sogar miteinander kombinieren. Eine weitere Regulierung und gesetzliche Aufblähung brauchen wir definitiv nicht. Nehmen Sie endlich Abstand von dieser Forderung. Sie wird von der Fachwelt und von den Praktikern komplett abgelehnt.
Verstehen Sie das endlich einmal. Die zentrale und wichtige Maßnahme ist, dass Sie die Jugendgerichte und Erwachsenengerichte mit ausreichend Personal ausstatten. Auch das hat Frau Modder hier angesprochen. Das ist die ganz zentrale Frage. Das wissen wir aus der kriminologischen Forschung seit Jahren. Wenn wir etwas gegen Jugendkriminalität unternehmen wollen, müssen wir schnell und zeitnah sanktionieren. Das ist das entscheidende Moment, wenn man Jugendkriminalität wirksam eindämmen will. Sie müssen die Gerichte vernünftig ausstatten. Da ist in Niedersachsen in der Vergangenheit auch nicht besonders viel passiert. Der gesamte Justizbereich war am Anfang ein personalpolitischer Steinbruch. Sie haben erst nach und nach gemerkt, dass das nicht sinnvoll sein kann. Die entscheidende Maßnahme ist tatsächlich die vernünftige Ausstattung der Gerichte.
Maßnahmen im Bereich der Jugendkriminalität. Sie funktionieren relativ gut. Insbesondere der Täter/Opfer-Ausgleich ist eine große Erfolgsgeschichte. Er ist viel sinnvoller als die Schülergerichte. Was passierte in den letzten Jahren im Bereich der ambulanten Maßnahmen? Was passierte insbesondere bei dem gut funktionierenden Täter/OpferAusgleich? Es gab eine völlige Stagnation in Niedersachsen.
Sie haben diese Programme nicht ausgebaut und weitergeführt. Die Programme mussten eine moderate Kürzung hinnehmen. Sie hatten teilweise große Existenzängste. Die wirksamen Instrumente, die fachwissenschaftlich durch rechtspolitische Evaluation untersucht worden sind, bauen Sie nicht aus. Sie führen sie nicht fort, sondern kommen mit dieser sonderbaren Forderung nach einem Warnschussarrest, den wir definitiv nicht brauchen.
Jetzt komme ich zu den letzten Punkten, zur Integrationspolitik. Da gibt es große Baustellen. Immerhin sind wir jetzt so weit, dass auch von der konservativen Politik anerkannt wird: Ja, wir müssen etwas in der Integrationsdebatte machen. Das entscheidende Moment ist natürlich eine moderne Bildungspolitik. - Wenn Sie immer wieder fokussieren, die innere Sicherheit ist eine Kernaufgabe des Staates, dann ist das zwar richtig, aber Bildungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit herzustellen, ist auch eine Kernaufgabe des Staates.
Es ist ganz zentral, dass wir Chancengleichheit bekommen. Es ist ein großes Versagen unseres Bildungssystems, dass die Migranten keine gleichen Chancen und Teilhabegerechtigkeit haben.