Protokoll der Sitzung vom 10.04.2008

Zum Schluss vielleicht noch eine Bemerkung zu Herrn Brunotte und seinem Wort von dem „mit heißer Nadel gestrickten Schnellschuss“.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: War es doch auch!)

Dazu möchte ich nur sagen: Der Zahn der Zeit, der schon manche Träne getrocknet hat, wird auch über diese Äußerung Gras wachsen lassen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Die nächste Wortmeldung kommt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Herr Kollege Briese, bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich finde, man kann im politischen Prozess durchaus Fehler machen; das ist gar keine Frage. Vielleicht ist die Politik insgesamt gar nicht fehlerfreundlich genug; denn wenn einer einen Fehler macht, wird immer gleich so richtig draufgeschlagen. Was in dieser Debatte über das niedersächsische Justizvollzugsgesetz aber ärgerlich ist, ist, dass es hier, obwohl es wirklich nicht besonders gut funktioniert und große Probleme bereitet, über den grünen Klee gelobt wird. So erst gestern vom Vorsitzenden der CDU-Fraktion, der sogar die Hybris hatte und gesagt hat, andere Länder würden sich an diesem Gesetz orientieren. Herr McAllister, niemand orientiert sich an diesem Gesetz. Es war ein Alleingang, den Niedersachsen hier fälschlicherweise gemacht hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Alle anderen Länder waren sehr viel klüger als wir und haben einen gemeinsamen Länderentwurf sehr viel zeitintensiver beraten, statt - genau richtig gesagt, genau richtig analysiert - ein Gesetz durchzupauken, das sehr viele Fehler aufweist und in der Praxis gar nicht funktioniert.

Der zweite Punkt, den ich noch anmerken möchte: Herr Wulff hat hier angedeutet, er hätte diese E-Mail bekommen, weil die Opposition dieses Gesetz im Vorfeld der Wahl irgendwie skandalisiert

hat. Das hat niemand von der Opposition skandalisiert. Wissen Sie, wer dieses Gesetz skandalisiert hat? - Die betroffenen Praktiker haben sich darüber aufgeregt. Das war der Grund.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es gab Stellungnahmen des Niedersächsischen Richterbundes, große Pressemitteilungen. Die haben geschrieben: Dieses Gesetz funktioniert im Bereich der U-Haft vorn und hinten nicht. Wir wünschen uns eine schnelle Änderung. - Dann gab es dazu eine Menge Presseartikel. Ich habe Ihnen hier einmal die Mappe mitgebracht: Pannen beim neuen Justizvollzugsgesetz. Das sind ungefähr 30 Seiten Presseartikel, die alle besagen: Dieses Gesetz funktioniert vorn und hinten nicht. - Deshalb sollte man in dieser Debatte einmal die Traute haben, zu sagen: Ja, da haben wir Fehler gemacht. Da müssen wir dringend nachbessern.

(Beifall bei den GRÜNEN - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ein bisschen Demut!)

Ich will noch ein Weiteres anmerken. Sie stellen sich hier ja immer so als die großen Entbürokratisierer und Verfahrenserleichterer dar. Das war ja auch so eine große Ansage, an die ich mich noch gut erinnern kann. Im Jahr 2003, als Sie die Regierung übernommen haben, gab es zwei Reden von zwei jungen Fraktionsvorsitzenden. Der eine war Philipp Rösler, und der andere war David McAllister. Sie haben gesagt: Genau diesen ganzen Mehltau der Bürokratisierung werden wir jetzt abschaffen. - Jetzt aber haben Sie ein unglaublich kompliziertes und bürokratisches Monster geschaffen. Die Akten wandern durchs ganze Land, und die Amtsrichter sind richtig genervt. Sie haben ein Gesetz, das auf Bundesebene gut funktioniert hat, gegen jeglichen Fachverstand auf das Land runtergezogen, sodass es jetzt vorn und hinten nicht mehr funktioniert.

Jetzt sollten Sie wenigstens den Anstand haben und sagen, dass Sie das beim nächsten Mal wirklich sehr viel besser machen müssten. Am besten mit sehr viel mehr Zeit, mit einer besseren Gesetzesberatung, nicht schnell durchpauken und sich ein bisschen reflexiv und fehlereinsichtig zeigen. Dann werden dabei auch bessere Gesetze herauskommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke schön. - Für die Landesregierung hat Herr Minister Busemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich das alles so höre, wird es demnächst richtig Spaß machen, in der Rechtspolitik und auch rund um das Vollzugsrecht tätig zu sein. Wenn man die Einlassungen der jungen Abgeordneten vernimmt, kann man sich auf die eine oder andere Debatte so richtig freuen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Allerdings kann man durchaus auch schon kleine Unterschiede feststellen. Herr Limburg etwa bricht sich keinen Zacken aus der Krone, wenn er - wie auch im Ausschuss schon geschehen - gemeinsam mit der Landesregierung feststellt, dass es im niedersächsischen Strafvollzug gar nicht so schlecht zu laufen scheint. Nichts ist perfekt, insgesamt aber sind die Zahlen recht gut.

Herr Briese, der hier immerhin schon fünf Jahre gesessen hat, ist zu diesem Sprung allerdings noch nicht bereit. Er hat sich vorhin darüber aufgeregt, dass ein junger Kollege in Sachen Kompetenz usw. nicht gebührlich behandelt worden ist. Ich erinnere mich: Vor fünf Jahren - er hatte sich seinerzeit noch gar nicht warm gesessen - hat er selbst aber schon die gesamte Landesregierung der Inkompetenz geziehen.

(Heiner Bartling [SPD]: Zu diesem Ur- teil braucht man auch nicht lange!)

Das sind feine Unterschiede. Ich finde, Herr Limburg: Erhalten Sie sich einfach die Lockerheit und die Größe, das eine Mal draufzuhauen, das andere Mal aber durchaus auch zu sagen, so schlecht ist das nicht.

Ich glaube, bei allen Turbulenzen rund um Salinenmoor und bei alledem, was in den letzten Wochen sonst noch so gelaufen ist, hat sich auch von den Zahlen her gezeigt, dass der Strafvollzug in Niedersachsen ganz ordentlich aufgestellt ist. Aber wie gesagt: Nichts ist perfekt. Aber im Vergleich mit anderen Bundesländern sind wir schon spitzengruppenmäßig, auch wenn man sicherlich immer noch ein bisschen besser werden kann.

Dass wir eine hohe Qualität haben, ist die eine Geschichte. Dass wir diese Qualität erhalten und weiterentwickeln wollen, ist eine andere Geschich

te. Offensichtlich ist die Qualität aber auch so gut, Herr Brunotte, dass Sie jetzt schon über die Frage streiten, wer die Urheberrechte an diesen tollen Verhältnissen hat. Ich weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hat. Das waren sicherlich die Untätigen in den Jahren vor 2003, die Ihnen jetzt sozusagen in eigener Rechtfertigung noch einmal aufgeschrieben haben, was sie gern getan hätten, irgendwie aber nicht tun konnten, weil der Wähler es anders gemeint hat.

Ich hätte ja auch gern noch etwas zu der Zwischenfrage des Kollegen Möllring zum Thema Rosdorf und zum Thema Spatenstiche gehört: Spatenstiche von Gabriel, von Aller, wahrscheinlich auch von Pfeiffer und von wem sonst noch. Was meinen Sie, warum er fünf Jahre später so graue Haar bekommen hat? - Weil Sie vor lauter Spatenstichen vergessen haben, ihm das Geld mitzugeben. Aber das kümmt sich noch aus, Hartmut!

(Beifall bei der CDU)

Aber haken wir das alles einmal ab.

Jetzt zu den guten Verhältnissen. Das gilt auch schon für die gesetzlichen Grundlagen des Vollzugs, meine Damen und Herren. Die Übertragung der alleinigen Gesetzgebungskompetenz auf die Länder war in dem großen Zusammenhang durchaus richtig und konsequent. Für den Jugendstrafvollzug und den Untersuchungshaftvollzug gab es bislang nur vereinzelte gesetzliche Regelungen. Verwaltungsvorschriften wie die Untersuchungshaftvollzugsordnung und die bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug bestimmten den Vollzug. Über Jahrzehnte hinweg war der Bund offenbar nicht in der Lage, diesen Zustand zu beenden. Es waren die Länder, die nach der Föderalismusreform gesetzliche Regelungen für den Jugendstrafvollzug geschaffen haben. Niedersachsen hat darüber hinaus den Untersuchungshaftvollzug auf eine umfassende gesetzliche Grundlage gestellt.

Ich will einfach einmal festhalten: Es war geboten und richtig, ein eigenes Justizvollzugsgesetz zu machen. Nun liegt es in der Natur der Sache, dass sich durch grundlegende Änderungen im Bereich des Untersuchungshaftvollzuges organisatorische Veränderungen ergeben haben. Die Abläufe müssen sich zum Teil erst einspielen. Dabei werden die Gerichte unterstützt. Zum Ausgleich akuter Belastungsspitzen sind bereits - auch durch Umschichtungen - Stellen an die Gerichte verlagert

worden, die einen entsprechenden Bedarf gemeldet hatten.

Natürlich verschließt sich die Landesregierung - das sagt auch der jetzige Justizminister; wir sind ja nicht taub - nicht vor kritischen Stimmen. Das niedersächsische Justizvollzugsgesetz enthält nicht ohne Grund eine Evaluationsregelung. Übrigens sagt auch die Koalitionsvereinbarung - sie ist noch ganz frisch, vom Januar/Februar -, dass wir uns angucken, wie dieses Gesetz funktioniert, ob es da und dort handwerkliche Probleme gibt, ob es Kritik gibt, insbesondere ob sich Zuständigkeitsfragen stellen. Wenn wir das da hineingeschrieben haben, dann haben wir das nicht getan, weil wir Papier bedrucken wollten, sondern weil wir uns dabei etwas gedacht haben und nötigenfalls auch entsprechend reagieren wollen.

Seit Inkrafttreten des Gesetzes - es ist Anfang/Mitte April - sind gerade einmal drei Monate vergangen. Das ist ein etwas sehr kurzer Zeitraum, um abschließende Urteile fällen zu können. Da sollte man ein bisschen vorsichtig sein.

Wir haben zur Kenntnis genommen, dass das Oberlandesgericht Oldenburg in einer zentralen Frage das Bundesverfassungsgericht angerufen hat. Dabei geht es am Ende um einen Paragrafen in einem dicken Gesetz, aber um eine wichtige Frage, nämlich die Frage der Zuständigkeit rund um die Briefkontrolle, insbesondere in der Phase der Untersuchungshaft. Ich betrachte das sehr leidenschaftslos - das sowieso -, aber auch mit großem Interesse; denn wenn Karlsruhe gesprochen hat, haben wir in der wichtigen Frage ja auch Klarheit. Ich werde das völlig neutral annehmen. Was Karlsruhe dann sagt, das wird dann auch entsprechend gemacht. Vielleicht sagen sie sogar: Ihr habt recht gehabt in Niedersachsen. - Aber warten wir da doch einfach mal ab.

Kollege Limburg, Sie forderten ein verfassungskonformes Gesetz. Das wollen wir doch immer machen. Aber wir wären doch mit dem Klammersack gepudert, würden wir jetzt in dem einen Paragrafen ein neues Gesetz auflegen und anderes vielleicht noch dazu regeln. Wenn dann Karlsruhe vier Wochen später sagt: „Ätsch, es war doch schon richtig, wie ihr es hattet“, oder aber: „Es hätte aber so und so sein können“, dann sind wir Weihnachten wieder dabei. Ich würde alle Beteiligten darum bitten, dass wir hier wirklich gucken - ich hoffe, dass es zeitnah geschieht -, welche Richtung uns Karlsruhe weist. Das muss dann in die Überlegungen Eingang finden und möglicherweise

in eine Gesetzesänderung hineingegossen werden, wie auch anderes mehr.

Mein Vorschlag geht dahin, im Zeitablauf einfach zu gucken, was umstellungsbedingt ist, was sich einspielen muss und nicht unbedingt einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf einschließt.

Aber wenn zum einen, angewiesen durch Karlsruhe, Änderungen erforderlich sind und zum anderen die Praktiker uns sagen - die hole ich mir heran; notfalls mache ich ein Hearing im Frühling, was auch immer -: „Da und da passt es einfach nicht; da und da hätten wir es lieber anders“, dann sollten wir dem Rechnung tragen. Ich hoffe, dass das in einem vernünftigen zeitlichen Ablauf geschehen kann. Jetzt mit heißer Nadel nur aus der Debatte heraus etwas zu machen, auch auf die Gefahr hin, dass Karlsruhe und andere nachher sagen, dass das gar nicht nötig war oder noch anders hätte sein können, will, glaube ich, auch niemand.

Wir haben umfassend über die Belegungsverhältnisse, insbesondere über den § 20 als solches, diskutiert. Ich habe nach der Debatte auf allen Seiten bzw. Flügeln hier den Eindruck gewonnen, dass man eigentlich sagt - Herr Limburg, Herr Adler u. a. -, § 20 ist vom Wortlaut her an sich zeit- und sachgerecht; er entspricht auch in jeder Hinsicht dem Stand der Wissenschaft. Daher geht es bei der Belegungsfrage weniger um den Wortlaut des § 20, sondern mehr um seine administrative Ausgestaltung. Wenn der Grundsatz der Einzelbelegung, aber auch der Grundsatz, in wenigen Ausnahmefällen eine Zweibettbelegung zuzulassen, wirklich gilt, dann sind wir schon ein Stückchen hin. Ich würde mir - wie gesagt, innerhalb der Ausnahme von der Ausnahme - aber ausbedingen, meinetwegen in Rest-Rest-Fällen eine Drei- oder Vierbettbelegung zuzulassen. Wenn besondere Drucksituationen entstehen, wenn also beispielsweise in einer Stadt eine Razzia durchgeführt wurde und plötzlich 30 Leute in U-Haft untergebracht werden müssen - man kann sie ja nicht, wenn sie nicht in einer Zweibettbelegung untergebracht werden können, einfach laufen lassen oder die ganze Nacht mit dem Lkw durch die Gegend fahren -, dann muss man das auch einmal tun dürfen, ohne in die Rechtswidrigkeit gedrängt zu werden. Wenn wir uns solche Ausnahmesituationen vorbehalten, dann, glaube ich, sind wir am Ende gar nicht mehr so weit auseinander.

Wir haben insgesamt ein gutes Zahlenwerk. Die Situation ist manchmal auch etwas konjunkturell bedingt. Zurzeit haben wir insgesamt eine günstige

Belegungssituation. Das ist vielleicht den begleitenden Maßnahmen insgesamt geschuldet. Aber wir wissen nicht, wie es sich in zehn Jahren entwickelt. Vielleicht wird es noch günstiger. Hoffentlich entwickelt es sich nicht in die andere Richtung. Aber gewisse Unabsehbarkeiten sind immer dabei. Daher muss man sich gewisse Spielräume erhalten. Man muss nicht von Gesetzes wegen gezwungen sein, gar keine Mehrfachunterbringung zu machen. Ich glaube, Professor Pfeiffer - irgendwo klang das hier eben auch durch - hat das gefordert. Ich glaube, so weit sollte man nicht gehen. Das ist auch in der Sache nicht vernünftig. In dem Kontext der Mehrfachunterbringung möchte ich ein interessantes Zitat vorbringen:

„Bezogen auf die Mehrfachbelegung ist zu beachten, dass die gemeinschaftliche Unterbringung von Menschen, die sich nicht nahestehen, auch in anderen Bereichen durchaus üblich ist - z. B. Unterbringung im Mehrbettzimmer eines Krankenhauses, gemeinschaftliche Unterbringung in Bundeswehrkasernen -, ohne dass dies als schlechterdings untragbar angesehen würde“.

Das stammt nicht etwa aus irgendwelchen Regierungspapieren, sondern das stammt aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom November 2007. Da ging es um die Frage der Unterbringung im Maßregelvollzug. Also, etwas darf es sein, meine Damen und Herren, ohne dass man verfassungswidrig oder menschenrechtswidrig handelt. Das sollten wir beherzigen, wenn wir dieses Thema im guten Willen - neue Anstalten wie in Bremervörde sind ja geplant - miteinander angehen.

Einer sagte - das will ich gerne unterschreiben -, das eine ist das Notwendige, was wir tun müssen. Das ist nie ganz schön im Strafvollzug. Das andere sind Präventivmaßnahmen, vorbeugende Maßnahmen, Resozialisierungsmaßnahmen. Wenn Sie da schon - ich glaube, Herr Brunotte war es - ein bisschen gekitzelt haben, dann sage ich Ihnen: Verlassen Sie sich darauf, da wird in den nächsten Monaten einiges von uns kommen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Der Antrag soll an den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen überwiesen werden. Wer möchte so beschließen? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.