Protokoll der Sitzung vom 17.06.2009

Besonders ausländische Studierende - das hat Frau Lesemann ausgeführt - kommen dabei immer stärker unter Druck. Schon vor Einführung der Studiengebühren haben 38 % der Studierenden angegeben, dass sie Probleme mit der Finanzierung ihres Studiums haben. Heute haben sie nicht einmal die Möglichkeit des Zugangs zum Studienbeitragsdarlehen, jedenfalls dann nicht, wenn sie nicht aus der EU stammen. Diejenigen, die Zugang hätten, scheuen das Kreditrisiko; denn nur gut 6 % aller Studierenden nehmen das Studienbeitragsdarlehen in Anspruch. Auch hier gilt: Deutlicher kann ein Indiz für das Scheitern der Sozialverträglichkeit der Gestaltung des Stratmannschen Studiengebührenmodells nicht ausfallen.

Von einem Abfedern durch Stipendien ist Niedersachsen - auch das wurde schon genannt - mit einer Förderquote von unter 1 % weit entfernt. Herr Minister Stratmann, Ihr Dementi zieht nicht wirklich. Ich rate Ihnen: Lesen Sie sich den Referentenentwurf zur NHG-Novelle noch einmal genauer durch. Darin steht, dass die Stipendien für Ehrenamtliche selbstverständlich aus dem Aufkommen aus den Studiengebühren finanziert werden sollen.

Das nächste Problem zeichnet sich ebenfalls ab; denn spätestens zum doppelten Abiturjahrgang in 2011 werden Wohnheimplätze fehlen. Wohnen im Studentenwohnheim ist konkurrenzlos günstig. Knapp 13 % der Studierenden in Niedersachen leben in Wohnheimen.

Vielerorts ist die Nachfrage schon heute größer als das Angebot. Ab 2011 ist die Unterversorgung quasi vorprogrammiert. Das wird nicht nur viele Studierende im wahrsten Sinne des Wortes teuer zu stehen kommen, sondern auch negative Auswirkungen auf die angestrebte Internationalisierung unserer Hochschulen haben; der hohe Anteil ausländischer Studierender in unseren Wohnheimen wurde schon erwähnt.

Fazit, meine Damen und Herren: Die soziale Lage von Studierenden hat sich unter Schwarz-Gelb verschlechtert. Wir können uns den Forderungen der Studierenden nur anschließen: Geben Sie Ihre bildungspolitische Dickfelligkeit auf, und nehmen Sie die Proteste von Schülern und Studenten endlich ernst! Sonst bleibt Ihre Forderung nach einer

Erhöhung der Akademikerquote ein frommer Wunsch.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Danke schön. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Kollege Perli das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal freut es mich, dass ich Ihnen mitteilen kann, dass zur Stunde z. B. in Braunschweig 9 000 junge Menschen, Schülerinnen, Schüler und Studierende auf der Straße sind

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD)

und dass die Bildungsdemonstrationen in Niedersachsen hervorragend angelaufen sind. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Bildungsmisere hier im Lande nach wie vor zu einem unzumutbaren Zustand führt.

(Christian Grascha [FDP] und David McAllister [CDU]: Wie viele Leute sind in Berlin auf der Straße? Sie sind doch sonst immer so schlau!)

Meine Damen und Herren, auf rund 44 Seiten stellt die Landesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage ihre Erkenntnisse zur sozialen Situation der Studierenden dar. Es sind viele Zahlen und so manche Lücken, weil es an einigen Erhebungen mangelt.

Für die geleistete Arbeit möchte auch ich zunächst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Wissenschaftsministeriums danken. Ich denke, dass diese Zahlen einen guten Überblick über entscheidende Fragen geben.

Gleichzeitig muss ich ankündigen, dass schon bald ein Nachfolger zu dieser Großen Anfrage notwendig sein wird; denn die Datenbasis ist, wie bereits angesprochen, das Jahr 2006, der Zeitpunkt der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes. Die Studiengebühren wurden erst danach eingeführt.

Insofern trifft die vorliegende Antwort noch keine Aussage über die Auswirkungen der Gebühren. Die Daten können sich aber unter Umständen sehr gut eignen, um in der Zukunft einen Vergleich zu den Zahlen der 19. Sozialerhebung anzustellen, die zurzeit durchgeführt wird.

Was sagen uns die vorliegenden Zahlen? - Sie sagen uns, dass die Studierendenschaft im Durchschnitt armutsgefährdet ist. Das monatliche Einkommen in Niedersachsen betrug im Jahr 2006 764 Euro, lag also 17 Euro unter der Armutsgrenze. Die Studierenden haben also wenig Einkommen zur Verfügung. Was wird im Gegenzug von ihnen erwartet? - Gedankliche Höchstleistungen rund um die Uhr; denn wenn die Studierenden das Studium in der Regelstudienzeit absolvieren und damit zusätzliche Strafgebühren vermeiden wollen, müssen sie das Studium als Fulltimejob betreiben. Das Problem ist, dass sich sehr viele Studierende das nicht leisten können.

(Jens Nacke [CDU]: Was ist denn Ihre Vorstellung dazu? - Gegenruf von Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Abwarten, Herr Nacke!)

An diesem Punkt würde ich mir wünschen, dass die SPD die von ihr eingeführten Langzeitstudiengebühren deutlich ablehnt und ähnlich wie bei der falschen Zusammenlegung der Hochschulen zur FH OOW auch hier betont, dass dieses damals unter der SPD eingeführte Gesetz ein Fehler war.

(Beifall bei der LINKEN - Unruhe)

Herr Kollege Perli, wenn Sie Wünsche äußern dürfen, dann möchte auch ich einen äußern: Ich wünsche mir, dass es hier ein wenig ruhiger wird. Herr Kollege Klare, ich kann Sie aus einer hinteren Reihe bis hierher hören. - Herzlichen Dank, etwas mehr Ruhe. - Herr Perli hat das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns wohl einig, dass uns die Studierenden etwas Wert sind und dass wir sie und noch viele mehr von ihnen brauchen. Dann müssen wir ihnen das auch zeigen. Wir brauchen also eine neue, bessere Studienfinanzierung und einen Abbau finanzieller Belastungen. Anders gesagt: Wir brauchen ein besseres BAföG und keine Studiengebühren.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Großen Anfrage wurde leider nicht abgefragt, wie viele Studierende mit welchem sozialen Hintergrund BAföG bekommen. Ich kann Ihnen diese Zahlen aus der bundesweiten Erhebung nachliefern. Gerade einmal ein Viertel aller Studierenden aus der sogenannten niedrigen sozialen Herkunftsgruppe und ein Drittel aus der sogenann

ten mittleren Herkunftskategorie bekommen BAföG. Was ist das für eine Studienfinanzierung, wenn sie bei denjenigen, die am meisten darauf angewiesen sind, überhaupt nicht ankommt?

Bei dem Teil, bei dem sie ankommt, spielt das BAföG für die Studienfinanzierung nur eine untergeordnete Rolle. 37 % der monatlichen Einkommen speisen sich bei Studierenden aus den sogenannten unteren Schichten aus dem BAföG. 31 % müssen sie sich selbst dazuverdienen, ein Viertel stammt von den Eltern. Wir brauchen also dringend eine Reform des BAföG. Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie sich dafür einsetzt, dass alle Studierenden in einem ersten Schritt einer großen Reform der Studienfinanzierung einen Sockelbeitrag als Vollzuschuss erhalten und die Bedürftigen zusätzlich einen Vollzuschuss zum Lebensunterhalt.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Stratmann, Sie können sich nicht nur hierhin stellen und sagen, dass Sie dafür sind, dass es eine BAföG-Reform gibt. Sie sind am Hebel. Sie können eine Bundesratsinitiative starten und dazu beitragen, dass auch in anderen Bundesländern darüber diskutiert wird, damit man gemeinsam Herrn Steinbrück zum Umknicken bewegen kann und damit wir den Studierenden letztlich zeigen, dass sie der Gesellschaft etwas Wert sind, dass wir die Verschuldungsgefahr bei ihnen eindämmen und somit ein Studium attraktiver machen.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Ich glaube, Sie wollten noch etwas zur Vermögensteuer sagen!)

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen: die studentische Erwerbsarbeit. 57 % sagen, dass sie Geld verdienen müssen, um ihren Lebensunterhalt überhaupt bestreiten zu können.

(Glocke der Präsidentin)

Aufgeschlüsselt nach sozialer Kategorie gibt es auch hier einen großen Unterschied: Studierende aus unteren sozialen Herkunftsgruppen müssen wesentlich häufiger aus studienfernen Motiven jobben als ihre Kommilitonen aus reicherem Hause. Sie sind somit zur Arbeit gezwungen und können z. B. nicht ein Semester aussetzen, um sich auf Prüfungen oder eben auf das Studium zu konzentrieren. Ebenso können sie nichts für einen Auslandsaufenthalt ansparen. Vielmehr wirkt das Jobben studienzeitverlängernd, was wiederum zu mehr Studiengebühren und zum Wegfall der BAföG-Förderansprüche führt - ein Teufelskreis,

der für viele Studierende Realität ist. Da hilft auch keine maue Erhöhung der Vergütung für studentische Hilfskräfte, wie sie zum 1. Mai endlich umgesetzt wurde. In der Antwort der Landesregierung lesen wir, dass Mieten und Nebenkosten seit 1994 in Niedersachsen um 33 % gestiegen sind. In welcher Höhe sein seitdem die Löhne für Studierende an den Hochschulen gestiegen? - Sie sind nicht um 33 % gestiegen, nicht um 23 %, nein, nicht einmal um 3 %. Sie sind gesunken!

(Glocke der Präsidentin)

Wer als Student an der Uni Hannover im Jahr 1994 gearbeitet hat, bekam 8,02 Euro pro Stunde. Heute bekommt er für diese Tätigkeit 7,98 Euro. Herr Stratmann, das ist ein Skandal!

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Perli, wenn ich zweimal geklingelt habe, heißt das: keine Redezeit mehr! Einen letzten Satz lasse ich Ihnen aber.

Frau Präsidentin, Sie hatten mich unterbrochen, weil es so unruhig war. Das hat mich einige Sekunden gekostet.

Wenn wir das ausdiskutieren wollen, haben Sie gleich verloren. Einen letzten Satz!

Auch dies kann nur zu einem Schluss führen: Wir brauchen eine sichere und ausreichende Studienfinanzierung, weil die gegenwärtige Situation nach Handlung schreit. Es gibt viele gute Gründe, dass die Studierenden heute auf die Straße gehen.

(David McAllister [CDU]: Das war Satz Nr. 2!)

Ich will mich gleich zu ihnen gesellen und wünsche Ihnen noch eine gute weitere Beratung. Denken Sie an die Studierenden!

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - David McAl- lister [CDU]: Sie haben Anwesen- heitspflicht!)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Dreyer das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrtes Präsidium! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Perli, bleiben Sie ruhig hier, gehen Sie nicht auf die Straße. Die Debatten werden hier im Landtag geführt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ent- scheiden wir selbst! Ich gehe gleich mit!)

- Frau Flauger, wenn Sie die politische Debatte nicht hier führen wollen, spricht nichts dagegen. Bitte, gehen Sie.

Meine Damen und Herren, hier fiel der Satz von Frau Heinen-Kljajić, wir hätten eine bildungspolitische Dickfelligkeit an den Tag gelegt. Bei den Argumenten, die man hier gehört hat, braucht man auch wirklich ein dickes Fell, damit man das aushalten kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der LINKEN: Arrogant sind Sie auch noch!)