Protokoll der Sitzung vom 26.08.2009

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Zwei Minu- ten, Herr Stratmann!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich feststellen, liebe Frau Dr. Andretta, dass es wohl das erste Mal ist, dass ich sagen kann: Ich teile jeden Satz, den Sie hier zum Ausdruck gebracht haben.

(Oh! bei der SPD - Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Das sollten sich alle zum Vorbild nehmen!)

Ich finde, Sie haben zu dem Thema eine wirklich gute, kluge Rede gehalten.

Das konnten Sie auch deshalb - das sage ich jetzt an die Linken gerichtet -, weil es sich die SPD 2002, damals in der Regierungsverantwortung stehend, ja nicht leicht gemacht hat, diesen Passus aus dem NHG wieder herauszunehmen. Es hat damals intensive Diskussionen zu der Frage gegeben: Macht es überhaupt Sinn, etwas zu kodifizieren oder im Gesetz stehen zu lassen, das in keiner Weise praktikabel ist und das in den Jahren zuvor in keiner Weise praktische Relevanz entfaltet hat? - Damals hat sich die SPD-Fraktion, wie ich finde, klugerweise dafür entschieden, einen gesetzestechnisch sauberen Weg zu gehen, Herr Adler. Ich wundere mich, dass gerade Sie - Sie sind Anwalt - darauf nicht etwas mehr Wert legen.

Dieses Thema würde sich, weil der Gesetzentwurf von den Linken kommt, durchaus dazu eignen, ein bisschen polemisch oder satirisch darauf einzugehen. Darauf verzichte ich angesichts der sehr sensiblen Thematik. Aber zwei Punkte will ich dann doch mit Entschiedenheit zurückweisen, lieber Herr Perli:

Erstens. Niedersächsische Universitäten und Fachhochschulen betreiben keine kriegstreiberische Forschung oder wie auch immer geartete Arbeit.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. Niedersächsische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind nicht durch Drittmitteltöpfe oder -förderung korrumpierbar.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich kenne niemanden, der sagt: Es ist mir egal, woher das Geld kommt, Hauptsache, es kommt. - Die von Frau Andretta eingeforderten ethischen Grundsätze oder so etwas wie ein Ehrenkodex sind nach meinen Erfahrungen durchaus vorhanden.

Ich will Ihnen ein Weiteres sagen. Das, was hier ausgeführt worden ist, ist durchaus richtig. Herr Perli, Sie räumen selbst ein, dass Sie sozusagen auf Einzelfallentscheidungen setzen. Sie räumen selbst ein, dass die praktische Relevanz vermutlich nicht in größerem Umfang gegeben sein wird. Wenn das so ist, dann stellt man sich natürlich schon die Frage, wozu Sie das Ganze machen. Ist es nicht vielleicht tatsächlich so, dass es Ihnen wieder einmal darum geht, irgendeine Klientel zu bedienen, die auf Ihre einfachen und schlichten Forderungen hereinfällt?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als ich in der letzten Woche durch Hannover gefahren bin - das ist von der Thematik her vielleicht etwas abseitig, passt aber zu meiner Einschätzung Ihrer Strategie -, habe ich ein Plakat Ihrer Partei gesehen. Ich habe erst gedacht, das ist ein Plakat von Horst Schlämmer. Darauf war nämlich zu lesen: „Reichtum für alle! Gregor Gysi.“ - Das ist genau das, was ich meine. Für wie blöd halten Sie eigentlich die Leute da draußen, die Sie am 27. September wählen sollen? Ich glaube, die Menschen sind sehr viel klüger.

Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass die modernsten U-Boote der Welt deshalb so begehrt sind, weil sie mit Brennstoffzellen fahren. Sollen wir jetzt aus der Brennstoffzellentechnik aussteigen und damit auch noch Tausende von Arbeitsplätzen gefährden?

Eine letzte Bemerkung: Jens Nacke hat das Thema Sicherheitstechnik angesprochen. Ich persönlich möchte auch in Anbetracht des internationalen Terrorismus und den Gefährdungen, die von ihm ausgehen, gut schlafen können. Das hat mit Kriegstreiberei überhaupt nichts zu tun!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es gibt den Wunsch nach zusätzlicher Redezeit. Herr Dr. Sohn, Sie haben das Wort für 1:30 Minuten. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Glücklicherweise hat die linke Seite dieses Hauses ange

kündigt, dass sie im Ausschuss eine sachliche Debatte über den Gesetzestext führen wird.

Herr Stratmann, seit 2002 ist in der Frage von Krieg und Frieden einiges in diesem Lande passiert. Deshalb dürfen Sie nicht so tun, als wäre das ein Thema ohne Relevanz; zu dieser Formulierung hat sich ja Herr Nacke verstiegen. Die Bundesrepublik ist inzwischen der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Gleichzeitig ist die finanzielle Knappheit der Hochschulen so groß, dass sie zumindest tendenziell die Mittelbeschaffung in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen müssen, um überhaupt weiter forschen zu können. Hinzu kommt, dass die Bundesrepublik inzwischen mehr als 0,5 Milliarden Euro pro Jahr für den Krieg in Afghanistan ausgibt, auch wenn Sie sich nicht trauen, das „Krieg“ zu nennen.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Lehren aus der Vergangenheit ist es schon ein starkes Stück, wenn Sie, Herr Stratmann, argumentieren, dass es abseits jeglicher Realität wäre, dass sich die Hochschulen an dieser Spirale hin zu Gewalt und Krieg beteiligen würden.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratungen.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Mit dem Gesetzentwurf soll sich federführend der Ausschuss für Wissenschaft und Kultur und mitberatend der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen beschäftigen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Das ist so beschlossen.

Meine Damen und Herren, ich rufe die für heute letzten Tagesordnungspunkte 10 und 11 auf:

Erste Beratung: Sofortiger Abschiebungsstopp für Roma aus dem Kosovo! - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1496

Erste Beratung: Abschiebungsstopp - Aufenthaltsrecht für Roma-Flüchtlinge jetzt! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1502

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Zimmermann für die Fraktion DIE LINKE. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niedersachsen schiebt schon wieder ab, und zwar Roma in den Kosovo. So geschehen z. B. bei einem Göttinger, der als Vater von vier in Deutschland geborenen Jugendlichen trotz Protest am 2. Juli abgeschoben wurde.

Diese Politik ist erbärmlich. Ich sage Ihnen ganz deutlich. Die Linke ist strikt dagegen, dass wieder einmal die Ärmsten der Armen die Law-and-OrderPolitik ausbaden müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mein Rat: Kümmern Sie sich doch lieber um die Gangster und Versager in den Nadelstreifen, die mit ihren Casinospielchen ganze Volkswirtschaften an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben; denn die belügen und betrügen uns und träumen sich dann noch die Lage schön.

(Ronald Schminke [SPD]: Wo ist ei- gentlich der Herr Minister?)

Formal ist mit dem Rückführungsabkommen natürlich alles in Butter. Scheinbar ist alles im Lot und sind die Verhältnisse in Ordnung. Aber: Papier ist geduldig, und wenn Menschen erst einmal abgeschoben sind - na ja!

(Minister Uwe Schünemann betritt den Plenarsaal - Oh! bei der SPD)

Dabei verschweigen Sie aber ganz dezent, dass die internationale Kosovo-Übergangsverwaltung UNMIK bis zuletzt verhindert hat, dass Roma wie im Übrigen auch Serben in den Kosovo abgeschoben werden.

Mögliche Kronzeugen wie die Nato sprechen von einer insgesamt stabilen Situation und wollen rund ein Drittel ihrer Soldaten abziehen. Ein Schelm, wer dabei noch an dringendere Einsatzmöglichkeiten in ganz anderen Regionen dieser Welt denkt!

Selbst wenn sich die Lebenssituation im Kosovo im Durchschnitt leicht gebessert hat, gilt dies längst nicht für die Roma, eben weil sie eine verfolgte Minderheit sind und weil die Verhältnisse im Kosovo trotz aller Bemühungen immer noch nicht auch nur annähernd europäischen Standards entsprechen. Amnesty International z. B. warnt eindringlich davor, dahin abzuschieben, und berichtet über große Armut und Diskriminierung. Roma sind faktisch vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, Roma

haben weniger als einen Dollar am Tag zum Leben. Gesundheitsvor- und -fürsorge sind davon natürlich nicht zu finanzieren. Das Bildungssystem ist völlig unterentwickelt.

Wer jetzt abschiebt, muss wissen, dass nicht einmal die Situation der Binnenflüchtlinge geklärt ist, die unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Einige Hundert von ihnen leben z. B. auf einer schwermetallverseuchten Abraumhalde einer ehemaligen Bleierzmine im Norden von Mitrovica. Sie leben dort mit ihren Kindern in Bretterbuden mit einem Gift im Körper, das sie ein Leben lang nicht mehr loswerden. Seit zehn Jahren schauen Politiker und Experten zu, aber es geschieht nichts. Dafür muss man sich schämen.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Filiz Polat [GRÜNE])

Dazu kommt eine prekäre Sicherheitslage, da die Roma nicht inmitten einer Zivilgesellschaft leben, sondern stattdessen, für ethnische Übergriffe wie geschaffen, auf dem Präsentierteller in einzelnen Enklaven, in Dörfern oder manchmal nur in Siedlungen. Es liegen Berichte von Menschenrechtsorganisationen vor, die, ganz vorsichtig gesprochen, von möglicherweise ethnisch motivierten Gewalttaten an Roma im Ostkosovo Ende Juli berichten. Auch wenn Kriminelle am Werk waren: Es wird beklagt, dass sich dafür niemand interessiert und des Weiteren auch nichts aufgeklärt wird oder nicht aufgeklärt werden soll.

Zusammengefasst stelle ich fest: Wer Roma abschiebt, schiebt sie in die soziale Abgrenzung. Wer Roma abschiebt, macht sich mitschuldig an etwaigen Pogromen. Wer Roma abschiebt, nimmt billigend in Kauf, dass Menschen zu Tode kommen. Wer Roma abschiebt, ist unsensibel gegenüber Begriffen wie Vertreibung, Flucht, Folter und Tod. Wer Roma abschiebt, hat aus unserer eigenen Geschichte nichts, aber auch gar nichts gelernt.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Filiz Polat [GRÜNE])

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Polat. Bitte!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Fraktion bringt ebenso wie die Fraktion DIE LINKE einen Antrag zu diesem Thema ein. Er trägt den Titel

„Abschiebungsstopp - Aufenthaltsrecht für RomaFlüchtlinge jetzt!“

Die Situation in Niedersachsen und auch bundesweit ist sehr dringlich. Bis zum Frühjahr dieses Jahres galt noch ein bundesweiter Abschiebungsstopp für Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem jetzt unabhängigen Staat Kosovo. Dieser Abschiebungsstopp betraf insbesondere die Roma.