Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir von Ihnen, Frau Kollegin Mundlos, eigentlich ein Wort zu der derzeitigen Gemengelage auf Bundesebene gewünscht, die sich heute Vormittag bzw. heute Nachmittag eventuell klären wird, nämlich zu der politischen Zirkusnummer in der Unionsfraktion zu dem, was Seehofer, Gauweiler und Ramsauer dort veranstalten.
Karlsruhe hat gesprochen - meine Kolleginnen haben es schon erwähnt -: Ja zum Vertrag von Lissabon. Das heißt, das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Damit ist zum Thema Europa in dieser Hinsicht alles gesagt. Der europapolitische Geisterkurs von Gysi, Lafontaine und Gauweiler wurde beendet.
(Hans-Henning Adler [LINKE]: Die haben recht bekommen! - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Lass dich nicht ablenken!)
Gysi hat gegen den Vertrag von Lissabon geklagt, um ihn für verfassungswidrig erklären zu lassen. Dem hat Karlsruhe etwas entgegengesetzt.
Gut, das ist im Sinne des Grundgesetzes, aber dann tragt dem bitte in Berlin Rechnung.“ Das heißt, Brüssel hat seine Hausaufgaben wieder einmal gut gemacht, aber leider muss Berlin im wahrsten Sinne des Wortes nachsitzen. Bundesrat und Bundestag müssen jetzt zunehmend europapolitische Verantwortung wahrnehmen. Den Abgeordneten im Bundestag kommt eine stärkere Rolle im europäischen Integrationsprozess zu.
Das, meine Damen und Herren, kann aber auch eine Chance bedeuten. Schließlich hat es, auch in diesem Parlament, immer wieder Abgeordnete gegeben, die Europa zum Sündebock gemacht haben, die „Brüssel ist schuld“ als Ausrede gebraucht haben. So etwas kann zukünftig nicht mehr passieren, weil nunmehr der Bundestag mehr Verantwortung tragen muss. Deshalb ist dieses Urteil sehr gut für Deutschland und für die öffentliche Wahrnehmung Europas.
Allerdings hatte der Bundestag auch schon vorher die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Diese Möglichkeit ist seit 1993 im Grundgesetz verankert. Der Niedersächsische Landtag hat diese Möglichkeit ebenfalls.
Die einzige Fraktion, die bislang überhaupt Stellungnahmen zu EU-Vorlagen in den Landtag eingebracht hat, waren im Übrigen die Grünen. Darauf bin ich stolz.
Auch im Bundestag sind Stellungnahmen zu EU-Vorlagen abgegeben worden. Diese wurden - natürlich aus Eigeninteresse - von der Bundesregierung aber nicht wahrgenommen, sondern in Brüssel wurde dann frei geschaltet und gewaltet. Wie Herr Bode erwähnt hat, war die FDP dabei auch engagiert. Ein Beispiel: Die Stellungnahme, die der Bundestag zum Thema Emissionshandel und CO2-Zertifikate verabschiedet hat, hat die Bundesregierung im Europäischen Rat einfach übergangen.
Ich komme zum Schluss noch einmal zum CSUGerangel auf Bundesebene. Wie Sie wissen, hatte Seehofer einen 14-Punkte-Plan vorgelegt. Auf die Forderungen, die er darin erhoben hatte, will ich hier nicht im Detail eingehen. Sie hätten in Brüssel jedoch für Unverständnis gesorgt, den Ratifizierungsprozess maßgeblich behindert und, wie ich glaube, den Vertrag von Lissabon letztlich zum Scheitern gebracht. Zum Glück ist dieser 14Punkte-Plan wieder in der Schublade verschwun
den. Gleichwohl hat die CSU in den letzten Tagen erneut versucht, diese Forderungen durchzubringen, und zwar mit einem Entschließungsantrag, der mir bisher allerdings noch nicht vorliegt. Herr Ministerpräsident Wulff, ich verstehe nicht, dass weder Sie als stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU noch die Bundeskanzlerin ein Machtwort sprechen und die kleine Schwesterpartei sozusagen an die Leine nehmen.
(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Mal zur Raison rufen! - David McAllister [CDU]: Was haben Sie denn für eine Vorstellung! So geht das nur bei den Grünen zu! - Weitere Zurufe von der CDU und der FDP - Unruhe - Glocke des Präsidenten)
Ich würde mir wünschen, dass Sie im europäischen Interesse und auch im Interesse der Glaubwürdigkeit von Europapolitik in Deutschland ein Machtwort sprechen und diesen Entschließungsantrag nicht mittragen.
(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - David McAl- lister [CDU]: Was sind das für Zustän- de bei den Grünen! Wo bleibt die To- leranz! - Unruhe)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Urteil von Karlsruhe ist klargestellt, dass zukünftig der Bundestag entscheiden muss, bevor Abstimmungsregeln in Europa verändert oder Kompetenzen verlagert werden. Das ist gut so. Ich hoffe, dass die Begleitgesetze nun bald im Bundestag beschlossen werden.
Ich möchte an das anknüpfen, was meine Vorredner gesagt haben. Europa ist ein faszinierendes und erfolgreiches Projekt; die Stichworte „60 Jahre Frieden“ und „ökonomischer Erfolg“ sind schon gefallen.
Aus Sicht meiner Fraktion bietet der Vertrag von Lissabon die Gewähr für eine Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses. Wir glauben - und haben das in Plenardebatten immer wieder verdeutlicht -, dass die Vorteile des Vertrags von Lissabon seine Nachteile bei Weitem überwiegen.
Mit dieser antieuropäischen Haltung müsste sich auch die rechte Seite dieses Hauses auseinandersetzen. Ich meine, Sie müssten Ihren Parteikollegen aus dem Süden dazu einiges ins Stammbuch schreiben.
Das Gleiche gilt nach meiner Auffassung auch für die Linken, die ähnlich wie die CSU immer wieder mit antieuropäischen Ressentiments spielen.
Dass es mit überholten nationalen Denkmustern Sicherheit gäbe, ist aus meiner Sicht eindeutig der falsche Ansatz.
Wir brauchen die vertiefte europäische Einigung als Garanten für zukünftigen Fortschritt und Frieden in Deutschland.
(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: So wird das nichts mit Rot- Grün! - Zuruf von der CDU: Sehr dünn, Herr Tanke!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überschrift dieser Aktuellen Stunde lautet: „Ja zum Vertrag von Lissabon - Niedersachsen in Europa machen“. Ich bin gestern wegen des zweiten Teils dieser Überschrift in eine Buchhandlung gegangen und habe nach einem Sprachführer FDP-Deutsch/ Deutsch-FDP gesucht. Ich habe keinen gefunden. So einer müsste aber dringend einmal geschrieben werden. - Aber sei’s drum.
(Zustimmung bei der LINKEN - Chris- tian Dürr [FDP]: Es fehlt Ihnen einfach an Kreativität, Frau Flauger!)
Wir Linken sagen Nein zum Lissabon-Vertrag. Und damit niemand vergisst, warum, will ich das hier noch einmal sagen.
Wir kritisieren, wie der Vertrag zustande gekommen ist. Er entspricht fast vollständig dem Verfassungsentwurf, der in den Niederlanden und in Frankreich abgelehnt wurde. In Deutschland wurden die Menschen allerdings noch nicht einmal gefragt.
Der Lissabon-Vertrag enthält eine Aufrüstungsverpflichtung. Wörtlich heißt es dort: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“
Der Lissabon-Vertrag trifft Festlegungen zu einer marktradikalen Wirtschaftsweise - wiederum wörtlich: „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“.
(David McAllister [CDU]: Mit denen wollt ihr koalieren! - Gegenruf von Detlef Tanke [SPD]: Ihr koaliert ja schon mit der CSU!)
Die wirtschaftlichen Freiheiten haben einen viel zu hohen Stellenwert gegenüber sozialen Grundrechten. So wird Lohndumping und Sozialdumping Tür und Tor geöffnet. Das ist eine massive Gefährdung des Sozialstaatlichkeitsprinzips.