Protokoll der Sitzung vom 26.08.2009

Der dritte Vorwurf, meine Damen und Herren, ist: Diese Ministerin - leider folgen ihr alle Kabinettskollegen - stellt die Vertraulichkeit dieser Akten her und verstößt damit, wie ich glaube, gegen Wort und Geist der Niedersächsischen Verfassung. Artikel 24 Abs. 3 schützt die Funktionsfähigkeit der Landesregierung und das Wohl des Landes, aber nicht das Fehlverhalten eines Kabinettsmitgliedes.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Aufwachen!)

Deshalb sagen wir: Wer im Landtag die Unwahrheit sagt, wer Kritiker seiner Politik in übler Weise diffamiert und mit beamtenrechtlichen Mitteln zu sanktionieren versucht, wer sein eigenes Fehlverhalten verschleiert, der gehört auf der Stelle entlassen. Herr Wulff, hier sind Sie gefragt!

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Hans-Christian Biallas [CDU]: Der Niedergang der Sozialdemokratie!)

Nun könnte man sagen, an dieser Stelle ist die Geschichte zu Ende. Aber, meine Damen und Herren, für uns ist die Geschichte hier nicht zu Ende. Glaubt jemand von Ihnen ernsthaft, dass Frau Heister-Neumann einen solchen Vorstoß ohne politische Rückendeckung macht? Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Deshalb sage ich: Wo war eigentlich der Ministerpräsident im letzten halben Jahr, um diese Sache angemessen zu steuern? Er hat die Gesamtverantwortung. Statt das aufzuklären, beteiligt er sich an der Verschleierung des Fehlverhaltens von Kabinettsmitgliedern. Das ist eines Ministerpräsidenten unwürdig. Ich sage das in aller Deutlichkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, dass Herr Wulff in der Causa Brandt nicht gleichgültig ist, hat er - das wissen Sie - auf dem Sommerfest der CDUFraktion deutlich gemacht, auf dem er in Anwesenheit von Herrn Brandt eine wüste Attacke geritten hat. Ein unvoreingenommener Betrachter kommt doch zu folgendem Ergebnis: Die Kultusministerin durfte, ja sie musste von Duldung durch die Staatskanzlei ausgehen - oder aber es war Auftragsarbeit.

Herzlichen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, in der Reihenfolge der Wortmeldungen hat sich als Nächste Frau Reichwaldt von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man mit einem Gegenfeuer versucht, die Brandherde, die man letztendlich selber gelegt hat, zu löschen, kann es sein, dass dieses Gegenfeuer nicht wirkt. Es kann auch sein, dass es einen letztendlich selber gefährdet. Ich halte die Schönfärberei der Bildungspolitik dieser Landesregierung in zunehmendem Maße für unerträglich.

(Zustimmung bei der LINKEN - Björn Thümler [CDU]: Was?)

Es brennt an allen Ecken und Enden in Niedersachsen. Unterrichtsausfall ist vorprogrammiert. Meine Damen und Herren, die Zielvorgabe einer Unterrichtsversorgung von 99,5 % an Gymnasien und von 98 % an anderen Schulformen ist ein Armutszeugnis.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir alle wissen, was das für die Schulen bedeutet. Da ist die Schulgesetznovelle, durch die den Gesamtschulen das Turboabi aufgedrückt wurde - eine Novelle, die keiner der Betroffenen gewollt hat - - -

(Zuruf von der CDU: Allgemeinplätze! - Hans-Christian Biallas [CDU]: Doch, die Mehrheit dieses Hauses! Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen!)

- Keiner der betroffenen Schüler und Lehrer hat dies gewollt. Der Protest im Lande ist gewaltig und wird nach den Sommerferien noch größer werden.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Die sind schon lange vorbei! Das ist die Rede von vor den Sommerferien! - Weitere Zurufe von der CDU - Unruhe - Glo- cke des Präsidenten)

Ihr Ziel, die Schulgesetznovelle durchzupeitschen und damit den Protest zu beenden, ist gescheitert. Es brennt weiter in Niedersachsen.

(Beifall bei der LINKEN - David McAl- lister [CDU]: Sie sind gescheitert!)

Die HAZ kommentiert am 6. August dieses Jahres wie folgt - ich zitiere -:

„Die Regierung Wulff hat mit dem Feuer gespielt, als sie im abgelaufenen Schuljahr die Versorgung mit Lehrern ins Minus rutschen ließ.“

Wie also diesen Brand löschen, den man selber entfacht hat? Man entzündet ein Gegenfeuer.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Frau Reich- waldt, es tut mir leid, aber Sie haben gar keine Ahnung! Ein bisschen mehr hätte ich Ihnen zugetraut! Langsam wird es peinlich!)

Man beginnt, einen bekannten Kritiker der eigenen Bildungspolitik zu diffamieren. Das hat Vorteile. Es ist aber nicht nur ein bekannter Kritiker, sondern es ist der GEW-Landesvorsitzende. Dieser GEWLandesvorsitzende macht vor allem eines: Er vernetzt. Er spricht mit Verbänden, mit Lehrern, Schülern und den politischen Parteien. Er vernetzt. Letztendlich wird er dadurch für Ihre Politik gefährlich.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Und er un- terrichtet nicht!)

Deshalb muss man ihn mundtot machen.

Herr Kollege Klare, entschuldigen Sie, Sie können nicht eine Rede kontra halten, solange Frau Reichwaldt hier redet. Sie können sich ja zu Wort melden.

(Beifall bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Entschuldigen Sie, Herr Präsident!)

Meine Damen und Herren, nichts wird mich von meiner Überzeugung abbringen, dass das, was ich wann auch immer und wo auch immer über diesen „Fall Brandt“ gehört habe, von Anfang an eine politische Kampagne gegen einen führenden Gewerkschaftsfunktionär gewesen ist. Ich gehe mit meiner Vermutung noch weiter: Ich denke, dass die Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht nur von der Spitze des Kultusministeriums, sondern letztendlich auch von der Staatskanzlei gesteuert wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich vermute, der Ministerpräsident deckt es oder hat es selber angeordnet.

(Zustimmung bei der LINKEN - Hans- Christian Biallas [CDU]: Das kommt vom Heiligen Stuhl!)

Wir werden uns dem Antrag der SPD anschließen, nämlich der Forderung nach Entlassung der Minis

terin. Warum dieses Bauernopfer oder - ich bin fast geneigt zu sagen - Frauenopfer? - Es wird dadurch zwar keine Änderung der katastrophalen Bildungspolitik in Niedersachsen geben. Aber an dieser Stelle offenbart sich für mich ein wirklich merkwürdiges Verständnis von Demokratie; denn es ist eine Linie darin zu sehen. Es wird versucht, Kritiker mundtot zu machen - erst die Leiterin des Schulleiterverbandes, dann der Landesschülerrat und jetzt Eberhard Brandt -,

(Beifall bei der LINKEN)

indem man die Macht, die man durch die politische Mehrheit hat, ausnutzt. „Arroganz der Macht“ habe ich an der Stelle zum Niedersächsischen Schulgesetz formuliert. Ich kann das hier gerne wiederholen. Politik ist ein schmutziges Spiel. Es geht auch darum, wie wir politisch miteinander umgehen.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Da sind Sie gerade die Richtige! Was Sie hier machen, ist ein schmutziges Ge- schäft, das führen Sie gerade vor! - Weitere Zurufe von der CDU - Unru- he)

Meine Damen und Herren, als ich am letzten Montag die vertrauliche Sitzung des Kultusausschusses verließ, waren dort sehr viele Journalisten und Fraktionsmitarbeiter, und die politischen Sprecher der verschiedenen Parteien haben ihre Statements abgegeben. Ich habe auch auf mein Statement gewartet. Dadurch war ich gezwungen, auch die Statements der Kollegen Klare und von Danwitz mit anzuhören. Diese beiden Kollegen haben über die vertrauliche Sitzung des Kultusausschusses berichtet und behauptet, die Ministerin habe alle Vorgänge lückenlos aufgeklärt; es bestehe überhaupt kein Grund zu der Annahme, dass Anweisungen erteilt worden sind. Es sind auch Vorwürfe geäußert worden.

(Björn Thümler [CDU]: Ja, genau so ist es!)

Ich habe mich dort hingestellt und gefragt: Warum können die Kollegen so munter über eine vertrauliche Sitzung berichten?

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie waren auf der sicheren Seite; denn es kann nicht die gleiche Sitzung gewesen sein, in der ich zuvor war.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie wussten doch schon vorher, was heraus- kommt!)

In diesem Pressegespräch ist erneut der Vorwurf geäußert worden - diesen weise ich hier ganz entschieden zurück -, dass die Hinweise an die Presse - Frau Korter zitiert aus dem Spiegel, mir liegen außerdem die Veröffentlichungen in der Braunschweiger Zeitung vor - nur von den Abgeordneten der Opposition herausgegeben worden sein können.

(Jens Nacke [CDU]: Von wem denn sonst?)

Das ist eine Dreistigkeit, meine Damen und Herren!

(Jens Nacke [CDU]: Das ist die Wahr- heit!)

Sie wissen nämlich ganz genau: Vielleicht sägt aus Ihrer eigenen Fraktion jemand am Stuhl.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie wissen außerdem ganz genau, dass noch mehr Leute Einsicht in diese Akten genommen haben.