Sie nutzen nicht die Potenziale der erneuerbaren Energien, die wir in Niedersachsen in dieser Wachstumsbranche - wir sind darin nicht das beste Bundesland - eigentlich haben.
Dabei sind die Arbeitsplätze, die Sie durch Ihre Atompolitik in Niedersachsen schaffen, sogar noch vom Steuerzahler zu finanzieren. Denn der Steuerzahler bezahlt die Überstunden der Polizisten, die die Castortransporte nach Gorleben begleiten müssen, meine Damen und Herren. Das ist Ihr einziger Erfolg.
Sie wissen es genauso wie wir: Es gibt kein Verfahren und keinen sicheren Standort zur Endlagerung von radioaktiven Abfällen. Da das so ist, meine Damen und Herren, gibt es nur eine Lösung: Wir müssen aufhören, radioaktiven Müll zu produzieren. Wir müssen die Atomkraftwerke abschalten. Wir müssen aus dieser Technologie aussteigen.
Nach der Euphorie von 1961, als die Nutzung der Atomkraft in Deutschland begann, hat es lange gedauert, bis dieser Irrweg von einem großen Teil der Gesellschaft auch als solcher erkannt worden ist. Die SPD ist seit über 20 Jahren dabei, die Propaganda der Atomindustrie zu entlarven.
Auf der rechten Seite dieses Hauses aber werden diese Erkenntnisse überhaupt nicht wahrgenommen. Nicht einmal die Tatsache, dass viele Menschen in der Nähe von Atomkraftwerken an Leukämie erkrankt sind, bewegt Sie zur Umkehr und zum Ausstieg aus der Atomtechnologie.
Die Entzauberung der Kernkraft trifft uns heute in einem erschreckenden Ausmaß. Gorleben ist nicht die Asse, aber auch Gorleben ist - wie die Asse - auf Tricksereien und Lügereien aufgebaut.
Sie halten das Telex aus dem seinerzeit CDU-geführten Bundesforschungsministerium, in dem die Wissenschaftler per Formulierungshilfe angewiesen worden sind, ihr Gutachten pro Gorleben zu ändern, vielleicht für eine Kleinigkeit. Aber ich glaube, Sie halten einen Befehl für eine Bitte, und Sie glauben auch, Atomkraft sei Bioenergie, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Sie sind ein ganzer großer Tatsachenver- dreher! Sie sind ein Anscheinserwe- cker!)
Herr Wulff, Sie können doch nicht im Ernst an das Märchen von der Stromlücke glauben. Ich frage mich, warum Sie sich zum Anwalt der Stromkonzerne in Essen, Karlsruhe und Düsseldorf machen und warum Sie sich nicht zum Sachwalter der Windanlagenbauer in Emden oder in Cuxhaven machen.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU] und Heinz Rolfes [CDU]: Macht er doch! - Björn Thümler [CDU]: Ich erkläre Ih- nen gleich mal, was in der Studie steht! - Glocke des Präsidenten)
Herr Kollege, ich darf Sie kurz unterbrechen. Ihre Redezeit von fünf Minuten ist abgelaufen. Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Sie sagen, die Atomkraft ist eine Brückentechnologie. - Ich sage Ihnen: Sie ist eine Blockadetechnologie,
weil sie Investitionen in die Offshoretechnologie vermindert. Deswegen müssen Sie endlich aufhören, die Atomtechnologie zu unterstützen.
Steigen Sie mit uns aus dieser Steinzeittechnologie der Energiegewinnung in Deutschland aus, und lassen Sie die Atomtechnologie auf der Müllkippe der Geschichte landen!
(Björn Thümler [CDU]: Jetzt wird es ja sachlich! - Jörg Bode [FDP]: Der war gut! - Gegenruf von Ursula Helmhold [GRÜNE]: Sie haben es erkannt, Herr Thümler!)
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Geschichte der Atomenergie ist die Geschichte einer Jahrhundertlüge. In den 1950er- und 1960erJahren wurde uns die Atomkraft mit Heilserwartungen verkauft: Wüsten sollten begrünt werden, unendliche Energiequellen, ewiges Licht, Wärme, Glück wurden versprochen - alles wurde damit verbunden.
Heute wissen wir es besser. Die Geschichte der Atomenergie ist eine Geschichte des technischen Scheiterns: Kalkar, Hamm-Uentrop, Karlsruhe, Jülich und Morsleben heißen die Reste - eine Kette von unendlich teuren Forschungs- und Industrieruinen.
Und die Asse, das Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll als Versuchsendlager für Gorleben? - „Sicher für alle Zeiten“, hat es 1969 geheißen. Fast ein halbes Jahrhundert haben sich eine blinde Politik, verantwortungslose Wissenschaftler und eine geld- und machtgierige Atomwirtschaft etabliert, die uns jetzt mit dem Ergebnis ihres Scheiterns konfrontieren. Niemand von uns kennt bis heute die wahren Ausmaße. Niemand kann das Desaster in seinem ganzen Umfang ermessen. Und wer wie CDU und FDP, Herr Thiele, in dieser Situation weiter ungebrochen auf Atomkraft setzt, auf Laufzeitverlängerungen und sogar auf den Neubau von atomaren Anlagen, der macht sich weiter schuldig.
Meine Damen und Herren, ich frage die Kollegen von CDU und FDP: Was muss eigentlich noch passieren, damit Ihre Ideologie von der Einsicht besiegt wird, dass Atomkraft niemals das Glück
der Menschheit war und wird, sondern dass damit am Ende sogar die Gefahr ihres Untergangs verbunden sein kann?
Meine Damen und Herren, aus der nunmehr 30jährigen Auseinandersetzung um den Salzstock Gorleben und das dort geplante Atommülllager lassen sich für verantwortungsvolle Politik meines Erachtens nur drei Lehren ziehen:
Erstens. Wer so schamlos lügt und betrügt wie die Wissenschaftler und Industrievertreter, die Gorleben über Jahre als sicher verkauft haben, der scheitert auf ganzer Linie.
Zweitens. Das Vertuschen der wahren Gründe für die Auswahl von Gorleben, die manipulierten Gutachten und der Verzicht auf Bürgerbeteiligungen haben das Vertrauen in Staat, Regierung und wissenschaftliche Einrichtungen tief zerstört.
Drittens. Die Fehler und Versäumnisse sind nicht heilbar. Ohne einen völligen Neubeginn wird es keinen Frieden in der Gesellschaft geben können.
In Gorleben verantwortet der Staat einen 30-jährigen Konflikt, der manchmal fast an bürgerkriegsähnliche Zustände erinnert, wenn Zehntausende von Polizisten tagelang den Landkreis besetzen, um Müll in eine oberirdische Halle zu transportieren.
Herr Ministerpräsident Wulff, in Ihrer Heimatstadt wurde nach einem 30-jährigen Konflikt einst ein historischer Frieden begründet. Zum Glück reden wir heute nicht über Krieg. Aber wir reden über einen 30-jährigen gesellschaftlichen Konflikt zwischen den Interessen von Regierungen und Atomindustrie auf der einen Seite und den Anwohnerinnen und Anwohnern vor Ort und vielen Menschen in diesem Land auf der anderen Seite. Nach den Enthüllungen der letzten Wochen und Monate stehen wir mehr denn je vor einer tiefgreifenden Vertrauenskrise. Auch in der Atomfrage ist es überfällig, endlich über einen historischen Frieden zu sprechen.
Meine Damen und Herren, Herr Wulff, Sie und Ihre Regierung haben die Wahl: Sie können jetzt in die Ahnengalerie der unbelehrbaren Atombefürworter eingehen und damit die Politik des Scheiterns in dieser Frage fortsetzen. Sie können aber auch endlich einen Schlussstrich unter die Atomlüge ziehen und den Menschen in Niedersachsen beweisen, dass man ihre Sorgen und Ängste tatsächlich ernst nimmt.