Protokoll der Sitzung vom 29.10.2009

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN)

Wir haben heute zweifelsohne die höchsten Bildungsausgaben in der Geschichte dieses Landes. Das kann man nicht wegdiskutieren, und das lassen wir uns von Ihnen auch nicht schlechtreden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich jetzt Frau Kollegin Korter zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Seefried, auch wenn mich Ihre Ausführungen zu Ihrem Fernsehkonsum und Ihre soziale Ignoranz zu Polemik reizen, will ich doch sachlich bleiben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Oh! bei der CDU)

Bildung, meine Damen und Herren, darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen - auch nicht davon, ob die Schülerinnen und Schüler eine Schule

räumlich überhaupt erreichen können. In Niedersachsen sind die Übergangsquoten auf das Gymnasium und die Abiturquoten regional sehr unterschiedlich. Während in Städten wie Hannover 35,4 % eines Schülerjahrgangs das Abitur erreichen, sind es im Kreis Holzminden - ich erinnere an die Rede von Frau Reichwaldt - mit 13,3 % nicht einmal halb so viele. Im Landkreis Oldenburg sind es sogar nur 9,3 %. Es wird wohl niemand behaupten wollen, dass die Kinder in den Kreisen Oldenburg oder Holzminden dümmer sind als anderswo. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass die unterschiedlichen Abiturquoten noch immer damit zusammenhängen, inwieweit eine gymnasiale Oberstufe für die Schülerinnen und Schüler erreichbar ist und ob sie gut erreichbar ist

(Ulf Thiele [CDU]: Das hat auch etwas mit den Zukunftschancen von Haupt- schulen in der Region zu tun! - Ge- genruf von Ursula Helmhold [GRÜ- NE])

Das ist eine Ungerechtigkeit, die so nicht hingenommen werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sicherlich sind allein schon die große Entfernung zur Schule, der weite Weg und die Zeit für den täglichen Schulweg wichtige Faktoren. Umso wichtiger ist es, durch integrierte Schulformen, z. B. durch kleine Gesamtschulen vor Ort, in Niedersachsen ein dichteres Netz von Schulangeboten in erreichbarer Nähe zu schaffen. Besonders für Kinder aus ärmeren Familien können aber auch die Kosten zur entscheidenden Hürde werden. Kosten von mehr als 100 Euro für die Schülermonatskarte, wie sie in Niedersachsen vielfach aufgebracht werden müssen, wenn Schülerinnen und Schüler eine Oberstufe oder eine berufsbildende Schule besuchen wollen, sind ganz sicher für viele Eltern noch immer ein entscheidendes Argument, ihr Kind doch lieber nach der 10. Klasse von der Schule abzumelden bzw. es von der Schule abgehen zu lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das ist nicht nur eine riesige Ungerechtigkeit gegenüber diesen Kindern, die mit dem Recht auf Bildung überhaupt nicht zu vereinbaren ist, sondern wir verschwenden auch ein ganz wichtiges Bildungspotenzial und wichtige Bildungsressourcen, die unsere Gesellschaft eigentlich dringend braucht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE geht deshalb in die richtige Richtung. Dass die Kostenübernahme für den Schülertransport mit der 10. Klasse endet, ist eigentlich nicht zu begründen, umso weniger, als die Schulpflicht zwölf Jahre beträgt.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Soziale Auswahl ist das!)

Als ersten Schritt müssen wir deshalb zumindest für die Kinder aus ärmeren Familien die Kosten für die Fahrt zur Schule aus den öffentlichen Haushalten tragen, wie wir es mit unserem Grünen-Antrag „Kinderarmut bekämpfen“ bereits im vergangenen Jahr gefordert haben.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ge- schieht bereits!)

Der Regelsatz für Arbeitslosengeld-II-Empfänger deckt die Kosten für die Schülerbeförderung nur zu einem ganz geringen Teil mit 16,68 Euro monatlich. Dazu haben wir im Landtag bereits mehrere Petitionen gehabt. Dazu hat es auch bereits eine Entscheidung des Landessozialgerichts in Celle zugunsten einer Schülerin gegeben. Aber gestern hat leider das Bundessozialgericht den Antrag einer Schülerin aus Esens abgelehnt, die den im Zusammenhang mit Hartz IV bestehenden Anspruch auf Beförderungskosten oder Differenzerstattung geltend gemacht hatte. Meine Damen und Herren, müssen Kinder oder Jugendliche aus ärmeren Familien in Niedersachsen erst zum Gericht gehen, um ihr Recht auf Bildung einzuklagen?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Weil Sie das damals eingeführt ha- ben!)

Es wird Zeit, dass wir zumindest für die Kinder aus einkommensschwachen Familien endlich eine Lösung finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Manchmal hat man den Eindruck, sie glaubt das alles!)

Herzlichen Dank, Frau Korter. - Für die FDPFraktion spricht Herr Kollege Försterling. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Thema Schülerbeförderung für die Oberstufenschüler kann man wieder einmal erkennen, wie Sozialpolitik oder vermeintliche Sozialpolitik

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Bei Ih- nen aussieht!)

aus der linken Ecke des Hauses gemacht werden soll: Sie wollen pauschal mit der Gießkanne über das Land gehen - ohne Rücksicht darauf, ob das notwendig ist oder nicht.

(Zustimmung bei der FDP - Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Was erzählen Sie denn da für einen Schwachsinn!)

Sie wollen wie immer, wie in allen Bereichen der Sozialpolitik, mit der Gießkanne über das Land gehen.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: So ein Quark!)

Sie sollten aber irgendwann auch einmal erkennen, dass das Wasser in einer Gießkanne begrenzt ist. Das haben Sie bisher nicht verstanden.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU Kreszentia Flauger [LINKE]: Le- sen hilft!)

Daran sind sogar schon sozialistische Staaten zugrunde gegangen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

In der Tat haben wir derzeit bei der Schülerbeförderung zwei Problemfelder. Das eine ist die Frage, wie es mit den Schülerinnen und Schülern weitergeht, die in einem Vollzeitangebot der Berufsbildenden Schulen sind. Die einen wählen nach Klasse 9 ein solches Angebot, die anderen nach Klasse 10. Die einen bekommen eine Schülerbeförderungskarte, die anderen bekommen sie nicht. Hier besteht ein Ungleichgewicht, mit dem man sich im Laufe der Beratungen auseinandersetzen muss, um zu sehen, wie man eine Lösung herbeiführt.

Das andere wurde von Frau Korter bereits zu Recht angesprochen, nämlich die Frage, wie man mit sozial Schwächeren im System umgeht und sicherstellen kann, dass sie durch die Schülerbeförderungskosten nicht zusätzlich belastet werden. Frau Korter hat schon erwähnt, dass es dazu entsprechende Urteile gibt. Ich halte es für richtig,

dass wir für die hilfsbedürftigen Schülerinnen und Schüler eine Regelung finden müssen. Aber aus meiner Sicht ist es, wie gesagt, falsch, 60 Millionen Euro oder sogar 80 Millionen Euro, von denen einige Schätzungen ausgehen, flächendeckend über das Land zu verteilen. Denn eines muss uns doch klar sein: Mit 80 Millionen Euro, die wir in Bildungsqualität und nicht in Buslinien investieren, würden wir für alle Schülerinnen und Schüler mehr erreichen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön, Herr Försterling. - Für die SPDFraktion spricht Herr Kollege Poppe. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die kostenfreie Schülerbeförderung ist bereits seit 1974 Bestandteil des Niedersächsischen Schulgesetzes. Erste Anfänge reichen bis 1962 zurück. Die Regelung ist seitdem zwar ständig geändert und ergänzt worden. Unverändert ist aber die Intention, die Kosten für weite Schulwege nicht den Erziehungsberechtigten aufzubürden. So wurden 1996 die Schulkindergartenkinder einbezogen sowie die Schülerinnen und Schüler, die den 11. und 12. Jahrgang der Schule für geistig Behinderte besuchen.

In eine solche Entwicklungslinie fügt sich der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE folgerichtig ein. Auch auf die Frage, warum die erneute Ergänzung gerade jetzt notwendig ist, gibt es mindestens zwei überzeugende Antworten. Der erste Aspekt hat mit den steigenden Kosten der Schülerbeförderung für Oberstufenschüler zu tun, die bisher nicht in die Kostenfreiheit einbezogen sind. Gerade für Eltern im ländlichen Raum stellen diese Kosten eine erhebliche zusätzliche Belastung dar.

„Taxi Mama - Teures Abitur auf dem Lande“ titelte dazu die Hannoversche Allgemeine Zeitung im September und wies auf die sehr unterschiedlichen Beträge hin, die je nach Landkreis und Entfernung zur nächsten Schule für Schülerfahrkarten aufgewendet werden müssen. Die Beispiele sind schon genannt worden. Beispielsweise im Landkreis Soltau-Fallingbostel müssen 76 Euro bezahlt werden, im Landkreis Osterode sogar bis zu 131 Euro pro Monat. Dass manche Familien davor zurückschrecken, ist verständlich.

Ein ganz konkreter Fall, von dem ich Kenntnis habe, betrifft eine Familie mit mehreren Kindern

aus einer ländlichen Region. Das Familieneinkommen ist geregelt, aber gering. Für die jüngste Tochter steht der Übergang zur gymnasialen Oberstufe an. Neben allen anderen Kosten, die damit verbunden sind, muss für die Fahrt zum Gymnasium nun auch die Monatskarte von knapp 100 Euro im Monat bezahlt werden. Die Familie hat sich gegen einen weiteren Schulbesuch und gegen die Chance auf das Abitur entschieden. Meine Damen und Herren, das ist kein Einzelfall.

Wir sollten aber unseren Stolz darein setzen zu sagen: In unserem Land müssen die Zeiten vorbei sein, in denen Eltern zu ihren Kindern sagen müssen: „Wir können es uns nicht leisten, dass du weiter zur Schule gehst.“

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Das gilt auch für die Klassen 11 und 12. Andere Bundesländer, allen voran Nordrhein-Westfalen, sind längst weiter.

Der zweite Grund hat mit der Schulgesetzänderung von 2008 zu tun und ist eine Folge der Strukturänderung in den Berufsbildenden Schulen. Während zuvor Schülerinnen und Schüler im Berufsgrundbildungsjahr in die Kostenerstattung einbezogen waren, gilt das nach dessen Abschaffung nach § 114 des Schulgesetzes nur noch für die erste Klasse von Berufsfachschulen, soweit die Schülerinnen und Schüler diese ohne Sekundarabschluss I - Realschulabschluss - besuchen. Das führt zu der absurden Situation, dass in der gleichen Klasse mit dem gleichen Unterricht Schüler mit und ohne Fahrtkostenerstattung sitzen: Schüler A ist mit einem Hauptschulabschluss gekommen und erhält eine kostenlose Busfahrkarte; Schülerin B geht in die gleiche Klasse und nimmt am gleichen Unterricht teil, hat aber schon einen Realschulabschluss und ist von den Schülerbeförderungskosten nicht freigestellt. CDU und FDP schaffen es, jede Änderung im Schulbereich zu chaotisieren!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Eine Mutter schreibt dazu in einem Leserbrief, das heiße, in Niedersachsen würden gute Schüler auch noch dafür bestraft, dass sie einen besseren Schulabschluss erreicht hätten.