Nicht einmal ein halbwegs stimmiges Stipendiensystem zum sozialen Abfedern der Studiengebühren haben Sie hinbekommen. Sie haben erst großmundig in den Haushalt Mittel für ein Stipendienprogramm einstellen lassen, das aber letztlich niemals angelaufen ist. Deshalb fordern wir Sie auf: Nehmen Sie die Proteste der Studierenden endlich ernst, und übernehmen Sie die politische Verantwortung für die Zustände! Geben Sie mehr Mittel in die Lehre! Machen Sie eine Anreizfinanzierung für gute Lehre! Andernfalls werden nämlich besetzte Hörsäle in Niedersachsen zum traurigen hochschulpolitischen Alltag werden.
Harmonisierung des europäischen Hochschulraumes. Das wurde dann in der Bologna-Erklärung konkretisiert. Dabei ging es erstens um europaweit gleichwertige Studienabschlüsse in drei Abschnitten - Bachelor, Master und Promotion -, auch „drei Zyklen“ genannt. Schon der erste Abschluss des Bachelor nach sechs Semestern bzw. bis nach acht Semestern sollte berufsqualifizierend sein. Zweitens ging es um ein europaweit einheitliches Punktesystem für das relative Gewicht von Lehrveranstaltungen und den dabei erbrachten Leistungen, das sogenannte ECTS, das European Credit Transfer System. Drittens ging es darum, dass die internationale Mobilität der Studierenden gefördert werden sollte. Das alles sollte international, Herr Perli, bis 2010 umgesetzt sein.
Wir in Deutschland haben, verglichen mit anderen Ländern, den Bologna-Prozess besonders ernst genommen.
Aber es gibt ein Akzeptanzproblem. Der BolognaProzess ist eben kein Prozess, der von unten nach oben organisch gewachsen wäre, quasi aus einer hochschulimmanenten Notwendigkeit heraus, sondern er ist den Hochschulen von oben, von europabeflügelter Politik, aufgenötigt worden. Deshalb muss er aber nicht falsch sein. Vergleichbarkeit von Leistungen in Kursen oder Vorlesungen oder - neudeutsch - Modulen bedeutete, dass man das Wissen für jedes Modul einzeln feststellen bzw. prüfen musste. In vielen Fächern, etwa den natur- und ingenieurwissenschaftlichen, war das überhaupt nichts Neues, in anderen Fächern war die permanente Leistungsfeststellung unerhört, geradezu ein Kulturschock. Diesen Schock haben viele Studierende noch nicht überwunden.
Das verschultere Lernen im neuen System ist außerdem nicht gerade das, was sich viele unter akademischer Freiheit vorgestellt haben, und hat auch wenig mit dem Ringen nach Wahrheit gemäß dem humboldtschen Bildungsideal zu tun. Nein, es ist orientiert an zielgerichteter, höchst qualifizierter Berufsausbildung. Berufsausbildung auf Spitzenniveau ist aber auch das, was die überwältigende Mehrheit der studierenden jungen Menschen von ihrem Studium erwartet. Deshalb haben an jeder Hochschule die radikalen Scharfmacher unter den Protestierern auch nur einen sehr begrenzten Zulauf.
Ganz im Gegenteil, werte Kollegin Dr. HeinenKljajić: Es bilden sich immer mehr Internetforen der Studierenden, etwa unter dem Motto: Schmeißt die Chaoten aus dem Hörsaal!
Zusammengefasst: Bachelor/Master ist grundsätzlich vernünftig. Das heißt nicht, dass alles optimal liefe. Ganz im Gegenteil! Die zügige Berufsausbildung beißt sich unweigerlich mit dem Ziel erhöhter internationaler Mobilität; denn Mobilität, altmodisch auch „Lehr- und Wanderjahre“ genannt, kostet eben Zeit, ganz abgesehen davon, dass scheinbare Zeitverschwendung in Wirklichkeit durchaus ein Gewinn sein kann.
Stattdessen scheint schon die nationale Mobilität, der Wechsel von Studienort A nach Studienort B, von Hannover nach Heidelberg,
schwieriger denn je. Außerdem scheint das starre Korsett des studienbegleitenden Abprüfens zu manchen Studiengängen besser zu passen als zu anderen.
Frau Andretta, völlig richtig: Architektur ist etwas anderes als Kunstgeschichte. - Auch die Akzeptanz des Bachelorabschlusses in der Berufswelt schein noch ausbaufähig zu sein. Das ist auch gar kein Wunder, ist der Staat selbst doch extrem zögerlich. Denn wo er ganz allein schalten und walten kann, nämlich bei den Staatsexamina, hat er für den Bachelor keinen Platz. Der Bachelorgrad im Lehramtsstudium mag so polyvalent angelegt sein, wie er will: Wer keinen Master macht, ist draußen. - Vom Bachelor in den anderen großen Fächern mit Staatsexamen, also Jura und Medizin, redet sowieso niemand ernsthaft. Es mag auch dafür gute Gründe geben. Es zeigt aber mindestens eines: Wir werden den Problemen nur gerecht werden können, wenn wir einsehen, dass wir neu denken müssen - nämlich auch von unten nach oben, von den Fächern selbst her, von ihren inhaltlichen und von den sich daraus ergebenden organisatorischen Notwendigkeiten - und dass nicht eine Einheitsstruktur für alle angemessen sein muss - für viele ja, nicht für alle.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An die Kollegen zur Linken gerichtet: Wir tun dieser wichtigen Angelegenheit Hochschulpolitik wirklich keinen Gefallen, wenn wir ständig Zerrbilder an die Wand werfen und wenn wir ständig den Eindruck vermitteln, das deutsche Hochschulsystem sei in einem katastrophal schlechten Zustand
und insbesondere die Bedingungen seien durch die Bank so, dass keine Studierfähigkeit gegeben sei, und unsere Absolventen hätten auf dem Berufsmarkt später keine Chance und dergleichen mehr.
Die Wahrheit ist eine andere. Wenn wir uns beispielsweise international vergleichen, stellen wir bis heute fest, dass Absolventen deutscher Hochschulen gerne genommen werden, dass Professorinnen und Professoren bei Berufungsverfahren im Ausland oft und häufig besser dastehen als andere.
Das heißt nicht, dass es nicht an vielen Ecken und Kanten Bedarf gäbe, hier nachzufeilen. Das ist das, worüber wir in diesen Tagen reden. Das heißt auch nicht, dass beispielsweise die Verhältnisse in alten Diplom- und Magisterstrukturen besser gewesen wären als heute.
Die meisten Kollegen, die hier sitzen, haben doch in den 70er- und 80er-Jahren studiert und wissen, welche Verhältnisse an unseren Hochschulen geherrscht haben. Ich glaube, dass wir alle uns diese Verhältnisse nicht zurückwünschen.
Deshalb sage ich noch einmal: Das, was die Väter und Mütter zu Bologna Ende der 90er-Jahre miteinander besprochen haben, bleibt ja richtig. Wir hatten damals zu lange Studienzeiten. Wir hatten damals zu hohe Abbrecherquoten. Wir hatten damals viel zu schlechte Betreuungsrelationen. Wir hatten damals schlechte Berufsperspektiven für eine Vielzahl der Absolventen. Wir hatten damals keine internationale Vergleichbarkeit, die den heutigen Bedingungen entsprochen hätte.
Viel wichtiger, meine Damen und Herren: Wir mussten die Studienstrukturen den Anforderungen der Gegenwart und der Zukunft auch insoweit an
passen, als wir der Tatsache Rechnung tragen mussten, dass eine zu frühzeitige Spezialisierung heute nicht mehr gefragt sein kann, weil die Dinge sich so schnell verändern, dass Sie sonst ständig hinterherlaufen würden.
Beim zweiten Thema, der Frage der Durchlässigkeit, bin ich der Meinung, dass wir uns doch immer einig waren. Es geht um die Frage: Wie schaffe ich es, beispielsweise auch Berufstätige, die bisher keine akademische Ausbildung genossen haben, später noch zu einem berufsbegleitenden Studium an unsere Hochschulen zu holen?
All diesen Anforderungen, die sich in Zukunft noch verstärken werden, können Sie nur mit gestuften Studienstrukturen Rechnung tragen. Das wäre im alten Diplom- und Magistersystem nicht möglich gewesen. Dennoch haben wir festzustellen - Frau Andretta hat darauf hingewiesen -, dass einige Hochschulen mit dem Bologna-Prozess sehr verantwortlich und in Teilen auch sehr erfolgreich umgegangen sind, während andere Hochschulen versucht haben, die alten Strukturen in die neuen zu pressen. Das konnte nicht gelingen, und deshalb ist es notwendig, dass die Politik an solchen Stellen deutlich macht: Hier gibt es Veränderungsbedarf. Bitte handelt!
Weil wir zusammen mit Berlin und Hamburg die meisten Erfahrungen im Bereich Bologna gesammelt haben und natürlich auch - das will ich freimütig einräumen -, weil mehr und mehr Studenten, aber auch Hochschullehrer sich zu Wort gemeldet haben, haben wir bereits vor der Sommerpause gesagt: Das sind aus unserer Sicht die Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, um Bologna wieder dorthin zu führen, wohin es gehört, und zu dem zu machen, was eigentlich von Anfang an Sinn und Zweck von Bologna war. Das betrifft die Kleinteiligkeit der Module, das Thema Mobilität, die Prüfungsdichte und auch die Frage, ob das, was insbesondere an den Universitäten stattfindet, zu verschult geworden ist und damit nicht mehr universitären Maßstäben Rechnung trägt. In der Tat unterscheidet sich eine akademische Ausbildung von der beruflichen Ausbildung eben auch darin, dass ich - ganz schlicht gesagt - immer in der Lage sein muss, meinen Horizont zu erweitern und auch einmal in andere Fachbereiche hineinzuriechen. Das ist in den neuen Strukturen zum Teil nicht mehr so möglich, wie es wünschenswert gewesen wäre.
Dazu hat es viele Verhandlungen im Vorfeld gegeben. Ich möchte mich an der Stelle insbesondere bei Herrn Dr. Lange bedanken, der federführend für die Amtschefkonferenz hier einen Hauptteil der Arbeit geleistet hat.
Die Kultusministerkonferenz hat am 15. Oktober dieses Jahres einen einstimmigen Beschluss gefasst. Jetzt geht es darum - das ist die eigentliche Herausforderung, liebe Kolleginnen und Kollegen -, diesen einstimmigen Beschluss auch umzusetzen und mit den Hochschulen in Gespräche über eine zeitnahe Umsetzung einzutreten. Ich sage sehr deutlich, Herr Perli: Sie können mich zitieren - das haben Sie vorhin getan, und ich wäre dankbar, wenn Sie es an der Stelle häufiger täten -; weil es in der Tat so ist - da müssen wir uns, liebe Kollegen von der SPD, unter Umständen miteinander streiten -, dass es nicht dem Verständnis der B-geführten Länder entspricht, dass wir nun zurückfallen in obrigkeitsstaatliches Handeln und in Detailregelungen und den Hochschulen qua Gesetz vorgeben, was sie in Einzelfällen zu tun oder zu lassen haben. Für uns hat die Frage der Selbstständigkeit und der Autonomie nach wie vor im Mittelpunkt zu stehen, und wir wollen im Rahmen dieser Autonomie in Gesprächen mit den Hochschulen, auch unter Beteiligung der studentischen Vertreter, schnell und zügig zu Veränderungen kommen.
Deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe auf KMKEbene eingesetzt, die von Dr. Lange geleitet wird. Diese Arbeitsgruppe hat bereits sehr konkrete Ergebnisse vorgelegt, die im Dezember von der KMK beschlossen werden können. Auf niedersächsischer Ebene haben wir eine Arbeitsgruppe mit der Landeshochschulkonferenz eingesetzt, die auch sehr konkret an einer zügigen Umsetzung arbeiten wird. Ich hoffe, dass wir bereits den Studienanfängern des Wintersemesters des nächsten Jahres Studienstrukturen bieten können, die den Ansprüchen genügen und auch den Kritikpunkten der Studierenden Rechnung tragen werden. Insoweit bin ich sehr optimistisch.
In einer letzten Bemerkung möchte ich noch einmal zurückkommen auf die schlechten Erfahrungen, die wir in den 70er- und 80er-Jahren gemacht haben. Auch weil wir in Niedersachsen Studienbeiträge eingeführt haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die Studienbedingungen in Niedersachsen mittlerweile so, dass jeder, der
sehenden Auges durch unsere Hochschulen geht, zugeben muss, wenn er wirklich fair ist, dass sich die Dinge zum Positiven verändert haben. Das betrifft nicht nur die Sachmittelausstattung, sondern auch die Betreuungsrelation. 50 % der Mittel gehen mittlerweile in Personalkosten mit der Folge, dass wir, was die Betreuungsrelation anbelangt - das können wir nachweisen -, 10 % über dem Bundesdurchschnitt liegen. Nun kann man immer noch sagen, das sei nicht gut genug, und wir sagen das auch. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben uns in die richtige Richtung bewegt und werden dies weiter tun. Deshalb werden wir an sozialverträglichen Studienbeiträgen festhalten.
Ich sage es noch einmal: Meines Erachtens ist es keine Überforderung, wenn wir von den jungen Menschen verlangen, dass sie erst dann, wenn sie dazu in der Lage sind, wenn sie also ein entsprechendes Einkommen erzielen, mit der Rückzahlung eines Kredits von 5 000 bis 6 000 Euro beginnen. Die Raten können 50 Euro im Monat betragen. Meine Damen und Herren, von solchen Bedingungen hätte jeder Meisterschüler im Handwerk geträumt. Auch das hat etwas mit Fairness und auch mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.
Wir wissen, dass Akademiker heute auf dem Arbeitsmarkt bessere Gehälter erzielen und das Risiko der Arbeitslosigkeit für sie erheblich minimiert ist.
Eine letzte Bemerkung zu Stipendien: Wir sind froh darüber, dass jetzt gemeinsam mit der Bundesregierung an Stipendienmodellen gearbeitet wird. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten können, auch weil es dafür Geld im Haushalt gibt. Das von Ihnen erwähnte Geld, liebe Frau Heinen-Kljajić, ist übrigens bei den Hochschulen angekommen. In Niedersachsen sind bereits - nehmen Sie das bitte zur Kenntnis - 3 000 bis 3 500 Studenten in den Genuss von Stipendien gekommen. Auch das ist sicherlich noch nicht genug, aber Sie können solche paradigmatischen Veränderungen nicht von heute auf morgen umsetzen. Das gilt übrigens auch für Bologna. Deshalb ist es ein Gebot der Fairness, dass man uns Zeit dafür gibt, um solide und seriös mit der notwendigen Ausgewogenheit unsere Arbeit zu leisten. Wir sind auf einem guten Weg. Das wird übrigens auch durch alle Rankings, die es bundesweit zu diesem Thema gibt, für Niedersachsen belegt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es auf einen Nenner zu bringen: Selten besteht so viel Einigkeit, aber hier ist es der Fall. Der Bologna-Prozess muss fortgeführt werden.
In dem Zusammenhang stehen auch keine Forderungen nach Studiengebühren und steht auch nicht der Hinweis auf reiche Eltern. Die Studierenden haben erlebt, was der Bologna-Prozess auch hier bei uns in Niedersachsen bewirkt hat. Die Akteure und die Hochschulgremien sind aktiv geworden, und auch die Landesregierung hat erkannt, dass Lösungen gefunden werden müssen.